Österreichs Wiederholungs­täter

Am Sonntag wird in Österreich gewählt, und es sieht fast so aus, als würde alles beim Alten bleiben. War da nicht was in einer Villa in Ibiza? Wurscht!

Von Solmaz Khorsand, 26.09.2019

Teilen4 Beiträge4
Drei Parteivorsitzende an einer TV-Debatte: FPÖ-Chef Norbert Hofer, der ÖVP-Chef und ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner (v. l.). Dagmar Schwelle/Laif/Keystone

«A bsoffne Gschicht» kann selbst in Österreich ein politisches Erdbeben auslösen. Vier Monate ist es nun her, dass «Süddeutsche» und «Spiegel» Video­ausschnitte veröffentlichten, auf denen der FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein Partei­kollege Johann Gudenus zu sehen sind, wie sie in einer Villa auf Ibiza die österreichische Republik – samt Medien und Wasser – an eine vermeintliche russische Investorin verscherbeln wollen.

Das war am 17. Mai. Strache, Vizekanzler einer Koalition aus ÖVP und FPÖ, trat zurück. Sebastian Kurz, ÖVP-Chef und Bundes­kanzler, löste die Koalition auf. Die Opposition sprach ihm knapp eine Woche darauf das Misstrauen aus. Und Österreich bekam mit der ehemaligen Verfassungs­richterin Brigitte Bierlein seine erste Bundeskanzlerin.

Nun wird am kommenden Sonntag, 29. September, wieder gewählt. In Fernseh­duellen und Wahlkampf­spots flirten ÖVP und FPÖ hemmungslos miteinander. Sachlich habe man ja sehr gut zusammen­gearbeitet. Eine Neuauflage wird erwartet. Es sieht ganz so aus, als wäre Ibiza nie geschehen.

Oder?

Ein Parcours in vier Stationen.

1. Einmal Goldjunge, immer Goldjunge

«Heute hat das Parlament entschieden, aber am Ende des Tages, im September, entscheidet in einer Demokratie das Volk.» Mit dieser Interpretation der repräsentativen Demokratie startete Sebastian Kurz am 27. Mai in der Politischen Akademie, einer Bildungs­einrichtung der ÖVP, in den Wahlkampf. Wenige Stunden zuvor hatte ihm das Parlament das Misstrauen ausgesprochen. 525 Tage war Kurz Bundes­kanzler der Republik, der jüngste, vorerst am kürzesten dienende und der erste, der vom Parlament abgewählt wurde.

Vier Monate hatte er nun Zeit, seinen Status als Lieblings­schwiegersohn der Nation aufrecht­zuerhalten. Gemäss den Umfragen ist ihm das auch gelungen. Die neue Volks­partei, die Türkisen, liegt stabil auf Platz eins bei 35 Prozent, rund zehn Prozent­punkte vor der zweitplatzierten SPÖ mit 23 Prozent.

Dennoch, der Wahlkampf hat auch bei Kurz seine Spuren hinterlassen. Der Lack ist nicht ab, aber angekratzt. Festplatten­schreddern, gestückelte Spenden von reichen Geld­gebern, eine kreative Buch­haltung, ein verstörender Auftritt vor radikalen Christen und das Aussperren unliebsamer Medien haben den Parteichef in Erklärungs­not gebracht.

Die berühmt-berüchtigte Message Control der Partei, die 18 Monate lang alles im Griff hatte, scheint nicht mehr ganz so alles unter Kontrolle zu haben.

Lieblingsschwiegersohn der Nation: Der geschasste Bundeskanzler Sebastian Kurz erhält bei einem Wahlkampfauftritt einen Kuchen. Dagmar Schwelle/Laif/Keystone

