Österreichs grünes Feuerwällchen

Zum ersten Mal sitzen in Österreich die Grünen auf der Regierungs­bank. Und das ausgerechnet neben dem Populisten­versteher Sebastian Kurz. Kann das gut gehen? Vor allem für sie?

Eine Analyse von Solmaz Khorsand, 07.01.2020

Patriotismus ist dieser Tage en vogue in Österreich. Selbst in linken Kreisen. Zum Wohle des Landes gilt es pragmatisch zu sein. Das grosse Ganze im Auge zu behalten. Nicht immer alles schlechtzureden. Einfach einmal abzuwarten. Schliesslich passiert gerade Historisches. Die ganze Welt schaut auf Österreich. Und zum ersten Mal seit langer Zeit nicht wegen antisemitischer Rülpser oder Regierungs­mitgliedern, die in einer spanischen Villa die Republik verscherbeln wollen, sondern wegen einer politischen Premiere. Österreich wagt sich an ein «Experiment», eines, das womöglich richtungsweisend sein kann für ganz Europa. Und dieses Mal zeigt die Richtung zur Abwechslung nicht nach ganz rechts.

Seit heute, dem 7. Januar, wird Österreich von den Grünen mitregiert. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass die Partei auf der Regierungs­bank Platz genommen hat.

Ausgerechnet die Partei, die 2017 aus dem Parlament flog, stellt nun mit ihrem Sprecher Werner Kogler den Vizekanzler und mit den Ministerien Umwelt, Justiz und Soziales insgesamt 3 von 13 Ministern. Mit Justiz­ministerin Alma Zadić, noch dazu die erste Ministerin mit Migrations­hintergrund, noch dazu ein ehemaliges Flüchtlings­kind, das mit seiner Familie 1994 aus Bosnien floh.

Premieren über Premieren.

Trotzdem. Die Euphorie hält sich in Grenzen. Gross ist die Angst, als grünes Feigenblatt des Koalitions­partners ÖVP und ihrer Heilsfigur Sebastian Kurz die Glaubwürdigkeit zu verlieren. «Orban gardening», twitterte der Publizist Robert Misik, sobald die ersten Punkte des Regierungs­programms durchsickerten, «wir haben also eine national-ökologische Regierung», die Journalistin Barbara Tóth.

Wie grün wird Österreichs Politik in den nächsten fünf Jahren tatsächlich sein? Und vor allem: Was heisst «grün» dann noch?

Rechtsextreme Schnöselpartie vs. dogmatisierende Grünmoralisten

Tiefgrün kann die nächste Regierung gar nicht sein, denn gross ist der Platz neben dem Koalitions­partner ÖVP auf der Regierungs­bank nicht. Als viertstärkste Kraft gingen die Grünen aus den Neuwahlen am 29. September hervor, nachdem das Ibiza-Video das Ende der Koalition zwischen rechtskonservativer ÖVP und rechtspopulistischer FPÖ eingeläutet hatte.

Klarer Sieger war Alt- und jetzt wieder Kanzler Sebastian Kurz. 37,5 Prozent der Wähler haben ihm und der ÖVP, den Türkisen, ihre Stimme gegeben. Tagelang wurde gemunkelt, ob er mit so einem Ergebnis nicht den «Kreisky» machen werde. Bruno Kreisky, die Galions­figur der österreichischen Sozial­demokratie, regierte von 1970 bis 1983 allein ohne Koalitions­partner, das erste Jahr noch als von der FPÖ geduldete Minderheits­regierung. Schon 1971 rief Kreisky Neuwahlen aus und bekam für die SPÖ die absolute Mehrheit. Ähnliches traut man Umfragen-Kaiser Kurz zu. Jede Regierungs­konstellation scheint nur ein Boxenstopp zu sein auf dem Weg zum nächsten, noch grösseren Wahltriumph, der eine Zusammen­arbeit mit dem politischen Gegner – egal welcher Couleur – noch obsoleter macht.

