Eine helvetische Klimawerkstatt

Die Schweiz kann zur Pionierin werden. Mit einer ambitionierten neuen Klimapolitik. Teil 2 von 2: die Vision.

Von Ivo Nicholas Scherrer, 06.03.2020

Die Feststellung ist ernüchternd: Viel Wirkung können wir zur Verhinderung der Klima­katastrophe als Schweizer nicht erzielen. Selbst wenn alle Bürgerinnen ihren Treibhausgas­ausstoss auf null reduzieren würden, wären das nur 0,2 Prozent der weltweiten Emissionen.

Heisst das, wir können untätig bleiben – weil es eh nicht darauf ankommt, was wir in der Schweiz treiben? Sollen wir uns die weitere Isolation der Häuser sparen? Klima­freundlicheren Dünger wieder weglassen? Die Pläne für Solar­anlagen und Windparks archivieren?

Nein.

Es ist keine Bagatelle, ob die Schweiz ihren Beitrag an den Klima­schutz leistet. Denn wenn selbst vermögende Staaten wie wir keine Verantwortung wahrnehmen, schwindet die Chance, dass andere Länder nachziehen.

Doch die Schweiz hat noch ganz andere Möglichkeiten, als nur den eigenen Ausstoss zu reduzieren.

Globales Problem, globale Innovation

Und zwar, indem sie Pionier­arbeit mit Neuentwicklungen leistet, die weltweit brauchbar sind: beispiels­weise in der Agrar­wirtschaft, in der Produktion von Strom, im Bau und im Unterhalt von Gebäuden.

Die Entscheidung über die Wucht der Klima­veränderung fällt nicht in Europa, sondern in den Schwellen- und Entwicklungs­ländern. Und dort macht es einen enormen Unterschied, ob erprobte, klima­freundliche Technologien zur Verfügung stehen oder nicht.

Für die Klimawende braucht die Menschheit eine schier unendliche Anzahl neuer Lösungen. An Ideen mangelt es nicht. Viele Institutionen haben vertiefte Analysen von notwendigen Klima­innovationen vorgenommen. Eine der brauchbarsten ist die Liste von Project Drawdown:

Die Top 10 der Klimalösungen

Reduktionspotenzial, in Gigatonnen CO2-Äquivalenten

Elektrizität
Ernährung
Gesundheit
Industrie/Gebäude
Negative Emissionen
Onshore-WindparksFotovoltaik-KraftwerkeWeniger Food-WastePflanzenreiche ErnährungGesundheit und BildungUrwald-AufforstungSaubere KochherdeSolarzellen auf HausdächernManagement von KühlsystemenAlternative Kühlmittel0 75 150

Reduktionspotenzial beim 1,5-Grad-Szenario. Quelle: Project Drawdown

Was dabei auffällt: die Breite an öffentlich teils kaum diskutierten Lösungen. Niemand spricht beispiels­weise über verbesserte Kühlungschemikalien oder saubere Kochherde – 40 Prozent der Menschheit kochen noch immer mit Holz, Kohle, Viehdung oder Ernte­resten. Nur wenige Lösungen konzentrieren sich auf das Offensichtliche: die Produktion oder die Nutzung von Energie. Dafür finden sich mehrere organisatorische Ansätze, etwa zur Nahrungs­mittel­produktion.

Kurz: Von effizienten Klima- und Entsalzungs­anlagen über grossflächige CO2-Sequestrierung bis hin zu einer Revolution in der Land-, Forst- und Ozean­wirtschaft: Die Welt braucht für Klima­neutralität eine schwindel­erregend hohe Anzahl neuer Techniken bei Produktion und Konsum. Und jede davon muss erdacht, getestet, durchgesetzt werden.

Dazu kommen die Innovationen und Investitionen, um uns gegen die bereits eingetretenen Folgen des Klima­wandels zu wappnen: die Zunahme von Stürmen, Fluten, Dürren, Fels­stürzen, Erdrutschen.

Was heisst: Es gibt Arbeit. Eine Menge Arbeit.

Die Schweiz als Klimawerkstatt

Was also tun? Die Idee: Schaffen wir eine helvetische Werkstatt für strategische, globale Klima­lösungen – ein Testlabor zur Erprobung und Frühanwendung von klima­freundlichen Technologien. Und zwar von solchen, die global (also nicht in der Schweiz) am meisten versprechen.

