Binswanger

Köppel hat recht

Im Ständeratswahlkampf ist Roger Köppel chancenlos, deshalb denunziert er die Konkurrenten als «Pöstli-Jäger». Das Manöver ist zwar peinlich und durchschaubar, aber der Vorwurf nicht unberechtigt.

Von Daniel Binswanger, 28.09.2019

Die Umfragen lassen keinen Zweifel daran, dass Roger Köppel für den Kanton Zürich nicht in den Ständerat einziehen wird. Dass er über die SVP-Wählerschaft hinaus Stimmen gewinnen könnte, erschien von Anfang an als sehr unwahrscheinlich. Also macht er jetzt halt den Köppel: platziert Angriffe unter die Gürtellinie, spielt mit Beleidigungen auf den Mann in der «Arena», lädt unter falschen Angaben die Medien zu einer Medien­konferenz, gibt sich so polterig und stillos wie nur irgend möglich. Das klassische Drehbuch eben.

Dass Tänzchen dieser Art nun stattfinden, hat einen Newswert von gegen null. Interessant ist jedoch, welche Keule der Profi-Provokateur diesmal gewählt hat, um im medialen Porzellan­laden so viel Lärm und Sendezeit zu generieren wie irgend möglich: nicht Messer­stecher, nicht Wirtschafts­flüchtlinge, nicht religiöse Minderheiten, nicht Volks­verräter, nicht Verschwörer des Verfassungs­bruchs. Nein, das wichtigste Thema der Welt sind plötzlich die Einkünfte unserer Volks­vertreter. Es ist eine Wende, deren politische Tragweite nicht unterschätzt werden sollte. Weshalb der Strategiewechsel?

Zunächst liegt das Thema ganz einfach in der Luft – es ist beachtlich, wie penetrant sein strenger Geruch in dieser Wahlsaison bis in die hintersten Ritzen der öffentlichen Debatte dringt. Die SP macht Druck mit der Transparenz­initiative, und mit den Diskussionen um das Gesetz über eine Offenlegungs­pflicht für Lobbying-Mandate ist die leidige Frage des Lobbyismus unter der Bundeshaus­kuppel von neuem in den Fokus geraten. Auch publizistisch hat Politik­finanzierung wieder grosses Gewicht, inklusive des «Weltwoche»-Titels dieser Woche, mit dem das Magazin sich wieder einmal zum «Extrablatt» im Köppel-Wahlkampf macht. Wer kauft unsere Politikerinnen und Politiker? Die Frage ist weiss Gott nicht neu, aber sie gewinnt in diesem Wahlkampf an Brisanz.

De facto bilden die Korruptions­vorwürfe, die Köppel nun plötzlich erhebt, jedoch eine neue Eskalations­stufe in der «Trumpisierung» des Schweizer Rechts­populismus. Der Mann, der zu einem beträchtlichen Vermögen gekommen ist, weil er unter windigen Umständen ein politisches Propaganda­organ übernommen hat (wer diese Umstände beleuchten will, wird von Köppel gerne mit Klagen überzogen); der als einziger Schweizer Journalist seiner Generation persönlich reich geworden ist (neben Markus Somm) und sich mit Haut und Haar zum Sprachrohr des mächtigsten Plutokraten unseres Landes gemacht hat – dieser Mann will den Einfluss von Geld in der Politik denunzieren? An seiner extra einberufenen Pressekonferenz liess Köppel verlauten, er verdiene knapp 280’000 Franken mit seiner «Weltwoche»-Tätigkeit – eine Ansage, die wohl als schlechter Witz betrachtet werden muss.

Im Juli 2014 schrieb Kurt W. Zimmermann in ebenjener «Weltwoche»: «Seitdem [2006], mit Ausnahme des schwierigen 2013, hat die ‹Weltwoche› jedes Jahr einen Gewinn von ein bis zwei Millionen Franken abgeliefert.» Hat Köppel damals in seinem eigenen Blatt, über seine eigene Person Fake News verbreitet? Oder tut er das heute? Sicher, in den letzten Jahren ist die Leserschaft der «Weltwoche» geschmolzen, als wäre sie Schweizer Gletschereis: 2013 betrug die Anzahl noch rund 250’000, in der Wemf-Erhebung vom vergangenen April lag sie bei 180’000 Lesern. Sind jetzt auch die finanziellen Verhältnisse des Verlegers von grösserer Beengtheit, verglichen mit den fetten Jahren? Plausibler erscheint eine andere Erklärung: Dass Köppel brandschwarz lügt – aber es auf eine Weise tut, die im technischen Sinn nicht als Lüge bezeichnet werden kann. Sein Salär liegt wohl tatsächlich bei 280’000 Franken, aber einen viel höheren, mit keinem Wort erwähnten Betrag dürfte er zusätzlich als Gewinn einstecken. So viel zum feierlich gemachten Versprechen, er werde seine «Finanzen auf den Tisch legen». Auf eine Anfrage zum Thema reagierte er nicht.

