Im Fall von Panik – lesen Sie diesen Beitrag

Das Coronavirus verbreitet sich. Und mit ihm die Angst davor. Was können Sie tun, wenn jemand in der Familie Panik hat? Oder Sie selbst? Oder das halbe Land?

Von Andrea Arežina, Constantin Seibt (Text) und Martin Fengel (Illustration), 07.03.2020

So etwas kennt man nur aus Filmen: leer geräumte Regale. Abgesagte Kongresse. Geisterspiele.

Und in den Nachrichten Bundesrat Berset, der uns bittet, voneinander Abstand zu halten.

Seit Ewigkeiten hat sich der Alltag in der Schweiz nicht mehr so radikal verändert wie durch das Corona­virus. Kein Wunder, sind nun auch kaltblütige Leute nervös. Es ist nicht mehr unvernünftig, sich zu fürchten.

Nur lähmt zu viel Angst. Und Panik ist oft schlimmer als ihr Anlass.
Wie also fürchtet man sich vernünftig? Und was tut man, wenn jemand im eigenen Haushalt Panik hat? Oder wenn es einen selbst erwischt? Und wie verändert der Ausnahme­zustand dieses Land?

Wir haben mit den verschiedensten Experten gesprochen: einer Verhaltens­therapeutin; dem Kopf hinter der Stop-Aids-Kampagne; einer Psycho­analytikerin; einem Historiker, der ein Buch über Anthrax schrieb; und für den Frieden mit einer Trainerin für gewaltfreie Kommunikation.

Danach haben wir die besten Tipps und die interessantesten Erkenntnisse für Sie zusammen­gefasst. Je nachdem als Liste, Interview oder Lauftext.

Wir hoffen, dass für Sie etwas Brauchbares darunter ist.

1. Wie soll man mit Gefahr umgehen?

Einige Notfall­rezepte von Dorothee Wilhelm, Theologin und Psychologin

Angst oder Panik?
Angst ist vielleicht das älteste Gefühl der Menschheit. Ohne sie überlebt niemand. Die erste Antwort auf Gefahr ist bei keinem einzigen Tier der Kampf. Sondern immer die Flucht.

Angst ist also etwas extrem Physisches – der Körper macht sich bereit zur Flucht. Das Herz pumpt. Der Atem geht schneller. Man scheisst – und wird dabei buchstäblich leichter. Der präfrontale Kortex schaltet ab. Angst ist deine beste Freundin in Gefahr.

Panik hast du ab dem Moment, an dem die Angst nicht mehr funktional ist. Etwa wenn du erstarrst oder in die falsche Richtung rennst.

Wie beruhigt man jemanden?
Hat ein Mensch Panik, bleiben drei Möglichkeiten:

  • Hat die Person noch rationale Impulse – dann liefere ihr den Realitäts­check. Frage nach, was genau sie fürchtet. Frage weiter nach. Frage sie, was alles eintreffen wird. Lass sie alle Schreckens­szenarien zu Ende denken. Tu das, weil bei Panik das Denken stecken bleibt. Beharrt das Gegenüber auf dem schwärzesten Szenario, lass es Alternativen denken.

  • Als Angehöriger hilft: umarmen und festhalten. Bei Kindern nennt man das die Bärenumarmung. Aber es klappt auch bei Erwachsenen. Je fester, desto besser. (Aus dem gleichen Grund wird Schlacht­vieh zusammen­gepfercht – Enge beruhigt.) Mit Vorteil ist man dabei grösser und stärker als die andere Person – falls nicht, mach dich so gross wie möglich. Denn jemand Grösseres und Stärkeres gibt Sicherheit.

  • Sei streng. Befiehl der Person zu atmen, die Füsse auf den Boden zu stellen, schick sie unter die heisse Dusche, hol sie wieder heraus, mach einen Tages­plan. (Angst richtet sich immer auf die Zukunft; zurück auf den Boden kommt man durch basismässige, körperliche Dinge.)