Im Juli tauchte ein Video auf, auf dem ein ÖVP-Mitarbeiter, der Leiter der Abteilung für Social Media im Bundes­kanzler­amt, zu sehen ist, wie er wenige Tage vor dem Misstrauensantrag gegen den Bundes­kanzler bei der Firma «Reisswolf» Fest­platten schreddern lässt. Nicht nur einmal, wie sonst üblich, sondern gleich dreimal hinter­einander, unter falschem Namen und ohne die Rechnung zu bezahlen. Die Opposition vermutete einen Zusammen­hang zwischen dem Ibiza-Skandal und den vernichteten Daten. Kurz selbst nannte es einen «ganz üblichen Vorgang» bei einem Regierungs­wechsel, auch sein Vorgänger Christian Kern habe schreddern lassen. Ganz korrekt ist das nicht, in der Regel übernimmt die Fach­abteilung des Bundes­kanzler­amts diese Aufgabe, keine externe Firma. Später hat die Wirtschafts- und Korruptions­staats­anwaltschaft einen Zusammen­hang zwischen dem Schreddern und dem Ibiza-Video ausgeschlossen. Allerdings prüft die Staats­anwaltschaft Wien, ob damit andere straf­rechtliche Delikte erfüllt sein könnten. Bis heute kann niemand sagen, auf wessen Anweisung der ÖVP-Mitarbeiter gehandelt hat.

Danach musste Kurz erklären, wer ihm denn eigentlich wie viel spendet und wofür seine Partei dieses Geld ausgibt. Die Tageszeitung «Der Standard» und das Wochenmagazin «Falter» erhielten Informationen darüber, wie die Milliardärin Heidi Horten ihre Millionen­spende an die ÖVP so stückeln liess, dass sie knapp nicht dem Rechnungs­hof gemeldet werden musste. Als die Medien bei der ÖVP nachfragten, trat die Partei die Flucht nach vorne an und veröffentlichte die Spenden­listen selbst. So flossen 2018 und im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 2,76 Millionen Euro an die Partei. Grösste Einzel­spenderin war die Kaufhaus­erbin Horten, die auch im Ibiza-Video von Strache genannt wurde. Sie bedachte die Volkspartei mit 931’000 Euro, die sie der Partei monatlich in 49’000-Euro-Tranchen zukommen liess, weil Spenden erst ab 50’000 Euro dem Rechnungs­hof gemeldet werden müssen.

Dabei blieb es nicht. Dem «Falter» wurden Dokumente zugespielt, die zeigen, dass die ÖVP 2017 die zulässige Grenze für Wahlkampf­kosten von 7 Millionen Euro um 6 Millionen Euro deutlich überschritten hatte und 2019 ebenso zu überschreiten gedachte. Laut den Dokumenten soll die Partei intern damit rechnen, die Ober­grenze um knapp 2 Millionen Euro zu überschreiten. «Es geht darum, dass sich die ÖVP in zwei Jahren einen unfairen, ungesetzlichen Wettbewerbs­vorteil von etwa 9 Millionen Euro gegenüber der Konkurrenz verschafft hat», resümiert «Falter»-Chef­redaktor Armin Thurnher in einem Leitartikel.

Die ÖVP sagt, dass die dem «Falter» vorliegenden Dokumente aus einem Hacker­angriff stammen, bei dem bis zu 1300 Gigabyte an Daten aus dem Computer­system der Partei nicht nur abgezogen, sondern auch manipuliert worden sein sollen. Justiz­minister Clemens Jabloner bestätigte wenige Tage vor der Wahl den Hacker­angriff. Die ÖVP brachte eine Unterlassungs­klage gegen den «Falter» ein. Die Wochen­zeitung solle nicht mehr behaupten dürfen, dass die Partei dieses Jahr bewusst die Überschreitung der Wahlkampf­kosten­obergrenze plane, dass die ÖVP die Öffentlichkeit bewusst über ihre Wahlkampf­ausgaben täusche und dass sie die Überschreitung der Wahlkampf­kosten­obergrenze vor dem Rechnungshof verbergen wolle. Die ÖVP fordert den Widerruf dieser Behauptungen, eine entsprechende Veröffentlichung sowie Kostenersatz.

Der heilige Sebastian und die Medien

Angespannt war das Verhältnis zwischen den Medien und der ÖVP in den vergangenen vier Monaten andauernd. Begonnen hat es unmittelbar nach dem Ibiza-Skandal, als jede Presse­konferenz von Noch-Kanzler Kurz dazu genutzt wurde, weitere Schritte zu verlautbaren, ohne Fragen zuzulassen. Als die Medien­vertreter damit aufhörten, an den Presse­terminen aufzutauchen, erbarmte man sich und kehrte wieder zum alten Modus Operandi zurück. Auch später sollte sich dieses Verhalten wiederholen, unter anderem nach den «Falter»-Veröffentlichungen, als diverse Medien zu einem Gespräch geladen wurden und just die Kollegin vom «Falter» nicht daran teilnehmen durfte, gar an der Tür abgewiesen wurde.