Jetzt heisst der Boxenstopp «Grün-Türkis». Eine historische Allianz. «Hie die ‹nahezu rechtsextreme Schnöselpartie›, da die ‹alles besser wissenden dogmatisierten Grünmoralisten›», hat der ehemalige ÖVP-Klubobmann Andreas Khol die zwei Pole charakterisiert beziehungsweise das Bild, das vom jeweils anderen vorherrschte, als er schon im Verhandlungsteam sass; als 2003 zum ersten Mal die Möglichkeit einer Koalition zwischen ÖVP und Grünen ausgelotet wurde. Damals wurden die Verhandlungen nach zehn Tagen abgebrochen. Zu viel Widerstand von der grünen Basis, zu wenig Entgegen­kommen von der ÖVP. Wolfgang Schüssel, der damalige ÖVP-Chef, koalierte ein zweites Mal mit der FPÖ.

Dieses Wagnis wollte sein politischer Ziehsohn Kurz nicht eingehen. Ein zweites Mal mit der FPÖ, den Blauen, zu koalieren, deren Obmann Heinz-Christian Strache mittlerweile aus der Partei ausgeschlossen wurde und wahrscheinlich mit einer eigenen Liste bei der Wien-Wahl dieses Jahr antreten will, hätte vielleicht sogar Kurz geschadet. Dann doch lieber die «dogmatisierten Grünmoralisten», die mit ihrem Stimmen­anteil von 13,9 Prozent ohnehin nur einen begrenzten Verhandlungs­spielraum haben.

Grüne Gegenbewegung gegen rechtspopulistische Mitteparteien

Frenetisch wurde Werner Kogler von der grünen Anhängerschaft für dieses Ergebnis bejubelt. Mit seiner Sonnenbrille stand er am Wahlabend im September keck auf der Bühne im «Metropol», einem Wiener Kabarett­lokal, und liess sich feiern. Kogler, 58, studierter Volkswirt, immer etwas zerknautscht und unfrisiert, dessen Antworten mehr aus dem Bauch als von Spin­doktoren zu kommen scheinen, war ursprünglich der Mann aus der zweiten Reihe. Mit dem Wahldebakel von 2017, als die Grünen mit 3,8 Prozent der Stimmen aus dem Nationalrat flogen, rückte er nach vorne, als Masseverwalter einer Partei, die am Ende zu sein schien. Mitarbeiterinnen mussten gekündigt werden, Bürozentralen geräumt, Schulden getilgt.

Doch zwei Jahre später feiern die Grünen ihr Comeback, mit dem alten Mann an der Spitze, der selbst bei den stolzen Basis­demokraten längst zur Kultfigur avanciert ist. Kämpferisch zeigte sich Kogler an diesem Wahlabend im Herbst. Der Wahlerfolg sei Teil einer europäischen Gegen­bewegung zum «rechtsextremen Wahnsinn» und gegen «angebliche Mitteparteien, die sich im Auftritt längst rechts­populistisch verhalten» würden. Österreich könne auch mit so einem Exemplar aufwarten. «Er hat nur das Koordinaten­system verschoben bekommen und nicht entdeckt, dass das eine rechts-rechtsextreme Politik ist und wir eigentlich von einer blau-blauen Bundesregierung heimgesucht wurden», sagte Kogler in Richtung Wahlsieger Sebastian Kurz.

Reduziert auf den Stumpf

Nun, knapp drei Monate später, ist Kogler Vizekanzler von dessen Regierung. Es ist viel von Risiko die Rede. Von Wagnis. Und von Verantwortung. Zum Spass geht kein Grüner diese Koalition ein, lautet die Botschaft. «Aus Verantwortung für Österreich» heisst auch das 326 Seiten dicke Regierungsübereinkommen. Als grüne Leuchtturm­projekte werden das Klimaschutz­paket und die Transparenz­initiative genannt. So soll etwa das Amtsgeheimnis abgeschafft werden (jene in der Verfassung verankerte österreichische Eigenart, dass Amtsträger den Bürgern keine Informationen über das Gebaren der österreichischen Behörden geben müssen). Die Informations­freiheit soll gesetzlich verankert werden, womit Bürgerinnen in Zukunft Informationen von staatlichen Stellen einklagen können. Der Rechnungshof darf die Partei­finanzen prüfen, und die Strafen bei Überschreitung der Wahlkampf­kosten werden erheblich erhöht.

In der Klimafrage ist neben zahlreichen Einzel­massnahmen zur Senkung des CO2-Ausstosses und zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen eine ökosoziale Steuer­reform vorgesehen, unter anderem eine Flugticket­abgabe von 12 Euro. Das Kernstück der Reform – eine CO2-Bepreisung – soll eine «Task-Force» 2022 angehen.