Dazu zwei Zusatztipps:

  • Bei Paaren spielt gelegentlich die Paardynamik. Und der Partner ist die letzte Person auf Erden, die einen beruhigen kann. In diesem Fall hilft es, eine vernünftige Nachbarin zu rufen: Denn je fremder eine Person ist, desto erwachsener werden wir.

  • Angehörige sollten die Erlaubnis zur Wut haben. Wenn sie sagen: «Jetzt langts!» Nicht zuletzt, weil Wut eine andere Energie hat. Denn Angst spielt sich, wie gesagt, in der Zukunft ab; bei Streit bist du sofort zurück in der Gegenwart.

Das Dümmste, was du tun kannst:

  • dich von der Angst anstecken zu lassen. (Die gesunde Antwort auf Angst heisst: Mut.)

  • zu gehen. Etwa mit einem Satz wie: «Ich kann dein irrationales Gerede nicht mehr hören …» Selbst unkontrolliertes Anschreien ist besser als Gehen.

Wie beruhigst du dich selbst?
Falls die Panik dich erwischt, hast du ähnliche Möglichkeiten wie oben. Etwa:

  • Sei streng mit dir. Befiehl dir, eine alltägliche Sache nach der andern zu tun: aufstehen! Heisse Dusche! Kaffee machen! Et cetera. Es ist auch hilfreich, wenn du auf dich wütend wirst.

  • Beruhige dich wie ein Kind. Sei geduldig mit dir. Denn Angst ist etwas Natürliches.

  • Ruf jemanden an. Angst isoliert. Sie schrumpft, wenn man sich verbindet.

Wer einer Risikogruppe angehört, hat hier zwei vielleicht hilfreiche Ideen:

  • Zwar zeigt die Statistik, dass ältere Leute oder Asthmatikerinnen durch das Corona­virus stärker gefährdet sind. Lass dich nicht davon beeindrucken. Für das Individuum ist jede Statistik subjektiv: 1 oder 0. Die Aufgabe ist schlicht, eine 1 zu bleiben.

  • Die entscheidende Frage bleibt also dieselbe: Wie will ich leben? Und das in diesem Moment? Denn ausserhalb dieses Moments existieren nur Fantasie und Erinnerung.

Was richtet Panik mit einer Gesellschaft an?
Bei dem grossen Schnee vor einigen Jahren waren die Leute alle aufmerksam und freundlich. Denn er betraf alle.

Das Coronavirus dagegen hat das Potenzial für Hässliches. Jede kann jeden anstecken – das fördert Entzweiung. Man weiss: Bei hohem Druck kommt es zur Entsolidarisierung. Bei Angst blättert der zivilisatorische Lack ab. Und unter der Flagge der Selbst­verteidigung passieren die übelsten Dinge.

Dass der Bundesrat mit dem Veranstaltungs­verbot die Multiplikations­orte für das Virus beschränkt, macht Sinn. Gefährlich wird die Politik exakt dann, wenn die utilitaristische Ethik einsetzt, das Individuum nicht mehr zählt und die Regierung anfängt, in Beständen zu rechnen.

Die politischen Lager reagieren wie meistens verschieden: Bei den Linken gilt es als uncool, das Corona­virus zu fürchten. Die Rechten dagegen hätten das Albisgüetli abgesagt. Das, weil die beiden Lager Verschiedenes fürchten.

Die rechte Angst ist die Angst vor Veränderung. Was evolutions­geschichtlich absolut berechtigt ist. Kein Wunder, bekämpft sie alles Fremde.

Die linke Angst ist die moralische Angst, auf der falschen Seite zu stehen. Was ebenfalls Sinn macht: Man könnte aus dem Rudel geworfen werden.

Tatsächlich hört man in der bisherigen Debatte genau das. Auf der Linken die Frage: Profitiert Novartis? Auf der Rechten die Forderung: Grenzen dichtmachen!

Kurz: Niemand hat einen blassen Dunst, was das Corona­virus bedeutet. Alle liefern einfach nur mehr vom Gleichen.

Die Gefahr ist, dass wir in der Krise zur Erzählung kommen: «Wir. Und sie.»

