Coronavirus breitet sich aus, Hoffnung auf Stabilität in Libyen – und der Prinz hackt den Krösus
Woche 04/2020 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Ronja Beck, Adrienne Fichter, Oliver Fuchs und Christof Moser, 24.01.2020
Neues Virus verbreitet sich rasant in China
Darum geht es: Diese Woche häuften sich die Meldungen zu einem neuen Krankheitserreger der Familie Coronaviridae, in den Medien meist nur Coronavirus genannt. Über 600 Menschen sollen sich laut staatlichen Angaben in China bisher infiziert haben. Mindestens 18 infizierte Menschen sind inzwischen gestorben. Das Virus soll seinen Ausgang auf einem Fischmarkt in der zentralchinesischen Stadt Wuhan genommen haben. Die Stadt wurde am Donnerstag teilweise unter Quarantäne gestellt.
Warum das wichtig ist: Das Coronavirus löst eine grippeähnliche Lungenkrankheit aus und gleicht dem Sars-Erreger stark. Dieser führte 2003 zu einer Pandemie und kostete laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 774 Menschen das Leben. Vor allem in Asien befürchtet man eine Wiederholung der damaligen Geschehnisse. Zumal sich der Erreger bereits über die chinesische Landesgrenze hinaus verbreitet: In Japan, Südkorea, Taiwan, Vietnam, Singapur und Thailand wurden einzelne Krankheitsfälle verzeichnet. Auch in den USA soll es inzwischen einen Erkrankten geben, wie die US-Gesundheitsbehörde am Dienstag meldete. Laut einem prominenten chinesischen Forscher soll das Virus aufgrund von Mutationen nicht nur von Tier zu Mensch, sondern von Mensch zu Mensch übertragbar sein. Am Donnerstag stellten die chinesischen Behörden den öffentlichen Verkehr in der Stadt Wuhan und in vier weiteren Städten in der Provinz Hubei ein. Die WHO lobte die Zentralregierung für diesen Entscheid.
Was als Nächstes geschieht: An einer Sondersitzung am Donnerstag entschied sich die WHO gegen den Ausruf eines globalen Notfalls. Das Komitee habe den Entscheid jedoch nicht einstimmig gefällt, sagte Didier Houssin, der Vorsitzende der Notfallkommission, nach dem Meeting. Man kann die Unsicherheit nachvollziehen: Morgen feiern die Chinesen Neujahr. Es wird befürchtet, dass sich das Virus aufgrund der vielen Reisenden noch weiter verbreiten wird.
Italienische Regierung wankt (schon wieder)
Darum geht es: Italien startet turbulent ins neue Jahr. Luigi Di Maio ist am Mittwoch als Chef der Regierungspartei Cinque Stelle zurückgetreten. Der Chef der rechtsextremen Lega, Matteo Salvini, soll vor Gericht gestellt werden. Und vor den wichtigen Regionalwahlen in der Region Emilia-Romagna protestieren Zehntausende Menschen gegen Salvinis Partei.
Warum das wichtig ist: Bei den Wahlen im März 2018 waren die Cinque Stelle stärkste Kraft Italiens – seither geht es nur noch bergab. «Egal, ob wir mit der Lega oder dem PD [den Sozialdemokraten] regieren», sagte Di Maio unlängst frustriert, «wir verlieren Stimmen.» Letzten Sommer zerbrach die Koalition mit der Lega – nun droht der Koalition mit den Sozialdemokraten dasselbe Schicksal. Di Maio bleibt vorerst Aussenminister. Er ist aber politisch so geschwächt, dass er die Selbstzerfleischung seiner Partei kaum noch bremsen kann. Seit Anfang Woche zeichnet sich derweil ab, dass sich Matteo Salvini für seine Amtszeit als Innenminister vor Gericht verantworten muss. Die zuständige Senatskommission stimmte für die Aufhebung seiner Immunität. Hintergrund ist die tagelange Odyssee des Küstenwachenschiffs Gregoretti. Salvini hatte das Schiff mit aus Seenot geretteten Migranten tagelang nicht an Land gehen lassen.
