Coop: Für mich und dich – ob du willst oder nicht
Von Philipp Albrecht, 23.08.2019
Eine Wespe lässt nicht mit sich reden. Wenn sie über den sommerlichen Brunch auf dem Balkon herfällt, dann gibt es nur eine Antwort: Man muss sie töten. Das ist unangenehm, für alle Beteiligten.
Etwas Ähnliches geschieht im Internet, wo wir uns inzwischen daran gewöhnt haben, reflexartig Kästchen zu Datenschutzerklärungen und Newsletter wegzuklicken. Beide Aktionen kann man als Opt-out bezeichnen. Eine lästige Sache.
Der Ausdruck Opt-out stammt aus dem Marketing und meint in etwa, aktiv aus einem Vertrag auszusteigen, den man nie unterschrieben hat. Wer etwas nicht will, muss es also explizit ablehnen. Oder töten.
Dass die Taktik auch in der physischen Welt existiert, ruft uns gerade Coop in Erinnerung.
Die «Coopzeitung» ist das meistgelesene Printprodukt im Land. Es erreicht 2,6 Millionen Leserinnen – doppelt so viele wie «20 Minuten». Das zweitplatzierte «Migros-Magazin» kommt nur auf 2,3 Millionen.
Die phänomenale Leserzahl ist schnell erklärt: Wer mit einer Coop-Supercard Punkte sammelt, erhält automatisch eine «Coopzeitung» ins Haus geliefert. Aber 2,6 Millionen sind dem Basler Grossverteiler noch nicht genug. Mit einer Briefkastenoffensive, die er unlängst startete, will er die Leserschaft weiter ausbauen.
Schweizweit wurden Nichtabonnenten, die sich bislang standhaft einer Supercard verweigert haben, mit einer Ausgabe beschenkt.
«Herzlich willkommen!», begrüsst Chefredaktor Silvan Grütter, früher Unterhaltungschef bei der «Schweizer Illustrierten», die neuen Leser auf Seite 2. In freundlichem Ton fährt er dann mit einer kleinen Schummelei weiter: «Wir freuen uns, Ihnen während vier Wochen jeden Dienstag die ‹Coopzeitung› im Gratis-Probe-Abo zukommen zu lassen.»
Denn das Abo läuft nach den vier Wochen einfach weiter. Das bestätigt Coop auf Anfrage. Ausserdem liest man auf Seite 3: «Falls Sie die ‹Coopzeitung› doch nicht abonnieren möchten, können Sie sich jederzeit abmelden. Ein Anruf auf die Gratis-Telefonnummer 0800 400 400 genügt.» Man könne sich auch per Mail, Fax oder Brief abmelden, heisst es weiter.
Bei der Stiftung für Konsumentenschutz in Bern hat man bereits Kenntnis von der Sache. Mehrere Anrufer haben sich in den letzten Tagen über das Opt-out von Coop beklagt. Man staunt, dass die Masche nicht von einer Amateur-GmbH aus dem legalen Grenzbereich angewendet wird, sondern vom überaus beliebten zweitgrössten Detailhändler. Allerdings versucht es Coop nicht zum ersten Mal.
Mit der umstrittenen Werbeoffensive flattert nicht nur ungefragt die Kundenpostille ins Haus, sondern gleich noch eine Coop-Mitgliedschaft. Man wird quasi in die Untiefen der Genossenschaftsstruktur gezogen. Als Teil der Basis erhält man zum Beispiel das Recht, den Regionalrat mitzuwählen. Schlimmstenfalls findet damit noch mehr unerwünschtes Papier den Weg in den Briefkasten.
Letztlich wird man aber vor allem Teil einer schwachsinnigen Rallye um die grösste Anhängerschaft. Zwischen den Erzfeinden Migros und Coop haben die Basler mit 2,55 Millionen die Nase vorn. Die Migros kommt nur auf 2,22 Millionen. Bei ihr wird man dafür nicht nur Mitglied – man darf sich stolz Genossenschafter nennen. Ein feiner Unterschied, der seit einiger Zeit in Werbespots gefeiert wird.
Dem Konsumentenschutz sind die Hände gebunden. Laut Geschäftsleiterin Sara Stalder bewegt sich der Grossverteiler zwar im legalen Bereich. Sie bezeichnet die Sache aber als «äusserst störend» und prangert das Unternehmen auf den Social-Media-Kanälen an. «Der ahnungslosen neuen Leserschaft wird verschwiegen, dass sie Genossenschafter von Coop werden, wenn sie sich nicht die Mühe nehmen, die Zeitung abzumelden», sagt Stalder. «Dass Coop auf diese intransparente, aufdringliche Art die Anzahl Genossenschafter erhöhen will, ist nicht nur höchst kundenunfreundlich, sondern entspricht auch nicht dem bürgernahen Image, mit dem sich der Detailhändler mit vollmundigen Versprechungen in der Öffentlichkeit gerne präsentiert.»
Der Detailhändler selber sieht das nicht so eng. Man führe immer wieder Probeabo-Aktionen durch, die klar als solche gekennzeichnet seien, teilt eine Sprecherin mit. Ausserdem könne man die Publikation problemlos abbestellen. Wie viele Exemplare verteilt worden sind, will das Unternehmen nicht verraten.
Gegen Wespen hilft übrigens ein Glas mit Zuckerwasser auf dem Balkon. Oder, wenn Sie schwereres Geschütz bevorzugen, ein 3000-Volt-Insektenvernichter. Bitte verstecken Sie diesen aber nicht im Briefkasten, um sich die unerwünschte «Coopzeitung» vom Leib zu halten. Der Pöstler kann nichts dafür. Falls Sie aber per Zufall auf der Strasse dem Chefredaktor Grütter begegnen, bieten Sie ihm doch ein Glas Zuckerwasser an.