Der Traum vom sauberen Fliegen
Können wir bald mit gutem Klimagewissen in die Ferien fliegen? Die Luftfahrtindustrie meint: gut möglich – und wartet mit diversen E-Flugzeug-Projekten auf. Wir zeigen, was sie taugen.
Von Norbert Raabe, 28.01.2020
Selbst Karlsson vom Dach, Astrid Lindgrens fliegender Lausbub mit dem Propeller im Rücken, würde sich angesichts des folgenden Werbevideos die Augen reiben: Da surren riesige Drohnen zwischen Häuserschluchten, landen auf Helikopterparkplätzen in der Londoner City, laden ihr Cockpit ab und fliegen davon, während das Cockpit als Kleinwagen auf den Strassen weitersaust.
Pop.Up Next heisst dieses elektrische und emissionsfreie Mobilitätskonzept, das von den Firmen Italdesign, Audi und Airbus entwickelt und 2018 am Genfer Auto-Salon gezeigt wurde. Von ähnlichen Visionen wimmelt es derzeit auf der ganzen Welt, Dutzende Projekte sind in Arbeit.
Flugscham? Pustekuchen!
In wenigen Jahren schon, glaubt man den Versprechungen, können Hinz und Kunz elektrisch abheben. Nicht nur reiche Jetsetter, nein – wir werden alle Überflieger. Beziehungsweise: Uber-Flieger, denn auch die Taxi-App-Firma plant einen E-Lufttaxi-Service, der nach Tests im kommenden Jahr schon 2023 in Betrieb gehen soll, zunächst mit Piloten und später sogar autonom.
Doch ist der Traum vom E-Fliegen wirklich realistisch? Kann damit der CO2-Ausstoss der Luftfahrt tatsächlich mit Batterieantrieben gesenkt werden? Wir haben dazu fünf Projekte unter die Lupe genommen, die bereits über das Reissbrettstadium hinausgekommen sind – und mit der Hilfe von zwei renommierten Experten untersucht, wie vielversprechend die technischen Entwicklungen sind.
Lilium – der Flieger auf App-Ruf
Der Lilium Jet ist ein ungewöhnlicher Flieger, ausgelegt für fünf Passagiere. An den Tragflächen sind bewegliche Teile installiert, in denen 36 elektrische Jetmotoren versenkt sind. Sie lassen sich von der Horizontalen in die Vertikale kippen, was Senkrechtstarts und -landungen ermöglicht. Das ist platzsparend und eine Bedingung für Taxieinsätze in bebauten Gegenden.
Die geplante Reichweite des Lilium Jet: 300 Kilometer mit nur einer Akku-Ladung. Genug also, um ohne Zwischenstopp von Genf nach Nizza zu fliegen. Zum Gewicht und zu anderen Details macht das Unternehmen keine Angaben. Die Firma, die mittlerweile 350 Mitarbeiter hat und unter anderem vom chinesischen Internetkonzern Tencent finanziert wird, will den Flugservice dereinst selbst betreiben – mithilfe einer eigenen App.
Die aktuellen Testflüge sind unbemannt und ferngesteuert. Wann der erste bemannte Flug stattfinden wird, verrät das Unternehmen nicht. Doch der reguläre Flugbetrieb soll schon 2025 starten. Im Oktober wurde mitgeteilt, dass am Standort nahe München bereits eine zweite Fabrik entstehe, in der später Hunderte Flugzeuge für den regulären Betrieb gebaut werden sollen.
«Das ist ein reizvolles Projekt, sehr futuristisch», sagt Karlheinz Steinmüller, einer der beiden von der Republik angefragten Experten. Er ist Physiker und Dozent im Masterstudiengang Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. Seiner Einschätzung nach ist Lilium eine publikumswirksame Idee, die auch bei Investoren auf Interesse stossen dürfte. Gleichwohl fragt er sich, ob der Jet für fünf Personen wirklich die versprochene Reichweite von 300 Kilometern mit reinem Batteriebetrieb liefern kann. Steinmüllers Eindruck: «Sehr, sehr ambitioniert und womöglich grenzwertig.»