Was als Nächstes geschieht: Dieses Wochenende wählt die Region Emilia-Romagna. Die Cinque Stelle dürften gemäss den Umfragen eine weitere Wahlniederlage einfahren. Salvinis Lega könnte dagegen in der traditionell sozialdemokratischen Hochburg massiv zulegen. Ob Salvinis Immunität definitiv aufgehoben wird, entscheidet der Senat im Februar. Bei einer Verurteilung dürfte Salvini kein politisches Amt mehr bekleiden.
Brasilien klagt Top-Journalisten an
Darum geht es: Die brasilianische Bundesanwaltschaft hat vergangenen Dienstag Anklage erhoben gegen den Investigativjournalisten Glenn Greenwald. Der in Brasilien lebende Amerikaner soll Menschen dazu angestiftet haben, die Handys von hochrangigen Beamten zu hacken, so der Vorwurf. Den Behörden lägen Tonaufnahmen vor, die dies bewiesen. Nebst Greenwald sind sechs weitere Personen angeklagt, alles angebliche Hacker.
Warum das wichtig ist: Pulitzerpreisträger Glenn Greenwald und seine Kollegen hatten 2019 in einer mehrteiligen Serie in dem von ihm mitgegründeten Investigativmagazin «The Intercept» über die «Operation Autowäsche» berichtet, den grössten Korruptionsfall in der Geschichte Brasiliens. Laut den Berichten soll sich der damalige Ermittler und heutige brasilianische Justizminister Sérgio Moro gegen den Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva verschworen haben und ihn schliesslich an einer erneuten Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2018 gehindert haben. Das Magazin hat Chatnachrichten veröffentlicht, die Moro belasten. Dessen Plan ging schliesslich auf, die Wahl gewann der ultrarechte Jair Bolsonaro, der Moro kurzerhand zum Justizminister ernannte. Die Berichte des «Intercept» führten derweil im November 2019 zur vorzeitigen Entlassung des Inhaftierten Lula da Silva. Die jetzige Anklage gegen Greenwald sorgte für einen internationalen Aufschrei. Politiker, Journalistinnen und Pressevereinigungen verurteilten den Schritt als Angriff auf die Pressefreiheit. Der «Intercept» bezeichnet die Anklage in einem Statement als «offenkundig politisch motiviert». Erst vor zwei Monaten habe eine Untersuchung der Bundesanwaltschaft ergeben, dass sich Greenwald keiner kriminellen Handlung schuldig gemacht habe.
Was als Nächstes geschieht: Glenn Greenwald wurde bisher nicht verhaftet. Zuerst muss Richter Ricardo Leite die Anklage prüfen und über das weitere Vorgehen entscheiden. Es gibt keine Deadline für den Entscheid.
Libyen-Gipfel bringt zaghafte Fortschritte
Darum geht es: Am Wochenende trafen sich die libyschen Bürgerkriegsparteien, Vertreterinnen von internationalen Organisationen und Vertreter einer ganzen Reihe in den Konflikt verwickelter Länder in Berlin. Unter anderem nahmen der türkische und der russische Präsident sowie Staats- und Regierungschefs mehrerer arabischer und europäischer Staaten teil. Die deutsche Kanzlerin hatte zum Gipfel geladen mit dem Ziel, eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern. Die Teilnehmer einigten sich auf die Einhaltung des Uno-Waffenembargos und sicherten ein Ende der militärischen Unterstützung für die Bürgerkriegsparteien zu. Verletzungen eines Waffenstillstands sollen sanktioniert werden.
Warum das wichtig ist: In Libyen ist nach dem Sturz und der Tötung des langjährigen Machthabers Muammar al-Ghadhafi 2011 ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Nach den Parlamentswahlen 2014 zerbrach das Land in verschiedene Teile, da islamistische Rebellen ihre Wahlniederlage nicht anerkennen wollten und die Macht in der Hauptstadt Tripolis an sich rissen. Die Regierung von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj ist international anerkannt, kontrolliert heute aber nur noch kleine Gebiete rund um Tripolis im Westen des Landes. Gegen Sarraj kämpft der General Khalifa Haftar mit seinen Verbündeten, die weite Teile des ölreichen Landes beherrschen und unter anderem von Russland, Ägypten und der Türkei unterstützt werden. Zuletzt waren sich europäische Regierungen uneins, auf welchen Machthaber sie setzen wollen – vor allem auch, um im zerfallenen Staat die Weiterreise von Flüchtlingen nach Europa zu verhindern. Neben den geopolitischen Verstrickungen vieler Staaten bleibt der grösste Knackpunkt im Friedensprozess die innerlibysche Aussöhnung: Am Gipfel im deutschen Kanzleramt kam es zu keinen direkten Gesprächen zwischen General Haftar und Ministerpräsident Fayez al-Sarraj.
