Joe Biden überholt Bernie Sanders, Flüchtlinge auf Lesbos – und Ärger mit Libra
Woche 10/2020 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Ronja Beck, Elia Blülle, Anja Conzett und Daniel Graf, 06.03.2020
Nach «Super Tuesday» übernimmt Joe Biden die Spitze
Darum geht es: Am letzten Dienstag führten die Demokraten in 14 US-Bundesstaaten gleichzeitig Vorwahlen durch. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass Joe Biden und Bernie Sanders das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur untereinander ausmachen werden. Der frühere New Yorker Bürgermeister Mike Bloomberg zog sich nach seinem schlechten Abschneiden beim «Super Tuesday» zurück – und verkündete am Mittwoch, dass er von nun an «seinen Freund» Joe Biden unterstützen werde. Am Donnerstag nahm sich auch die linke Senatorin Elizabeth Warren aus dem Rennen. Der ehemalige US-Vizepräsident Biden ging als Sieger aus dem «Super Tuesday» hervor und hat Bernie Sanders an der Spitze abgelöst.
Warum das wichtig ist: Am 3. November 2020 finden die US-Präsidentschaftswahlen statt. Die Demokraten wollen Donald Trump um jeden Preis aus dem Amt jagen. Zuerst müssen sie sich aber für einen geeigneten Kandidaten entscheiden. Joe Biden hat sich zwar als Vizepräsident von Obama einen Namen gemacht und ist bei vielen Menschen beliebt, gilt aber als strammer Vertreter des demokratischen Establishments, dem bereits Hillary Clinton entsprang. Sie verlor vor vier Jahren die Wahlen gegen Trump. Besonders in den Schlüsselstaaten, wo die Präsidentschaftswahlen entschieden werden – den sogenannten Swing States –, habe er die besseren Chancen, abgehängte und junge Wählerinnen zu mobilisieren, argumentiert Bernie Sanders.
Was als Nächstes geschieht: In den nächsten Wochen werden in weiteren US-Bundesstaaten Vorwahlen stattfinden. Etwas mehr als ein Drittel der Delegiertenstimmen wurden bisher vergeben. Das Rennen ist also noch offen. Sollte kein Bewerber die nötige Mehrheit bekommen, wird der Spitzenkandidat erst im Juli beim Parteitag nominiert. Das wäre für die Demokraten besonders bitter, weil das zu noch mehr innerparteilichen Gefechten führen und Trump eher stärken als schwächen würde.
Auf Lesbos eskaliert die Flüchtlingskrise
Darum geht es: Auf der Insel Lesbos hat die Flüchtlingskrise eine neue Dimension erreicht. Seit dem Wochenende geht das griechische Grenzpersonal mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Flüchtlinge vor, die versuchen, von der Türkei nach Griechenland zu gelangen. Grund für die akute Zuspitzung der Lage ist der Beschluss des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, Flüchtlinge nicht mehr – wie mit der EU vereinbart – am Übertreten der Grenze zu hindern. Griechenland hat daraufhin die Möglichkeit, Asylgesuche zu stellen, bis auf weiteres sistiert. Erdoğan begründet die Grenzöffnung damit, dass die EU sich nicht an den Flüchtlingspakt halte. Der Türkei wiederum wird vorgeworfen, auf dem Rücken der Flüchtlinge Erdoğans Syrien-Strategie durchsetzen zu wollen.
Warum das wichtig ist: 3,6 Millionen Flüchtlinge leben zurzeit in der Türkei. Nach den jüngsten Gefechten in der syrischen Rebellenstadt Idlib dürfte noch einmal eine knappe Million hinzukommen. Rund 13’000 Flüchtlinge warten bereits auf der türkischen Seite der Grenze, um in den EU-Raum zu gelangen. Die EU und Griechenland sind weder darauf vorbereitet, diese Menschen aufzunehmen und zu versorgen, noch scheint dazu der politische Wille vorhanden zu sein. Für Flüchtlinge, die bereits in Lagern auf Lesbos leben, wird die Situation indes immer prekärer. Von Gewalt betroffen sind aber auch Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Journalistinnen vor Ort. Sie berichten von Angriffen durch Bürgermilizen. Médecins Sans Frontières musste deshalb bereits zwei Kliniken schliessen.