Kurz’ Medien­verständnis liess auch jüngst wieder Fragen aufkommen, als er einer Radio­journalistin ins Wort fiel und sie mahnte, ihre Fragen doch bitte anders zu stellen, da ihre Formulierung zum Thema Wahlkampfkosten «problematisch» sei.

Die einzigen Formulierungen in diesem Wahlkampf, mit denen der Altkanzler keine Probleme zu haben schien, waren jene der Autorin Judith Grohmann, seiner Biografin. In ihrem Buch schwärmt sie davon, wie Kurz bereits mit einem Jahr in ganzen Sätzen sprechen konnte und schon als Baby auf der Überhol­spur fuhr. Diese Formulierungen, die auf Twitter unter #50shadesofKurz geschmäht wurden, gefielen Kurz offenbar. Das Buch ist die offiziell autorisierte Biografie des Parteichefs.

2. Das SPÖ-Paradoxon

Die SPÖ bleibt das grosse Mysterium im Wahl­kampf. Wie kann es sein, dass die grösste Oppositions­partei nach einem derartigen Super-GAU, den das Ibiza-Video für die beiden Regierungs­parteien ÖVP und FPÖ ausgelöst hat, als einzige wirkliche Verliererin am Platz steht?

Unmittelbar nachdem das Parlament Sebastian Kurz und seiner Regierung das Misstrauen ausgesprochen hatte, fuhr die ÖVP Rekord-Umfragewerte von 38 Prozent ein. (31,5 Prozent hatten die Partei 2017 gewählt.) Gleichzeitig verlor die SPÖ fast genau so viele Prozent­punkte (von 26,9 auf 22 Prozent) wie der Ibiza-Buhmann FPÖ (von 26 auf 19 Prozent).

Bei der EU-Wahl nur zwei Tage vor dem Ende der Kurz-Regierung fährt die ÖVP einen Triumph ein, Strache wird mit 45’000 Stimmen ins EU-Parlament gewählt. Und die SPÖ? Die hat ein Minus von 0,2 Prozent vor ihrem Ergebnis stehen. Wie kann es sein, dass die österreichische Sozial­demokratie bei diesen Voraussetzungen dermassen versagt?

Analysen machen das Versagen an der Performance der Partei­chefin Pamela Rendi-Wagner fest. Sie ist die erste Frau an der Spitze der SPÖ und kann scheinbar nichts richtig machen. Zu viele falsche Berater um sich herum, ein schnöseliger Geschäfts­führer, der vor laufender Kamera seinem Chauffeur nachbrüllt, und ein Macho-Verein mit Landes­partei­chefs aus den Bundes­ländern, die ihr bei jeder Gelegenheit mit guten Ratschlägen in die Parade fahren. Selbst ihr Vorgänger Christian Kern, der ehemalige Bundes­kanzler, der sie als Gesundheits­ministerin in seine Regierung holte, liess via Interview ausrichten, dass die SPÖ die Wahl nicht mehr hoch gewinnen werde.

Zudem kaprizieren sich einige Medien­vertreter auf Neben­sächlichkeiten. So widmete sich zum Beispiel die erste Analyse einer Chef­redaktorin nach einem Fernseh­gespräch nicht den politischen Inhalten von Rendi-Wagner, sondern der Aussage, ob die Partei­chefin tatsächlich Cordon bleu essen würde. Die Chef­redaktorin bezweifle es ja, Salat­blätter müssten angesichts ihrer Figur eher auf dem Speise­plan der Politikerin stehen.

Dass sich die SPÖ-Partei­chefin im selben Interview in manchen Punkten, etwa der Migrations­politik, von ihrem Haupt­konkurrenten Kurz in keinster Weise unterscheidet – keine weitere Aufnahme von Boots­flüchtlingen, rasche Verfahren «in Afrika» und die nicht näher definierte Bekämpfung der Flucht­ursachen –, fällt nicht auf. Ein mit Käse und Schinken gefülltes paniertes Stück Schnitzel im Magen ist da weitaus diskussions­würdiger. So viel zum politischen Niveau der Analysen.

