Bauern in der Schweiz: Abschied von der Idylle
Immer effizienter soll sie werden, die Landwirtschaft. So fordert es die Schweizer Agrarpolitik. Was bedeutet das für den typischen Bauernhof? Eine Zeitreise durch zwei Jahrzehnte.
Von Marie-José Kolly, 17.02.2020
Ein paar Kartoffelfelder, ein ziemlich übersichtlicher Kuhstall, 10 Apfelbäume. Ein paar Hühner picken um den Hof herum Körner, Katzen liegen in der Sonne und schauen ihnen dabei zu. Am Horizont Berge. Oder wenigstens Hügel.
Und wie stellen Sie sich den Bauernhof vor, von dem Ihr Essen kommt?
Dieses Idyll, das Überschaubare – es ist die Ausnahme. Die allermeisten landwirtschaftlichen Betriebe nutzen mehr als 5 Hektaren Land. Würde man einem Sportclub einen Bauernhof à 5 Hektaren verkaufen, könnte er 7 Fussballfelder daraus machen – vorausgesetzt, das Verhältnis zwischen Länge und Breite der Fläche stimmt einigermassen.
Wie die folgende Grafik zeigt, sind in der Schweiz landwirtschaftliche Betriebe à 10 bis 20 Hektaren am stärksten verbreitet. (Um beim Fussball zu bleiben: Das sind 14 bis 28 Felder.) Rund 30 Prozent der Betriebe fallen in diese Kategorie.
Von diesem Peak aus fällt die Kurve auf beiden Seiten ab:
Nach rechts fällt sie ziemlich regelmässig: Je grösser die Betriebskategorie, desto weniger Betriebe enthält sie.
Nach links fällt die Kurve etwas steiler: Kleinbetriebe sind noch seltener vertreten.
Dieses Muster ist schnell erklärt. Es braucht eine Mindestfläche, um als Bauer zu überleben. Doch im Vergleich zu Ländern wie Deutschland oder Frankreich wird die Schweiz kleinflächig bebaut. Farmen, die sich über mehrere Quadratkilometer erstrecken, gibt es hierzulande nicht.
Auffallend sind aber die Verschiebungen innerhalb des Musters. Vor gut zwei Jahrzehnten gab es noch mehr Bauern, die nur bis zu 20 Hektaren bewirtschafteten. Das zeigt die hellgrüne Kurve, die zusätzlich in der Grafik eingetragen ist. Dafür waren Grossbetriebe damals seltener:
Die Schweizer Nahrungsmittel auf unseren Tellern stammen also von immer grösseren Bauernhöfen.
Dabei handelt es sich nicht um eine Momentaufnahme, sondern um eine stetige Entwicklung. In jedem Jahr zwischen 1996 und 2018 ist der Anteil der Landwirte, die 20 oder mehr Hektaren bewirtschaften, etwas grösser geworden. Und in jedem Jahr ist der Anteil der Kleinbetriebe zurückgegangen.
Die romantische Idee mit den paar Kühen und Kartoffeln entspricht also immer weniger der Realität der Gemüse-, Milch- und Fleischproduzentinnen.
Vor einem Jahrhundert aber war der Kleinbetrieb die Norm. Das zeigt eine Grafik aus dem «Graphisch-statistischen Atlas der Schweiz» für das Jahr 1905:
Hinzu kommt, was obige Zahlen nicht abbilden, weil sie in Anteilen dargestellt werden: In der Schweiz gibt es insgesamt immer weniger landwirtschaftliche Betriebe. Manche nennen es «Bauernsterben». Auch das ist eine beständige (und rapide) Entwicklung.
Weshalb verschwinden kleinere Betriebe?
Manche Betriebe schliessen ganz: Ein Betriebsleiter im Rentenalter findet keine Nachfolgerin, die den Hof übernehmen würde. Oder der Betrieb rentiert einfach nicht mehr, etwa weil der Preisdruck durch günstigere Produkte aus dem Ausland zu hoch wird. In diesem Fall wird landwirtschaftlich genutzter Boden zu Wald oder zu Siedlungsfläche. Auch das ist ein Trend: Die landwirtschaftlich genutzte Fläche der Schweiz geht langsam, aber stetig zurück.
