Was diese Woche wichtig war

Salvinis doppelte Niederlage, eine Haft­entlassung, Libra bringt Länder zusammen – und die Top-Storys

Woche 34/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Ronja Beck, 23.08.2019

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Regierung in Italien zerbricht nach 14 Monaten

Darum geht es: Am Dienstag hat der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte vor dem Senat seinen Rücktritt verkündet. Damit bringt er die Regierungs­koalition in Italien, die am 1. Juni 2018 gebildet wurde, während der nationalen Sommer­ferien an ein Ende. Conte kommt mit seinem Beschluss Innen­minister Matteo Salvini zuvor, der ein Misstrauensvotum gegen ihn erzwingen wollte.

Für einmal ist er im Mittelpunkt: Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte bekommt Beifall für seine Rede, in der er Innen­minister Matteo Salvini harsch kritisiert hat. Alessandra Benedetti/Corbis/Getty Images

Warum das wichtig ist: Der Rücktritt des parteilosen Giuseppe Conte kam nicht überraschend. In die Ecke getrieben von Salvini, liess er es nicht aus, in seiner knapp einstündigen Ansprache vor dem Parlament seinen Innenminister als «verantwortungslos» und «leichtsinnig» zu bezeichnen und ihn des Opportunismus zu bezichtigen. In seiner Antwort kritisierte Salvini wiederum die Cinque Stelle und machte sich stark für Neuwahlen. Wie bereits vor wenigen Wochen, als er die Regierungs­koalition seiner Lega mit den Cinque Stelle aufkündigte und auf Neuwahlen bestand. Alles im Wissen um die guten Umfragewerte der rechtsnationalistischen Lega, die er anführt. Das von ihm angedachte schnelle Misstrauens­votum gegen Conte lehnte der Senat ab, dieser verpflichtete Conte jedoch dazu, am Dienstag zu der jüngsten der vielen Regierungs­krisen Italiens Stellung zu nehmen. Sein Abgang ist für Salvini ein Sieg – im ersten Moment jedenfalls.

Was als Nächstes geschieht: Auf den zweiten Blick könnte Salvini mit seinem offensiven Vorgehen an seinem eigenen Stuhl sägen. Die Cinque Stelle und die Sozial­demokraten vom Partito Democratico scheinen sich trotz ideologischer Gräben näherzukommen. Erst kürzlich hatten sie sich zusammen­getan und den Misstrauens­antrag von Salvini abgeschmettert. Jetzt stellt sich die Frage, ob auch eine Regierung der beiden unter­schiedlichen Parteien bis zu den Wahlen 2023 möglich beziehungsweise realistisch ist. Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi, der die Krise für ein politisches Comeback nutzt, setzt sich für eine solche rot-gelbe Koalition ein. Gemeinsam mit den Fraktions­losen würde das Bündnis eine Mehrheit im Parlament stellen – und Salvini in die Opposition drängen. Staatspräsident Sergio Mattarella zeigt derweil wenig Geduld und will bis Anfang nächster Woche Bescheid bekommen über eine mögliche Mehrheit im Parlament. Sollte diese nicht zustande kommen, wird Mattarella die Kammern auflösen und eine Übergangs­regierung einsetzen. Frühestens im Oktober würde es dann zu Neuwahlen kommen – ganz im Sinne Salvinis. Sollte es anders kommen, droht Salvini damit, die Bevölkerung für seine Anliegen zu mobilisieren.

Rettungsschiff Open Arms legt in Lampedusa an

Darum geht es: Fast drei Wochen lang lag das spanische Rettungs­schiff Open Arms mit über 100 Geflüchteten an Bord blockiert im Mittelmeer. Am Dienstagabend fuhr das Schiff in den Hafen von Lampedusa ein. Die sizilianische Staats­anwaltschaft hatte nach einer Inspektion der Open Arms die Order gegeben. Das Schiff der spanischen NGO Proactiva Open Arms wurde nach dem Anlegen beschlagnahmt.