Was als Nächstes geschieht: Weder Erdoğan, noch Griechenland, noch die EU lassen hoffen, dass sich die Situation bald entspannt. Griechenland sieht Erdoğans Manöver nicht als Drohgebärde gegen die EU, sondern als persönlichen Angriff. Das harte Vorgehen an der Grenze kommt bei der griechischen Bevölkerung gut an, und die EU hat Griechenland Unterstützung dabei zugesichert – in Form von 200 Grenzschützern, zusätzlichen Schiffen und Fahrzeugen.
Ramelow wird in Thüringen doch noch wiedergewählt
Darum geht es: Am Mittwoch ist Bodo Ramelow von der Partei Die Linke im Landtag von Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Damit ist die Übergangszeit mit Thomas Kemmerich (FDP) als geschäftsführendem Ministerpräsidenten beendet. Ramelow erhielt im dritten Wahlgang die benötigte einfache Mehrheit. Gegenkandidat Björn Höcke von der AfD war nach den ersten beiden Wahlgängen nicht mehr angetreten. Ramelow kann nun eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung bilden, wird in Abstimmungen aber immer wieder aus Stimmen aus der CDU angewiesen sein. Die Christdemokraten haben sich zwar – wie angekündigt – in allen drei Wahlgängen enthalten, gratulierten Ramelow jedoch zur Wahl und kündigten eine «konstruktive Opposition» an.
Warum das wichtig ist: Als vor einem Monat Ramelows erster Versuch, als Ministerpräsident wiedergewählt zu werden, überraschend scheiterte und stattdessen mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP Thomas Kemmerich gewählt wurde, löste das ein politisches Erdbeben in Deutschland aus. Kemmerich gab nach drei Tagen seinen Rücktritt bekannt, und die CDU geriet in eine Führungskrise. Ihre Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer trat zurück, und die Partei stürzte wegen ihres gemeinsamen Votums mit der AfD in der bundesweiten Wählergunst dramatisch ab. Der Richtungsstreit in der CDU und die Suche nach einer Führung halten bis heute an. Hintergrund der Krise ist ein Parteitagsbeschluss der CDU, der jegliche Form der Zusammenarbeit mit der AfD und der Linkspartei kategorisch ausschliesst.
Was als Nächstes geschieht: Ramelows rot-rot-grüne Regierung kann nun die Arbeit aufnehmen; das Kabinett wurde am Mittwochabend vereidigt. Auf einen Koalitionsvertrag hatten sich Linke, SPD und Grüne bereits nach der Landtagswahl vom Oktober 2019 verständigt. Allerdings wird Ramelows Koalition nur eine Regierung auf Zeit bilden: Als Reaktion auf die politische Krise nach der Kemmerich-Wahl soll der Thüringer Landtag am 25. April 2021 neu gewählt werden. Ursprüngliche Forderungen nach sofortigen Neuwahlen waren am Widerstand der Thüringer CDU gescheitert. Im Vorfeld der Abstimmung vom Mittwoch hatten sich Rot-Rot-Grün und CDU auf einen Stabilitätspakt verständigt, um ein handlungsfähiges Regieren bis zur Neuwahl zu ermöglichen.
EU-Kommission legt neues Klimagesetz vor
Darum geht es: Die EU-Kommission hat am Mittwoch in Brüssel ein neues Klimaschutzgesetz vorgestellt. Damit will die Europäische Union bis 2050 die Klimaneutralität erreichen; sie möchte Mitte dieses Jahrhunderts nicht mehr CO2 erzeugen, als sie gleichzeitig der Atmosphäre wieder entzieht.
Warum das wichtig ist: Die Verpflichtung der EU zur Klimaneutralität bis 2050 wäre ein grosser Schritt. Die 27 EU-Mitgliedsstaaten gehören zusammengerechnet zu den grössten Treibhausgasemittenten der Welt. Kritikerinnen bemängeln, dass die neue Vorlage viel zu wenig weit gehe, es würden Zwischenziele und konkrete Massnahmen fehlen. Auf der anderen Seite wehren sich vor allem osteuropäische Länder gegen eine Verpflichtung zur Klimaneutralität. So hat etwa Polen bereits erklärt, dass das Land die vorgesehenen Ziele nicht erreichen könne.
Wie es weitergeht: Ob der Kommissionsvorschlag zum Gesetz wird, hängt von der Zustimmung der Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments ab. Sie werden die Vorlage nächstens behandeln.
