Zehn Erkenntnisse zum CO2-Fussabdruck
Was für den Klimaschutz wirklich nützt.
Von Andreas Moor und Simon Schmid, 09.01.2020
«Ich fliege zwar in die Ferien», sagte eine Passagierin am Flughafen Kloten anlässlich einer Umfrage im letzten Sommer zu einer Zeitung. «Aber dafür benutze ich für meine Einkäufe stets wiederverwendbare Tragtaschen.»
Aussagen wie diese haben uns dazu veranlasst, das Klimagame zu programmieren: einen Simulator, der aufzeigt, welche individuellen Handlungen dem Klima wirklich etwas bringen – und welche anderen Dinge zwar gut gemeint sind, aber eben eine viel kleinere Bedeutung haben.
Die Unterschiede sind frappant, wie zwei Beispiele zeigen:
Wer seine Wäsche statt im Tumbler an der Leine trocknet, so wie es in manchen Klimaratgebern empfohlen wird, handelt damit sicher nicht falsch – doch die Klimawirkung davon ist etwa hundertmal geringer, als wenn jemand vom Benziner aufs Elektroauto umsteigt.
Beim Einkaufen keine Papier- und Plastiktüten zu verwenden, so wie es die befragte Flugpassagierin tut, ist zweifellos vorbildlich. Doch man spart damit bloss einen Bruchteil der Treibhausgasemissionen, die ein Flug innerhalb von Europa oder sogar nach Übersee verursacht.
Wer ernsthaft etwas Gutes fürs Klima tun will, kommt nicht darum herum, sich mit solchen Vergleichen auseinanderzusetzen. Die Grössenordnungen zu vermitteln, um die es dabei geht, ist das Hauptziel unseres Klimagames.
Hier sind die zehn wichtigsten Erkenntnisse aus dem Spiel.
1. Ja, es geht!
Die Aufforderung im Klimagame lautet: Reduzieren Sie Ihren CO2-Footprint um die Hälfte! Wie sich am Ende herausstellt, ist dies durchaus möglich.
Ja – man kann den CO2-Fussabdruck tatsächlich um die Hälfte verringern!
Das gilt für zwei der drei Profile im Spiel ebenso wie für die Schweizer Durchschnittsperson. Diese ist gemäss WWF für 13,5 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr verantwortlich (andere Treibhausgase sind dabei inbegriffen).
Eine Reduktion auf 6,75 Tonnen ist machbar: Sie erfordert teils einen Technologieumstieg (bei der Mobilität und im Wohnbereich) und teils Änderungen des Lebensstils (beim Essen, beim Konsum, beim Fliegen).
Am einfachsten ist die Aufgabe für Autofahrerinnen und Vielflieger, wie die beiden Spielerprofile «Städterin» und «Berufstätige» zeigen. Bis zu 70 Prozent CO2-Reduktion sind für sie möglich und vertretbar. Für eine Familie, die nicht viel konsumiert und wenig reist, ist die Sache schwieriger; der Anfangs-Footprint ist bereits gering. Mit gutem Willen sind aber auch hier 40 Prozent machbar.
2. Mobilität schenkt ein
Generell am einfachsten sind Einsparungen bei der Mobilität. Hier werden durchschnittlich etwa 30 Prozent der Emissionen erzeugt, hauptsächlich durchs Autofahren und Fliegen. Wer sich hier einschränkt oder ein anderes Mittel wählt, erzielt mit wenigen, gezielten Handlungen eine grosse Wirkung.
Zählt man ausgehend vom Durchschnittsprofil gemäss WWF die möglichen, maximalen Massnahmen je nach Bereich zusammen, so zeigt sich: Bei der Mobilität lässt sich mit rund 4 Tonnen jeweils doppelt so viel CO2 einsparen wie beim Wohnen, beim allgemeinen Konsum und bei der Ernährung.
Die Mobilität ist also der grösste individuelle Hebel beim Klimaschutz.
