Mit Babyschrittchen zur Klimaneutralität
Der Ständerat hat das CO2-Gesetz verabschiedet. Wie klimafreundlich steht die Schweiz nun da? Der aktualisierte Klimapolitik-Report.
Von Elia Blülle und Simon Schmid, 24.09.2019, Update: 25.09.2019
Im August sprach Simonetta Sommaruga Klartext. «Unsere bisherigen Absichten reichen nicht», mahnte die Bundesrätin und kündigte an einer Pressekonferenz an, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral sein solle. Ein wichtiges Signal – vor allem im Hinblick auf das internationale Ziel, das die Schweiz gemeinsam mit 197 anderen Ländern verfolgt: die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit.
Doch tut die Schweiz genug, um das angestrebte Ziel auch zu erreichen?
Vor einem Jahr haben wir die hiesige Klimapolitik erstmals einem umfassenden Check unterzogen. Das damalige Fazit war ernüchternd: In vielen Bereichen genügten die Anstrengungen nicht. Inzwischen hat der Ständerat das revidierte CO2-Gesetz beraten, und neue Statistiken sind da.
Höchste Zeit also für ein Update des Klimareports.
Gesamtemissionen
Wie steht es um die Emissionswerte? Die neusten Zahlen sind im Juli erschienen und beziehen sich auf das Jahr 2017. Sie zeigen: Der CO2-Ausstoss im Inland ist gegenüber 2016 nur um 2,1 Prozent gesunken – viel zu wenig, um die mittelfristigen Klimaziele bis 2020 und 2030 zu erreichen.
Das ist bedenklich. Denn selbst die Zwischenziele sind im internationalen Vergleich wenig ambitioniert. Gemäss neuem CO2-Gesetz will die Schweiz ihre Emissionen bis 2030 um 30 Prozent reduzieren. Andere Länder gehen deutlich weiter. Die Niederlande streben bis zum selben Zeitpunkt eine Reduktion um 49 und Schweden eine um 55 Prozent an. Grossbritannien will den Ausstoss bis 2032 um 57 und Schottland sogar um 66 Prozent verringern.
Die Schweiz muss also mehr tun, um bis 2050 ihre Emissionen auf netto null zu senken. Allerdings: Selbst dieses Ziel ist im internationalen Vergleich bescheiden. Norwegen will schon 2030 klimaneutral sein, Finnland 2035 und Island 2040. Dieses forsche Vorgehen macht Sinn. Denn erstens täuscht die Statistik: Flugverkehr und graue Emissionen fehlen darin. Zweitens sollten Industrieländer früher emissionsfrei sein als Schwellen- und Entwicklungsländer. Diesen fehlen die nötigen Gelder, und sie sind noch stärker auf fossile Energien angewiesen. Darum wäre es für Länder wie die Schweiz eigentlich angebracht, netto null schon vor 2050 anzustreben.
Immerhin: Die neuste Version des CO2-Gesetzes weist nach Ansicht von Umweltorganisationen wie dem WWF eine angemessene Architektur auf: Es adressiert alle wichtigen Themen. Trotzdem bleibt der Handlungsbedarf gross. Der Blick in die verschiedenen Unterbereiche verrät, wieso.
Gebäude
Die Zahlen zeigen: Gebäude werden klimafreundlicher. Allerdings zu wenig schnell. Nicht alle Kantone ziehen bei der Klimapolitik am selben Strang.
Aktueller CO2-Ausstoss: 12,5 Millionen Tonnen (–4,5 Prozent)
Fazit vor einem Jahr: knapp okay
Fazit heute: okay – je nach Kanton
Die neusten Indikatoren sind ansprechend: 2018 waren die Emissionen aus Brennstoffen weiter rückläufig – um 2,2 Prozent gegenüber 2017. Brennstoffe werden fürs Heizen und in der Industrie verbraucht. Bei den Treibstoffen, die im Verkehr verbraucht werden, blieben die Emissionen dagegen unverändert.
