Liebe Leserinnen und Leser
Nehmen wir an, Sie müssten heute Abend noch den Müllsack entsorgen. Sie raffen sich auf, steigen die Treppe hinunter, und im Foyer schleppt sich Ihnen ein Nachbar entgegen – bleich und verschwitzt. Sie grüssen; er hustet. Speichel fliegt durch die Luft. Sie streichen sich übers Gesicht. Zack! Boom!
Los gehts.
Ihr Körper wird nun in den Kampf ziehen – und ihn auch gewinnen, sofern er es nicht komplett vergeigt. Es schüttelt Sie ein paar Tage durch: Fieber, Husten, Kopfweh, Gliederschmerzen. Das volle Programm. Nach ungefähr zehn Tagen klingen die Symptome ab, Ihre Kräfte kommen zurück. Sie verstauen den Zwieback im hintersten, dunkelsten Winkel Ihrer Vorratskammer, dort, wo er in gesunden Tagen auch hingehört.
Zur Belohnung sind Sie jetzt immun. Das heisst: Sie müssen den Mist so bald nicht wieder durchmachen. Und stecken auch Ihre Liebsten nicht mehr an.
Der Epidemiologe Christian Althaus bestätigt das. Direkt nach bestandener Krankheit habe man nichts mehr zu befürchten, sagt er. Die entscheidende Frage sei aber, wie lange der Schutz anhalte. Immun ist, wer genügend Antikörper gegen das Virus entwickelt hat – Eiweissstoffe, die am Virus andocken und es zerstören. Althaus sagt: «Die Erfahrung zeigt, dass man nach Erkrankungen eine Weile gegen dieselben Viren geschützt ist – ein halbes Jahr oder ein ganzes Jahr, bei manchen Krankheitserregern sogar ein ganzes Leben lang.»
Das Rückfallrisiko von Covid-19-Erkrankten wird den Verlauf der Pandemie entscheidend beeinflussen. Würden sich Menschen immer wieder von neuem anstecken, bekäme man das Virus kaum unter Kontrolle. Althaus sagt aber, es wäre sehr ärgerlich, wenn die Immunität nicht mindestens über mehrere Jahre anhalten würde.
Es gibt noch keine Studien, die gesicherte Aussagen über den Grad und die Dauer der Immunität beim Sars-CoV-2-Virus ermöglichen. Doch Erkenntnisse bei einem anderen, eng verwandten Coronavirus stimmen hoffnungsvoll: Bei Sars-CoV-1-Geheilten konnte man auch nach über drei Jahren noch Antikörper nachweisen.
Am Ende wird die körpereigene Immunabwehr das Virus nicht nur im eigenen Körper besiegen, sondern wohl auch anderweitig dabei helfen, die Pandemie einzudämmen. Die jetzigen Tests für das Virus sind nämlich relativ aufwendig und dauern einen Moment. Aber schon sehr bald wird man sich schnell, einfach und günstig auf Antikörper testen lassen können. Grossbritannien will in den nächsten Tagen 3,5 Millionen solcher Tests zur Verfügung stellen; in Deutschland wollen Forscher in einer gross angelegten Antikörperstudie 100’000 Probanden untersuchen, und auch in der Schweiz sollen diese Tests zum Einsatz kommen, mittel- bis langfristig.
Ach, und noch etwas zur Immunität: In den vergangenen Wochen haben diverse Ökonomen und Politikerinnen vorgeschlagen, die Ansteckungsrate absichtlich in die Höhe zu treiben, damit möglichst viele Menschen schnell immun werden. Das Problem an diesem Vorschlag: Selbst wenn Risikopersonen konsequent isoliert würden (was verdammt schwer wäre), könnten auch Menschen ohne Vorerkrankungen sehr schwer erkranken – und ohne Intensivpflege sterben. Und die Spitäler wären wegen des Ansturms komplett überlastet.