3. Fliegen fällt besonders ins Gewicht
Das zeigt sich am Profil der «Städterin» sehr deutlich. Ihre diversen Flüge nach Rio de Janeiro, New York, Island und Berlin machen über ein Drittel des ursprünglichen CO2-Fussabdrucks aus: 6,7 Tonnen. Entsprechend stark fällt es ins Gewicht, wenn die «Städterin» einige dieser Flüge nicht antritt.
Natürlich jettet nicht jedermann so intensiv um den Globus. Doch auch bei Herrn und Frau Durchschnittsschweizerin gilt: Ein weiter Überseeflug, etwa nach Bali, übersteigt rasch ein Drittel des CO2-Fussabdrucks. Deshalb ist der Flugverzicht nicht nur für Stadtbewohner, sondern für die meisten Leute die Klimamassnahme mit dem grössten unmittelbaren Nutzen überhaupt.
4. Elektroautos lohnen sich
Das zeigt sich beim «Berufstätigen» – dem Profil mit dem anfänglich grössten CO2-Footprint. Bei ihm trägt das Auto mit 5,6 Tonnen fast ein Viertel zum Gesamtausstoss bei. Mit dem Umstieg auf ein E-Auto lässt sich die Last auf 1,6 Tonnen schmälern – eine deutliche Reduktion des Footprints, die zum Vergleich etwa so viel wert ist wie der Verzicht auf 2 New-York-Flüge.
Besser wäre es natürlich, gar kein Auto zu haben – und stattdessen die öffentlichen Verkehrsmittel oder das Fahrrad zu benutzen. Das illustriert eine Aufstellung der möglichen Mobilitätsmassnahmen ausgehend vom Durchschnittsprofil: Wer 0 statt 10’000 Kilometer pro Jahr fährt, spart damit fast 1,9 Tonnen CO2 ein – und damit noch etwas mehr als die 1,4 Tonnen pro Jahr, die der Wechsel aufs E-Auto der Durchschnittsschweizerin bringt.
Nicht immer geht es also beim Klimaschutz um Verzicht – oder darum, dass Leute in ihrer Wohnung «frieren» müssten, wie Politkampagnen suggerieren. Ebenso oft geht es um Investitionen und um technologische Umrüstung.
5. Entscheidend ist die Heizung I
Die «Familie» ist das einzige Profil, das im eigenen Haus lebt. Entsprechend viele Möglichkeiten bieten sich hier für CO2-Reduktionen im Wohnbereich.
Als effektivste Massnahme stellt sich die Installation einer Wärmepumpe heraus. Fossile Heizungen zu ersetzen, hat deshalb eine hohe Priorität. Doch auch die Energiesanierung von Fassade, Estrich und Keller hilft. Unsere vierköpfige Familie, deren Haus vor 1980 gebaut wurde, spart mit diesen beiden Massnahmen zusammen rund 7,5 Tonnen CO2 ein – und zwar Jahr für Jahr. Das entspricht der Hälfte ihrer gesamten Emissionen im Wohnbereich.
Auf den Niedrigstenergiestandard Minergie P, der nebst einer extrem guten Wärmedämmung auch eine kontrollierte Belüftung voraussetzt, kommt man mit einer einfachen Sanierung zwar noch nicht. Diesen Standard wird es nach Aussagen von WWF-Experte Christoph Meili dereinst praktisch flächendeckend brauchen, damit die Schweiz das Ziel von netto null Emissionen erreicht. Eine Investition in die Gebäudehülle lohnt sich also insbesondere dann, wenn der sanierte Teilbereich den Anforderungen von Minergie P entspricht und so längerfristig das gesamte Gebäude nach diesem Standard saniert werden kann. Eine fachliche Beratung wird hier empfohlen.
6. Entscheidend ist die Heizung II
Auch Mieterinnen müssen, was das Wohnen anbelangt, nicht untätig bleiben. Wer wie die «Städterin» in einer nicht ganz neuen, aber geräumigen Wohnung lebt, verursacht damit zwischen 5 und 6 Tonnen CO2 pro Jahr. Im persönlichen CO2-Fussabdruck ist dies ein Posten von 20 bis 25 Prozent.