Roland Siegwart teilt die Skepsis. Unser zweiter Experte ist Professor für Autonome Systeme an der ETH Zürich, ein Drohnenpionier und Mitbegründer mehrerer Technologie-Spin-offs. Selbst bei klassischen Flächenflugzeugen ohne bewegliche Triebwerke, die viel effizienter flögen, sei ein Betrieb über längere Distanzen ausschliesslich mit Batterien kaum machbar, sagt er. Zwar habe sich die Technologie über die vergangenen zehn Jahre deutlich verbessert: Im Verhältnis zu ihrem Gewicht könnten heutige Lithium-Ionen-Akkus rund 50 Prozent mehr Energie speichern. Doch im Vergleich zu herkömmlichem Flugbenzin wiesen auch die modernsten Batterien eine sehr geringe Energiedichte auf.
«Wir alle würden uns über 400 Wattstunden pro Kilogramm freuen», sagt Siegwart. Doch bei Lithium-Ionen-Akkus sei eine Energiedichte von rund 250 Wattstunden pro Kilogramm aktuell die Grenze. Zwar wird an neuen Batterietypen geforscht, etwa Magnesium-Batterien oder Feststoff-Akkus. Doch technologische Durchbrüche seien schwer vorherzusagen, so der Ingenieur. «Forscher sind oft sehr optimistisch. Aber in solchen Bereichen gibt es nur selten grosse Sprünge nach vorne.»
Ob der Lilium Jet seine Versprechen wirklich halten kann, wird in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Die Hersteller bleiben dennoch bei ihren Ankündigungen: Die versprochene Flugreichweite sei auf dem heutigen Stand der Technologie möglich, schreibt das beauftragte Pressebüro in München. Dabei profitiere der Jet im Horizontalflug insbesondere vom Auftrieb seiner Flügelpaare und benötige für den Vorwärtsflug nur 10 Prozent seiner Gesamtleistung.
Für Siegwart wirft allerdings auch die Konstruktion Fragen auf. 36 Rotoren, verteilt über die Flügel, versprächen zwar Sicherheit – aber sicher nicht Effizienz. Einerseits wegen des höheren Luftwiderstands und andererseits, weil wenige grosse Propeller immer besser sind als viele kleine. «Darum baut man heute ja auch Verkehrsflugzeuge oft nur mit zwei Triebwerken.»
aEro 2 – der flexible Gleiter
Das Flugzeug der Schweizer Firma Dufour Aerospace in Visp ist wie der Lilium ein Senkrechtstarter und -lander. Zum Abheben lassen sich seine Flügel senkrecht kippen. Allerdings mit zwei grösseren Rotoren, für deren Antrieb aus Sicherheitsgründen vier Motoren vorgesehen sind. Und auch der aEro 2 ist batteriebetrieben; allerdings nicht nur: Während Start und Landung elektrisch unterstützt werden, verbrennt im Streckenflug herkömmlicher Treibstoff – und zugleich werden damit die Batterien wieder aufgeladen.
Als Fünfsitzer ist der aEro 2 laut der Firma aber weniger als Lufttaxi gedacht denn als Ersatz für Helikopter, die viermal mehr Treibstoff verbrauchen. Die geplante Reichweite: 120 Kilometer rein elektrisch, 800 Kilometer als Hybrid. Letzteres entspricht der Strecke von Bern nach Sardinien. Derzeit arbeiten die Ingenieure mit einem Prototyp im Massstab 1:2; die Suche nach Investoren für einen kostspieligen 1:1-Testflieger sei «auf gutem Wege».
«Nicht so revolutionär wie Lilium», urteilt Roland Siegwart. Das Konzept mit dem hybriden Antrieb erscheint ihm aber durchdacht; zudem ist aEro 2 mit guten Gleitflugeigenschaften auch für längere Strecken ausgelegt. Und dass die Konstruktion grundsätzlich funktioniert, hat sich in seinen eigenen ETH-Laboren gezeigt: im Rahmen einer Masterarbeit an einem kleinen Modell, das den Übergang vom Start in den Gleitflug untersuchte. Im realen Massstab werde diese Steuerung dennoch eine Herausforderung, sagt Siegwart. Die Belastungen auf die Gelenke, mit denen die Flügel gekippt werden, seien ein weiterer Knackpunkt. Doch sein Fazit lautet: «Machbar.»