Freudentänze: Geflüchtete vom Schiff Open Arms, nachdem sie in Lampedusa an Land durften. Francisco Gentico/EFA/Keystone

Warum das wichtig ist: Die Situation an Bord der Open Arms hatte sich zunehmend verschärft. Ärzte hätten auf dem Schiff prekäre medizinische Zustände vorgefunden. Das Limit sei erreicht, sagte auch die NGO. Italiens Innen­minister Matteo Salvini stellte sich jedoch eisern gegen ihre Bitten, in Lampedusa anlegen zu dürfen. Ein römisches Verwaltungs­gericht erlaubte der Open Arms am 14. August schliesslich, in italienisches Hoheitsgebiet einzufahren. Seither befand sich das Schiff wenige hundert Meter vor Lampedusa, aber ohne Anlege­erlaubnis. Minister­präsident Giuseppe Conte forderte daraufhin, Minder­jährige und Kranke sofort an Land zu lassen, und griff in einem Facebook-Post Salvini an. Mehrere Personen konnten in Lampedusa oder Malta an Land. Zudem hatten sich sechs EU-Staaten dazu bereit erklärt, die Geretteten aufzunehmen. Die spanische Regierung versuchte sich in Deeskalation und bot an, das Schiff in einen balearischen Hafen zu führen. Proactiva Open Arms schlug das Angebot aus. Eine dreitägige Reise sei zu den jetzigen Bedingungen nicht möglich, twitterte Oscar Camps, Gründer von Proactiva Open Arms. Vergangenen Dienstag eskalierte die Situation auf dem Schiff: Über ein Dutzend der Geretteten sprangen von Bord und versuchten nach Lampedusa zu schwimmen. Die Situation sei «ausser Kontrolle», kommunizierte die NGO. Das Schiff durfte noch am selben Tag anlegen und die 83 verbleibenden Geretteten an Land.

Was als Nächstes geschieht: Die sizilianische Staats­anwaltschaft hat angekündigt, wegen Freiheits­beraubung und Amts­missbrauchs zu ermitteln. Es soll geklärt werden, wer in der Befehls­kette das Schiff am Anlegen gehindert hat. In einem Facebook-Video stellt sich Salvini selber als Opfer dieser Ermittlungen dar. Derweil bahnt sich die nächste Krise auf dem Mittelmeer an: Das Rettungs­schiff Ocean Viking mit 356 Geflüchteten an Bord wartet seit inzwischen zwei Wochen auf Erlaubnis, einen Hafen anfahren zu dürfen. Malta hat eine Anfrage zurück­gewiesen, Italien stellt auf stumm.

Hoher Besuch in der Schweiz wegen Libra-Währung

Darum geht es: Sechs Mitglieder des US-Repräsentanten­hauses weilen in diesen Tagen im Namen des Finanz­ausschusses in der Schweiz, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet. Mit dabei ist auch Maxine Waters, die Vorsitzende des Ausschusses. Facebooks Internet­währung Libra solle im Zentrum des Besuches stehen, sagt ein Sprecher des Schweizer Daten­schützers Adrian Lobsiger. Die Delegation sei für mehrere Treffen in die Schweiz gereist, so auch für eines mit Lobsiger.

Warum das wichtig ist: Am 18. Juni machte Facebook seine jahrelang gehegten Pläne für eine eigene Kryptowährung konkret: Libra soll sie heissen, gesteuert von der neu gegründeten Libra Association mit Sitz in Genf. Vorerst gekoppelt an verschiedene Währungen, um Kurs­schwankungen zu verhindern, soll Libra zu einer eigenständigen digitalen Weltwährung aufsteigen. Doch die Pläne von Facebook und der für Libra zuständigen Tochter­firma Calibra stossen seit der Ankündigung auf harschen Gegenwind. Der Finanzausschuss in den USA forderte sogleich ein Moratorium für Libra, um Zeit für passende regulatorische Massnahmen zu gewinnen. Donald Trump zeigte sich derweil auf Twitter als «kein grosser Fan» von Libra und Kryptowährungen in der Summe. Daten­schützer Adrian Lobsiger forderte von der Libra Association konkrete Angaben zum geplanten Umgang mit den Daten. Daten­schützer aus den USA, der EU und weiteren Staaten formulierten kurz darauf einen Fragen­katalog, der – wenig überraschend – ein grosses Misstrauen gegenüber Facebook offenbarte. Auch die Wettbewerbs­kommission der EU hat sich diese Woche eingeschaltet in der Sorge, Facebook könnte mit Libra die Konkurrenz ausbooten. Dass Maxine Waters und Kollegen nun in die Schweiz reisen, kommt wenig überraschend, ist Waters doch eine lautstarke Kritikerin des Vorhabens von Facebook und des gewählten Standorts der Stiftung.

