Auf lange Sicht

Wie der Klimawandel die Meere verändert

Das Wasser wird saurer, der Meeres­spiegel steigt, das Polareis schmilzt: Der Spezial­bericht des Welt­klimarats zeigt, wie der Klima­wandel die Physik des Ozeans durcheinanderbringt.

Von Arian Bastani, 30.09.2019

Der Ozean ist riesig. Er bedeckt über 70 Prozent der Oberfläche unseres Planeten. Betrachtet man die Erde vom Weltall aus dem richtigen Winkel, könnte man meinen, dass es auf ihr kein Land gäbe, sondern bloss Wasser.

Angesichts seiner Dimensionen wirkt der Ozean unantastbar – immun gegen jeden Einfluss von aussen. Doch dem ist nicht so. Im eben erschienenen Sonderbericht des Weltklimarats wird deutlich, wie empfindlich er ist. Und wie stark unser Einfluss bereits an seinem natürlichen Gleich­gewicht rüttelt.

In diesem Text zeigen wir, warum. Und zwar anhand von vier Aspekten.

1. Versauerung

Der Ozean ist imstande, enorme Mengen an Kohlen­dioxid aus der Luft zu absorbieren – das wissen wir aus dem Einführungstext von vor einer Woche.

Das liegt vor allem daran, dass Kohlen­dioxid im Wasser chemisch umgewandelt und dadurch abgebaut wird. Die Stoffe, die dafür nötig sind – so genannte Karbonat-Ionen –, sind aber nicht endlos vorhanden. Je mehr CO2 der Ozean aufnimmt, desto mehr dieser Karbonat-Ionen werden verbraucht. Ihre Konzentration sinkt.

Einerseits bedeutet das, dass die Kapazität für die Aufnahme von weiterem CO2 abnimmt. 30 Prozent haben die Weltmeere bereits eingebüsst. Andererseits wird das Wasser dadurch saurer. Denn die Karbonat-Ionen dienen als Säure­puffer, indem sie Protonen binden (deren Konzentration den Säure­gehalt definiert – sie bilden das «H» im pH-Säurewert). Protonen können freigesetzt werden, wenn aus CO2 und Wasser Kohlensäure entsteht.

Die Weltmeere haben seit 1900 bereits über 500 Giga­tonnen CO2 geschluckt. Wie sauer das Wasser dadurch geworden ist, zeigt die folgende Grafik. Sie bildet eine Messreihe aus Hawaii ab, unweit des Aufzeichnungs­ortes der berühmten Keeling-Kurve der Atmosphärenkonzentration von CO2. Die Messreihe zeigt den pH-Wert, also den Säuregrad des dortigen Meerwassers.

Der pH hat eine negativ-logarithmische Skala. Übersetzt bedeutet das: Tiefe Werte drücken einen hohen Säure­gehalt aus. Man sieht: Seit Ende der 1980er-Jahre ist der pH um rund 0,05 Punkte gesunken. Das klingt nach wenig. Doch es entspricht einer Säurezunahme von knapp 12 Prozent.

Das Wasser wird saurer

pH-Wert des Meeres bei Hawaii

Achse gekürzt19891999200920178,06 Trend8,008,108,20 Punkte

Quelle: Tilbrook et al. (2019)

Seit Beginn der industriellen Revolution ist der Säuregehalt im Meer sogar um etwa 30 Prozent angestiegen. Und dabei soll es nicht bleiben. Selbst wenn die Welt bis Mitte Jahrhundert emissions­neutral ist, wird der pH bis Ende Jahrhundert um weitere 0,04 Punkte sinken. Wird weiter so viel CO2 ausgestossen wie bisher – was durchaus möglich scheint –, sinkt der pH gemäss dem neuen Klimaratbericht sogar um fast 0,3 Zähler. Das hiesse, dass sich die Wasser­säure mehr als verdoppeln würde.

Das hätte gravierende Folgen. Beispiels­weise für Organismen wie Algen oder Korallen, die Kalk­schalen bilden. Diese werden durch Säure angegriffen (detaillierter gehen wir darauf im nächsten Beitrag ein). Zu schaffen machen diesen Organismen auch die 90 Prozent der Überschusswärme, die das Meer bisher aus der Atmosphäre aufgenommen hat. Einerseits steigen dadurch die Temperaturen im Wasser – und andererseits steigt auch das Wasser selbst.

2. Meeresspiegel

Die Zahlen zeigen: Seit 1900 ist der globale Meeres­spiegel im Schnitt um fast 20 Zentimeter gestiegen. Der Anstieg lässt sich grob in zwei Phasen aufteilen.