Wieso sich das lohnen würde? Weil die Chance besteht, dass sich neue Technologien und Produktions­ansätze weltweit durchsetzen, sobald sie wettbewerbs­fähig sind. Ohne dass sich die globale Politik dafür auf einer Konferenz einigen muss.

Globale Lösungen standen bisher nicht im Fokus schweizerischer Klima­politik. Diese blieb stark lokal ausgerichtet: Investitionen in Gebäude­isolation, effizientere Heizungen, Ausbau von erneuerbarem Strom – das sind die wichtigsten Massnahmen, die der im neuen CO2-Gesetz vorgesehene Klimafonds finanzieren soll.

Um wirklich einen Unterschied zu machen, genügt es nicht, dass sich die Forschung auf die Verbesserung einzelner Geräte konzentriert. Die Aufgabe ist komplexer, dafür auch faszinierender: Man muss ganze Systeme neu bauen. Denn die Wertschöpfungs­ketten sind längst global – und betreffen eine Vielzahl Technologien und Länder.

Zwei Beispiele, wie komplex derartige Innovationen sind:

  1. Nur die Effizienz von Verbrennungs­motoren zu verbessern, bringt wenig, um den Autoverkehr zu dekarbonisieren. Stattdessen braucht es ein ganzes System: a) Fahrzeuge mit Elektro­antrieb, b) ein Netzwerk von Zapfsäulen, c) sauberen Strom für diese sowie d) umwelt­schonende Prozesse für die Herstellung der Batterien. Wirklich wirksam würden diese technologischen Innovationen aber nur mit politischen Neuerungen: etwa dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs, der Einführung von Mobility Pricing (wie etwa in London) und dem Angebot von Park and Ride (wie etwa in Tel Aviv).

  2. Es ist ehrenwert, die CO2-Emissionen in der Zement- und Stahl­herstellung punktuell zu verbessern und Häuser nach und nach besser zu isolieren. Aber kein Vergleich zu einem System­wandel mit a) neuen Baumaterialien (wie etwa speziell behandeltem Holz), b) dazu passenden Baupraktiken, c) Gebäude­management sowie d) nachhaltigem Anbau der notwendigen Baumaterialien.

Will man ernsthaft Erfolg haben, müssen Klima­lösungen organisatorisch, ökonomisch und kulturell wie sozial gut eingebettet sein. Rein technische Lösungen scheitern so gut wie immer. Entscheidend für die Akzeptanz ist etwa, wie Menschen, die zu den Verlierern einer Klima­wende gehören (die Kumpel in der Kohle­industrie oder die Klein­bauern im Urwald), an Bord geholt werden.

Deshalb macht der Aufbau eines global und interdisziplinär denkenden Labors Sinn: Weil man dafür Köpfe aus verschiedensten Disziplinen braucht – Natur­wissenschaftlerinnen, Sozial­wissenschaftler, Juristinnen, Ökonomen, Ingenieurinnen, IT-Fachleute. Und weil brauchbare Lösungen auf dem Reissbrett nur im Glücks­fall brauchbare Lösungen in der Realität sind.

Entscheidend ist also nicht zuletzt das, was auch unsere Export­industrie gross gemacht hat: gutschweizerisches Tüfteln. Learning by Doing. Ausprobieren.

Innovation mit Mission

Wie ein derart ehrgeiziges Projekt funktioniert, hat die italienische Ökonomin Mariana Mazzucato mit ihrem Konzept der «missionsorientierten Innovation» skizziert.

Hier eines der berühmtesten Beispiele: die Mond­landung der Nasa. Zu Beginn der 1960er-Jahre formulierte der damalige US-Präsident John F. Kennedy das Ziel, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Mann auf den Mond zu schicken. Wie eine Mond­landung bewerkstelligt werden könnte, war indes lange unklar. Unzählige Konzepte, Technologien, Maschinen mussten erst noch entworfen werden. Acht Jahre lang experimentierten sehr viele Ingenieure, Natur­wissenschaftlerinnen, IT-Spezialisten und Astronauten an Lösungen für das scheinbar Unmögliche. Mit Erfolg, wie wir wissen.