Die Krokodil-Bezwingerin

Anfangs verstand kaum jemand die ausgebildete Medizinerin Rendi-Wagner. Zu verschachtelt, zu indirekt, zu vorsichtig waren die Polit­phrasen. Übrig blieben immer nur das Wort «Verantwortung» und die zusammen­gezogenen Augen­brauen. Unvergessen blieb die Nacht, als ihre Partei beschlossen hatte, Sebastian Kurz und seiner Regierung das Misstrauen auszusprechen. Rendi-Wagner trat vor die Kamera, im Hintergrund grimmige Partei­kollegen und die Fassade des österreichischen Interims­parlaments am Helden­platz (das echte wird saniert). Wie eine traumatisierte Kriegs­bericht­erstatterin, die sich ans Mikrofon klammert, teilte sie in den ORF-Abend­nachrichten die Meldung mit, dass sich ihre Partei zu dem Schritt entschlossen hatte. Der Auftritt wurde zur Lach­nummer im Netz.

Unglücklicher Start in den Wahlkampf: Die SPÖ-Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner (Mitte) macht Selfies mit Unterstützern. Georges Schneider/APA/Keystone

Doch ihre Performance hat sich in der Endphase des Wahl­kampfs verbessert. Man versteht Rendi-Wagner endlich. Und sie bringt ein paar Punkte unter, die sich nicht ausschliesslich auf den Gegner konzentrieren: Mindest­lohn, Mieter­schutz, Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Interessant waren ihre Aussagen im Fernseh­duell mit dem ehemaligen Innen­minister Herbert Kickl. Gefeiert wurde der Auftritt von ihren Anhängern, wie sie das Krokodil der FPÖ in die Enge treiben konnte. Pamela Rendi-Wagner warf ihm vor, nichts Konkretes getan zu haben in der Flüchtlings­politik: keine Rückführungs­abkommen mit anderen Staaten, keine Sicherung der EU-Aussen­grenzen, keine Asyl­verfahren in Afrika. Kickl schien etwas verdutzt. Warf sie ihm, dem Law-and-Order-Mann der FPÖ, der Asyl­bewerber lieber in «Ausreise­zentren» statt wie bisher in «Erstaufnahme­zentren» unter­gebracht hat und sie für 1,50 Euro die Stunde arbeiten lassen wollte, tatsächlich vor, nicht hart genug zu Asyl­suchenden gewesen zu sein? «Mir hat noch nie jemand vorgeworfen, dass wir in der Flüchtlings- und Asyl­frage nichts weiter­gebracht haben», konterte er.

Rendi-Wagner tat es. Und bekam Applaus. Was der ÖVP und der FPÖ zum Wahl­erfolg reicht, könnte der SPÖ am Ende vielleicht auch dienen.

Zumindest zu einem Wahlerfölgchen.

3. Danke, Greta

Greta Thunberg ist Historisches gelungen in Österreich. Mit ihrer Tour de Force gegen die Klimakrise hat sie es geschafft, den Evergreen der heimischen Wahlkampf­politik in den Hinter­grund zu rücken: den Ausländer.

Statt (ausschliesslich) über bekopftuchte Volks­schülerinnen und in der sozialen Hänge­matte entspannende Asyl­bewerber zu sprechen, überschlugen sich die Parteien dieses Jahr mit Vorschlägen, wie sie den heissen Sommern entgegen­treten wollen: Von Wasserstoff­autos bis zur CO2-Steuer war alles dabei zur Rettung des Planeten.

Sogar einstige Klimawandel­skeptiker entdeckten plötzlich ihren grünen Daumen. So erklärte FPÖ-Parteichef Norbert Hofer den Umwelt- und Klimaschutz zum freiheitlichen Schwerpunkt. Und geht gleich mit gutem Beispiel voran: Auf dem Dach seines Hauses im Süd­burgenland produziert er Sonnen­strom, baut zudem sein eigenes Obst und Gemüse an und ist gerne mal mit dem E-Scooter unterwegs

Ebenfalls in Selfielaune: Norbert Hofer (Mitte) posiert mit Gästen am FPÖ-Oktoberfest in Wien. EPA/Christian Bruna

Dass die Erderwärmung menschen­gemacht ist, stellt Hofer – anders als im Dezember 2018 sein Vorgänger Strache – nicht infrage. Strache liess verlauten, dass es Klimaveränderungen schon seit Jahrtausenden gebe, mit den dazugehörigen Auswirkungen. Die Sahara etwa sei einmal die Korn­kammer Roms gewesen und habe sich zur Wüste entwickelt, was mit vielen Faktoren zu tun habe, aber sicher nicht mit dem Menschen. Hofer sieht das anders. Er betrachtet den «von Menschen herbei­geführten Klima­wandel» als eine der grössten Heraus­forderungen unserer Zeit.