Trotz dieser positiven Entwicklung ist der Gebäudesektor noch nicht auf Kurs. Das im letzten CO2-Gesetz gesteckte sektorielle Reduktionsziel von minus 40 Prozent bis 2020 wird aller Voraussicht nach verfehlt. Ebenso das im neuen CO2-Gesetz vorgesehene Zwischenziel von minus 50 Prozent bis 2027.
Das ist problematisch. Ölheizungen, die heute installiert werden, bleiben mehrere Jahrzehnte in Betrieb. Wegen dieses langen Erneuerungszyklus wäre es wichtig, dass auch die Zwischenziele erfüllt würden. Der Umstieg auf klimafreundliche Heizsysteme – wie etwa Wärmepumpen – verläuft zu langsam: Nach wie vor wird jede zweite alte Ölheizung durch eine neue ersetzt, schätzt das Immobilienbüro Wüest Partner.
Immerhin: Der Ständerat hat nun eine Verschärfung beschlossen. Bereits ab 2023 dürfen Heizungen maximal nur noch 20 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter Wohnfläche ausstossen. Das bedeutet in der Praxis, dass in einem mittelgut isolierten Einfamilienhaus keine Ölheizung mehr eingebaut werden kann.
Während die Schweiz über limitierte Einschränkungen diskutiert, hat die deutsche Regierung soeben ein Komplettverbot von neuen Ölheizungen ab 2026 beschlossen. In Dänemark dürfen schon seit 2016 keine Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden, in Norwegen folgt ein Verbot 2020. Dass die Schweiz hinterherhinkt, liegt am Föderalismus: Gebäudepolitik ist vorwiegend Sache der Kantone und wird unterschiedlich gehandhabt.
Vorreiter ist Basel-Stadt. Dort wurde 2016 ein Energiegesetz angenommen, das neue Ölheizungen fast verunmöglicht: Neubauten müssen einen Energieverbrauch nahe null aufweisen, in Altbauten dürfen nur noch ausnahmsweise fossile Ersatzheizungen eingebaut werden. Das Gesetz greift: Der Anteil fossiler Heizungen sank im Jahr 2018 von 50 auf 10 Prozent, wie das Basler Amt für Umwelt und Energie gegenüber der Republik bestätigt.
Auch in Luzern ist ein neues Energiegesetz seit 2019 in Kraft, und im Kanton Aargau kommt ein solches Gesetz demnächst in den Grossen Rat. Die Texte machen unterschiedlich nuancierte Vorschriften – etwa zum Ersatz von Elektroheizungen und -boilern, zur Energie-Eigenproduktion von Häusern und zum Ersatz von fossilen Heizungen. Dieser ist typischerweise nur noch dann zulässig, wenn ein Gebäude bestimmte Energienormen erfüllt.
Die Aufstellung zeigt: Einzelne Kantone bemühen sich. Doch insgesamt bleibt eine konsistente Klimapolitik im Bereich der Gebäude aus. Bern wollte dieses Jahr etwa ein Energiegesetz beschliessen – es scheiterte an der Urne.
Industrie
Die gute Nachricht ist: Die industriellen Treibhausgasemissionen sind rückläufig. Die schlechte ist: Sie sinken zu wenig schnell.
Aktueller CO2-Ausstoss: 10,7 Millionen Tonnen (–1,4 Prozent)
Fazit vor einem Jahr: passabel
Fazit heute: unverändert
In der Schweiz können Unternehmen selbst entscheiden, wie sie die Klimaziele erreichen wollen: Entweder sie verpflichten sich zur Steigerung der Energieeffizienz, oder sie bezahlen eine Abgabe auf fossile Brennstoffe, die wiederum in klimawirksame Massnahmen reinvestiert wird und über die Krankenversicherung und die Altersvorsorge an die Bevölkerung zurückfliesst.