Mission-oriented innovation bedeutet also, ein Ziel vor Augen zu haben. Im vollen Bewusstsein, dass niemand genau weiss, mit welchen Mitteln es zu erreichen ist. Wir wissen nicht, wie sich das Klima tatsächlich verändern wird, und wir wissen ebenfalls nicht genau, welche Technologien sich in welcher Kombination mit welcher Wirkung durchsetzen werden. Da wir Neuland betreten, führt kein Weg daran vorbei, zu experimentieren.

In der Tat wird das Labor etwas brauchen, was im Leben am meisten Geld, aber auch Mut braucht: die Bereitschaft zu scheitern. Einige Technologien werden sich bewähren, andere nicht.

In der Technologie­entwicklung ist Scheitern unvermeidbar. Aus diesem Grund braucht es ein breites Portfolio – weil wir nicht wissen, wie Technologien zusammen­spielen. Und welche Kombination am Ende passt. Innovation ist eine Mischung aus Inspiration und Lotterie. Man muss die Wahrscheinlichkeit maximieren, sodass unter vielen Nieten ein oder zwei echte Treffer sind.

Agenda für eine Systemveränderung

Bei der Klimawerkstatt geht es nicht um nationale Interessen, wie etwa die Erlangung einer Clean-Tech-Führerschaft der Schweiz – das wäre höchstens ein netter Neben­effekt. Es geht darum, als handlungs­fähiger Kleinstaat für die Welt voranzugehen – und zu tun, was wir am besten können: pragmatische Lösungen entwickeln.

Was könnte eine helvetische Klima­werkstatt tun? Hier eine Skizze als Diskussionsgrundlage:

Konkrete Projekte
Die Klimawerkstatt sollte erstens konkrete Projekte fördern, indem sie Wissenschaftler, Start-ups, Firmen und die öffentliche Verwaltung dabei unterstützt, neue Ansätze zu entwickeln und zu testen. Und zwar in den Ländern, wo sie am dringendsten gebraucht werden.

Als Vorbild für das Design solcher Programme können sogenannte «Incubation and acceleration»-Programme von Risiko­kapital­firmen in der Privat­wirtschaft dienen – mit dem fundamentalen Unterschied, dass nicht die Maximierung von Profit, sondern die Maximierung der Klima­wirkung zählt.

Entscheidend dafür ist, dass in der Entwicklung von Beginn an ein Portfolio gefördert wird und nicht bloss einzelne Technologien. Dazu könnten gezielte Wettbewerbe Forscherinnen und Unter­nehmer dazu bewegen, Schlüssel­technologien wie etwa für die Rück­gewinnung und die Speicherung von CO2 zu entwickeln.

Gezielte Investitionen
Die Werkstatt sollte zweitens strategische Investments tätigen, etwa in internationale Klima­projekte. Fast noch wichtiger sind koordinierte Grossinvestitionen in existierenden Urwald (um diesen vor Abholzung zu schützen) sowie in gezielte Wieder­aufforstung. Denn Bäume sind die bis heute effektivste Technologie zur CO2-Reduktion. So hat die ETH kürzlich berechnet, dass global theoretisch rund eine Billion Bäume gepflanzt werden könnten, die mittelfristig 200 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre saugen würden. Das entspricht dem Fünffachen des weltweiten Treibhausgas­ausstosses pro Jahr.

Als erfreulicher Neben­effekt würde durch Forstschutz und Aufforstungs­projekte auch die Biodiversität geschützt. Da man dafür direkt oder indirekt in grossem Stil Land aufkaufen müsste, wäre eine clevere Klima­diplomatie unverzichtbar.

Frühförderung
Die Werkstatt sollte drittens in den Aufbau von infant industries investieren, also in Branchen, die noch gar nicht existieren. Denn es reicht oft nicht, dass eine Technologie nur besser ist, damit sie sich durchsetzt: Sie muss auch günstiger sein als die bestehenden Technologien.

Klimaschonende Technologien, die ohne CO2-Besteuerung nicht konkurrenz­fähig sind, müssen im Anfangs­stadium mit finanziellen Beihilfen hochgezüchtet werden. So, dass ein Markt wächst, in dem – durch Fördergelder angelockt – auch Private investieren, die ein Produkt so weit entwickeln, dass Subventionen am Ende nicht mehr notwendig sind.