Was als Nächstes geschieht: Der Start von Libra ist für die erste Hälfte 2020 geplant. Ob dieses Ziel realistisch ist, ist fraglich. Zumal noch unklar ist, welche regulatorischen Anforderungen Libra erfüllen muss. Die Schweizer Finanzmarkt­aufsicht hält sich dazu bedeckt. Daten­schützer Adrian Lobsiger wartet derweil auf eine Beantwortung seiner Fragen an die Libra Association. Es ist eine Frist bis Ende August gesetzt.

Wegen Fehlgeburt inhaftierte Evelyn Hernández kommt frei

Darum geht es: 2016 wurde in El Salvador die damals 18-jährige Evelyn Hernández zu einer 30-jährigen Haftstrafe verurteilt. Hernández war nach mehreren Vergewaltigungen schwanger geworden und erlitt im fünften Monat in einer Latrine eine Fehlgeburt. Das Kind war tot. Das Gericht hatte sie daraufhin wegen Mordes schuldig gesprochen. Das oberste Gericht annullierte das Urteil im vergangenen Jahr und ordnete einen neuen Prozess an. Diesen hat die mittlerweile 21-Jährige aufgrund mangelnder Beweislast gewonnen. Sie wurde am Montag nach 33 Monaten Haft freigesprochen.

Frei! Evelyn Hernández war wegen Tötung ihres Kindes verurteilt worden, nach 33 Monaten durfte sie das Gefängnis verlassen. Salvador Melendez/AP Photo/Keystone

Warum das wichtig ist: Seit 1998 gilt in El Salvador ein drakonisches Verbot von Abtreibungen – eines der härtesten weltweit. Ein Abort ist unter keinen Umständen gestattet, auch wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Wird eine Frau einer Abtreibung schuldig gesprochen, drohen ihr bis zu acht Jahre Haft. Eine Fehlgeburt kann, wie im Fall von Evelyn Hernández, noch weitaus härtere Strafen nach sich ziehen, wenn den Frauen vorgeworfen wird, ihr Kind getötet zu haben. Evelyn Hernández teilt ihr Schicksal mit Dutzenden Frauen im 6 Millionen Einwohner kleinen El Salvador. Oft trifft es Frauen aus prekären Verhältnissen, die sich keine medizinischen Unter­suchungen leisten können und denen deshalb Vernachlässigung angelastet wird. Erst durch das vehemente Eingreifen von Menschenrechts­organisationen und Anwältinnen erhalten sie die Chance, einer Haftstrafe zu entgehen oder nach Haftantritt freigesprochen zu werden.

Was als Nächstes geschieht: Nach ihrer Entlassung bat Hernández den seit Juni amtierenden Präsidenten Nayib Bukele, Abtreibungen in El Salvador zu entkriminalisieren. Bukele, eigentlich ebenfalls ein Abtreibungs­gegner, hatte sich im Fall der zu 20 Jahren verurteilten Imelda Cortez auf Twitter gegen die Kriminalisierung von Fehlgeburten eingesetzt. Ob er den Umschwung auf Gesetzes­ebene bringen wird, bleibt anzuzweifeln. Die Mehrheit des Parlaments wird von konservativen Abtreibungs­gegnern besetzt, und die liessen erst vergangenes Jahr zwei Gesetzesrevisionen dazu platzen. Für Frauenrechts­organisationen ist das Urteil derweil wegweisend für künftige Fälle.