Gott sei Dank handelt es sich nur um eine Reproduktion im Mikro­massstab, aber Roger Köppel ist der Schweizer Trump, gewisser­massen das Swissminiatur-Format. So grotesk es ist, dass ein hoch korrupter New Yorker Immobilien­tycoon behauptet, er werde den «Sumpf von Washington» trockenlegen, so grotesk ist es, wenn ausgerechnet der «Weltwoche»-Verleger Wahlkampf betreibt mit einem Kreuzzug für vermeintliche Transparenz. Doch hier liegt nicht das fundamentale, systemische Problem. Das Problem liegt darin, dass die Geisselung des Wildwuchses in der Schweizer Politik­finanzierung völlig berechtigt ist.

Es geht dabei weniger um das persönliche Fehlverhalten des einen oder anderen Parlamentariers als um die Unhaltbarkeit des Systems: Auf keine Weise ist zu rechtfertigen, dass in der Schweizer Politik die Einkünfte der Parlamentarier nicht transparent gemacht werden. Der Milizmythos hat lange genug als Recht­fertigung für die institutionalisierte Käuflichkeit herhalten müssen, doch die Akzeptanz für diesen in keiner anderen westlichen Demokratie mehr erlaubten Wildwuchs nimmt ab. Und solange der skandalöse Zustand der weitgehenden Nicht-Regulierung bestehen bleibt, ist die Flanke offen für die Trumpisierung: dafür, dass ein zynischer Populist, dessen Finanz­gebaren noch viel zweifel­hafter ist als das der meisten anderen Politiker, den Käuflichkeits­vorwurf für primitivste Anti-Classe-politique-Propaganda benutzt. Sozial­demokraten wie Jositsch sind diesem Vorwurf gegenüber viel verwundbarer als ein Wirtschafts­freisinniger wie Noser. Und auch wenn Köppels Desperado­aktion bei diesen Wahlen wohl weder dem einen noch dem anderen etwas anhaben kann, ist kaum zu übersehen, dass Jositsch die Rolle von Hillary Clinton übernimmt – gewisser­massen im Swissminiatur-Format.

Sicherlich bleiben Jositschs Einkünfte einiger­massen überschaubar: Im Gegensatz zu Hillary Clinton hält er keine Vorträge an der Wall Street, die mit sechsstelligen Beträgen entlohnt werden, und er hat auch kein Vermögen von Hunderten Millionen Dollar angehäuft. Dass der umtriebige Professor ein sehr anständiges Einkommen hat (der «Tages-Anzeiger» schätzt es auf zwischen 320’000 und 350’000 Franken), wollen wir ihm gerne gönnen. Die fatale Analogie zu Clinton ist eine andere: Die amerikanische Präsidentschafts­kandidatin war zentristisch und sehr wirtschaftsnah, hat sich für Freihandel und Offenheit engagiert und verlor unter anderem deshalb die Wahl, weil die unteren Schichten sich von Trump besser repräsentiert fühlten. Jositsch ist zentristisch und sehr wirtschaftsnah, engagiert sich für Freihandel und Offenheit – und spricht sich in diesem Wahlkampf gegen seine eigene Partei für eine Unterzeichnung des Rahmen­abkommens ohne Nach­verhandlungen beim Lohnschutz aus. Jositsch war schon immer ein in der Wolle gefärbter Pro-Europäer, und er wird mit dieser Position seine Stamm­wähler – Leistungs­träger, akademische Mittelschicht – sicherlich begeistern. Aber wie will er verhindern, dass sich im Zug der Trumpisierung die Unterschicht nicht besser angesprochen fühlt von Köppel? Welches Angebot haben Sozial­demokraten wie er zu machen?

Köppel selber jedenfalls – und mit ihm sicherlich auch weitere Kreise der SVP – scheint der Ratten­fängerei am unteren Rand der Einkommen einen neuen, verschärften, pseudolinken Spin geben zu wollen. Das Vorbild von Trump hat Schule gemacht, ein Strategie­wechsel scheint anzustehen. Jedenfalls ist unvermittelt eine neue Lieblings­vokabel in Köppels Diskurs aufgepoppt, die er nun gefühlt in jedem Satz mindestens einmal bringen muss: «Büezer». Die Sozial­demokraten müssen unmissverständlich klarmachen, wer den Büezer vertritt. Sonst werden auch bei uns eines Tages – selbst wenn in der Schweiz alles immer ein bisschen länger dauert – die zynischen Hoch­stapler durchmarschieren.

Illustration: Alex Solman