Abkommen mit Brasilien, Klimaziel mit Biss – und Geld für die Medien
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (66).
Von Andrea Arezina, Elia Blülle und Dennis Bühler, 29.08.2019
Spieglein, Spieglein an der Wand, wie repräsentativ ist unser Parlament?
Diese Frage stellte sich das Schweizer Radio und Fernsehen. Und machte eine ernüchternde Erkenntnis: Für eine angemessene Vertretung der Stimmbevölkerung in Bezug auf Geschlecht, Alter oder Herkunft fehlen in der Bundesversammlung 48 junge Parlamentarier, weitere 13 Gewählte aus den Städten und 56 weibliche Politikerinnen. Männer sind überrepräsentiert.
Ist das ein Problem?
Die Zürcher Politikwissenschaftlerin Sarah Bütikofer gibt sich gegenüber SRF unentschlossen. Nicht jede Personengruppe müsse im Parlament vertreten sein; viel wichtiger sei es für eine Demokratie, dass sich die Parlamentarierinnen für die Anliegen ihrer Wählerschaft einsetzten.
Spielt es also keine Rolle, dass in unserem Parlament die Frauen derart stark unterrepräsentiert sind?
Politologin Bütikofer sagt, dass politische Position nicht vom Geschlecht abhänge. Allerdings hält sie es für denkbar, dass die Anliegen von Minderheiten und Bevölkerungsgruppen eher gehört würden, wenn sie im Parlament gut vertreten wären: «Die Lebensrealitäten der Geschlechter unterscheiden sich voneinander, und wenn mehr Frauen im Parlament sässen, würden sicher auch andere, neue Themen behandelt werden und an Wichtigkeit gewinnen.»
Wie gut Sie in Bezug auf Ihr Geschlecht oder Ihr Alter im Parlament repräsentiert werden, können Sie selber über einen interaktiven Test auf der SRF-Website herausfinden. Ein Durchlauf lohnt sich.
Und hier geht es weiter mit dem Briefing aus Bern.
Presseförderung: Bundesrat will auch Onlinemedien unterstützen
Worum es geht: Der Bundesrat will Zeitungen finanziell stärker unterstützen – und neu auch Onlinemedien. Auf das geplante neue Mediengesetz verzichtet er aber.
Warum das wichtig ist: Die Medien stecken in einer tiefen Krise. Darum wollte die frühere Medienministerin Doris Leuthard ein neues Mediengesetz konzipieren. Nach Kritik in der Vernehmlassung verzichten Leuthards Nachfolgerin Simonetta Sommaruga und ihre Kolleginnen aber darauf. Stattdessen setzt der Bundesrat nun auf rasch umsetzbare Massnahmen zur Unterstützung: Er schlägt vor, über das bestehende Radio- und Fernsehgesetz neu auch Onlinemedien zu unterstützen, die einen hohen Anteil an redaktionellen Inhalten aufweisen, ein kontinuierliches Angebot bereitstellen und sich an die journalistischen Standards des Schweizer Presserates halten. Mit insgesamt 50 Millionen Franken pro Jahr will der Bundesrat dabei ausschliesslich Anbieter fördern, die digitale Medieninhalte verkaufen und so eine längerfristige Finanzierbarkeit anvisieren. Geld erhalten könnten somit beispielsweise die Republik oder «tsüri.ch», die beide auf – mehr oder minder durchlässige – Bezahlschranken setzen, nicht aber «Watson» oder «Nau», die ihre Beiträge kostenlos zur Verfügung stellen.
Wie es weitergeht: Der Bundesrat drückt aufs Tempo – im ersten Halbjahr 2020 will er dem Parlament sein Massnahmenpaket unterbreiten. Bereits im September berät der Nationalrat zudem verschiedene parlamentarische Initiativen, die eine Verfassungsgrundlage für eine direkte Presseförderung schaffen sollen.
Freihandelsabkommen: Schweiz einigt sich mit Brasilien
Worum es geht: Innert zweier Jahre hat die Schweiz ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten ausgehandelt. Am Wochenende hat der Bundesrat die Einigung mit den südamerikanischen Ländern bekannt gegeben. Mit dem Abkommen sollen 95 Prozent der Schweizer Exporte nach Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay von Zöllen befreit werden.
Warum das wichtig ist: Da die Europäische Union ein vergleichbares Abkommen bereits im Sommer abgeschlossen hat, verhindert der Bund mit der raschen Einigung, dass hiesige Unternehmen gegenüber ihrer europäischen Konkurrenz benachteiligt werden. Der Bund rechnet damit, dass die Schweizer Wirtschaft durch das Freihandelsabkommen jährliche Kosten von bis zu 180 Millionen Franken sparen wird.
