Wie eine Schweizer Bank zu DDR-Millionen kam
Julius Bär muss laut einem Urteil des Zürcher Obergerichts 153 Millionen Franken an den deutschen Staat zahlen. Geld, das einst eine schillernde Wiener Kommunistin vor den deutschen Behörden versteckte.
Von Olivia Kühni, 05.12.2019
Denn die einen sind im Dunkeln
Und die anderen sind im Licht.
Und man sieht nur die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.
Kurz bevor in Berlin im November 1989 die Mauer fiel, war der DDR das Geld ausgegangen. Zumindest offiziell: Die Infrastruktur war verlottert, in den Fabriken gab es Arbeit oft nur noch zum Schein. Doch der innerste Machtzirkel der Sozialistischen Einheitspartei (SED) hatte vorgesorgt: Er verdiente Hunderte Millionen in geheimen Deals mit dem angeblichen Klassenfeind im Westen – und bunkerte das Geld.
Umgerechnet exakt 1,983 Milliarden Euro an Parteivermögen stöberten Ermittler nach dem Ende der DDR in jahrelanger Knochenarbeit auf, wie die zuständige Behörde der Republik meldet. Jetzt kommen noch einmal 153 Millionen Franken hinzu: Die Zürcher Bank Julius Bär muss dem deutschen Staat Vermögen auszahlen, das vor über 25 Jahren bei ihr versteckt wurde. 99 Millionen Franken plus Zinsen von rund 54 Millionen Franken. Das hat das Zürcher Obergericht am Mittwoch entschieden. Das Urteil kann noch an das Bundesgericht weitergezogen werden.
Bei der Bank Bär angelegt und später abgezügelt hatte das Geld einst Rudolfine Steindling, eine Wiener Kommunistin und Geschäftsfrau mit einer Vorliebe für altmodische Chanel-Kostüme. Die Richter fanden nun, die Bank hätte sehen müssen, dass Steindling kein Anrecht auf dieses Geld hatte. Stattdessen stand es dem deutschen Staat zu. Julius Bär muss das Vermögen darum ersetzen, obwohl Steindling es schon vor Jahren abhob.
Damit geht ein Rechtsstreit zu Ende (vorerst, denn das Urteil kann noch vor Bundesgericht gebracht werden), der die Gerichte über Jahre beschäftigt hat.
Und die Geschichte dahinter ist so farbenfroh, dass sie selbst die harten Spezialisten verblüffte, die nach der Wende verschwundenen Stasi-Geldern nachjagten. Sie nannten die Affäre Steindling «einen ausgesprochenen Sonderfall» in ihrem «an Besonderheiten nicht eben armen Leben».
Die Treuhänderin der Kommunisten
Die Österreicherin Rudolfine Steindling, genannt «die Rote Fini», war eine, die die Schattenwürfe des Eisernen Vorhangs besonders lukrativ für sich zu nutzen wusste. Die stets gepflegt und etwas bieder wirkende Dame mit Büros am edlen Wiener Kohlmarkt amtete bereits in jungen Jahren als Treuhänderin der Kommunistischen Partei Österreichs. Das Bankgeschäft hatte sie zuvor bei einer ungarischen Bank in Wien erlernt. «Überaus gescheit» sei Steindling gewesen, sagte später eine deutsche Staatsanwältin, und unter Druck «plötzlich schneidend und knallhart». Ideologisch war Steindling offenbar unerschütterlich: Selbst Jahre nach dem Fall der kommunistischen Ostregimes liess die betagte Geschäftsfrau ihren Wagen angeblich noch immer bei der russischen Schwarzmeer- und Ostsee-Assekuranz versichern.
In den 1970ern jedenfalls begann die knapp 40-jährige «Fini», sich dem obersten DDR-Machtzirkel unentbehrlich zu machen. Diesen exklusiven Zugang nutzte sie, um zwischen westlichen Firmen und der DDR zu vermitteln. Den Westunternehmen konnte sie einen vielversprechenden Zugang zu einem sonst abgeschotteten Markt bieten – und den SED-Obersten einen diskreten Hinterausgang in den Westen.
Wie viele andere profitierte Steindling geschickt von dem Monopol, das der planwirtschaftliche Staat auf jeglichem Handel hielt: Benötigte eine DDR-Fabrik ein Ersatzteil oder einen Rohstoff aus dem Ausland, musste sie diesen Bedarf dem zuständigen Fachministerium melden. Dieses wiederum gab die Aufträge weiter an die sogenannten Aussenhandelsbetriebe, die ihrerseits mit westlichen «Vertreterfirmen» zusammenarbeiteten. Ein für Zwischenhändler finanziell attraktives System, das ganz nebenbei auch noch die politische Macht stabilisierte: Jede Schnittstelle bot Parteimitgliedern und ihren Freunden die Gelegenheit, eine Kommission zu ziehen. Sie betrug üblicherweise jeweils um die vier Prozent des Auftragsvolumens – bei 1 Million Mark beispielsweise also rund 40’000 Mark.