Zum Schluss: Immer Ärger mit Libra
Erinnern Sie sich noch an Libra? Das ist die im Sommer 2019 gross angekündigte digitale Währung, die Facebook noch dieses Jahr lancieren will. Eine digitale, auf Blockchain-Technologie basierende Währung, gebunden an stabile Devisen wie etwa den Dollar oder den Yen. Das ist der Plan – beziehungsweise so sah er aus: Laut mehreren US-Medien, etwa «Bloomberg» oder «The Information», will Facebook das Projekt generalüberholen. Zwar hält Facebook an Libra fest, jedoch sollen auch der Dollar, der Yen und der Euro digital gehandelt werden. Das heisst: Das Zahlungsnetzwerk von Libra würde nicht nur das Facebook-Coin akzeptieren, sondern auch die digitalen Währungen der Nationalbanken, sobald es diese denn gibt. Die mögliche Planänderung kann als direkte Reaktion auf die vernichtende Kritik von Regierungschefs, Regulatorinnen und Nationalbanken verstanden werden. Sie bemängeln vor allem den fehlenden Schutz vor Geldwäscherei. Facebook geht nun in die Knie, nachdem auch wichtige Kooperationspartner wie MasterCard, Visa und Vodafone abgesprungen sind.
Was sonst noch wichtig war
Schweiz: Eine 74-jährige Frau ist am Donnerstag in Lausanne an den Folgen des neuen Coronavirus gestorben. Es ist der erste Todesfall seit Ausbruch des Virus in der Schweiz. Weltweit sind inzwischen mehr als 97’000 Menschen an Covid-19 erkrankt.
Katar: Die USA und die islamistisch-militanten Taliban haben am Wochenende in Doha ein Friedensabkommen für Afghanistan unterzeichnet. In den Tagen darauf kam es zu mehreren Angriffen auf die afghanischen Streitkräfte durch die Taliban, die Amerikaner reagierten mit einem Luftangriff.
Israel: Die rechtskonservative Likud-Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gewinnt die dritten Parlamentswahlen in einem Jahr. Jedoch schafft es erneut weder Netanyahu noch sein Konkurrent Benny Gantz zu einer Regierungsmehrheit.
Ukraine: Präsident Wolodimir Selenski hat sich am Mittwoch von seinem gesamten Kabinett getrennt. Der Schritt folgt auf den Rücktritt von Ministerpräsident Oleksij Hontscharuk.
Slowakei: Die Anti-Establishment-Partei Olano von Igor Matovič hat überraschend die nationalen Wahlen gewonnen. Die bisher regierenden Linkspopulisten fallen auf den zweiten Platz zurück.
Die Top-Storys unserer Verlegerinnen und Verleger
Just like 1918 Die Grippe-Pandemie 1918 soll zwischen 20 und 50 Millionen Menschen getötet haben. 100 Jahre später und mit dem neuen Coronavirus ist die Frage aktueller denn je: Wie verhindern wir ein solches Desaster? Der Autor des 2017 im «Smithsonian Magazine» erschienenen Textes zeigt chronologisch auf, wie es zu so vielen Toten kommen konnte. Die wichtigste Lektion daraus: «Sag die Wahrheit.» Verleger R. F. resümiert: «Die Parallelen zwischen Woodrow Wilson und Donald Trump sind unübersehbar.»
Halle, Hanau, Thüringen – was jetzt? Wie lässt sich Faschismus enttarnen, wann benennen, und wie sollen wir mit ihm umgehen? Nach dem Attentat von Hanau und dem «Tabubruch» bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen suchen die Menschen Antworten. Der Schriftsteller Umberto Eco hat 1995 in einer Rede (kürzlich in einem Sammelband erschienen) versucht, sie zu geben. «Das Buch verspricht Klarheit in dem Wirrwarr aktueller gesellschaftspolitischer Diskurse», schreibt Verleger H. K.
Der geheime Club der Geheimen Oliver Fuchs, unser lieber Stellvertretender, empfiehlt eine aktuelle Geschichte der WOZ über den «Club de Berne». Der «Club», in den 1970er-Jahren noch ein halbjährliches Treffen, ist über die Jahre zu einer Informationsorganisation von westeuropäischen Geheimdienstchefs gewachsen, von der bis vor wenigen Jahren nicht mal das Schweizer Parlament wusste. Und am Informationsaustausch nahmen, wie die WOZ bis 2011 nachweisen kann, auch die US-amerikanische CIA, das FBI und der israelische Geheimdienst Mossad teil. Eine Aufsicht gibt es dabei nicht.
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Illustration: Till Lauer