Unternehmen können von der Abgabe befreit werden, wenn sie entweder am Emissionshandelssystem teilnehmen oder mit dem Bund individuelle Ziele vereinbaren. Letzteres Instrument greift erstaunlich gut. Rund 4000 Firmen haben damit seit 2013 eine halbe Million Tonnen CO2 eingespart. Die Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) ist des Lobes voll: So hätten etwa die SBB mit 75 aktiven Zielvereinbarungen ihren Stromverbrauch um 60 Gigawattstunden pro Jahr gesenkt – das entspreche dem Stromverbrauch der Stadt Biel.
Doch das System hat auch Mängel. Eine bundesinterne Studie kam bereits 2016 zum Schluss, dass die Zielvereinbarungen wenig ambitioniert seien und nur dem «sehr langfristigen Trend der gesamten Industrie» entsprächen. Die vom Bund abgesegneten Emissionsziele sind teilweise so bescheiden, dass viele Firmen sie deutlich unterschreiten. Und damit auch viel Geld verdienen: So hat etwa die Ems-Chemie Bescheinigungen im Wert von 7 Millionen Franken erhalten, weil sie mehr CO2 eingespart hat, als gefordert war.
Grundsätzlich hält sich die Industrie an den Klimakurs, 2018 hat sie die Sollwerte des Bundes erreicht. Nun doppelt der Ständerat nach: Der maximale Abgabesatz wird von 120 auf 210 Franken pro Tonne CO2 erhöht. So entsteht ein zusätzlicher Anreiz, sich dem Emissionshandel anzuschliessen oder mit dem Bund individuelle Ziele zu vereinbaren.
Doch damit die Politik im Industriesektor nachhaltig greift, müssen die individuellen Ziele strenger werden, und die finanziellen Fehlanreize müssen wegfallen. Nur so wird die Industrie ihre Emissionen längerfristig reduzieren.
Landwirtschaft
Im neuen CO2-Gesetz wird die Landwirtschaft mit keinem Wort erwähnt. Sie ist die grosse Abwesende in der Klimapolitik und wird es voraussichtlich bleiben.
Aktueller CO2-Ausstoss: 6,5 Millionen Tonnen (–0,2 Prozent)
Fazit vor einem Jahr: mangelhaft
Fazit heute: unverändert
Kein anderer Berufsstand wird in der Schweiz finanziell dermassen stark unterstützt wie die Bauern. Jährlich erhalten sie fast 4 Milliarden an staatlichen Geldern. Entsprechend einfach müsste es eigentlich sein, die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft mit Auflagen unter Kontrolle zu bekommen und rasch zu senken. Doch die Schweizer Politik hat die Bauern über die vergangenen Jahre behandelt wie ein rohes Ei. Die Zielsetzungen sind immer noch sehr tief. Gemäss der landwirtschaftlichen Klimastrategie des Bundes sollen die Emissionen bis 2050 nur um ein Drittel gegenüber 1990 sinken.
Um das zu ändern, will der Bundesrat die landwirtschaftliche Klimapolitik in der neuen Agrargesetzgebung (AP22+) regeln. Konkrete Massnahmen wird er im nächsten Jahr vorschlagen, und das Gesetz würde voraussichtlich 2022 in Kraft treten. Bis dahin verstreicht weiter kostbare Zeit.
Einziger Silberstreifen am Horizont: Der mächtige Bauernverband scheint sein Lobbying gegen eine starke Klimapolitik aufzugeben. Im Juli hat sich die Organisation für ein landwirtschaftliches Reduktionsziel im CO2-Gesetz ausgesprochen und sich aktiv von Klimaleugnern distanziert. Präsident Markus Ritter bekannte sich zur Kehrtwende: «Wir müssen handeln, und zwar jetzt!»
Verkehr
In der Schweiz dominieren Autos mit fossilen Verbrennungsmotoren die Strasse. Dies könnte sich ändern – sofern die Politik nicht zurückkrebst.