Als Westlerin übernahm Steindling den Part einer Geschäftsführerin einer dieser Vertreterfirmen: der Firma Novum, die sie später schrittweise ganz übernahm. Die umtriebige Steindling war, in Wien ausgezeichnet vernetzt, spezialisiert auf das Geschäft mit österreichischen Unternehmen.
Aber nicht nur.
Steindling hatte ausgezeichnete Kontakte in die Schweiz, lange bevor ihre Millionen den Weg nach Zürich fanden.
Und die Firma Novum war für die DDR-Machtelite weit mehr als nur eine praktische Handelspartnerin, wie sich viele Jahre später herausstellen sollte. Viel mehr.
Rudolfine Steindling und ihre Firma Novum haben bereits vor dem aktuellen Urteil des Zürcher Obergerichts gegen die Bank Julius Bär mehrere Gerichte beschäftigt. Der wichtigste Prozess, da er die Grundlagen für alle weiteren legte, fand in Deutschland statt: Das Berliner Oberverwaltungsgericht stellte 2003 fest, dass die Novum in Wahrheit ein getarnter Betrieb der SED war. Daraufhin schloss Steindling 2009 einen Vergleich mit der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) ab und überliess ihr 106 Millionen Euro, die zu dem Zeitpunkt auf einem ZKB-Konto in Zürich lagen. 2012 verpflichtete das Zürcher Obergericht zwei Banken, die österreichische Bank Austria und die Zürcher AKB Privatbank (eine inzwischen wieder verkaufte Tochter der Aargauischen Kantonalbank AKB), zu einer Zahlung von insgesamt rund 254 Millionen Euro an die BvS. Auch sie hatten Gelder von Novum verwaltet. Insgesamt hat die BvS im Zusammenhang mit Novum bislang rund 350 Millionen Euro zurückbezahlt bekommen, wie die Behörde auf Anfrage der Republik bestätigt. Jetzt kommen also noch einmal 153 Millionen Euro von Julius Bär hinzu. Das Urteil kann noch an das Bundesgericht weitergezogen werden.
Ein Absatzkanal für Ciba-Geigy
Eine von Novums wichtigsten Geschäftspartnerinnen war die Basler Chemiefirma Ciba-Geigy (heute Novartis). Bereits ab 1953 durfte Ciba-Geigy Medikamente, Farben und Agrarchemikalien in die DDR liefern. Das war Jahre vor Steindlings Einstieg. Doch erst sie brachte das Geschäft wirklich in Schwung: «Die Geschäftstätigkeit steigerte sich ab Anfang der 70er-Jahre erheblich», stellte in den 90ern ein historischer Aufarbeitungsbericht zuhanden des deutschen Innenministeriums fest. Ein paar Jahre nach Beginn ihres Engagements übernahm Steindling 1978 die Hälfte der Anteile an Novum, ab 1983 war sie alleinige Gesellschafterin.
Welch kuriose Blüten das DDR-Handelssystem trieb, zeigen übrigens auch Zeitdokumente, die vor einigen Jahren die Zeitschrift «Beobachter» aufstöberte. Ciba-Geigy liess sich ihre Medikamentenlieferungen nämlich nicht nur ganz gewöhnlich bezahlen. Sondern erklärte sich im Sinne eines Gegengeschäfts auch dazu bereit, in der DDR produzierte Möbel in die Schweiz zu importieren. Möbel, für die man pro Produktionskosten von 1 Mark im Aussenhandel gerade mal 19 Pfennige bekomme, wie das Zentralkomitee der SED an anderer Stelle beklagte. Der Zugang zu Mächtigen bietet gut informierten Businessleuten viele Möglichkeiten, zu profitieren – auch im real existierenden Sozialismus.
Bankkonten in Wien und Zürich
Der Sitz von Steindlings Firma Novum lag an der Wönnichstrasse 69–71 in Ostberlin. Zu ihren Kunden gehörten neben Ciba-Geigy etwa das auf Anlagenbau spezialisierte österreichische Staatsunternehmen Voest Alpine, die westdeutsche Bosch oder die Schweizer Brown Boveri (heute ABB). Rund um Novum entstand ein Netz an Schwester- und Tochterfirmen, die hie und da statt der Novum als Vertreterunternehmen firmierten oder von ihr Zahlungen entgegennahmen. Eine davon, die Transcarbon, war gar als Zürcher Firma im Handelsregister eingetragen. Einen Unterschied machte das allerdings nicht: Zeichnungsberechtigt «für alle Unternehmen und deren Bankgeschäfte» war Rudolfine Steindling.