Sein Prestigeprojekt «Tempo 140» sieht der ehemalige Verkehrs­minister nicht als Wider­spruch zum neu entdeckten Klima­bewusstsein seiner Partei. Seit dem 1. August dürfen Österreichs Autofahrer auf zwei Teststrecken 140 km/h fahren, 10 Kilometer pro Stunde über der bisher erlaubten Höchst­geschwindigkeit auf der Autobahn. Dass ein höheres Tempo­limit auch die Treibhausgas­emissionen erhöhen würde, stört Hofer nicht, schliesslich würden in Zukunft mehr Autos mit Strom und Wasserstoff betrieben werden.

Grünes Comeback

Für die Grünen ist der Thunberg-Hype eine Chance. 2017 flog die Partei aus dem Parlament. Nun hat sie die Chance auf ein grosses Comeback, ist sie doch die einzige unter den österreichischen Parteien, die seit ihrer Gründung das Ökothema authentisch beackert hat. Frontmann Werner Kogler tut sich nicht schwer damit, die Partei als wahre Expertin auf dem Ökofeld zu positionieren. Dass nun auch andere an grünen Themen Gefallen gefunden haben, stört ihn nicht. «Das ist besser, als sie würden andere Themen hysterisieren», sagt er in Interviews.

In Umfragen werden der Partei 11 Prozent prognostiziert. Die Konkurrenten warnen bereits vor einer Koalition zwischen Kurz und den Grünen. Die Partei selbst gibt sich bescheiden und spekuliert nicht direkt mit einer Regierungs­beteiligung. Hauptsache, mal rein ins Parlament, alles andere ist noch Zukunfts­musik nach zwei Jahren im Aus.

Laut Umfragen gäbe es sogar Interesse an einer grünen Kurz-Regierung. Im Juli haben sich 28 Prozent für eine Dreierkoalition zwischen Kurz, Grünen und den liberalen Neos ausgesprochen, nur 20 Prozent für eine Neuauflage von ÖVP und FPÖ. Im September sieht die Gemenge­lage ähnlich aus. Das Meinungs­forschungs­institut OGM hat Koalitions­varianten getestet und gefragt, mit wem die stimmen­stärkste Partei, die ÖVP, nach der Wahl regieren soll: 32 Prozent haben die FPÖ empfohlen, 53 Prozent alle anderen Parteien.

Ibiza hat den Österreicherinnen und Österreichern zugesetzt. Noch einmal wollen sie sich offenbar nicht von den Chaoten im Rudershirt auf inter­nationalem Parkett repräsentieren lassen. Auch nicht von deren Freunden, die nie in Ibiza waren. Zumindest fürs Erste.

4. Was wurde aus den Ibiza-Boys?

Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus sind nicht in der Versenkung verschwunden. Allein der Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptions­staatsanwaltschaft wegen haben die beiden einstigen FPÖ-Granden eine regelmässige Präsenz in den Medien zu verdanken. Die Behörden ermitteln einerseits wegen des Vorwurfs der Untreue im Zusammen­hang mit dem Ibiza-Video, andererseits wegen des Verdachts der Postenschacherei.

Letzteres hatte auch Hausdurchsuchungen bei Strache und Gudenus zur Folge. Konkret geht es um die Bestellung eines FPÖ-Gemeinde­rats zum Finanz­vorstand der Casinos Austria, eines Unter­nehmens, an dem neben der österreichischen Republik auch der Glücksspiel­konzern Novomatic beteiligt ist. Novomatic, jenes Unter­nehmen, das auch prominent im Ibiza-Video als Sponsor aller österreichischen Parteien genannt wurde, soll sich für den FPÖ-Mann starkgemacht haben, um im Gegenzug von der Partei mit etwaigen Gesetzes­änderungen begünstigt zu werden. Alle Beteiligten bestreiten die Vorwürfe.