Bauern fusionieren: Sie schliessen sich mit ihren Nachbarn zu einem grösseren Betrieb zusammen oder verkaufen ihr Land an andere Landwirte. In diesem Fall wird aus einem kleinen ein grösserer Betrieb. Der Boden, der in der Schweiz landwirtschaftlich genutzt wird, konzentriert sich auf immer weniger, immer grössere Betriebe. Auch diese Entwicklung verstärkt sich Jahr für Jahr.
Beide Tendenzen dürften die Landwirtschaft weiterhin prägen.
Die Rolle der Effizienz
Denn die Agrarpolitik des Bundes, die ab 2022 gelten soll, zielt unter anderem darauf ab, die «betriebliche Effizienz [zu] erhöhen». So erwartet das Bundesamt für Landwirtschaft auch für die Zukunft einen «Strukturwandel im heutigen Umfang».
Effizienz ist auch das Prinzip, das die bisherige Entwicklung vom Kleinbauern zum Grossbetrieb antrieb: Grössere Unternehmen können sogenannte Skaleneffekte nutzen, die sie wettbewerbsfähiger machen.
Durch verbesserte Effizienz ist es überhaupt möglich, dass die Schweiz einen ziemlich konstanten Selbstversorgungsgrad aufweist – was an und für sich erstaunlich ist, da die landwirtschaftliche Nutzfläche immer kleiner und die Bevölkerung immer grösser wird (und dadurch die Anbaufläche pro Person zurückgeht).
Aber wie produziert man mit weniger Land Nahrung für mehr Menschen? Stefan Mann vom Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung Agroscope erklärt der Republik, dass hier drei Typen zusammenspielen:
Durch biologischen Fortschritt können Landwirte mit Sorten und Rassen arbeiten, die auf derselben Fläche grössere Erträge bringen.
Durch mechanischen Fortschritt haben sie immer effizientere Maschinen zur Verfügung.
Und dann ist da noch der organisatorische Fortschritt.
Hier geht es um die bereits erwähnten Skaleneffekte, die grössere Betriebe nutzen können. Wie sie funktionieren, lässt sich anhand eines Karottenfeldes erklären:
Für ein grösseres Karottenfeld lohnt sich die Anschaffung moderner landwirtschaftlicher Maschinen mehr als für ein kleines. Intelligente Maschinen können Nutzpflanzen von Unkraut unterscheiden. Sie ersetzen so teure Handarbeit oder setzen Dünger und Pflanzenschutzmittel sparsamer ein. Ein grösserer Betrieb kann sich moderne Maschinen auch eher leisten.
Auch der administrative Aufwand lohnt sich für ein grosses Karottenfeld mehr: Die Formulare, die ein Bauer etwa für den ökologischen Leistungsnachweis ausfüllen muss, um Direktzahlungen zu erhalten, generieren für grosse und kleine Flächen gleich viel Aufwand.
Skaleneffekte lassen sich auch durch Spezialisierung nutzen: Setzt ein Betrieb etwa ganz auf Karotten, Getreide oder auf die Schweinezucht, so braucht er weniger verschiedene Maschinen, Prozesse und Formulare.
Ein paar Kartoffelfelder, ein ziemlich übersichtlicher Kuhstall, 10 Apfelbäume und ein paar Hühner – auch künftige Generationen dürften diesen Bauernhof noch kennen.
Den typischen landwirtschaftlichen Betrieb werden sie sich aber wahrscheinlich anders vorstellen.
Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nach Betriebsgrösse stellt das Bundesamt für Statistik zur Verfügung. Seit 1996 sind Daten für jedes Jahr verfügbar. Seit 1975 gibt es Daten in Abständen à fünf Jahre. Und für einzelne Zeitpunkte vor 1975 gibt es Tabellen in PDF-Dokumenten, die Werte wurden aber teilweise anders kategorisiert als in den aktuellen Daten. Die (nicht regelmässigen) Intervalle stammen vom Bundesamt für Statistik.
Das Muster, das sich in älteren Daten erkennen lässt, ist im Prinzip dasselbe: Früher gab es anteilsmässig noch mehr kleine und noch weniger grosse landwirtschaftliche Betriebe.