Es wird Vorstellungs­kraft brauchen, um solidarisch zu bleiben. Denn für Solidarität gibt es nur exakt einen einzigen Grund: «Ich könnte du sein. Du könntest ich sein.»

Das Beste, was zu tun ist: Sich die Frage stellen: Wie will ich leben? Und zwar jetzt?

Das Dümmste, was zu tun ist: Sich anstecken lassen. (Von der Angst.)

2. Wie wir lernten, anlässlich einer Seuche zu lernen

Ein Interview mit Roger Staub, dem damaligen Kopf hinter der Stop-Aids-Kampagne, heute Geschäfts­führer von Pro Mente Sana

Die halbe Welt erklärt wegen des Corona­virus den Ausnahme­zustand. Muss man sich fürchten?
Respekt vor dem Virus scheint angebracht. Aber nicht Panik und Hektik. Aber nur cool zu sein, ist auch Blödsinn. Das Virus wird sich weiter verbreiten. So lange, bis ein Impfstoff da ist – eher nächstes als dieses Jahr.

Wenn es sich sowieso verbreitet, wozu dann noch die Hände waschen?
Die Hygiene­vorschläge des Bundes machen Sinn, auch wenn sie nicht zu hundert Prozent schützen. Hände waschen reduziert das Risiko.

Aber das Virus findet trotzdem irgendwann den Weg.
Wenn man mich wirklich ärgern will, dann benutzt man für das Virus aktive Sprache. Ich habe dann nämlich vergeblich gelebt. Und Jahre bei HIV dafür gekämpft, dass man keine aktiven Verben für etwas benutzt, was nicht lebt. Ein Virus ist kein Lebe­wesen. Es ist genetische Information, verpackt in eine Eiweiss­hülle. Es fliegt nicht. Es schwimmt nicht. Es findet auch keinen Weg, egal wohin.

Und warum soll man nicht so reden?
Man soll entfürchtet überlegen können. Ein Virus klettert nicht den Ärmel hoch; man kann es wegwaschen. Wenn alle, die tagein, tagaus über das Corona­virus reden, sich regelmässig die Hände waschen würden, wäre das Problem gelöst. Man braucht nicht einmal Desinfektions­mittel. Händewaschen genügt. Wer nicht seine Hände wäscht, hat etwas falsch gemacht.

Aber genügt das, um eine Seuche zu bekämpfen?
Historisch gesehen hat man vom Mittelalter bis vor kurzem alle Seuchen mit derselben Leitfrage zu lösen versucht: «Wie identifiziere ich möglichst schnell möglichst viele Träger und sorge dafür, dass sie den Erreger nicht weitergeben?» Als dann Aids kam, gab es noch keine alternative Theorie. Man musste die Theorie zur Bekämpfung von Aids quasi gleichzeitig mit ihrer Anwendung erfinden. Die neue Frage lautete: «Wie vermitteln wir einen individuellen und gesellschaftlichen Lernprozess, der die Menschen – Individuen, Organisationen, Institutionen – befähigt, mit dem nicht ausrottbaren Virus zu leben?»

Mit der einfachen Antwort: im Minimum einen Gummi drum.
Genau. Einfachheit ist bei solchen Kampagnen das Wichtigste. Wie etwa: «Hände waschen!» Die Experten sagten mir jeweils: «So einfach kann man das nicht sagen!» Worauf ich jeweils sagte: «So einfach muss man es sagen!»

Und wie passen dazu drastischere Massnahmen, etwa Sportstadien zu schliessen?
Ich habe kurz gegrinst, als der Bundesrat die «besondere Lage» verkündet hat. Eigentlich kann er das nur, wenn die Kantone überfordert sind. Was sie nicht sind. Trotzdem hat der Bundesrat richtig gehandelt. Die Basler Regierung hätte brutalen Ärger gehabt, wenn sie die Fasnacht abgesagt hätte, die Bündner wegen des HC Davos, die Genfer Regierung beim Auto-Salon.

