Liebe Leserinnen und Leser
Willkommen zur vierten Woche Corona in der Schweiz; willkommen zur Ausgabe 8 im Lockdown. Keine Ahnung, wie es bei Ihnen lief. Den meisten von uns ging es so wie Schiffbrüchigen auf einer einsamen Insel.
Wir beschafften die nötigsten Dinge: Nachrichten, Desinfektionsmittel, Infektionskurven, Vorräte, Chatprogramme und Scherze über ausverkauftes Toilettenpapier.
Und nun, da das getan ist, sitzen wir an unserem kleinen Strand und schauen auf das Meer.
Wie sich herausstellt, sitzt jeder und jede auf einer anderen Insel. Einige allein in der Einsamkeit, andere in mit Familie vollgepackten Zimmern. Einige spüren bereits Langeweile, andere vor allem Erleichterung, Dritte bedrückt die Furcht vor dem leeren Konto, wieder andere mit Homeoffice und Kindern arbeiten bis zur Erschöpfung.
Ein neues Leben hat begonnen. Und es dämmert einem, dass es nicht einfach wird. In einer Studie im führenden Medizinmagazin «The Lancet» fasst eine Forschungsgruppe die bisherigen Erkenntnisse zusammen – mit dem Fazit: Quarantäne ist nichts Harmloses. Sowohl kurz- wie langfristig.
Die grössten Gefahren bei Quarantäne sind Angst und Ärger – Rückzug und Gereiztheit.
Richtig heftig wird Quarantäne laut «Lancet» ab Tag 11 – also aufs Wochenende hin. Was ausgerechnet in den Tagen passieren wird, wenn die Statistiker den vollen Ansturm in den Spitälern erwarten.
Kurz: Es wird uns nicht viel erspart bleiben. Was also tun?
Die Studie richtet sich vor allem an Behörden. Sie empfiehlt:
die Quarantäne so kurz wie möglich zu halten;
keine falschen Versprechungen über ein mögliches Ende zu machen;
so viel Sicherheit wie möglich, so schnell wie möglich. Man sollte möglichst schnell den Eingeschlossenen a) Vorräte verschaffen, b) die Sicherheit geben, dass sie in ihrer Abwesenheit nicht finanziell geschädigt werden;
so viel, so ehrliche, so klare Information wie möglich.
Als Hauptproblem in Quarantäne sieht die «Lancet»-Studie den plötzlichen Verlust von Freiheit und Kontrolle. Man fühlt sich ausgeliefert: der Epidemie, den Behörden, der Langeweile, der Unklarheit, der Einsamkeit.
Was dagegen hilft, ist, die Kontrolle so energisch zurückzugewinnen wie möglich: mit einem klaren Tagesablauf, Gymnastik, interessanten Aufgaben, Hilfe für andere, Weitermachen im Job sowie Kommunikation mit Freunden und Liebsten. Sowie mit – angeblich für eingesperrte Familien in der Wirkung weit unterschätzt – langen, ein-, besser noch zweistündigen Spaziergängen.
Deswegen, wegen des Bedürfnisses nach Kontrolle, fühlen sich Menschen in Quarantäne auch weit besser, wenn sie nicht per Befehl dorthin verfrachtet wurden, sondern per Appell: als Altruisten, die aus Überzeugung ihre Mitmenschen vor Ansteckung schützen.
Was zeigt, dass Menschen ein grosses Herz haben. Vergessen Sie das nicht, wenn Sie den Mut verlieren. Für wahrscheinlich jede und jeden von uns wird der Moment kommen, wo es uns die Nerven, das Herz oder die Hoffnung zerreisst. Das passiert in dieser Lage. Und ist in Ordnung.
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
Die neusten Fallzahlen: Gemäss Daten, die das Statistische Amt des Kantons Zürich aus den Daten der einzelnen Kantone zusammenstellt, zählt die Schweiz heute mindestens 10’627 infizierte Personen.
Kurzarbeit wird verlängert: Neu können Arbeitgeber bis zu 6 Monate Kurzarbeit (statt der bisherigen 3 Monate) für ihre Angestellten beantragen. Gemäss Bundesrat Guy Parmelin haben bisher 9,5 Prozent aller Angestellten in der Schweiz ein Gesuch für Kurzarbeit gestellt. Wer seinen Job verloren hat, muss zudem neu keine Arbeitsbemühungen mehr vorweisen, bis die Krise überstanden ist.