Wie es weitergeht: Anfang Februar sollen in Deutschland vier neue Arbeitsgruppen ihre Arbeit aufnehmen, die eine friedliche Zukunft Libyens ermöglichen sollen. Dabei geht es um Sicherheit, die Wirtschaft, den politischen Prozess hin zu einer Regierungsbildung für ganz Libyen sowie um humanitäre Hilfe. Konkrete Pläne, den Waffenstillstand und das Waffenembargo mit einer Uno-Mission zu überwachen oder durchzusetzen, existieren noch keine.
Saudischer Kronprinz hackt Amazon-Gründer
Darum geht es: Am Mittwoch forderten Experten der Uno eine Untersuchung des Telefonhacks von Amazon-Gründer und CEO Jeff Bezos. Sie seien «schwer besorgt» über Informationen, die ihnen vorlägen, wonach der Whatsapp-Account des saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman für den Spionageangriff genutzt worden sei. Es gebe Hinweise, dass versucht wurde, «die Berichterstattung der ‹Washington Post› über Saudiarabien zu beeinflussen, wenn nicht kaltzustellen». Bezos hatte die Zeitung im Jahr 2013 gekauft. Saudiarabien wies die Vorwüfe als «absurd» zurück.
Warum das wichtig ist: Im Oktober 2018 wurde der saudische Dissident und «Washington Post»-Journalist Jamal Khashoggi von saudischen Agenten in der Türkei ermordet. Es gilt als äusserst wahrscheinlich, dass Kronprinz bin Salman den Mord in Auftrag gab oder mindestens im Vorfeld davon wusste. Er bestreitet das vehement. Die «Washington Post» berichtet immer wieder hartnäckig über das Verbrechen. Gemäss den Uno-Experten hatten Bezos und bin Salman bereits im April 2018 Telefonnummern ausgetauscht. Im Mai sei von bin Salmans Telefon ein Video mit Spionagecode an Bezos geschickt worden. Kurz vor und zwei Monate nach der Ermordung Khashoggis habe bin Salman Nachrichten geschickt, die auf intime und vertrauliche Aspekte aus Bezos’ Privatleben Bezug nahmen. Lange verstand es bin Salman, sich im Westen als Modernisierer und weltgewandten Monarchen zu inszenieren. Mit dem von ihm geleiteten Krieg im Jemen begann dieses Bild zu bröckeln. Der Khashoggi-Mord und nun die Spionagevorwürfe beschädigen es weiter.
Wie es weitergeht: Die Uno-Experten rufen zu einer lückenlosen Untersuchung der Vorwürfe auf. Auch dazu, wie der Kronprinz «bereits seit Jahren konstant, direkt und persönlich in Angriffe auf gefühlte Gegner involviert sei».
Was sonst noch wichtig war
Niederlande: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag ordnete gegenüber Burma an, sofortige Schutzmassnahmen für die verfolgten Rohingya zu erlassen. Damit gab das höchste Uno-Gericht einer Klage Gambias statt.
USA: Am Mittwoch hat der Impeachment-Prozess im Senat begonnen. Die Impeachment Managers der Demokraten haben in den ersten Tagen ihre Anklage gegen Präsident Trump dargelegt.
Deutschland: Das Bundesinnenministerium hat die rechtsextreme Gruppe «Combat 18» verboten. Am Donnerstag kam es in mehreren deutschen Städten zu Hausdurchsuchungen.
Grossbritannien: Der Brexit am 31. Januar ist so gut wie beschlossen. Es fehlen nur noch die königliche Unterschrift – und die EU-Ratifikation.
Deutschland: Der mutmassliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke soll für die AfD aktiv gewesen sein. Das zeigen Recherchen des NDR.