Aber sind Millionen­schäden den Preis wert? Nur, um die unvermeidliche Verbreitung etwas zu verzögern?
Verlangsamen ist das Wichtigste. Unkontrolliert steigen die Erkrankungen durch das Virus exponentiell. Und damit auch die schweren Fälle. Kein Gesundheits­system der Welt hat dafür genügend ausgerüstete Betten auf der Intensiv­station. Und selbst wenn man wie die Chinesen in Wuhan in einer Woche ein Spital hochzieht – es fehlen dort die Beatmungs­geräte. Denn Beatmungs­geräte hat niemand auf Halde – auch nicht in China.

Aber warum Hallen und Stadien schliessen – während gestopft volle Trams und Züge weiterfahren?
Im öffentlichen Verkehr kommen nicht tausend Leute zusammen. Im Tram- oder Zugabteil sitzen Sie nur zu viert. Wer sonst noch mitfährt, ist wurscht. Ich fürchte, das Problem bei den Stadion­schliessungen liegt anderswo.

Wo denn?
Im Prinzip hat jeder Staat zwei Möglichkeiten:

  • die Seuchenstrategie: Der Staat schützt die Bevölkerung. Nicht zuletzt durch harte Auflagen;

  • die Lernstrategie: Der Staat promotet richtiges Verhalten, trägt aber nicht die Verantwortung.

Beim Coronavirus wird es für die Bevölkerung schwierig zu sehen: Ist der Staat gerade im Schutz- oder im Aufklärungs­modus? Zwischen beiden Konzepten umzuschalten – das wird eine Kunst. Schon weil das noch niemand je gemacht hat.

Wie gut schafft das die Kampagne bisher?
Was mir gefällt: Man bringt nur eine Sache aufs Mal. Und hat ein Anliegen: das Händewaschen. Der Rest ist leider Dilettantismus. Das Plakat zum Händewaschen ist grauslig – wie handglismet. Mich wundert, warum das BAG nicht etwas Professionelleres in Reserve hat. Dazu bräuchte man einen Krisen­kommunikator. Oder eine Kommunikatorin. Eine Person, die sympathisch, glaubwürdig, bekannt ist. Der jetzige, Daniel Koch, ist schlicht zu alt – er erreicht die Jungen auf Social Media nicht.

Was soll man tun, wenn jemand in der Nähe Panik hat?
Der Schweizer sagt dann gern: «Ist doch nicht schlimm.» Aber das nützt nichts. Doch im Grunde bin ich für solche Fragen nicht wirklich kompetent. Aber es gibt Bücher. Etwa: «ensa – Erste Hilfe für psychische Gesundheit». Schlagen wir dort unter «Panikattacken» nach. Da steht zusammengefasst:

  • Bleib ruhig. Mach kurze Sätze.

  • Stell Fragen. Man muss die Panik ernst nehmen. Denn für die betroffene Person ist sie real.

Es ist immer besser, etwas Kompetentes zu lesen, als jemand halb Kompetenten zu fragen.

Was ist das Beste, was das Schlechteste, was man gegen das Corona­virus tun kann?
Das Beste:
Die Hände waschen.
Das Schlechteste: Leiden. Es ist einfach schade, wenn man mit einer Epidemie nicht ruhig und gelassen umgeht – ohne eigene Kosten. Schlimm ist es für alle, die sich zurück­ziehen. Man sollte nicht wegen eines solchen Virus das Leben einstellen.

3. Kein Appeasement für Opfer!

Ein Gegenvorschlag zur aktuellen Gesundheits­politik von Jeannette Fischer, Psycho­analytikerin

Wir machen aus dem Virus ein Killervirus.

Denn das Virus ist das Objekt, das uns endlich die Legitimität gibt, unsere gesammelte Aggression auf es loszulassen.

Sündenböcke schlummern dabei überall. Mein Enkel, 3. Klasse, wurde mit Husten wieder heimgeschickt. Nicht weil er ein Verdachts­fall gewesen wäre, sondern zu seinem Schutz. Weil ihn die anderen Kinder stigmatisiert hatten.

Die destruktive Wucht kommt daher: Wir sind a priori angstbesetzt, weil wir in den Macht­verhältnissen, in denen wir aufgewachsen sind, als ganzes Individuum nicht gefragt sind.