«Ja, das sieht ganz vernünftig aus», meint auch Zukunftsforscher Karlheinz Steinmüller. «Wenn ich wetten müsste, würde ich mein Geld eher auf aEro 2 setzen als auf Lilium.» Der Hybridantrieb scheine eine Lösung für das Reichweitenproblem zu sein. Einsatzmöglichkeiten sieht er wie Siegwart auch in den Agglomerationen oder in den Bergen. Oder auch als agile und schnellere Alternative zu heutigen Rettungshubschraubern.
Aber als «Lufttaxi»?
Neu ist die Idee der Individual-Aviatik keineswegs. Schon im Science-Fiction-Film «Just Imagine» von 1930 inspirierten fliegende Automobile das Publikum. «Das war lustig», sagt Steinmüller, «die Autos haben in der Luft sogar vor schwebenden Verkehrspolizisten angehalten.»
Ein realer Prototyp hob dann im November 1957 erstmals ab: die «Fairey Rotodyne», ein wuchtiger Flieger, halb Helikopter, halb Propellerflugzeug. Gedacht war er für den Passagiertransport zwischen benachbarten Metropolen. Am Ende scheiterte die Idee trotz guten Flugverhaltens am massiven Lärm des Antriebs.
Heute ist technisch weit mehr möglich. «Elektromotoren, leistungsfähige Akkus und elektronische Steuerungen erlauben ganz andere Konzepte. Und beim Flugzeugrumpf lässt sich viel mehr wagen», sagt Steinmüller. «Wir leben in einer Zeit, die man mit den Anfängen der Fliegerei vergleichen kann.» Derzeit freilich durchläuft die Idee der Lufttaxis «den typischen Hype-Cycle», so der Zukunftsforscher. «Erst finden es alle sehr chic; dann folgt das Tal der Tränen, wenn viele Projekte scheitern. Und irgendwann kommt man auf das Plateau der Produktivität; die Sache wird normal.»
«Eine Aufbruchstimmung sehe ich auch», sagt Roland Siegwart. «Doch bevor heutige Prototypen zum Einsatz kommen, werden mindestens noch zehn Jahre vergehen – nur schon wegen der nötigen Zulassungen.»
City Airbus – der Zubringer
Auch die grossen Flugzeugbauer arbeiten an e-mobilen Ideen. Doch der elektrische City Airbus, ein «Multikopter» zum Transport von bis zu vier Passagieren, ist eher ein klobiger Flieger. Er wird von vier gegenläufigen Doppelpropellern mit einem Durchmesser von 2,8 Metern angehoben, sein maximales Startgewicht soll bei über zwei Tonnen liegen.
Entsprechend gering ist die Reichweite: Bei einer Reisegeschwindigkeit von 120 Stundenkilometern wird der City Airbus nur 15 Minuten fliegen können. Überwachen soll ihn eine eigene Bodenstation mit einem Air-Traffic-Managementsystem – auch mit Blick auf spätere Einsätze ohne Piloten.
Ein unbemannter Erstflug eines 1:1-Prototyps fand im vergangenen Mai im deutschen Donauwörth statt. Bemannte Flüge sind mit dem aktuellen Prototyp noch nicht geplant; das soll laut Airbus erst später geschehen. Zumal offen sei, wann ein rechtlicher Rahmen für Passagierflüge in Kraft ist.
«Eine eigene Bodenstation? Die haben jedenfalls schon weiter gedacht», sagt Karlheinz Steinmüller. «Das zeigt auch, dass es nicht nur ein PR-Projekt ist, um das Image der Fliegerei aufzubessern.» Der City Airbus ist für ihn schon wegen der geringen Reichweite weniger ein «Lufttaxi» als ein «Shuttle» – zum Beispiel als Zubringer zu den grossen Flughäfen. «Dann könnten die Passagiere ihren Flug in Zukunft gleich vom Shuttle-Startpunkt buchen.»
Dagegen sieht ETH-Experte Roland Siegwart im City Airbus derzeit eher ein «Spielzeug» – so wie die spannenden Konzeptfahrzeuge auf Automessen, die dann nie in den Strassenverkehr kommen. «Ich glaube, dass das Gerät, das Airbus auf den Markt bringen wird, am Ende ganz anders aussehen wird.»