Das ist mehr als Theorie. Wind und Solar­energie waren lange hoch subventionierte, belächelte Nischen­produkte. Deutschland, später auch die Schweiz, die USA und China haben sie mit kosten­deckenden Einspeise­vergütungen (also Produktions­subventionen) hochgepäppelt.

Da die Einspeise­vergütungen jedes Jahr leicht sanken, entstand für Hersteller ein Anreiz, laufend in effizientere Materialien zu investieren. Zu Beginn der 1990er-Jahre kostete ein kleines Fotovoltaik­modul für ein Hausdach in Deutschland über 14 Euro pro Watt – heute sind es weniger als 2 Euro. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bei Wind­kraftwerken. Hier sanken die Produktions­kosten pro Megawatt­stunde von rund 250 Dollar im Jahr 1980 auf etwa 30 Dollar heute.

So wurden über Jahrzehnte hinweg neue Märkte aufgebaut. Und das mit Erfolg: Wind- und Solar­kraftwerke sind heute in vielen Ländern selbst ohne jede Subvention billiger als Kohle- und Atomkraft.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass auch andere Schlüssel­technologien nicht nur von Grundlagen­forschung allein gelebt haben. So wurden Flug­gesellschaften in den 1930er-Jahren in ganz Europa massiv vom Staat unterstützt – rund drei Viertel ihres Umsatzes waren Fördergelder.

Sicher: Die Schweiz ist zu klein, um allein Märkte zu schaffen. Aber wir könnten mit anderen Klima­pionieren gezielt Subventionen für spezifische Technologien sprechen und so Anreize setzen. Es gibt zahlreiche kleinere Länder, Bundes­staaten und Städte, die man als Partner gewinnen könnte – besonders diejenigen, die zwar ambitioniert und innovations­stark sind, aufgrund begrenzter Grösse den Weg aber nicht allein gehen können: die nordischen Staaten etwa, die Nieder­lande, Kalifornien, Israel, Singapur und viele mehr.

In jedem Fall wird der Anschluss an die Instrumente des European Green Deal zentral sein, den die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen startet. Sinnvoll wäre ebenfalls, zumindest Teile der Klima­werkstatt so zu konzipieren, dass sie an andere grosse Förderprogramme der EU wie «Horizon Europe» anschliessen können. Denn diese bieten nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch unerlässliche Forschungs- und Praxiskontakte.

Und auf jeden Fall braucht es Kooperationen mit privat­wirtschaftlichen Partnern, die wissen, wie die Dinge vor Ort funktionieren. Dafür können Public-Private Partnerships eingegangen werden.

Und wer soll das alles bezahlen?

Eine Werkstatt für Klima­lösungen müsste nicht auf der grünen Wiese erbaut werden. Sie könnte an die Grundlagen­forschung der Eidgenössischen Hochschulen, Universitäten, Fach­hochschulen anschliessen. Und etwa den Technologiefonds des Bundesamts für Umwelt oder den Start-up-Fonds des Staatssekretariats für Wirtschaft integrieren.

Dennoch: Eine ambitionierte Klima­werkstatt wird jedes Jahr zusätzlich ein Milliarden­budget brauchen. Dieses sollten wir gemeinsam finanzieren, als kollektive Handlung von uns Bürgerinnen. Etwa über unsere Steuern oder über zusätzliche Abgaben auf CO2. Oder indem wir zulassen, dass der Bund für die Klima­werkstatt Kapital aufnimmt.

Letzteres würde durch eine Lockerung der Schuldenbremse möglich – eine Massnahme, die im Parlament bereits diskutiert wird. Die schweizerische Staats­verschuldung ist relativ tief, Zinsen auf Bundesobligationen sind momentan negativ. Das heisst: Die Eidgenossenschaft verdient Geld, wenn sie sich Geld leiht. Abgesehen davon hat der Bund vergangenes Jahr einen Überschuss von mehr als 3 Milliarden Franken erwirtschaftet.

Packen wir die Gelegenheit beim Schopf und stecken wir ordentlich Mittel in das Projekt.