Aktueller CO2-Ausstoss: 15,0 Millionen Tonnen (–1,8 Prozent)
Fazit vor einem Jahr: miserabel
Fazit heute: leise Hoffnung
Lächerlich waren die Zahlungen, die Autoimporteure bisher leisten mussten, wenn sie ihre Emissionszielwerte verfehlten. Doch die letzten Meldungen lassen aufhorchen: 31 Millionen Franken an Sanktionen wurden für 2018 fällig. Das sind zehnmal mehr als 2017. Die Massnahmen, die endlich auch im Verkehr für eine Verringerung des CO2-Ausstosses sorgen sollen, greifen.
Gegenüber den Vorjahren ist das ein klimapolitischer Fortschritt. Allerdings sind die Bussen, wenn man sie auf die Anzahl verkaufter Autos umrechnet, noch immer bescheiden. So fielen etwa bei Mercedes-Benz – einem grossen Klimasünder – pro Auto nur rund 500 Franken an. Käufern der Mercedes-G-Klasse-Modelle, die es ab 100’000 Franken aufwärts zu haben gibt und die rund 10 Liter Treibstoff auf 100 Kilometern verbrauchen, dürfte dieser Betrag egal sein. Zumal die Importeure die Sanktionen nicht einmal an die Kunden weitergeben, wie etwa Fiat Chrysler und Mercedes der Presse sagen.
So erstaunt es nicht, dass der CO2-Ausstoss von neu immatrikulierten Wagen 2018 zugenommen hat und voraussichtlich auch 2019 steigen wird. Zahlen, welche die Republik vom Bundesamt für Energie (BFE) erhalten hat, zeigen einen Mittelwert von 140 Gramm pro Kilometer für Januar bis Juli 2019.
Hoffnung bringt das neue CO2-Gesetz. Der Ständerat will beim neuen Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer die Übergangsregeln verschärfen – Stichwort «Phasing-in». Auch für die weitere Zukunft wird vorgespurt: Der Grenzwert soll im Gleichschritt mit der EU ab 2025 auf 81 Gramm und ab 2030 auf 59 Gramm gesenkt werden. Das zwingt die Produzenten, im Verlauf des nächsten Jahrzehnts zu einem Grossteil auf Elektroautos umzusatteln.
Wie schnell der Umstieg passiert, hängt allerdings auch von der Nachfrage der hiesigen Autokäufer ab. Und diese wiederum von der Infrastruktur, sprich, den Ladestationen am Arbeitsplatz und auf öffentlichen Parkplätzen.
Hier kommen erneut die Kantone und die Gemeinden ins Spiel. Basel, um wiederum ein Beispiel zu nennen, berät aktuell über die Installation von 200 öffentlich zugänglichen Ladestationen in blauen Zonen. Die Erbauer neuer privater oder öffentlicher Parkhäuser sollen ebenfalls verpflichtet werden, Ladestationen einzurichten.
Vorletztes Jahr begann der Kanton, Taxihalter beim Umstieg auf E-Mobile zu unterstützen, dieses Jahr läuft die Aktion «Wirtschaft unter Strom»: Betriebe erhalten Förderbeiträge von bis zu 5000 Franken beim Erwerb von Elektroautos. «Gewerbebetriebe zeigen ein grosses Interesse an der Aktion», sagt Dominik Keller, stellvertretender Leiter des Amts für Umwelt und Energie in Basel.
Der Bund hat seinerseits diesen März die Zuschläge an fünf Firmen vergeben, E-Tankstellen auf insgesamt 100 Autobahnrastplätzen einzurichten. Wie bei den Gebäuden gilt auch beim Verkehr: Die Klimapolitik ist ein Puzzle aus nationalen und lokalen Initiativen, das zusammengesetzt werden muss.
Regeln wie in China, wo nur Elektrofahrzeuge garantiert ein Nummernschild erhalten, gibt es in der Schweiz nicht. Falls sich die diversen Akteure von nationaler bis kommunaler Ebene aber Mühe geben, könnte der Durchbruch bei der E-Mobilität innerhalb des nächsten Jahrzehnts dennoch gelingen.
