Sehen wir uns an der Premiere?
Der Buchclub findet unter neuem Namen an einem neuen Ort statt. Zum Auftakt geht es um zwei Romane und einen Gedichtband rund um das Thema Identitäten. Sie sind herzlich eingeladen mitzudiskutieren.
Von Daniel Graf, 25.02.2020, Update 11.03.2020
Hinweis: Der «Salon der Republik» am Dienstag, den 24. März im Cabaret Voltaire wurde aufgrund der «ausserordentlichen Lage» bis auf Weiteres verschoben. Wir werden den neuen Termin rechtzeitig bekanntgeben.
Alles neu macht – kein Scherz! – der März. Wobei «alles» für unser Buchclub-Update dann doch ein wenig übertrieben wäre. Eher gilt die Formel: neuer Name, neuer Ort. Und eine leicht veränderte Ausrichtung auf mehr Debatte.
Der Salon der Republik, wie unser Buchclub künftig heisst, wird ab diesem Frühjahr im Cabaret Voltaire in der Zürcher Innenstadt über die Bühne gehen, dort, wo einst der Dadaismus aus der Taufe gehoben wurde. Angelegt als offene Soirée, wird sich unsere Bücherrunde noch stärker als bisher aktuellen Streitfragen widmen, allerdings mit der zeitgenössischen Literatur im Zentrum. Denn wichtige Neuerscheinungen vorzustellen, sie eingehender und vielstimmiger unter die kritische Lupe zu nehmen, als das in irgendeinem anderen Format möglich ist, das bleibt, wie schon im Buchclub, auch weiterhin der Anspruch.
Identitäten lautet das Thema für den ersten Salon am Dienstag, 24. März, um 20 Uhr im Zürcher Cabaret Voltaire.
Folgende Bücher stehen dabei auf dem Programm:
«Der Wassertänzer», der erste Roman von Ta-Nehisi Coates, dessen hitzig diskutierte Sachbücher zum amerikanischen Rassismus längst Standardwerke sind;
«1000 Serpentinen Angst» von Olivia Wenzel, die in ihrem Debüt deutsch-deutsche Geschichte und Critical Whiteness zusammenführt;
der Gedichtband «Nachthimmel mit Austrittswunden», für den Ocean Vuong international als neue literarische Sensation gefeiert wird
Zu Gast sein wird an diesem Abend die Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni. Sie liest und debattiert mit Barbara Villiger Heilig, Daniel Binswanger, Daniel Graf – und mit Ihnen, falls Sie mögen. Wortmeldungen aus dem Publikum sind ausdrücklich willkommen. Einfach zuhören ist natürlich ebenfalls erlaubt.
Worum geht es in den drei Büchern?
Ta-Nehisi Coates, «Der Wassertänzer»: Virginia im 19. Jahrhundert, die Jahre vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Hiram Walker hat bisher kein anderes Leben gekannt als das in der Sklaverei. Sohn eines weissen Plantagenbesitzers und einer schwarzen Sklavin, musste er als kleiner Junge erleben, dass seine Mutter verkauft und von ihm getrennt wurde.
Mit einem fotografischen Gedächtnis kann Hiram alle Bilder wieder hervorholen, die er jemals gesehen hat – nur das seiner Mutter nicht. Doch Ta-Nehisi Coates hat seinem Helden in diesem vom magischen Realismus inspirierten Epos noch eine weitere Fähigkeit mitgegeben, eine mit dem rätselhaften Namen «Konduktion». Und so beginnt Hiram, «wie ein Konduktor, wie ein Schaffner», die Menschen von der Knechtschaft in die Freiheit zu führen. Nicht zuletzt die Frau, die ihn aufzog; und die, die er liebt.
Ta-Nehisi Coates, längst ein intellektueller Star weit über die USA hinaus, hat seine Lebensthemen nun erstmals nicht in Non-Fiction, sondern in Literatur überführt. Und doch hat auch dieser Text einen ganz realen Hintergrund: die Lebens- und Familiengeschichte des Abolitionisten William Still.
Olivia Wenzel, «1000 Serpentinen Angst»: Als die junge Thüringerin ein Theaterstück über die Wende besucht, ist sie die einzige black person im Raum. So geht es ihr meistens, bedeutend höher hingegen ist der Anteil an Neonazis in ihrer unmittelbaren Umgebung.
Ihr Familienstatus: kompliziert. Die Mutter, zu DDR-Zeiten mit einem angolanischen Mann liiert, hatte blaue Haare, aber keine Ausreisegenehmigung. Weil er jedoch zurückmusste, blieb sie mit den neugeborenen Zwillingen allein, zog beide auf, «als wären wir schuld an ihrem Leben, schuld daran, dass sie nie weg kommt aus dem verfluchten Scheissstaat», womit sie früher die DDR meinte und später die BRD. Der Vater, mittlerweile erfolgreicher Investor, «schreibt zweimal im Jahr eine E-Mail aus Angola». Ihr Zwillingsbruder: früh verstorben. Ihre Grossmutter: unter Honecker linientreu, nun drauf und dran, rechtsaussen zu wählen; trotzdem ihr einziger noch verbliebener Familienkontakt.
Und wer ist eigentlich diese Person, die der jungen Frau all die bohrenden Fragen stellt, zu ihrem Leben zwischen Thüringer Wald, Berlin und New York, in diesem Roman, der zu zwei Dritteln aus Dialogsequenzen besteht?
Ocean Vuong, «Nachthimmel mit Austrittswunden»: Dass einem diese Gedichte unter die Haut fahren, dafür braucht es keine Informationen zur Autorenbiografie. Aber liest man solche Verse nicht noch einmal anders, wenn man weiss, dass Ocean Vuong in diesem Band auch die eigene Familiengeschichte heraufbeschwört? «zurück / -zischen zu 68, Halong-Bucht: der Himmel ein Meer / aus Flammen, ein Himmel, zu dem nur die Toten // aufsehen, möge es den Grossvater erreichen, der das schwangere / Bauernmädchen in seinem Armeejeep fickt, / Haare blond flatternd im napalmglühenden Wind, lass es ihn in den Staub / niederdrücken, aus dem sich seine künftigen Töchter erheben // mit Blasen an den Fingern von Salz & Agent Orange»
Der Vietnamkrieg als Ausgangspunkt einer Familiengeschichte; seiner Geschichte. «Nachthimmel mit Austrittswunden» ist aber auch ein sublimiertes Dokument der homophoben und rassistischen Gewalt, die Vuong in Amerika erfahren hat. Und nicht zuletzt fasst dieser Band die Tradition der Liebeslyrik neu.
Sie merken: Drei literarische Stimmen, die zu reden geben werden. Reden Sie mit!
Am 24. März, 20 Uhr, im Cabaret Voltaire an der Spiegelgasse 1 in Zürich.
Der Eintritt beträgt 10 Franken, Republik-Verlegerinnen und -verleger bezahlen den ermässigten Tarif von 5 Franken. Anmelden können Sie sich ab sofort unter: info@cabaretvoltaire.ch. Wir freuen uns auf Sie!
Für alle, die nicht kommen können, zeichnen wir die Veranstaltung als Audio-Podcast zum Nachhören auf. Und wie immer gilt: Sie können Ihre Fragen, Kommentare und Leseeindrücke gerne schon im Vorfeld posten.