Schnelles Geld gegen Zahlungsengpässe: Im Rahmen seines 40 Milliarden schweren Liquiditätsprogramms kündigte der Bundesrat heute sogenannte Notkredite an. Firmen können ab morgen kostenlos bis zu einer halben Million Franken von ihrer Bank leihen. Zudem sind Kredite von bis zu 20 Millionen zu einem sehr tiefen Zinssatz erhältlich.
Ausfuhrkontrolle für Masken: Wegen des grossen Eigenbedarfs darf Schutzmaterial nur noch gegen Bewilligung aus der Schweiz exportiert werden. Das gilt für medizinische Schutzbrillen, Masken oder Handschuhe. Für EU- und Efta-Staaten ist keine Bewilligung nötig, sofern sie ihrerseits keinen Exportstopp für die Schweiz verhängt haben. Die EU hatte am Samstag einen entsprechenden Ausfuhrstopp für die Schweiz widerrufen.
Schweiz baut Grenzkontrollen aus: Ab heute Mitternacht gelten die Einreisebeschränkungen in der Schweiz für alle Länder ausser Liechtenstein. Nur in Ausnahmefällen – etwa zum Arbeiten – dürfen Ausländerinnen ohne Aufenthaltsbewilligung noch einreisen. Die Verordnung hatte bisher nur für einzelne Schengen-Staaten und alle Drittstaaten gegolten.
Die besten Tipps und interessantesten Links
Angst und Ärger, Rückzug und Gereiztheit – vielleicht spüren Sie schon länger die Folgen des «Lockdown light». Wir möchten Ihnen ein paar Ideen mitgeben, die diesen Gefühlen vielleicht etwas entgegenwirken. Für ein paar Minuten oder für einen ganzen Abend. Sie brauchen: eine funktionierende Küche, ein paar einfache Zutaten aus dem Vorratsschrank, etwas Grünzeug und einen Internetanschluss.
Essen, das Magen und Seele wärmt: In nur einer Pfanne kochen Sie nach diesem Rezept der «NZZ am Sonntag» mit Reis, Linsen, Kichererbsen, Gewürzen sowie Federkohl (oder Wirz) und Tomaten (Pelati sind auch gut) ein richtig leckeres und erst noch gesundes Znacht.
Musik, die Angstgefühle beruhigt: Das Album «Sea Change» von Beck hilft vielleicht auch Ihnen gegen Stress und Anflüge von Panik. Sie finden es auf Spotify oder auf Youtube.
Ein Film, mit dem Sie unter die Leute kommen: In «L’auberge espagnole» sitzen Sie mit Studierenden aus ganz Europa am Tisch einer Erasmus-WG in Barcelona.
Ein Buch, das Sie und Ihre Familie aus Ihrem Zuhause hinaus und mit nach draussen nimmt, in die salzige Luft und an die zaghafte Sonne der schwedischen Schäreninseln, ist «Ferien auf Saltkrokan». Vielleicht liegt das Kinderbuch der schwedischen Autorin Astrid Lindgren sowieso in Ihrem Bücherregal. Und andernfalls finden Sie hier ein PDF davon.
Eine Podcast-Folge, die ein bisschen Erleichterung – «A Bit of Relief» – in den Corona-geprägten News-Alltag bringt: Die Episode von «The Daily», dem täglichen Podcast der «New York Times», ist zwar schon über eine Woche alt, lässt sich aber heute genau so gut hören.
Uns haben genau dieses Essen, genau diese Musik, genau diese Gedanken aus Film, Buch und Podcast ein bisschen gegen den Koller geholfen. Mit etwas Glück geht es Ihnen ebenso.
Was sich daneben auch zu browsen lohnt:
Anfang Woche mussten in Deutschland auch die Coiffeure ihre Geschäfte schliessen. Das Satire-Portal «Postillon» wagt eine vierwöchige Prognose für das Haupthaar der politischen Galionsfiguren Deutschlands. Und beweist damit, dass Coiffeusen dringendst auf die Liste der systemrelevanten Personen gehören.
Frage aus der Community: Wie gefährdet bin ich als Diabetikerin?