Die gegenläufigen Doppelpropeller beispielsweise überzeugen ihn noch nicht: Zwar können sie die starken Drehmomente, die auf den Flieger wirken, kompensieren und gewährleisten bei einem Ausfall die Sicherheit. Doch das gehe auf Kosten der Energiebilanz, weil sie weniger Auftrieb erzeugen, so der Ingenieur. Und auch was den Fluglärm betrifft, bezweifelt er, dass sie Vorteile bringen.
Die Pressestelle von Airbus erklärt freilich, die Lärmemissionen würden spürbar unter denen eines vergleichbaren Helikopters liegen – doch Dezibelwerte oder andere Details nennt sie nicht, weil akustische Tests noch im Gange seien. Bei den Planungen bestätigt sie den Eindruck von Roland Siegwart und verweist auf einen zweiten E-Flieger des Unternehmens namens «Vahana», der – wie aEro 2 – Kippflügel hat. Es sei geplant, «das Beste aus beiden Konzepten» für einen künftigen Prototyp zu verwenden.
Abwarten also. Nachhaltig ist das City-Airbus-Konzept für den ETH-Forscher ohnehin nicht. Es mache keinen Sinn, drohnenartige Geräte einfach grösser zu skalieren. Im Passagiermassstab flögen sie wesentlich weniger effizient als klassische Helikopter, sagt Siegwart. Und Helikopter seien schon grundsätzlich viel weniger effizient als Flugzeuge, die im Gleitflug operieren.
HY4 – der Brennstoffzellen-Segler
Das Gleiten ist diesem Prototyp quasi in die Wiege gelegt. HY4 basiert auf einem Modell, das aus zwei Rümpfen des leichten Elektroseglers «Pipistrel» konstruiert wurde – mit zwei Kabinen für bis zu vier Passagiere. Das Herz des Viersitzers mit über 21 Metern Spannweite ist ein Hybridantrieb: Einerseits produziert eine Brennstoffzelle Strom aus Wasserstoff, andererseits liefern Lithium-Ionen-Batterien während des Starts oder Steigflügen zusätzliche Energie, um den Propeller anzutreiben.
Mit einem Höchstgewicht von 1500 Kilogramm – davon etwa 170 Kilogramm für das Antriebssystem – liegt die aktuelle Reichweite des HY4-Flugzeugs bei 750 bis 1500 Kilometern, das Tempo soll bei 165 bis 170 Kilometern pro Stunde liegen. Damit werden also bereits Mittelmeerüberquerungen denkbar. Ein Flug von Zürich nach Tunis würde dabei etwa neun Stunden dauern.
Das Projekt HY4 ist relativ weit fortgeschritten. Ein öffentlicher Erstflug fand Ende September 2016 statt. Derzeit arbeiten die Entwickler auf einem Militärflughafen in Cerklje in Slowenien mit Flugtests daran, ein permit to fly zu bekommen: der erste Schritt zur Zulassung und die Grundlage für weitere Entwicklungen, die in höhere Leistungsbereiche münden könnten.
«Nichts Revolutionäres», befindet Roland Siegwart. «Aber das Konzept hat das Potenzial, effizienter zu sein als heutige Flugzeuge.» Wäre das denn auch in einem grösseren Massstab möglich, sozusagen hochskaliert auf ein ähnliches Flugzeug für 20 oder 30 Passagiere? Schon vorstellbar, findet der Experte, wenn auch mit einem Vorbehalt: je grösser, desto schwieriger. Würden die Entwickler den Flieger doppelt so gross bauen, dann stiegen auch die Belastungen auf das Material. Und bei Turbulenzen werde eine Reise mit einem so leichten Flugzeug eher schwierig, erklärt Siegwart. «Die Maschine müsste tief fliegen und bräuchte gute, grosse Pisten zum Landen.»
«Vielleicht wäre eine grössere Variante des HY4-Fliegers für den regionalen Flugverkehr brauchbar», sagt Karlheinz Steinmüller. Ein solches Flugzeug könne im europäischen Netz zum Einsatz kommen, zum Beispiel für die Strecke Basel–Lissabon oder ähnliche Routen, wo es Bedarf gebe.
Steinmüllers Prognose: E-Flieger werden sich eines Tages durchsetzen – rein elektrisch (also nicht hybrid) allerdings vor allem im kleinen Massstab.