Reduzieren lässt er sich auf verschiedene Weise. Entweder man zieht in eine modernere Wohnung ein, sofern man eine findet. Oder man reduziert den eigenen Platzbedarf – beispielsweise, indem man die Wohnung mit einer zweiten Person teilt. Je nach Ausgangslage lassen sich damit bis zu 4 Tonnen CO2 einsparen, was zwei Dritteln der Emissionen im Wohnbereich entspricht.
Wer weder umziehen kann, noch Platz sparen will, hat last, but not least die Möglichkeit, dem Vermieter einen Brief zu schreiben – und ihn aufzufordern, den Ersatz der fossilen Heizung in Betracht zu ziehen. Hier finden Sie einen Musterbrief. Damit würde auf einen Schlag nicht nur der persönliche Fussabdruck verbessert, sondern gleich jener aller Mieter im selben Haus.
7. Stromverbrauch ist sekundär
Nochmals: Entscheidend beim Wohnen ist, wie viel Öl und Gas fürs Heizen verfeuert wird. Vergessen Sie also für einen Moment die LED-Leuchtmittel und das Wäschetumblern. Sicher: Es ist sinnvoll, alte Glühbirnen zu ersetzen oder nasse Kleider an der Leine aufzuhängen, statt elektrisch zu trocknen.
Aber man muss sich bewusst sein, dass man dadurch keinen grossen Klimabeitrag leistet. Im Vergleich zur CO2-Einsparung, den etwa der Einbau einer nicht fossilen Heizung bringt – rund 1 Tonne –, ist der Nutzen dieser Massnahmen ziemlich gering. Effiziente Elektrogeräte sparen gerade einmal 24 Kilogramm CO2 pro Jahr, energieschonendes Wäschewaschen nur 18 Kilogramm CO2.
Das ist so, weil der Schweizer Strom bereits sehr klimaschonend ist: Er stammt zum Grossteil aus Wasser- und Atomkraft. Weniger davon zu verbrauchen, ist vor allem auf die lange Sicht wichtig: im Hinblick darauf, dass in den nächsten Jahrzehnten einiges an Atomstrom wegfallen wird.
Doch kurzfristig bringen individuelle Stromsparmassnahmen dem Klima nur wenig. Der persönliche CO2-Fussabdruck schrumpft dadurch kaum.
8. Beim Konsum zählt jeder Franken
Einschneidender sind andere Dinge. Etwa der Konsum: Praktisch mit jedem Gegenstand, den wir im Alltag kaufen, und mit jeder Dienstleistung, die wir beziehen, sind Treibhausgasemissionen verbunden. Sie fallen bei der Herstellung, beim Transport, beim Verkauf, bei der Nutzung und bei der Entsorgung an.
Mit jedem Franken, den wir für ein Sofa, ein neues Handy, einen Besuch im Kino, einen Tennisschläger oder eine Hotelübernachtung ausgeben, werden also irgendwo Ressourcen verbraucht, Gegenstände transportiert und Räume beheizt. Typischerweise trägt dies gut ein Fünftel zum CO2-Footprint bei.
Reduzieren lässt sich dies, indem man Geld bewusster ausgibt – und einen hochwertigen Pullover statt zwei billige Teile kauft, die man bald wieder wegwirft –, oder indem man schlicht und einfach weniger Geld ausgibt. Wer pro Monat etwa 50 statt 250 Franken für Hotels und Restaurantbesuche ausgibt, reduziert seinen CO2-Footprint damit um 540 Kilogramm.
Man kann dies als «Verzicht» bezeichnen und sich als ökologisch gesinnter Mensch so ein paar Karmapunkte gutschreiben. Oder man kann die Sache auch ganz konservativ betrachten – und sich an der Tatsache erfreuen, dass Geldsparen oft auch Klimaschutz bedeutet. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass Joggen in der Natur weniger kostet als auf dem Laufband im Fitnesscenter.