Aus einer der grössten Studien zur Krankheit Covid-19 wissen wir: Bisher war bei Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen der Krankheitsverlauf schwerer und die Sterberate höher. Eine dieser Risikogruppen sind, das haben Sie bestimmt schon vielerorts gelesen, Diabetes-Betroffene. Diabetes schwächt in der Regel Ihr Immunsystem, und so kann Ihr Körper schlechter gegen eine Infektion wie Covid-19 ankämpfen. Auch die Schweizer Regierung führt Diabetiker als besonders gefährdete Personen auf.
Folgende Präzisierungen zum Diabetestyp und zur Stabilität des Blutdrucks der Betroffenen sind aber wichtig:
Laut der Organisation Diabetes Schweiz gilt das erhöhte Risiko nach aktuellem Wissensstand vor allem für Betroffene von Diabetes mellitus Typ 2. Das sind häufig ältere Menschen, deren Diabetes-Erkrankung zusammen mit Übergewicht, Bluthochdruck, Cholesterin-Störungen, Nierenproblemen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftritt. Es seien wohl eher die Begleitkrankheiten, die einen schwereren Krankheitsverlauf bei Covid-19 verursachten, als Diabetes selbst, schreibt die Organisation. Ob ein erhöhtes Risiko für Betroffene von Diabetes allein auch gelte, sei noch nicht bekannt.
Für Diabetiker ohne Begleiterkrankungen ist zurzeit kein erschwerter Covid-19-Verlauf zu erwarten, sofern ihre Blutzuckereinstellungen stabil sind. (Für Betroffene: Wenn also Ihre HbA1c-Werte unter 7,5 Prozent liegen. Liegen sie jedoch über 8,5 Prozent, dann besteht möglicherweise ein erhöhtes Risiko für Komplikationen.)
Fazit: Wenn Sie Diabetikerin sind, dann besteht kein unmittelbarer Grund zur Besorgnis. Aber es schadet sicher nicht, Ihren Arzt bei einer passenden Gelegenheit darauf anzusprechen.
Zum Schluss eine (einigermassen) gute Nachricht: Die neuen Regeln setzen den Schweizerinnen zu, aber sie befolgen sie häufig trotzdem
Der Lockdown belastet die Menschen. Psychisch wie materiell. Fast 30 Prozent der Selbstständigerwerbenden sitzen bei den Aufträgen vor einem Totalausfall. Das ergab eine Umfrage der Forschungsstelle Sotomo. Mehr als 30’000 Menschen nahmen vergangene Woche daran teil. Die repräsentative Umfrage zeigt zudem, dass sich vor allem die jungen Erwachsenen seit Anbeginn der Krise schlechter fühlen. Und trotzdem: Die Befragten scheinen sich an die Massnahmen des Bundesrates zu halten. Meist gehen sie nur noch für absolut Notwendiges vor die Tür (Sport und Bewegung gehören da unbedingt dazu). So haben zwar 75 Prozent der Senioren ihre Wohnung vergangene Woche verlassen (was ja genau diese Gruppe möglichst nicht tun sollte). In den meisten Fällen jedoch, um Lebensmittel zu kaufen und für Spaziergänge. Treffen mit Freunden oder Familie, die nicht im selben Haushalt leben, hatten die Befragten massiv reduziert.
Halten Sie durch! Und bleiben Sie umsichtig, bleiben Sie freundlich, bleiben Sie gesund.
Ronja Beck, Oliver Fuchs, Constantin Seibt und Marie-José Kolly
PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.
PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.
PPPS: Die Malaria-Arznei Hydroxychloroquin (sagen Sie das fünfmal schnell hintereinander!) wird weltweit an Covid-19-Patienten getestet. Auch US-Präsident Donald Trump erhofft sich davon Grosses – und sagte fälschlicherweise, dass der Stoff zur Behandlung von Covid-19 in den USA zugelassen sei. In Arizona ist nun ein Mann an dem Mittel gestorben. Er und seine Frau hatten Reinigungs-Tabs für Aquarien eingenommen, die Chloroquin in einer anderen Form enthielten.
PPPPS: Halten Sie es darum mit Donald Trumps ehemaliger Widersacherin im Kampf um die Präsidentschaft, Hillary Clinton. Sie empfahl gestern: «Nehmen Sie keine Gesundheitsratschläge von einem Mann an, der selber direkt in eine Sonnenfinsternis gestarrt hat.»