E-Fan X – der Testjet
75 Prozent weniger CO2-Ausstoss bis 2050: Um dieses und weitere Ziele zu erreichen, arbeitet die Luftfahrtindustrie auch daran, grössere Jets zu elektrifizieren. Der E-Fan X von Airbus, Siemens und Rolls-Royce soll zeigen, wie Strom auch schwerere Maschinen antreiben kann – zumindest teilweise.
In dem Testjet soll eines von vier herkömmlichen Düsentriebwerken durch einen Elektromotor mit einer Leistung von 2 Megawatt ersetzt werden – so viel, wie eine kleine Windkraftanlage erzeugt. In einem nächsten Schritt könnte dann sogar eine zweite Düse ersetzt werden: ein neuer Massstab für die Luftfahrt, verbunden mit vielen technischen Herausforderungen. Der Erstflug soll im Jahr 2021 stattfinden; ursprünglich war 2020 vorgesehen.
«Spannend ist das 3-Kilovolt-Kabel durch das Flugzeug; das ist ein Vielfaches der Spannung in einem normalen Haushalt», sagt Karlheinz Steinmüller. Die Sicherheit werde bei einem so leistungsfähigen Batterieantrieb in einem Flugzeug ein wichtiges Thema. Ob sich der Aufwand lohnen wird? «Da bin ich eher skeptisch», sagt der Physiker. Wenn der Demonstrator freilich zeigen würde, dass Elektromotoren technisch möglich und lohnend sind, könne er das gesamte Marktsegment der Regionalflugzeuge aufschliessen.
«Vielleicht kann man damit etwas gewinnen», sagt auch Roland Siegwart. Ein Vorteil könnten etwa die besseren Drehmomente von Elektromotoren sein, womit die Startbahn verkürzt werden könnte. Vielleicht auch eine höhere Zuverlässigkeit oder weniger Fluglärm, den die Luftfahrtbranche schliesslich ebenfalls reduzieren soll – um 65 Prozent bis ins Jahr 2050.
Doch unter dem Strich lassen sich Batterien, darin herrscht Einigkeit, nur zu einer kurzfristigen Leistungssteigerung einsetzen. Grosse Jets sind ohne Verbrennung weder für Siegwart noch für Steinmüller denkbar. CO2-neutrales Fliegen hiesse also: Wasserstoff als Flugzeugtreibstoff zu verwenden, hergestellt aus sauberen Stromquellen – oder andere synthetische Treibstoffe, die sich mit verschiedenen Verfahren herstellen lassen.
«Power-to-Liquid»-Anlagen zum Beispiel stellen mithilfe von Ökostrom aus Wasser und Kohlendioxid ein Synthesegas her, aus dem sich wiederum Flugtreibstoffe fabrizieren lassen. Und an der ETH Zürich arbeiten Forscher an einem Verfahren namens «Sun-to-Liquid»: eine Miniatur-Raffinerie, die aus Sonnenlicht sowie Wasser und CO2 aus der Umgebungsluft einen Treibstoff fabriziert. Doch vom industriellen Massstab, der für einen Einsatz im Flugverkehr nötig wäre, sind solche Verfahren noch weit entfernt.
Gleichwohl hat sich in der Politik eine Lobby formiert. Derzeit propagiert Nationalrat und GLP-Vizepräsident Martin Bäumle mit ETH-Klimafachmann Anthony Patt eine Strategie, um solche Treibstoffe wirkungsvoll zu fördern. CO2-Steuern, Regulierungen und Fördermassnahmen könnten demnach dazu führen, dass der Marktanteil von synthetischem Kerosin Jahr für Jahr steigt – bis der Flugverkehr 2050 vollständig dekarbonisiert wäre. Eine politisch gewollte Verteuerung der Billettpreise wäre dazu notwendig.
Weiter gediehen sind Verfahren, die aus Biomasse Flugtreibstoffe oder zumindest Zusätze zu fossilem Kerosin produzieren; sei es mit Abfällen aus Siedlungen oder der Landwirtschaft, sei es mit dem Anbau von Raps, Soja oder anderen Pflanzen. Doch schon heute befürchten Fachleute, dass der Flugverkehr in manchen Regionen dadurch die Ernährung gefährden könnte.
Und woran wird sonst noch getüftelt?