9. Im Fokus der Ernährung stehen Tiere
Der grösste Klimafaktor an der Ernährung sind tierische Produkte. Das zeigt sich am Profil des «Berufstätigen»: Wer vom Käse- und Fleischliebhaber zum Veganer mutiert, reduziert den CO2-Ausstoss um etwa 2 Tonnen. Das entspricht über der Hälfte der Emissionen im Bereich der Ernährung. Beim Durchschnittsprofil ist die Ersparnis mit 1,2 Tonnen etwas geringer.
Damit ist das Klima zwar noch nicht gerettet – doch es ist ein signifikanter Beitrag. Wer nicht ganz auf Milchprodukte und auf das besonders schädliche Rind- und Lammfleisch verzichten mag, kann immerhin versuchen, mehr Bioprodukte und saisonales Gemüse zu essen sowie weniger Essen in den Müll zu werfen. Das vermeidet zusammengezählt rund 800 Kilogramm CO2.
Wer bei der Ernährung hohe Achtsamkeit an den Tag legt, muss also nicht zwingend zum Puritaner werden. Ökologisch sinnvoller Genuss ist möglich.
10. Individuelles Handeln hat seine Grenzen
Allein dadurch, dass man in der Schweiz lebt, die hiesigen Strassen benutzt, Polizei und Militär mitfinanziert und von öffentlichen Dienstleistungen wie den Spitälern profitiert, ist man für gewisse CO2-Emissionen verantwortlich.
Gemäss der Berechnungsmethode des WWF, die dem Klimagame zugrunde liegt, macht dieser Sockelbeitrag rund 1,3 Tonnen und damit ungefähr ein Zehntel des durchschnittlichen CO2-Fussabdrucks aus. Reduzieren lässt sich dieser Beitrag durch individuelles Handeln kaum – entscheidend für den Fortschritt im öffentlichen Sektor sind kollektive, politische Entscheide.
Ähnliches gilt für die Privatwirtschaft. Auch hier ist der Einfluss des Individuums begrenzt. Als Konsument kann man sich zwar für oder gegen ein Elektroauto entscheiden – doch die Rahmenbedingungen, unter denen dieser Entscheid gefällt wird, werden massgeblich von aussen bestimmt: Welche Modelle sind überhaupt im Angebot? Wie viel kosten sie? Wie teuer ist Strom, wie teuer ist Benzin? Wie gut ist die Ladeinfrastruktur ausgebaut? All dies hängt stark davon ab, inwiefern sich die Politik für Verbesserungen im Klimaschutz interessiert und inwiefern die Unternehmen diese mittragen.
Selbst mit der klimaschonendsten Ernährungsweise, der eingeschränktesten Mobilität, der ökologischsten Wohnform und dem minimalsten Konsum lässt sich der CO2-Fussabdruck momentan nur um 80 Prozent reduzieren. Gut 3 Tonnen bleiben als Restwert immer. Das unterstreicht: Klimaschutz ist eine Herausforderung, die das Individuum nicht allein meistern kann.
Sind Sie neugierig geworden? Hier gehts zur interaktiven Simulation.
Das Klimagame basiert zu weiten Teilen auf dem Footprint-Rechner des WWF.
Die Grafiken in diesem Begleittext basieren auf dem Durchschnittsprofil, das der WWF für die Gesamtbevölkerung berechnet hat. Sie geben jeweils an, welcher Reduktionsbeitrag pro Bereich respektive mit einer Einzelmassnahme möglich ist. Das Durchschnittsprofil lässt sich teils durch konkrete Annahmen beschreiben (zum Beispiel: 10’000 Kilometer Autofahrt pro Jahr mit einem 7,5-Liter-Auto), teils liegen ihm Mischwerte zugrunde (etwa beim CO2-Ausstoss durch die Heizung).
Wer in einem bestimmten Bereich einen grösseren CO2-Fussabdruck hat als das Durchschnittsprofil (zum Beispiel legt der «Berufstätige» über 30’000 Kilometer im Auto zurück), hat dort entsprechend auch ein grösseres Reduktionspotenzial.