Binswanger

Opa wird schwierig

Bei der SVP ist der Wurm drin. Doch Roger Köppel hat ein Rezept, um die Situation zu retten: mit Feingefühl.

Von Daniel Binswanger, 24.08.2019

Es geht Ihnen sicherlich wie mir: Nein, noch ein Kommentar zum SVP-Ungeziefer­plakat ist eigentlich nicht nötig. Wir sind uns schliesslich einig: Ja, es ist beschämend, wenn die grösste Partei der Schweiz mit widerlichen Nazi-Klischees Propaganda betreibt. Ja, es ist problematisch, diese Provokation im Medien­diskurs überhaupt aufzunehmen und zu denunzieren, weil die Aufmerksamkeit, welche solche Grenz­überschreitungen erregen, die einzige Absicht der Übung ist. Ja, die Volkspartei hat mit dieser Methode häufig Erfolg gehabt (Messer­stecher, Schäfchen, Ratten usw.), wird sich diesmal aber trotzdem ins eigene Knie schiessen. Und zwar gleich aus mehreren Gründen.

Erstens hat die visuelle Widerlichkeit des Sujets eine völlig neue Qualität. Kein putziger Retro-Look, keine altmodischen Illustrationen, stattdessen ätzend realistischer Ekelfaktor. So etwas mag niemand sehen, schon gar nicht ordentliche Patrioten und SVP-Wähler. Zweitens stellt die Partei hier nicht «nur» den roten Erbfeind als Gewürm dar, sondern auch alle bürgerlichen Schwester­parteien. Wechsel­wähler mit rechts­bürgerlicher Sensibilität werden es zur Kenntnis nehmen. Drittens kann die Volkspartei momentan nicht auf einer xenophoben oder EU-feindlichen Welle reiten, sie handelt aus einer Position der Schwäche. Auch aggressives Grossmanns­gehabe wirkt da gleich ganz anders. Es verströmt nicht tabulose Furcht­losigkeit, es riecht nach Panik und Angst­schweiss.

Doch bunt wie das Leben nun einmal ist: Der beelendende Auftakt zum nationalen Wahlkampf hat auch eine heitere Seite. Man muss sich zwar etwas die Nase zuhalten in diesen angebräunten Niederungen. Aber geballtes satirisches Potenzial, wenn auch von der eher derben Sorte, hat die Sache trotzdem.

Da ist zum Beispiel SVP-Fraktions­chef Thomas Aeschi, der im Nachgang zur Veröffentlichung des Würmer-Plakates einen Fettnapf-Parcours der Extraklasse aufs Parkett legte. Es begann damit, dass er am Sonntagabend auf TeleZüri mit einer antisemitischen Würmer-Illustration aus dem «Stürmer» konfrontiert wurde und kleinlaut zu Protokoll gab, er habe nicht gewusst, dass so etwas in dem Nazi-Propaganda­organ veröffentlicht wurde. Wer könnte auch auf die Idee kommen, dass man in die Nähe der Nazis gerät, wenn man seine politischen Gegner als auszurottendes Ungeziefer darstellt?

Aber das war erst der Auftakt. Um seinen peinlichen Auftritt wieder­gutzumachen, betrieb Aeschi dann doch noch historische Quellen­forschung und glaubte, in «Bauern, Bürger, Bundesräte», einem Opus von Historiker und Blocher-Berater Christoph Mörgeli, auf eindeutig entlastendes Material gestossen zu sein. Er vertwitterte ein dort abgebildetes Wahlplakat der SVP-Vorgänger­partei aus dem Jahr 1933, auf dem ein «rotes» Würmchen von einem Spaten aus der Erde gehoben wird. Sein Kommentar: «Keine neuen Raupen unter der Sonne ...»

Dass Aeschi auf die Idee kommt, ein ähnlich gestaltetes Plakat aus dem Jahr 1933 könne die heutige SVP von Faschismus­vorwürfen entlasten, ist an sich schon eine reife Leistung. Noch pikanter wird die Sache allerdings, weil die damals noch «Bauernpartei» genannte SVP-Vorgängerin in dem Zürcher Stadtrats­wahlkampf, in dem das Plakat mit der roten Raupe verwendet wurde, dazu aufrief, für den Kandidaten der Frontisten – die damalige Schweizer Nazi-Partei – zu stimmen. Dass 1933, im sogenannten Fronten-Frühling, das Ungeziefer fröhlich durch die Schweizer Polit­propaganda fleuchte, hilft zwar tatsächlich bei der Einordnung der aktuellen SVP-Strategie – aber leider nicht ganz in dem Sinn, den der unerschrockene Thomas Aeschi den historischen Fakten andichten will.

Doch wie immer, wenn es erhaben, gross und wichtig wird, gibt ohnehin der Herrliberger Patriarch den Tarif durch. Wie immer mit klarer Ansage: «Wenn jemand etwas ‹Grusiges› macht, dann muss man das ‹grusig› darstellen.» Das ist natürlich ein schlagendes Argument: Wenn FDP- und CVP-Politiker sich wie widerliche Maden verhalten, dann muss man sie als widerliche Maden darstellen. Was kann da der Blocher dafür?