In der Psychoanalyse unterscheiden wir zwischen konstruktiver Aggression im Dienste des Ich. Und destruktiver Aggression, die darauf zielt, andere zu vernichten.

Angst hat fast null Anteil an konstruktiver Aggression – sie funktioniert nicht über Leidenschaft oder Begehren. Subjektives ist nicht gefragt. Angst bringt dich dazu, dich zu isolieren.

Was nun passiert, ist genau das: Ein Mundschutz ist Isolation, Quarantäne natürlich auch – und das Hamstern etwa von Lebens­mitteln ist die höchst­mögliche Aggression, die du machen kannst: Wer hamstert, schliesst andere aus.

Die Schweiz ist voll im Opferdiskurs – als Opfer vom bösen Virus. Und die Opfer­haltung ist immer die Legitimation für Aggression: Sie gestattet einem alles – Isolation, behördliche Massnahmen, was auch immer.

Damit verpassen wir eine enorme Chance. Die Behörden sollten sagen: Wir haben die Situation nicht unter Kontrolle. Und die Bedrohung ins Positive umformulieren.

Etwa sagen, dass in jedem Zürcher Park morgens Gymnastik stattfindet. Dann ein Zmorge. Dass es ein Nottelefon gibt. Wir sollten fragen, wie es dem anderen geht.

Denn was in Notlagen wirklich hilft, ist Gemeinschaft. Angst trennt. Aber Gemeinschaft hebt Angst auf.

Die Behörden denken immer nur im Grossen. Und Grossdenken ist der Ausdruck von Herrschafts­diskurs. Die Behörden reden, als würde ihnen die Wissenschaft Legitimität verleihen. Dabei wissen sie auch nicht, was Sache ist.

Die offizielle Kommunikation – zwei Fälle hier, drei zusätzliche Fälle da, alles unter Kontrolle – führt auf die falsche Fährte. Denn kontrollierbar ist nichts. Im besten Fall legt man so den Boden, um dann Impfstoff zu verkaufen.

Dabei würde man wissen, was zu tun wäre. Es gab diese Werbung: eine Kinder­zeichnung von einem Mädchen, an dessen Spital­bett seine Eltern stehen. Mit dem Slogan: «Nähe hilft heilen».

Das stimmt tatsächlich. Nähe hilft auch, nicht krank zu werden. Doch aktuell spaltet das Virus uns. Es führt zu einem saumässig aggressiven Opfer­diskurs. Wir fürchten uns, zu den Angesteckten zu gehören. Und meiden die Nachbarn.

Das ist schlicht dasselbe wie vorher. Der Opferdiskurs ist weit verbreitet – alle möglichen Leute erklären sich zum Opfer, um dann mit voller Aggression vorzugehen. Nur kann man mit einem Opfer keinen Dialog führen. Denn du verlierst immer: Der Opfer­diskurs macht dich automatisch zum Täter.

Der beste Rat bei Panik? Es hilft, die Leute ziemlich scharf in den Senkel zu stellen. Man darf auf keinen Fall diskutieren. Denn, wie gesagt: Du verlierst immer.

Sowieso bringt das ganze Appeasement, die Opferhaltung, nichts – wann hört man schon mal im Tram «So redsch nöd mit mir!»?

Bei Panik sollte man scharf einfahren – das ist immer auch ein Beziehungs­angebot. Aber man muss aus dem Opfer­diskurs raus – und das ziemlich rigid.

Panik ist Verlorenheit. Sie verschwindet mit einem Gegenüber.

Und das fehlt in der ganzen Debatte: dass man den Leuten die Angst nimmt durch Bindung.

4. Was wurde aus den gestrigen Pandemien?

Ein Kurzinterview mit Philipp Sarasin, Professor für Neuere Geschichte und Autor des Buchs «‹Anthrax›. Bioterror als Phantasma»

Die geleerten Regale, die ausverkauften Masken – ist das Panik?
Es gibt ein Foto von einem leer gekauften Regal in einem italienischen Super­markt, das kürzlich durchs Internet ging: Alle Pasta war weg, das Regal komplett leer – bis auf die Vollkorn­teigwaren. Also nach dem Motto: Lieber sterben als Vollkorn-Barilla essen. Das ist Panik, ja.