Diese nahm für ihre Bankgeschäfte bald einmal die Dienste von Profis in Anspruch – und eröffnete 1982 Konten in Wien und Zürich. An beiden Orten galt damals ein solides Bankgeheimnis. In Wien wandte sich Steindling an die Österreichische Länderbank, die inzwischen Bank Austria heisst. In Zürich an die Privatbank Cantrade, die heute zur Julius Bär gehört. Steindling war eine treue Kundin, wie die Bank Bär im Gerichtsprozess stets betonte: Sie deponierte bereits regelmässig Geld in Zürich, als die innerdeutsche Mauer noch solide stand.
Die Bankanwälte strichen das mit gutem Grund heraus: Im Kern ging es im Prozess gegen Julius Bär darum, ob die Bank im Umgang mit ihrer exzentrischen Kundin nicht hätte alarmiert sein müssen, als in Deutschland ein ganzes Regime fiel. Die Tatsache, dass die Beziehung zu diesem Zeitpunkt schon so viele Jahre bestanden hatte, sollte nach Ansicht der Bankanwälte zeigen, warum man dazu keinen Anlass sah. Man kannte Steindling und auch ihren Ehemann seit langem.
Tatsächlich verbuchte Steindling immer wieder grössere Beträge auf ihrem Zürcher Konto. Laut den Zürcher Gerichtsakten sagte sie dem zuständigen Kundenberater dabei, es handle sich um Kommissionen aus dem «Import- und Exportgeschäft vor allem für den Ostblock».
Interessant wurde es, nachdem im November 1989 die Mauer gefallen war. Die gewiefte «Rote Fini» war nun offenbar fleissiger denn je: Die Überweisungen auf das Zürcher Konto nahmen kräftig zu. Und bald darauf auch die Bezüge. Es ist diese Zeit kurz vor der offiziellen deutschen Wiedervereinigung, die der Bank Bär nun zum Verhängnis wurde.
Ein Betrieb der SED
Steindling habe in dieser Zeit «unzählige Finanztransaktionen über die in- und ausländischen Konten der Novum und deren Tochtergesellschaften vorgenommen», stellten deutsche Ermittler in den 1990ern fest. Mit etwas direkteren Worten: Die Treuhänderin zog offenbar noch möglichst viel Geld aus der bald untergehenden DDR ab und leerte daraufhin auch noch in relativ zügigem Tempo ihre Konten. Dies teilweise auf eine Art, die offensichtlich den paper trail des Geldes unterbrechen sollte. Steindling liess das Geld verschwinden.
Sie tat das mit gutem Grund: Es gehörte ihr nicht, wie sich viele Jahre später herausstellen sollte.
Die Firma Novum war lediglich ein gut getarntes Vehikel für Geld, das die SED abzweigte und auf diese Weise ausser Landes brachte, wie das Berliner Oberverwaltungsgericht 2003 nach jahrelangen Ermittlungen festhielt. Kein Wunder, herrschte bei Novum kurz vor der Wiedervereinigung Hochbetrieb. Und kein Wunder, glühten auch die Konten.
Die Bank Bär hätte spätestens am 11. Juni 1990 misstrauisch werden müssen, befand diesen Januar das Schweizer Bundesgericht, das den Fall danach für das jetzt gefällte Urteil zurück an das Zürcher Obergericht gab. Dieses hatte in einem ersten Entscheid von 2018 die Bank milder beurteilt.
An jenem 11. Juni 1990 landeten auf dem Konto der Novum bei der Bank Bär auf einen Schlag rund 67 Millionen D-Mark (etwa 34 Millionen Euro). Absender war die Deutsche Aussenhandelsbank, das in der DDR-Staatswirtschaft für alle Überweisungen ins Ausland zuständige Institut. Die Bankangestellten fragten nach der Herkunft des Geldes – und akzeptierten sofort Steindlings Erklärung, es handle sich um die Rückzahlung eines von der Kommunistischen Partei Österreichs gewährten Kredits an die DDR.
Das inmitten historischer Umwälzungen und einer politischen Ausnahmesituation in Deutschland, die selbst den Zürcher Bankangestellten nicht entgangen sein dürfte. Nur elf Tage zuvor, am 1. Juni 1990, war in der Noch-DDR ein neues Gesetz in Kraft getreten: Sämtliches Vermögen der herrschenden SED sowie aller anderen Parteien mussten der für die Abwicklung der DDR-Wirtschaft zuständigen «Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums» – kurz Treuhand – gemeldet werden.