Das letzte Topping auf der Sahnetorte der Selbst­apologetik kam ebenfalls von erwartbarer Seite: von Roger Köppel. Doch ganz überraschend ist seine Rhetorik hier nicht nur scharf und schneidend, sondern auch herzergreifend und geradezu rührend. Wir kannten Köppel den Einpeitscher, den Chef-Propagandisten, den Schall­trichter von Blochers Gnaden. Heute aber entdecken wir Köppel den Einfühlsamen, den Rücksichts­vollen, den Psychologen.

Sein neues «Weltwoche»-Editorial jedenfalls ist ein beeindruckender Akt der Einfühlung in den Seelen­haushalt seines politischen Übervaters. Offenbar – im Köppel-Editorial steht ein geschickt zurück­haltendes «mutmasslich» – hat Blocher himself seiner Partei den Missgriff des Ungeziefer-Plakates eingebrockt. Was tun als Kron­prätendent der einzigen Schweizer Führer­partei, wenn man feststellen muss, dass der grosse Führer den Kontakt zu den politischen Realitäten verloren hat? Dass er beginnt, in einer immer paranoideren Alters­radikalität sein eigenes Lebens­werk zu zerlegen? Was tun, wenn Opa schwierig wird? Vielleicht sollte Köppel mal mit dem chief of staff von Donald Trump telefonieren und sich ein paar Tipps holen. Doch schon jetzt legt er einen Takt und eine Feinfühligkeit an den Tag, vor der man nur den Hut ziehen kann. Wie viel auch immer Herrliberg in ihn investiert haben mag, der Goldjunge ist jede Kopeke wert.

Köppels Care-Rezept ist zwar im Grundsatz einfach, aber in der Umsetzung äusserst anspruchsvoll: loben, massieren, schmeicheln, streicheln. Und dennoch unzweideutig kommunizieren, dass dem obszönen Blocher-Unsinn ein sofortiges Ende gesetzt werden muss.

Mit grösster Ingeniosität streicht Köppel dem Patriarchen also um den Bart und besingt sein unerreichtes politisches Genie. Am besten funktioniert das immer noch über die Echokammer: Blocher redet von «Punkt­landung», Köppel spricht von «Volltreffer». Blocher sagt: «Wenn man nicht über den Inhalt reden will, spricht man über den Stil.» Köppel moduliert: «Wer über den Stil schimpft, möchte über den Inhalt nicht reden.» Blocher sagt: die Schweiz «kaputtmachen». Köppel redet von der «grossen Schweiz-Aushöhlung». Als Bauchredner seines Meisters macht ihm keiner etwas vor.

Doch Köppel leistet noch ein Zweites: Er kommuniziert klar und deutlich, dass man den Wahnsinn der Ungeziefer-Plakate sofort stoppen muss. Die Illustration seines «Weltwoche»-Kommentars ist zwar eine Apfel-Darstellung, aber in völlig verwandelter Form: Der Apfel wird nicht von Maden zerfressen, sondern es wird im Gegenteil ein gesundes und offenbar auch leckeres Exemplar gezeigt. Jedenfalls ist nur noch das «Bütschgi» übrig, weil sich ein hungriger Eidgenosse daran gütlich getan hat. Von Maden, Würmern oder sonstigen Ekel-Triggern ist rein gar nichts mehr zu sehen. Von Signeten anderer bürgerlicher Parteien ebenfalls nicht. Die Darstellung hat zwar in etwa dieselbe Ästhetik wie das Madenbild, aber das Messaging hat sich um 180 Grad gedreht.

Es dürfte ein Novum sein in der politischen Publizistik der Schweiz: Eine schäumende Lobes­hymne auf ein Wahlplakat wird illustriert mit einem Sujet, das exakt gegenteilig funktioniert. Es wäre ungerecht, einem solchen Mass an Unverfrorenheit nicht eine gewisse Anerkennung zu zollen.

Und auch wenn die Fortsetzung dieser Geschichte kaum besonders herz­erhebend werden dürfte: Es bleibt spannend. Ist Opa schon so verwirrt, dass er den Trick des Goldjungen nicht durchschaut? Oder gibt es in dem Verein auch heute noch niemanden, der den Patriarchen stoppen kann? Werden die braven Partei­soldaten tatsächlich nächste Woche mit den Ekelbildern die Schweiz tapezieren und kampagnen­technisches Harakiri begehen? Oder wird man plötzlich das Gegenteil machen und behaupten, ein Apfel sei schliesslich ein Apfel?

Aber wer will das schon wissen angesichts all der delikaten menschlichen Rücksichten, die über den Ausgang dieser Saga entscheiden? Keine Sorge, wir bleiben dran!

Illustration: Alex Solman