Was macht das mit einem, zum ersten Mal im Leben so etwas zu sehen? Im Land der Verschonten?
Die Schweiz ist nicht «das Land der Verschonten». Grippe­pandemien, um nur davon zu sprechen, haben auch in einem so stark vernetzten Land wie der Schweiz immer wieder Opfer gefordert. Etwa die Spanische Grippe (1918–1920), eine Pandemie mit global zwischen 20 und 50 Millionen Toten. Oder die Vogel­grippe, die sich ab 2004 weltweit verbreitete. Ebenfalls die Schweine­grippe, auch wenn sie nicht so gefährlich war wie andere Grippe­viren. Solche Dinge vergisst man offenbar schnell wieder …

Ist die Angst vor dem Corona­virus vernünftig? Und bis zu welchem Grad?
Wiederholtes Händewaschen oder sich nicht die Hand zu geben ist aktuell absolut vernünftig und kein Ausdruck von übertriebener Angst. Auch wenn es wohl over the top war, dass Horst Seehofer kürzlich Angela Merkel vor den Kameras nicht die Hand gab.

Was macht eine Seuche mit einer Gesellschaft?
Wenn zum Beispiel Leute im Tram gegenüber einer chinesischen Studentin auf Extra­distanz gehen und dabei sonst lieber eng zusammen­rücken: Das ist nicht Vorsicht, das ist leider eine sehr bekannte Form von Rassismus. In der Geschichte der Moderne passierte es immer wieder, dass bestimmte Menschen­gruppen mit der Infektions­krankheit beziehungs­weise mit ihrem Auslöser identifiziert wurden. Am verheerendsten im national­sozialistischen Deutschland, als «die Juden» unspezifisch als «Krankheits­erreger» im «Volkskörper» denunziert wurden – mit den bekannten Folgen.

Heisst das: Der Mensch ist gefährlicher als jedes Virus?
Die Gefahr, die ich sehe, ist schlicht und einfach der Rassismus. Die gegenwärtigen Rufe zur Eindämmung der Pandemie: die «Grenzen zu schliessen», die «Einwanderung zu begrenzen», die «Flüchtlings­welle zu stoppen» – das sind allesamt rassistische Äusserungen. Unsinnig ist es aber auch, zu schreiben, die Corona­pandemie sei eben die «Schatten­seite der Globalisierung» – oder genauer: daraus politisches Kapital für einen neuen Protektionismus und Nationalismus zu schlagen. Seit es Migration gibt – also letztlich seit out of Africa –, aber vor allem, seit es globale Handels­wege gibt, zirkulieren auch mikro­biologische Mitreisende.

Mikrobiologische Mitreisende?
Krankheitserreger. Sie haben den Aufstieg von Kapitalismus und Kolonialismus in alle fünf Kontinente seit dem 15. Jahrhundert begleitet. Übrigens mit den meisten Opfern im globalen Süden. Die Antwort kann aber nicht sein, von autarken Gesellschaften zu träumen, die sich durch Mauern und Ähnliches gegen irgendein gefährliches «Aussen» abgrenzen. Abgesehen davon, dass solche Barrieren nicht funktionieren, wie man seit dem 19. Jahrhundert eigentlich weiss, wollen wir auch nicht als Gesellschaft in Quarantäne leben.

Was sind die drei besten Regeln zur Angst?
Keine Panik; die behördlichen Gesundheits­regeln befolgen; follow the science, wie Barack Obama twitterte.

Was ist das Dümmste, was man aktuell tun kann?
Panik, rücksichts­loses Verhalten, Verschwörungstheorien.