Wie es weitergeht: Die Einzelheiten des Abkommens sind noch nicht bekannt. Bisher liegt nur eine Zusammenfassung vor. Während die Schweizer Wirtschaft das Freihandelsabkommen begrüsst, stösst es beim Bauernverband und den linken Parteien auf Widerstand. Die Grünen drohen mit dem Referendum, sollte das Abkommen keine Forderungen zum Schutz des Regenwaldes und gegen die Vertreibung der indigenen Bevölkerung enthalten. Angesichts der aktuellen verheerenden Waldbrände in der Amazonas-Region wird die Kritik immer lauter.
Pädokriminalität im Netz: Bund spart am falschen Ort
Worum es geht: Trotz steigender Fallzahl unternimmt die Schweiz zu wenig gegen Pädokriminalität im virtuellen Raum. Zu diesem Schluss kommt ein interner Bundesbericht.
Warum das wichtig ist: Pädokriminalität zeigt sich im Internet vor allem durch die Verbreitung von Kinderpornografie. Im Jahr 2014 wiesen amerikanische Fahnder die Schweizer Behörden 480-mal auf mögliche Missbrauchsfälle mit pädokriminellem Hintergrund hin. Vier Jahre später waren es bereits 9000 Meldungen. Trotzdem haben diverse Polizeikorps aufgrund lokaler Prioritätensetzung sämtliche pädokriminellen Internetfälle zurückgestellt. Und befänden sich bei der Bearbeitung von Anzeigen «in einem kaum mehr aufzuholenden Rückstand». So steht es im Bericht. Zudem: Noch vor drei Jahren hat das Parlament entschieden, dass im Bereich der Bekämpfung der Pädokriminalität und der Pornografie weniger Personal eingesetzt werden soll. Stattdessen konzentriert sich die Polizei verstärkt auf Automatisierung. Dabei wäre die verdachtsunabhängige Ermittlung im Netz ein wichtiges Instrument in der Verbrechensbekämpfung. Diese finde aber auf Bundes- oder Kantonsebene kaum oder gar nicht statt.
Wie es weitergeht: Gut möglich, dass der Bericht ein Thema sein wird in der nächsten Budgetdebatte des Parlaments – aber auch die Kantone beschäftigen wird. Die Stadtpolizei Basel und die Aargauer Kantonspolizei deuten im «SonntagsBlick» an, dass ihnen für die Bekämpfung der Pädokriminalität die Ressourcen fehlen.
Klimapolitik: Bundesrat fordert klimaneutrale Schweiz bis 2050
Worum es geht: Die Schweiz soll per 2050 nicht mehr CO2 in die Atmosphäre pusten, als sie ihr gleichzeitig wieder entzieht. Das hat der Bundesrat beschlossen. Die Regierung bekennt sich damit zum international vereinbarten Ziel, die globale Klimaerwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen.
Warum das wichtig ist: Die Schweiz hat 2015 im Zuge der Pariser Klimaziele angekündigt, ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 um 70 bis 85 Prozent zu vermindern. Doch bereits 2018 hat der Weltklimarat aufgezeigt, dass dieses Ziel zu tief angesetzt war und eine ausgeglichene Emissionsbilanz viel früher erreicht werden muss.
Wie es weitergeht: In der kommenden Frühlingssession wird der Ständerat mit dem CO2-Gesetz das wichtigste Steuerungsinstrument der Schweizer Klimapolitik behandeln. Will die grosse Kammer den Zielen des Bundesrates gerecht werden, muss das Gesetz deutlich schärfer ausfallen als ursprünglich vorgesehen.
Wird über Politikerinnen anders berichtet als über ihre männlichen Kollegen?
Politikwissenschaftlerinnen der Universität Zürich haben 1,8 Millionen Artikel aus 80 Schweizer Tageszeitungen, Magazinen und Wochentiteln analysiert. Die Studie kommt zum Schluss: Die Medien hören Politikerinnen gleich häufig an wie ihre männlichen Kollegen. Das Ergebnis überrascht, widerspricht es doch der weitläufigen These, dass weibliche Parlamentarierinnen in der Presse weniger zu Wort kommen. Politologe Fabrizio Gilardi warnt aber im «Tages-Anzeiger» vor vorschnellen Schlüssen, denn es sei sehr schwierig, systematische Geschlechterunterschiede in der Politikberichterstattung nachzuweisen: «Das Phänomen ist entweder weniger verbreitet als vermutet, eventuell ist es auf wenige prominente Politikerinnen beschränkt. Oder es drückt sich subtil aus, so, dass es mit den bestehenden Methoden schwer zu fassen ist.»