Doch nicht nur juristisch bleiben die zwei Männer in den Schlag­zeilen. Während Gudenus’ Auftritte eher bescheiden sind – Interviews, in denen er davon spricht, dass ihm am besagten Abend in Ibiza illegale Substanzen verabreicht worden seien, oder Attacken aufgebrachter Gäste, die ihn schon einmal in einer Wiener Hotelbar ohrfeigen –, geniesst Strache das gedimmte Rampen­licht österreichischer Märtyrer­figuren. Noch in seiner Rücktritts­rede präsentierte er sich als Opfer dunkler Machenschaften. Seine Wähler sahen das ähnlich, nur zwei Wochen nach seinem Rücktritt wurde er mit 45’000 Vorzugs­stimmen ins EU-Parlament gewählt. Mit einer Vorzugs­stimme kann man im österreichischen Wahl­system neben der Partei auch einer bestimmten Person seine Stimme geben. Auf diese Art können Politiker, die weiter unten in der offiziellen Liste der Partei gereiht sind, von den Wählern nach oben gehievt werden.

Strache hatte damals, als er noch Parteichef war, symbolisch an letzter Stelle kandidiert und wurde dank Ibiza-Solidarität ganz nach oben katapultiert.

Er verzichtete auf sein Mandat in Brüssel und blieb lieber in Wien, wo er politisch vorerst als «Redakteur» seiner Facebook-Seite in Erscheinung trat. Die FPÖ hat ihm nach dem Skandal die Administrations­rechte für die Seite «HC Strache» mit 800’000 Fans, die wichtigste Verlautbarungs­plattform der Partei, entzogen. Distanz zum ehemaligen Partei­chef ist das oberste Gebot für Straches Nachfolger Norbert Hofer. Schliesslich bastelt dieser an einer Neuauflage der türkis-blauen Koalition. Da gilt es, trotz ideologischer Nähe und herzhafter Umarmungen bei Wahl­veranstaltungen eine klare Grenze zu ziehen. Vor allem in Anbetracht der jüngsten Vorkommnisse. So wurde unmittelbar vor der Wahl bekannt, dass Strache zwischen 2014 und 2018 neben einem monatlichen Spesenkonto von 10’000 Euro noch zusätzlich private Rechnungen auf Partei­kosten verrechnet haben soll, auch für seine Frau. Nun prüft die Staats­anwaltschaft Wien die Vorwürfe.

Auch innerhalb der Partei wird die Sachlage überprüft. FPÖ-Funktionären stösst Straches üppiger Lebens­stil auf. Am kommenden Dienstag soll bei der monatlichen Landespartei­sitzung der FPÖ Wien auch eine Suspendierung Straches aus der Partei auf der Tagesordnung stehen.

Geheimwaffe Philippa Strache

Bislang bleibt HC Strache in diesem Wahl­kampf offiziell im Hinter­grund. Doch nicht lange, meinen Beobachter. 2020 wird in Wien gewählt, da könnte der alte Partei­chef sein grosses Comeback feiern.

Indirekt feiert er es bereits – via Philippa Strache, seine Frau, die einstige Tierschutz­beauftragte der Partei, die nun für den National­rat kandidiert. Bei jeder Gelegenheit verteidigt die blonde Schönheit, die mittlerweile nur allzu gern von den Medien hofiert wird, ihren Mann. Auch in den eigenen Reihen scheut sie nicht davor zurück, alten Partei­freunden auf die Finger zu klopfen, die «nachtreten», wenn ihr Mann «gerade die schlimmste Phase seines Lebens durchlebt». Dass Philippa Strache der verlängerte Arm ihres Ehemanns sei, weisen beide entschieden zurück, obgleich die Optik etwas anderes verrät. So warb Heinz-Christian Strache auf seiner privaten Facebook-Seite mit einem Foto für seine Frau, in dem sie klar im Vorder­grund steht, während er verschwommen im Hinter­grund zu sehen ist.

Ganz scharf wird Herr Strache demnächst auf der Leinwand zu sehen sein. Der Regisseur Gabriel Barylli, ein prononcierter Viktor-Orbán-Fan, will im November seine Dokumentation über Strache, seinen Freund, fertigstellen.

Der Titel: «Ein Jahr mit HC Strache».
Bald im Kino.

Die Saga darf weitergehen.

Ibiza hin oder her.