Australien: Während des Flugs über die andauernden Buschbrände ist ein Löschflugzeug abgestürzt. Die Besatzung, drei amerikanische Feuerwehrmänner, hat den Absturz nicht überlebt.
Griechenland: Die Richterin Katerina Sakellaropoulou hat eine historische Wahl gewonnen. Das Parlament hat sie am Mittwoch zur ersten Präsidentin Griechenlands gewählt.
Zum Schluss: Skandal? Fanal? Legal!
Es war die Enthüllungsgeschichte des Wochenendes, und sie hallt bis heute nach: Eine «Alleskönner»-Software namens Clearview kann angeblich eine Datenbank mit über drei Milliarden Personenfotos durchsuchen – und innert Hundertstelsekunden jede Person identifizieren. Möglich ist dies dank eines ausgefeilten Gesichtserkennungs-Algorithmus. Die Datenbank wird mit allen öffentlich verfügbaren Social-Media-Bildern gefüttert. Clearview werde derzeit von 600 Strafverfolgungsbehörden in den USA eingesetzt. Die Empörung über die Recherche der «New York Times» ist einerseits verständlich. Sie verwundert aber auch: Denn es gibt bereits bekannte Beispiele solcher Gesichtserkennungstechnologie. Die von der Republik publik gemachte Ekin-Software, die russische App FindFace, aber auch die Google-Bildersuche zeigen, dass dank 3-D-Visionierung und mathematischen Modellen solche Bilderabgleiche blitzschnell möglich sind. Im Grunde handelt es sich bei Clearview also nicht um eine Wundersoftware, sondern einfach um eine Bildersuchmaschine. Und damit arbeiten Polizeibehörden schon länger. Wirklich erschreckend ist vielmehr: Das europäische Datenschutzgesetz, die DSGVO, schützt nicht vor solchen Personenerkennungsmaschinen. Clearview wäre also auch in Europa legal.
Die Top-Storys
Wie der Vater … Jürg Läderach, Inhaber und Verwaltungsratspräsident des Schweizer Schokoladenherstellers Läderach, ist im Herbst wieder in die Schlagzeilen geraten. Zusammen mit dem Läderach-Kassier organisierte der Evangelikale den «Marsch fürs Läbe» mit, eine Demo von Abtreibungsgegnern. Aktivisten riefen zum Boykott der Firma auf. Sein Sohn Johannes Läderach, seit 2018 CEO von Läderach, gab diese Woche erstmals ein Interview in der NZZ. Sein kläglicher Versuch, Fremdbestimmung als freie Meinungsäusserung zu verkaufen, schmeckt bitterer als die dunkelste Schokolade.
Der lange Schatten von 9/11 15 der 19 Terroristen der Anschläge vom 11. September 2001 waren saudische Staatsbürger. Bis heute ist ungeklärt, ob der saudische Staat im Vorfeld Hinweise auf das Attentat hatte – oder sogar involviert war. Das «New York Times Magazine» erzählt, wie ein FBI-Team jahrelang untersuchte, ob einer der engsten Verbündeten der USA bei dem schlimmsten Terroranschlag der US-Geschichte die Hände im Spiel hatte.
Ein M für deine Daten Gutscheine für dich, Daten für uns – dass auch die Migros Vorteile aus ihrer Cumulus-Karte zieht, ist bekannt. Doch verlässt sich der orange Riese bei weitem nicht nur auf seine Kundenkarte. Wie der Konzern sonst noch unsere Daten absaugt und wo er damit an gesetzliche Grenzen stösst, hat die «Wochenzeitung» zusammengefasst.
25 Years After Sunrise Ein junger Amerikaner und eine Französin treffen sich im Zug und verbringen gemeinsam einen Tag in Wien. Der Plot des Films «Before Sunrise» klingt eigentlich zu simpel für die wunderbare Geschichte, die er strickt. 25 Jahre nach der Premiere am Sundance Film Festival (das übrigens gerade läuft) hat die «New York Times» Macher und Schauspielerinnen zusammengetrommelt. Ein wunderschönes Wiedersehen, bei dem man zu gerne dabei gewesen wäre.
Illustration: Till Lauer