Die erste Phase datiert aus den 1930er- und 1940er-Jahren und ist natürlichen Ursprungs. Damals schmolzen in den hohen nördlichen Breiten­graden grosse Eismassen. Einerseits, weil dann eine Kälte­phase endete. Diese sogenannte «Kleine Eiszeit» wurde vermutlich durch hohe Vulkanaktivität hervorgerufen. Mit nachlassendem Einfluss der Vulkane stieg die Temperatur wieder. Anderer­seits befand sich damals eine Klima­variabilität im Atlantik, ähnlich wie beim El-Niño-Phänomen, in einem Zustand, der die Temperatur über Grönland erhöhte. Diese beiden Effekte sorgten dafür, dass Gletscher dort abschmolzen und der Meeresspiegel anstieg.

Danach pendelte sich ein stabiler Zustand ein. Allerdings hielt dieser nur rund 20 Jahre lang an, denn die steigenden CO2-Emissionen stauten zunehmend die Wärme­abstrahlung der Erde. Im Lauf der 1970er-Jahre begann der Ozean, den Grossteil dieser Wärme aufzunehmen. So setzte die zweite Anstiegsphase ein.

Diese ist mitgeprägt von einer wärmebedingten Ausdehnung des Ozeans. Warmes Wasser hat ein grösseres Volumen als kaltes Wasser: Es braucht mehr Platz. Dieser Effekt spielte beim jüngsten Anstieg eine grosse Rolle.

Der Ozean braucht mehr Platz

Höhe des Meeresspiegels (1900 = 0)

Unsicherheit der Messungen
1900194019802015181,0−1000200 Millimeter

Quelle: Dangendorf et al. (2019)

Doch der Hitzestau lässt auch Schnee und Eis schmelzen. Schmelz­wasser aus Grönland, aus der Antarktis und aus anderen Gletschern trug mindestens so viel zum Anstieg des Meeres­spiegels bei wie die Wärmeausdehnung.

Bis Ende des Jahrhunderts dürfte der Meeres­spiegel weiter steigen, schätzt der Weltklimarat – und zwar um das Doppelte bis Vierfache des bisherigen Anstiegs von knapp 20 Zentimetern, je nachdem, wie viel CO2 wir noch ausstossen.

Doch dies ist erst der Anfang: Das letzte Mal, als es auf der Erde so warm war wie heute – vor rund 120’000 Jahren –, war der Pegel bis zu 10 Meter höher. Zusätzliche 1 bis 3 Grad Celsius gingen sogar einher mit bis zu 25 Metern Anstieg. Glücklicher­weise brauchen Veränderungen dieses Ausmasses aber Jahrtausende, um sich zu manifestieren. Der Ozean ist ein träges System.

Andere Veränderungen laufen wesentlich schneller ab. Dazu gehört etwa das Schmelzen von solchem Eis, das den Meeres­spiegel nicht steigen lässt.

3. Polareis

Wer seinen Whisky «on the rocks» mag, weiss: Schmelzen die Eiswürfel, wird der Drink zwar verwässert – doch das Glas schwappt davon nicht über.

Analog verhält es sich im Ozean. Schmelzen Eismassen, die zuvor im Meer geschwommen sind, so erhöht sich der globale Wasser­pegel deswegen nicht.

Das ist auch gut so. Denn einiges Meereis ist bereits weg: Vergleicht man das Eis, das jeweils am Sommer­ende in der Arktis übrig geblieben ist, zeigt sich über die Jahrzehnte ein klarer Trend. Die Ausdehnung ist kleiner geworden. In den letzten zehn Messjahren war die durchschnittlich von Eis bedeckte Ozean­fläche in der Arktis noch zwei Drittel so gross wie von 1979 bis 1988.

Das Polareis schmilzt weg

September-Eisfläche in der Arktis

Grösse
Zehnjahresmittel
197919891999200920184,8 Mio.048 Mio. Quadratkilometer

Quelle: NSIDC (2019)

Das verschwindende Meereis ist ein Problem. Nicht nur für Eisbären und Walrosse, die es als Jagdrevier beziehungs­weise Rastplatz brauchen: Die weisse Fläche spielt im Strahlungs­gleichgewicht der Erde eine entscheidende Rolle. Indem sie einen Teil der ankommenden Sonnen­strahlen zurück ins Weltall reflektiert, hindert sie den Planeten daran, deren Wärme zu absorbieren. Ganz anders die dunkle Wasser­oberfläche: Diese absorbiert die Strahlen: Wasser­oberfläche und darüber­liegende Luft erwärmen sich.