Der erste (und letzte) demokratisch gewählte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, setzte gar offiziell eine Kommission ein, die fortan den Umgang mit diesen Vermögen dokumentieren sollte. Die Idee war eindeutig und wurde auch an vielen Orten beschrieben: Das Vermögen des einstigen Regimes sollte sichergestellt und in Fällen, in denen es darauf keinen Anspruch gab, an die rechtmässigen Eigentümer zurückbezahlt werden.
Und nur eine gute Woche später tauchten auf Steindlings Konto die 67 Millionen auf – überwiesen von der DDR-Handelsbank.
Die darauf folgenden Monate nutzte die Wienerin ausserdem, um immer wieder grössere Beträge an andere Privatpersonen, Offshore-Gesellschaften auf den Bahamas und in Panama oder auf anonyme Konti (sogenannte Nummernkonti) zu überweisen – oder gleich persönlich in bar abzuheben. Die Bank kam ihren Wünschen nach. Selbst als Steindling kurz vor einem grossen Barbezug auffälligerweise darum bat, jegliche Kontobelege nicht mehr zu verschicken, sondern auf der Bank zu behalten.
Julius Bär muss der BvS nun alles Geld auszahlen, das zwischen dem 11. Juni 1990 und dem 13. April 1992 vom Novum-Konto verschwand, plus Zinsen. Nicht als Schadenersatz, sondern weil Steindling auf dieses Geld gar kein Anrecht hatte. Die Bank hat also aus juristischer Sicht irgendwem fälschlicherweise Geld ausbezahlt – ihre wahre Kundin, die SED beziehungsweise später eben die BvS als Treuhänderin, hat noch immer Anspruch auf ihr Kontovermögen. Dabei spielt laut Urteil keine Rolle, dass Steindling bereits 2009 einen einigenden Vergleich mit der BvS abschloss und ihr 106 Millionen Euro überliess, die sie zuvor von verschiedenen Konten abgehoben und auf der Zürcher Kantonalbank deponiert hatte. Weil nicht klar ist, wie viel von diesem Geld vom Konto bei der Bär-Vorgängerin stammte, wird es der Bank auch nicht angerechnet.
Die «Rote Fini» selber erlebt das Urteil nicht mehr.
Sie verbrachte ihre letzten Lebensjahre in Wien und an ihrem Zweitwohnsitz Tel Aviv und war an beiden Orten als Mäzenin geachtet. Am 27. Oktober 2012, mit 78 Jahren, starb Steindling.
Das wiedergewonnene Novum-Vermögen aber wird dereinst dorthin zurückkehren, wo es vor langer Zeit herkam: zu den Bürgerinnen im Osten Deutschlands.
Ein neuer Turm für die Berliner Kirche
Noch ist das Urteil des Zürcher Obergerichts nicht rechtskräftig. Noch ist kein Geld von Julius Bär nach Deutschland geflossen. Von anderen Banken aber schon: Die österreichische Bank Austria und die AKB Privatbank AG mussten 2013 insgesamt rund 254 Millionen Euro nach Deutschland überweisen, weil auch sie Novum-Gelder angenommen und an Steindling ausbezahlt hatten. Das Gesetz schreibt vor, dass dieses Geld für gemeinnützige Zwecke eingesetzt werden muss – und zwar nicht nur solche vom Staat, sondern auch von privaten Organisationen und Vereinen.
Auf Anfrage der Republik listen die Finanzministerien der ostdeutschen Bundesländer fein säuberlich auf, wofür sie die bisher erhaltenen Millionen eingesetzt haben. Das Land Sachsen beispielsweise hat unter anderem kleine Handwerksbetriebe unterstützt und die Musikpavillons in zwei öffentlichen Bädern saniert. Brandenburg verlegte Breitbandinternet in ländlichen Regionen, erneuerte die Sicherheitstechnik einer Konzentrationslager-Gedenkstätte und unterstützte die Stiftung Grosses Waisenhaus Potsdam. In Sachsen-Anhalt bauten unter anderem der Nationalpark Harz und der Naturpark Drömling ihre Wanderwege aus, das Theater Eisleben und das Stiftsbergmuseum Quedlinburg haben ihre Zugänge rollstuhlgängig gemacht. Mecklenburg-Vorpommern investiert unter anderem in den Aufbau eines Meeresforschungsinstituts in Rostock.
Und in Berlin wird unter anderem der Turm der Schlosskirche Buch wiederaufgebaut, der im Zweiten Weltkrieg zerschossen wurde.
Sie liegt nur eine halbe Stunde Fahrt entfernt von dem kahlen Flachdachgebäude, in dem Rudolfine Steindlings Novum einst Millionen verdiente.