5. Sie haben Angst? Keine Panik!

Ein letzter Crashkurs in Sachen Panik von Tanja Walliser, Trainerin für gewaltfreie Kommunikation

Wann ist Angst vernünftig? Wann nicht?
Das ist exakt die falsche Frage. Dafür ist es exakt der Punkt: Dass Menschen unfähig sind, ihre Gefühle wahrzunehmen, hat damit zu tun, dass sie von klein auf lernen, dass ein Gefühl wie Angst nicht sein darf. Aber wir brauchen die Angst, sie weist uns auf Gefahr hin. Beispielsweise: nicht auf die Strasse zu rennen, wenn ein Auto kommt. Doch wenn die Angst nicht sein darf, wenn wir sie unterdrücken, nimmt sie eine hinderliche Dynamik an. Wenn wir zum Beispiel einem kleinen Kind sagen: «Du musst keine Angst haben», führt das nicht dazu, dass es sich beruhigt. Sondern dazu, dass es sich fragt, was es falsch gemacht hat.

Das gilt für Kinder. Aber sollte man sich als Erwachsener nicht zusammenreissen?
Im optimalsten Fall sind Gefühle ein Hinweis darauf, etwas zu ändern. Wenn das aber nicht mehr funktioniert, wenn wir anfangen, Gefühle zu unterdrücken, schlägt Angst in Panik um. Oder in Gewalt. Oder in Depressionen. Gefühle sind ein schlaues Warnsystem unseres Körpers. Sie weisen darauf hin, dass etwas nicht in der Balance ist. Nur hat unsere Gesellschaft einen tragischen Umgang mit unangenehmen Gefühlen wie Angst, Trauer oder Verzweiflung. Weil es für uns schwierig ist, sie auszuhalten, versuchen wir sie auszuschalten, indem wir relativieren, beschwichtigen oder uns ablenken. Und machen so alles schlimmer.

Was sagt man in dem Fall seinen Kindern, wenn sie Angst haben?
«Du hast Angst, und ich verstehe das. Ich habe manchmal auch Angst.» Diese zu benennen, ist wichtig, dem Kind zu versichern, dass es okay ist, dass es Angst hat, und dass man bei ihm bleibt.

Was passiert eigentlich bei Panik?
Eine übersteigerte Angst, die in Schockstarre oder Aktionismus kippen kann.

Gibt es auch vernünftige Panik?
Panik ist ein Gefühl. Es gibt nicht vernünftige und unvernünftige Gefühle – sie versuchen uns immer auf etwas hinzuweisen. Panik ist mehr ein verschachteltes Gefühl. Eigentlich wäre ich ängstlich, und die Angst würde mich schützen, aber weil ich die Angst nicht spüren darf, werde ich panisch. Und das wirkt dann kopflos.

Sie sind allein zu Haus, Sie husten, Sie drehen durch – wie stoppt man das?
Indem man nicht versucht, es zu stoppen. Wichtig ist wahrzunehmen, was im Körper passiert und wo. Erst wenn Gefühle zugelassen werden, können sie sich verändern. Im Fall von Panik ist das Wichtigste, nicht allein zu bleiben, das Telefon zu nehmen, jemanden anzurufen und zu reden.

Und wie beruhigt man jemand anderen?
Zuhören. Nicht urteilen, keine Ratschläge, nicht relativieren – einfach nur zuhören. Und bei Bedarf Nachfragen stellen.

Darf, soll, muss man Witze machen?
Das kann man nicht pauschal beantworten. Grundsätzlich: ja eh. Aber wenn man neben einer Person in Panik sitzt, besser nicht. Satire und Humor können helfen, aber sie können genauso Gefühle unterdrücken, die verspätet hochkommen.

Ihre besten drei Faustregeln?
Nicht versuchen, die Angst wegzumachen. Die Angst im Körper spüren. Herausfinden, was die Angst beschützen will.

Was ist das Dümmste, was man tun kann?
Rumlaufen und den Leuten sagen, sie sollen keine Angst haben. Ihnen irgendwelche Zahlen vorlesen und sagen, es sei gar nicht so schlimm, weil Zahl 1 das sage und Zahl 2 jenes sage … Jemanden, der Angst hat, mit Zahlen zuzutexten, macht das Ganze noch schlimmer.