Dies wiederum regt die Eisschmelze weiter an – ein Rückkopplungs­effekt setzt ein. Wie gross dieser Effekt sein kann, bezeugen die Zyklen von wiederkehrenden Eiszeiten während der letzten Jahrtausende.

Die Rückkopplung führt auch dazu, dass sich der Eisverlust zunehmend beschleunigt. Emittiert die Menschheit weiter so viel CO2 wie heute, so stehen die Chancen nicht schlecht, dass bereits unsere Enkel im Sommer dereinst per Schiff zum Nordpol reisen könnten – die Arktis wäre eisfrei.

Erste Kippeffekte werden in diesem Zusammenhang bereits beobachtet. Wegen des Mangels an Meereis verliert etwa die Barents­see, ein südlicher Ausläufer des arktischen Meeres nördlich von Norwegen, die für sie charakteristische Schicht relativ salzarmen Oberflächenwassers. Das Wasser wird wärmer und salziger – und zusätzliches Eis schmilzt. Die Arktis ist dabei, ein Gebiet zu verlieren, das seit Tausenden von Jahren zu ihr zählt.

Die Beziehung von Meereis und Salz beeinflusst nicht nur die Barents­see, sondern auch die Dynamik des gesamten, weltweiten Ozeansystems.

4. Zirkulation

Gefriert Salzwasser zu Eis, bleibt das meiste Salz draussen. Kleine Tropfen konzentrierter Salzlösung werden zwar eingeschlossen, doch mit der Zeit werden auch diese ausgeschieden. Mehrjähriges Meereis ist daher zum Trinken geeignet. Das machten sich schon frühe Polar­expeditionen zunutze.

Das Salz bleibt also im Wasser zurück und erhöht dessen Dichte. Damit trägt das arktische Meereis dazu bei, dass im hohen Norden das Wasser in die Tiefe sinkt. Es bildet so einen Antrieb für die globale Umwälzung der Ozeane.

Schmilzt dagegen das Eis, verringert sich die Wasser­dichte. Dieser Effekt ist besonders beim Schmelz­wasser vom grönländischen Eisschild stark. Das Meerwasser sinkt dann weniger schnell, die Umwälzung verlangsamt sich.

Dies kann für die weltweite Ozean­zirkulation weitreichende Folgen haben. Ein Beispiel ist der Golfstrom, der warmes Wasser aus der Karibik in den Norden befördert und damit an den Westküsten Britanniens für ein milderes Klima sorgt. Schwächt sich dieser Strom ab, so wird weniger Wärme verfrachtet – man würde also einen Wärmestau am Ursprung und eine entsprechende Abkühlung am Zielort des Golfstroms erwarten.

Just dieses Muster offenbaren Messdaten, wie in der folgenden Grafik zu sehen ist. Sie vergleicht lokale ozeanische Temperatur­veränderungen mit dem globalen Schnitt. Dieser ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts um rund ein Grad gestiegen und in der Grafik in Weiss dargestellt. Die Region im Osten der USA und Kanadas hat sich im Vergleich dazu erwärmt: Sie ist in der Grafik rot eingefärbt. Regionen, die blau eingefärbt sind – wie etwa das Gebiet um Grönland –, sind nicht unbedingt kühler geworden. Sie haben sich im Vergleich zum globalen Schnitt lediglich weniger stark erwärmt.

Wärme- und Kälteinseln

Temperaturzunahme im Ozean

Lokale Temperaturveränderungen (blau und rot) im Vergleich zum globalen Durchschnitt (weiss) im Zeitraum von 1870 bis 2016. Quelle: Caesar et al. (2018)

Die schwächere Meeres­zirkulation birgt Gefahren. Allerdings nicht jene, die im Hollywood­streifen «The Day After Tomorrow» herauf­beschworen werden, in dem, ausgehend vom Golfstrom, ein gigantischer Eissturm über den Planeten fegt. Im Gegenteil. Verlangsamt sich die Umwälzung des Ozeans, so nimmt dieser weniger Wärme auf – Wärme, die stattdessen in der Luft zurück­bleibt und die dortige Temperatur umso schneller ansteigen lässt.

Zusammenbrechen wird die Strömung wahrscheinlich nicht – zumindest in den nächsten 200 Jahren nicht und selbst wenn wir weiterhin im grossen Stil Kohlen­dioxid ausstossen. Trotzdem trifft die Veränderung bestimmte Meeres­bewohner, etwa Algen. Mehr darüber berichten wir in einer Woche.

In einer früheren Textversion war im Zusammenhang mit der Aufnahme von CO2 im Wasser von «Karbonaten» die Rede. Wir haben den Begriff präzisiert und mit «Karbonat-Ionen» ersetzt.