Schon bei der Präsentation des Regierungs­programms läuteten bei grünen Parteimitgliedern und Sympathisanten die ersten Alarmglocken. Für die Umwelt und die Transparenz seien die Grünen gewählt worden, das sei der Auftrag der Wähler, und deshalb sei die grüne Handschrift auch bei diesen Themen besonders stark herauszulesen, behaupteten Kurz und Kogler staatsmännisch. Tatsächlich? Wurden die Grünen dafür gewählt? Ist das neue Grün das alte Grün von 1986, als die Partei das erste Mal ins österreichische Parlament zog und sich vor allem als Öko-Bewegung definierte?

Fast schon Voldemort-mässig haben sich die Grünen nach der Wahl geweigert, einen Teil ihrer DNA beim Namen zu nennen: ihr Commitment zu einer Menschenrechts­politik, die nicht ausschliesslich an die wählende Mehrheits­gesellschaft adressiert ist, sondern sich auch an Minderheiten richtet, von denen vor allem am Wahltag nicht viel zu holen ist – die Migrantinnen und Flüchtlinge.

Sie fallen in die Kategorie «schmerzhafte Kompromisse» des Regierungs­programms. Natürlich seien es bittere Pillen, wenn das Kopftuch­verbot, das bisher für Kindergarten- und Volksschul­kinder galt, nun ausgeweitet werde auf alle Mädchen unter 14 Jahren. Natürlich ist der Passus im Asylkapitel der «Sicherungshaft» – die Präventivhaft potenziell gefährlicher Personen, die noch nichts verbrochen haben – keine grüne Linie.

«Wenn man mehr Klimaschutz will, dann hat das auch seinen Preis», verteidigt Gebi Mair, der Tiroler Grünen-Klubchef, das Programm. «Die Volkspartei hat das verlangt, damit etwa im Klimaschutz mehr geht.» Damit hat die ÖVP ihren Junior­partner schon vor Regierungs­antritt in Ökofragen auf den Stumpf seiner früheren Existenz zurückgestutzt und den Rahmen dessen abgesteckt, was von nun an unter «grüner Politik» verstanden werden kann.

Verhinderte «Grauslichkeiten»

Am Samstag stimmte der Bundes­kongress der Grünen fast unisono für den Regierungspakt. Nur 15 der 276 Delegierten waren dagegen. Glücklich sei man über das Programm nicht, aber es sei eben ein Kompromiss, ein Start und, zugegeben, ein Start mit «Grauslichkeiten», so der Tenor.

Den Skeptikerinnen wird ausgerichtet: besser drinnen als draussen. Denn mit der schieren Präsenz als brustschwacher Koalitions­partner könne man mehr für die Menschen­rechte tun, als indem man wortgewaltig aus der Opposition heraus der ÖVP und der FPÖ beim Arbeiten zusehe. «Wir halten es für notwendig, dass die Rechten und Rechts­extremen ferngehalten werden», mahnte Werner Kogler unmittelbar vor dem Bundes­kongress.

Mit den Grünen in der Regierung könne eine Feuermauer gegen rechtsnationale Fantasien aufgezogen werden, und sei sie mit 13,9 Prozent und 3 Ministern noch so tief. Schon während der Verhandlungen habe man das getan und so manche «Grauslichkeit» der Kurz-Partei verhindern können, tönte ein Delegierter am Bundes­kongress. Allein das solle den Kritikern in den eigenen Reihen zu denken geben. Gebetsmühlenartig appellierten die Delegierten gegenseitig: Ohne uns sitzen wieder die Rechten in den Ministerien, und zwar in allen. «Es macht einen Unterschied, ob Blau oder Grün an der Macht ist. Mehr will ich nicht sagen, aber schon gar nicht weniger», fasste Kogler am Samstag die Dinge zusammen.

In den kommenden fünf Jahren – gesetzt den Fall, diese Kurz-Regierung hält bis zum Schluss – wird dieser Satz in grünaffinen Kreisen zum Standard­repertoire zählen. Man wird sich bei jeder «Grauslichkeit» trösten, dass es diesen wesentlichen Unterschied gibt.

Niemand hat behauptet, dass Historisches monumental sein muss. Manchmal sind es eben nur ein paar Unterschiede. Hierzulande reicht es schon, einmal nicht das Ewiggestrige auf die Regierungs­bank zu holen.