Auch in der Regierung des britischen Premierministers Boris Johnson gab es Fans dieser sogenannten «Durchseuchung». Dann rechneten britische Forscher aus, dass mit der Strategie wohl Hunderttausende sterben würden. Johnson ist deshalb unterdessen definitiv davon abgekommen – und musste heute selbst in Quarantäne. Er wurde positiv auf Sars-CoV-2 getestet.
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
Die neuesten Fallzahlen: Gemäss Daten, die das Statistische Amt des Kantons Zürich aus den Daten der einzelnen Kantone zusammenstellt, zählt die Schweiz heute mindestens 12’934 infizierte Personen. Gestern waren es noch 11’716.
Neue Freiheiten für Kantone: Neu dürfen die Kantone eigenständig Wirtschaftszweige wie etwa die Baubranche eingrenzen oder gleich ganz lahmlegen – unabhängig von nationalen Verordnungen. Das hat der Bundesrat heute bekannt gegeben, nachdem der Kanton Tessin am vergangenen Wochenende alle Baustellen und Industriebetriebe eigenständig geschlossen hatte. Ein illegaler Beschluss, den der Bundesrat heute nun nachträglich bewilligt hat.
Mehr Kulanz bei den Mieten: Fällige Mietzinsen und Nebenkosten können neu innerhalb von 90 Tagen statt der bisherigen 30 Tage bezahlt werden. Das hat der Bundesrat in einer neuen Verordnung beschlossen. Er will so Mieterinnen und Pächter davor schützen, dass sie bei finanziellen Engpässen ihre Räumlichkeiten verlieren. Die Regelung gilt für Rechnungen zwischen dem 13. März und dem 31. Mai.
USA sind das neue Corona-Epizentrum: Kein anderes Land verzeichnet derzeit so viele Ansteckungen wie die USA. Insgesamt wurden bisher über 85’000 Menschen positiv getestet – mehr als die Hälfte davon in der Stadt New York. Die Notrufzentralen nahmen in den vergangenen Tagen so viele Anrufe entgegen wie seit 9/11 nicht mehr. Wie bereits in anderen Ländern drohen nun auch in den USA die Plätze auf den Intensivstationen knapp zu werden.
Die besten Tipps und interessantesten Artikel
Vor einer Woche haben wir darüber geschrieben, wieso Frauenhäuser einen starken Anstieg der häuslichen Gewalt befürchten. Die Isolation führt bei vielen Menschen zu Stress und kann sich unter Umständen in Gewalt entladen. Männer.ch, der Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen, hat nun ein «Survival-Kit für Männer unter Druck» erstellt. Das sind die wichtigsten Tipps:
Es ist normal, dass man Angst vor dem Virus hat und dass einen die eingeschränkte Bewegungsfreiheit in den Wahnsinn treibt. Aber: «Es gibt weder einen Grund noch eine Entschuldigung, deine Not an anderen auszulassen. Du stehst selbst in der Verantwortung, wie du mit Überforderung, Unsicherheit oder Wut umgehst.»
«Akzeptiere, was du nicht ändern kannst.» Mache die Isolation zum Abenteuer, zur neuen Erfahrung.
Mehr Sport, Musik, Natur – und Medienkonsum reduzieren.
«Erlaube dir, Unterstützung zu holen.»
Überlege dir in einem entspannten Moment, wie du dich in einer Angst- oder Paniksituation beruhigen kannst. Erstelle einen Notfallplan. «Achte auf deine Alarmsignale und wende deinen persönlichen Notfallplan rechtzeitig an.»
Was sich daneben auch zu lesen und zu browsen lohnt:
Ein 360-Grad-Scan einer an Covid-19 erkrankten Lunge. Man sieht, wie schnell sich die Infektion ausbreitet. Der Arzt, der das Video erstellt hat, sagt, er wolle, dass die Menschen sich diesen Scan ansehen würden, um zu verstehen, wie gefährlich das Virus sei.
Die USA verzeichnen nun die meisten Covid-19-Fälle – das haben Sie ja weiter oben gelesen. Auf Twitter schildert ein New Yorker Notfallarzt sein Leben mit Covid-19. Tage im Rausch zwischen Hust-Kakofonien und toten Strassen.