Fast zum Schluss: Der Wald in Brasilien brennt, und Bolsonaro schaut zu

Der Amazonas-Regenwald, zu grossen Teilen in brasilianischem Staatsgebiet, produziert etwa ein Fünftel des weltweiten Sauerstoffs. Und dieser Regenwald, die grüne Lunge der Welt, wie er auch genannt wird, steht in Flammen. Das ist für sich keine Neuigkeit, leider. Doch wie das renommierte Nationale Institut für Weltraum­forschung (Inpe) nun mitteilt, haben diese Brände in bestimmten Regionen des Amazonas­beckens zugenommen, und das drastisch. Verglichen mit 2018 soll die Zahl um 84 Prozent gestiegen sein, meldete Inpe diese Woche. Es herrscht zwar Trockenzeit, doch sei dieser Anstieg nicht damit zu erklären, sagen die Forscher. Stattdessen würden die Wälder von Menschen­hand zerstört, um Platz zu schaffen für Land­wirtschaft und Viehzucht. Die Brände folgen auf einen, verglichen mit dem Vorjahr, massiven Anstieg der Rodungen im Juli. Jair Bolsonaro, seit Jahres­beginn Präsident Brasiliens, sieht die Schuld bei den von ihm verhassten Umweltschützern, welche die Brände bewusst gelegt hätten. Beweise dafür bleibt er schuldig. Und wo wir schon bei der Schuld sind: Bolsonaros Politik befeuert die Abholzung des Regen­waldes ohne Scham. Wie er das tut und weshalb wir alle den Preis dafür zahlen könnten, lesen Sie hier bei der Republik.

Top-Storys: Heisse Schlitten und nochmals ein klein wenig Politik

Garage der Träume Der ehemalige Chef der Zürcher Falcon Bank Khadem al-Qubaisi hatte eine kleine Schwäche für super­luxuriöse Autos. Nur kann er die zurzeit leider nicht ausführen. Qubaisi sitzt nämlich in Abu Dhabi im Gefängnis. Laut Ermittlern war er an der Plünderung eines malaysischen Staats­fonds beteiligt. Die Genfer Justiz ist nun auf der Suche nach 61 Luxus­karossen des Geschäfts­mannes. Das Recherchedesk von Tamedia zeigt seine beeindruckende Sammlung erstmals fein säuberlich auf.

Überflieger Juso-Chef Kevin Kühnert ist zurzeit einer der spannendsten Politiker Deutschlands. Diese Woche war er zum Fest der Solidarität im Aargau geladen. Der «Blick» hat ihn getroffen zu einem Gespräch über den Thron der SPD, das Übel der AfD und alkoholstarke Abende.

Fake News auf Chinesisch Die Beiträge von «College Daily» gehen regelmässig viral. Das chinesische Online­portal mit Redaktionen in Peking und New York richtet sich an chinesische Studenten im Ausland. Und zeichnet sich durch stiere, staatstreue Posts aus. Umso lockerer nehmen es die Autoren dafür mit der Wahrheit, wie eine Reportage des «New Yorker» zeigt.

Seien Sie ein Betrüger! Sie handeln mit Kartoffeln, Kinder­schokolade, Autos – und so weiter. Was gehandelt wird, ist unwichtig. Wichtig ist, dass sich die Ware innerhalb Europas im Kreis dreht – wie ein Karussell­pferd auf der Chilbi. Und zwar so, dass die europäischen Steuer­behörden die Übersicht verlieren. Und sich die Steuer­betrüger die Mehrwert­steuer gleich mehrfach zurückholen. Journalistinnen aus 30 europäischen Ländern, darunter Sylke Gruhnwald von der Republik, haben diesen Karussell­betrug im Detail recherchiert und offengelegt. In einem neuen Online­spiel vom Recherche­portal «Correctiv» und von NewsGamer können nun auch Sie sich als Steuerbetrüger üben.

Was diese Woche wichtig war

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