Luftfahrt
Flugpassagiere ab Zürich oder Genf müssen wohl bald einen Klimaaufpreis bezahlen. Er ist allerdings zu wenig hoch, um eine Verhaltensänderung zu bewirken.
Aktueller CO2-Ausstoss: ca. 10 Millionen Tonnen
Fazit vor einem Jahr: inexistent
Fazit heute: erste Schritte in Sicht
Bravo, FDP. Nachdem die Partei im Nationalrat noch gegen Klimaschutz in der Luftfahrt gewesen war, haben ihre Ständeräte nun eingelenkt – und einer Flugticketabgabe zugestimmt. Sie soll zwischen 30 und 120 Franken liegen und je nach Distanz und Buchungsklasse abgestuft sein.
Was bringt eine solche Abgabe dem Klima? Laut Studien sind Touristen durchaus preissensitiv: Ein Aufpreis von 10 Prozent senkt die Nachfrage nach Flugreisen ebenfalls um 10 Prozent. Über den Daumen gepeilt würde dies für die geplante Ticketabgabe etwa bedeuten:
Ein Europaflug im Wert von 200 Franken verteuert sich bei einer Abgabe von 30 Franken um 15 Prozent – die Passagierzahlen sinken entsprechend.
Ein Interkontinentalflug für 1000 Franken verteuert sich bei einer Abgabe von 120 Franken um 12 Prozent – die Zahlen sinken entsprechend.
Auf den ersten Blick hört sich dies nach einem ansprechenden Ergebnis an. Allerdings wirft es die wachsenden Passagierzahlen nur wenig zurück. Diese haben sich ab Zürich in den vergangenen 15 Jahren auf 22,2 Millionen verdoppelt, wobei die Transferreisen nicht einmal gezählt sind (diese sind von der Flugticketabgabe ausgeschlossen). Minus 12 bis 15 Prozent würde bedeuten, die Zahlen sinken auf das Niveau von 2015 bis 2016 – und steigen danach wieder an, wenn auch in einem etwas gebremsten Tempo.
Hinzu kommt, dass die geplante Ticketabgabe die externen Umweltkosten des Fliegens nur ansatzweise deckt. Ein Bericht des Bundesamts für Umwelt beziffert diese auf 18 Franken für einen Flug von Zürich nach Berlin und auf 200 Franken für einen Flug nach Peking. «Eine Lenkungsabgabe müsste daher weit über die Internalisierung der externen Kosten hinausgehen, dass sie eine spürbare Lenkungswirkung entfaltet», schreibt das Amt.
Während die Politik zaudert, scheint wenigstens bei den Konsumenten ein Umdenken im Gang zu sein. So wuchsen die lokalen An- und Abflugzahlen in Zürich von Januar bis August 2019 deutlich langsamer als 2017 und 2018. Die Zunahme gegenüber dem Vorjahresmonat betrug im Mittel noch 0,8 Prozent. In den beiden Vorjahren waren es jeweils rund 5,5 Prozent gewesen.
Ob diese Stagnation mit den Klimademonstrationen und zunehmender Flugscham erklärbar ist und wie nachhaltig sie ist, bleibt offen. Der Flughafen weist darauf hin, dass 2018 dank neuen Swiss-Flugzeugen ein sehr hohes Wachstum erzielt wurde, wohingegen 2019 eher ein Jahr der Konsolidierung sei.
Tatsache ist: Flugreisen beanspruchen im CO2-Budget hiesiger Haushalte einen nicht unwesentlichen – und zunehmenden – Anteil. Die politischen Anstrengungen, etwas dagegen zu tun, haben gerade erst begonnen.
Graue Emissionen
Emissionen, die bei der Erzeugung importierter Güter anfielen, ruinieren weiterhin die Schweizer Klimabilanz. Die Politik verschliesst die Augen.