Eine Abbildung, die zeigt, wie dramatisch die Arbeitslosigkeit in den USA über die vergangenen Tage zugenommen hat. Hunderttausende Amerikaner haben als Folge der Pandemie ihren Job verloren.
Frage aus der Community: Ich bin selbstständig erwerbend und verliere gerade viele Aufträge. Kriege ich finanzielle Unterstützung?
Es gibt eine gute Nachricht – und eine schlechte. Zuerst die gute:
Sie können in folgenden Fällen eine sogenannte Erwerbsersatzentschädigung beantragen – also Geld vom Bund für Ihre ausfallenden Aufträge verlangen:
wenn Sie wegen der Verordnung des Bundesrates Ihren öffentlich zugänglichen Betrieb schliessen mussten – also zum Beispiel Ihr Restaurant, Ihren Kleiderladen oder Ihr Tattoo-Studio;
wenn Sie freischaffende Künstlerin sind und Engagements – wie Konzerte oder Ausstellungen – aufgrund der Pandemie abgeblasen wurden.
Sollte das auf Sie zutreffen, müssen Sie ein kurzes Formular ausfüllen. Das Geld erhalten Sie dann über die AHV-Ausgleichskasse. Die monatlichen Beträge decken 80 Prozent Ihres durchschnittlichen Bruttoeinkommens vor der Krise. Im Maximum erhalten sie 196 Franken am Tag, und zwar so lange, wie die Massnahmen gegen das Virus andauern.
Jetzt zur schlechten Nachricht:
Falls Sie selbstständig sind und Ihr Betrieb weiterhin offen sein darf, haben Sie keinen Anspruch auf staatliche Gelder. Wenn Sie zum Beispiel Physiotherapeutin oder Werbetexter sind und wegen der Pandemie Ihre Aufträge verlieren, haben Sie derzeit keine Kompensationsmöglichkeit.
An der Medienkonferenz sagte heute Bundesrat Guy Parmelin dazu: «Ohne zu viel versprechen zu wollen: Wir analysieren die Lage hier und werden uns weiter äussern.»
Zum Schluss eine gute Nachricht: Sars-CoV-2 mutiert nur langsam
Wie Lebewesen entwickeln sich auch Viren (merke: keine Lebewesen!) über die Zeit. Sie mutieren. Die besonders effektiven Mutationen setzen sich durch – und vervielfachen sich schnell. Ein amerikanischer Genetiker hat nun das neue Coronavirus auf seine Mutationsfähigkeit untersucht und herausgefunden, dass es sich nur langsam weiterentwickelt. Das ist gleich in zweifacher Hinsicht eine gute Nachricht. Erstens: Die Wahrscheinlichkeit ist damit gering, dass aus Sars-CoV-2 ein noch gefährlicheres Virus wird. Zweitens: Die Wissenschaftler müssen wahrscheinlich nur einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 entwickeln – und nicht alljährlich wieder von vorne beginnen wie etwa bei den Grippeimpfstoffen.
Bleiben Sie umsichtig, bleiben Sie freundlich, bleiben Sie gesund.
Wir sehen uns am Montag, wenn Sie mögen.
Ronja Beck, Oliver Fuchs und Elia Blülle
PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.
PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.
PPPS: Diese Woche trafen sich die Aussenminister der G-7-Staaten zur gemeinsamen Videokonferenz. Das lauschige digitale Beisammensein hätte eigentlich mit einem gemeinsamen ermutigenden Statement zur Pandemie enden sollen. Doch der Plan scheiterte. Trumps Aussenminister Mike Pompeo bestand darauf, im Statement vom «Wuhan-Virus» zu sprechen, wie der «Spiegel» weiss. Dem Rest war das zu blöd.
PPPPS: Wir wünschen Ihnen ein ausgezeichnetes Wochenende. Tun Sie was Riskantes. ;-)