Für die Fliegerei brechen interessante Zeiten an. Rund um die Welt tüfteln Luftfahrtkonzerne und Start-ups an Konzepten. Nebst den fünf genannten Projekten sind viele weitere E-Flugzeuge oder Lufttaxi-Projekte in Arbeit.
So hob in Stuttgart kürzlich der Volocopter ab, eine Passagierdrohne mit 18 Kleinrotoren, an der die Automobilfirma Daimler beteiligt ist. Die Boeing-Tochter Aurora Swiss Aerospace arbeitet mit dem PAV (Passenger Air Vehicle) ebenfalls an einem Flugzeugtaxi mit Elektromotor. Der britische Turbinenhersteller Rolls-Royce werkelt derweil an einem Senkrechtstarter mit Kippflügeln. Und Porsche gab bekannt, mit Partnern ein premium personal air vehicle zu entwickeln, das schon 2020 fliegen können soll.
Mit jeder dieser Ideen rückt der Traum, elektrisch und vollständig CO2-frei in die Luft abzuheben, ein wenig näher. Doch klimaschonenden Massentourismus mit Flügen von reinen E-Jumbojets wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Dies nur schon aus physikalischen Gründen: Batteriebetriebene Grossflugzeuge sind mit der heutigen Technik schlicht nicht realisierbar. Die Energiemenge, die Batterien liefern können, steht in einem schlechten Verhältnis zu ihrem Gewicht.
Dazu kommen ökonomische Gründe. Synthetische, CO2-freie Treibstoffe lassen sich zwar herstellen. «Aber solange es keine CO2-Bepreisung gibt, die diesen Namen auch verdient, kann kein Verfahren konkurrenzfähig werden», sagt Karlheinz Steinmüller. Der Wirkungsgrad dieser Treibstoffe ist insgesamt sehr klein: Ihre Herstellung verschlingt grosse Energiemengen.
Ob diese Energiemengen dereinst erneuerbar hergestellt werden können, ist fraglich. Schliesslich sollen neben E-Fliegern und Lufttaxis auch sämtliche Autos elektrisch laufen. Fehlt die erneuerbare Energie, geht die Klimarechnung fürs Fliegen jedoch nicht auf. Zwar ist der Beitrag des Flugverkehrs an der Erderwärmung global noch gering – die Luftfahrt verursacht nur 2,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Doch in reichen Ländern wie der Schweiz liegt dieser Anteil bereits bei über 18 Prozent. Und die weltweite Nachfrage nach Flugreisen dürfte über die kommenden Jahre weiter stark steigen.
Roland Siegwart meint jedenfalls: «Wir als Gesellschaft sollten ohnehin weniger fliegen.» Kürzere Flüge liessen sich in Zukunft vielleicht elektrisch machen, ja – doch terrestrische Verkehrsmittel seien gegenüber dem Fliegen immer effizienter. Mit dem Flugzeug könnten wir allenfalls noch über den Atlantik reisen, findet der ETH-Forscher. Doch auf den Kontinenten?
Lieber gar nicht fliegen.
Roland Siegwart, Jahrgang 1959, ist Professor für Autonome Systeme an der ETH Zürich und Co-Direktor des Technologietransferzentrums Wyss Zurich. Er ist gelernter Maschinenbauer, Experte für Robotik, autonome Fluggeräte und Fahrer-Assistenzsysteme, Drohnenpionier, Mitbegründer von mehreren Technologie-Spin-offs und Förderer von Innovationen in der Schweiz.
Karlheinz Steinmüller, Jahrgang 1950, ist Physiker und promovierter Philosoph. Er ist Dozent im Masterstudiengang Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. Er betätigte sich als wissenschaftlicher Prognostiker zunächst am Sekretariat für Zukunftsforschung in Gelsenkirchen und ist derzeit wissenschaftlicher Direktor der Z_punkt GmbH The Foresight Company mit Schwerpunkt Technikvorausschau. Gemeinsam mit seiner Frau Angela ist er mehrfach ausgezeichneter Science-Fiction-Autor.
Norbert Raabe ist gelernter Ingenieur und Journalist. Er hat als Redaktor für die «SonntagsZeitung», den «Tages-Anzeiger» sowie fürs Schweizer Radio und Fernsehen gearbeitet. Reportagen, Porträts und Berichte von ihm erschienen in «GEO», «Die Zeit» und «Das Magazin». Er lebt als freischaffender Autor in Zürich.