Trotzdem: Kann nicht der Markt den notwendigen Innovations­sprung finanzieren? Haben Firmen und Investoren nicht alles Interesse, in grüne Technologien zu investieren?

Die Antwort lautet: Nein. Denn CO2-Emissionen werden global kaum bepreist. Für Firmen sind Investitionen in fundamental neue, also enorm teure Technologien, die sich erst in Jahrzehnten auszahlen, sehr riskant. Und für private Investoren zählt zuerst die Rendite. Grüne Finanz­anlagen boomen zwar. Doch dabei handelt es sich meist um Investitionen in internationale Firmen, die etwas weniger klima­schädlich sind als der Schnitt. Der Effekt auf die Firmenpolitik bleibt bescheiden. Und wenn, besteht er darin, dass man eine gewisse Investition unterlässt, anstatt Neues zu schaffen.

Anreize für neue Produkte gibt es so kaum. Private Unter­nehmen scheuen das Risiko, Unmengen an Geld in die Produkt­entwicklung zu investieren, lange bevor ein Produkt überhaupt getestet werden kann. Die wenigen Venture-Capital-Fonds, die auf Technologie­entwicklung spezialisiert sind, sind viel zu klein, um die Veränderungen ganzer Wertschöpfungs­ketten anzugehen.

Und sie denken in der Regel mit einem Zeithorizont von 10 Jahren – zu wenig langfristig, um den Wandel herbei­zuführen, den wir brauchen.

Und was kann ich tun?

Natürlich, bisher ist die helvetische Klimalösungs­werkstatt nichts weiter als eine Utopie, wenn auch eine vernünftige. Und eine machbare. Was nicht heisst, dass sie je Wirklichkeit wird.

Damit stellt sich wieder die Frage: Was können wir individuell tun, wenn ich nicht auf ein Gross­projekt warten will? Wo und wann macht Verzicht Sinn?

Mein Ratschlag: Verzichten Sie auf Dinge, auf die Sie ohne existenzielle Verrenkungen verzichten können. Das sind für jeden und jede andere. Weniger Schrott zu konsumieren, ist nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Psyche gut. Eine Ernährung mit weniger Fleisch hat nicht nur Vorteile für das Klima: Weniger Tiere leben als Fabrik­ware, es wird weniger gerodet, und es bleibt mehr Biodiversität. Recycling ist ebenfalls sinnvoll.

Aber Sie sollten sich nicht quälen – und nicht selbst betrügen: Globalen, systemischen Krisen können wir mit individuellem Verzicht nicht gerecht werden. Wir können zwar einige Tonnen CO2-Ausstoss pro Jahr einsparen – das stimmt. Aber reparieren können wir das Klima mit privaten Einzel­handlungen nicht.

Deshalb die Faustregel: Verzichten Sie aus schlechtem Gewissen nicht auf wirkliche Herzens­dinge. Haben Sie Kinder. Reisen Sie zu Verwandten nach Kalifornien. Legen Sie sich ein Haustier zu. Sie bürden sich zu viel Verantwortung auf, wenn Sie denken, stellvertretend für eine ganze Spezies verzichten zu müssen.

Kompensieren Sie Ihren CO2-Ausstoss, ja (denn damit finanzieren Sie wertvolle Projekte). Und setzen Sie sich dafür ein, dass die Schweiz kollektiv auf kluge Art und Weise Verantwortung übernimmt. Etwa, indem Sie Parlament und Bundesrat dazu ermuntern, eine Klima­werkstatt einzurichten.

Aber sonst: Geniessen Sie das Leben.

Zum ersten Teil – und zur Debatte

Warum fällt es so schwer, sich und andere zum Handeln zu motivieren? Lesen Sie hier den Beitrag zur Komplexität des Klimawandels. Und hier geht es zur Debatte mit den Mitverlegerinnen.

Zum Autor

Ivo Scherrer ist selbst­ständiger Ökonom und Innovations­analyst. Zu klima­ökonomischen Fragen hat er unter anderem für Swiss Economics, die OECD, die ETH und die 2 Degrees Investing Initiative gearbeitet. Er ist Mitgründer der Thinktanks foraus – Forum Aussenpolitik (Schweiz) und Argo (Frankreich) sowie der politischen Bewegung Operation Libero.