Aktueller CO2-Ausstoss: ca. 70 Millionen Tonnen
Fazit vor einem Jahr: hilflos
Fazit heute: immer noch hilflos
Graue Emissionen fallen bei der Produktion und beim Transport all jener Waren an, die in die Schweiz importiert werden. Dazu gehören Rohstoffe, Industriegüter, Haushaltsprodukte oder Nahrungsmittel. Die Auslagerung von Produktionsprozessen und die wachsenden Importmengen haben zur Folge, dass mehr als die Hälfte aller Treibhausgasemissionen, die hiesigen Einwohnern anrechenbar sind, im Ausland anfallen – Tendenz steigend.
Internationale Klimapolitik ist am Territorialprinzip orientiert. Die Schweiz muss sich nur um die inländischen Emissionen kümmern und ist nicht verpflichtet, das im Ausland ausgestossene CO2 zu reduzieren. So weit die Theorie. Importiert eine Firma beispielsweise einen Stahlträger aus China, werden die Emissionen nicht in der Schweizer Bilanz, sondern in jener von China verbucht. Deshalb werden die grauen Emissionen auch im neuen CO2-Gesetz nicht adressiert. Die Verantwortung wird abgeschoben.
Da die Schweiz jedoch für einen grossen Pro-Kopf-Ausstoss verantwortlich ist, sollte sie weiter gehen als viele der Vertragspartner von Paris: Sie sollte ihre inländischen Emissionen schneller reduzieren. Das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, ist zwar erfreulich – aber nicht mehr als die Pflicht.
Ausblick
2019 könnte ein gutes Jahr für die Schweizer Klimapolitik werden. Vor zwölf Monaten wäre es noch undenkbar gewesen, dass der Bundesrat bis 2050 die Klimaneutralität verlangt und der Ständerat sich zum 1,5-Grad-Ziel bekennt. Die kleine Kammer bringt mit dem CO2-Gesetz erstmals eine klimapolitische Vorlage auf den Weg, die das Prädikat «genügend» verdient.
Allerdings sei vor falscher Vorfreude gewarnt.
Bis das Gesetz in Kraft tritt, drohen weitere Stolperfallen und schmerzhafte Verzögerungen. Die Vorlage dürfte zwar im neuen Nationalrat nicht mehr zerrupft werden, aber es ist damit zu rechnen, dass die SVP ein Referendum ergreift, über das erst im November 2020 abgestimmt werden könnte. Ein negatives Votum und der damit verbundene Zeitverlust wären ein Desaster.
Dass mit dem jetzigen CO2-Gesetz das Netto-null-Ziel bis 2050 erreicht wird, ist unwahrscheinlich. Es dürfte weitere Revisionen brauchen, die noch stärker eingreifen und die soziale Verträglichkeit der Massnahmen adressieren.
Zudem hat ein Komitee schon über 120’000 Unterschriften für die Gletscherinitiative gesammelt. Kommt das Anliegen vor dem Stimmvolk durch, wären fossile Energieträger in der Schweiz ab 2050 verboten. Und die Schweiz müsste ihre bisherige Klimapolitik noch einmal deutlich verschärfen.
Das Fazit: Am Horizont kündigen sich Verbesserungen an. Zwischen dem CO2-Gesetz, das der Nationalrat vergangenes Jahr versenkt hat, und der heutigen Version liegen Welten. Doch unter dem Strich lässt die Klimapolitik nach wie vor zu wünschen übrig. Die Absichten reichen, wie Simonetta Sommaruga sagen würde, auch mit den neuen Massnahmen noch nicht.
Der Text wurde nach Abschluss der Debatte im Ständerat ergänzt.
In einer früheren Version des Beitrags fehlte bei der Angabe des aktuellen CO2-Ausstosses für die Bereiche Gebäude, Industrie, Landwirtschaft und Verkehr die Mengenangabe Millionen. Das haben wir korrigiert.