Welttheater!
Von Barbara Villiger Heilig, 21.08.2019
Wenn die Trauerweiden triefen ...
Stopp! Das wäre zwar ein stimmiger Stabreim und erst noch im Versmass von «Freude, schöner Götterfunken» gedichtet. Aber Schiller-Pathos mit Beethoven-Vertonung passt nun wirklich nicht zur Landiwiese, wenn das Regenwasser von besagten Weiden herab trübselig in den See tropft.
Und «Seid umschlungen, Millionen» ist in Anbetracht des mageren Grüppchens, das sich aus dem Publikumsbereich unter das Vordach der Zentralbühne flüchtet, ebenfalls fehl am Platz. Wobei: «Alle Menschen werden Brüder» würde die Sache dann doch wieder nicht so schlecht treffen.
Apropos flüchten: Darum geht es heute. Flüchtlingstheater Malaika heisst die Truppe auf dieser Bühne, die am Theaterspektakel den Off-off-Produktionen offensteht (schon wieder ein stotternder Stabreim).
Gegründet wurde das Malaika 2014, als der Begriff «Flüchtling» noch nicht auf dem Index der politischen Korrektheit stand. Menschen mit Fluchthintergrund und Einheimische spielen zusammen Theater. Mehr als das: Sie treffen sich wöchentlich zum Austausch, lernen Deutsch, kochen gemeinsam für andere. Einmal pro Monat etwa in der Zürcher Helferei für all jene, die nicht immer Rösti mit Geschnetzeltem essen mögen.
Auch im Stück, das sie nun aufführen, gehts ums Kochen. Ein grosser Topf steht auf der Bühne, mit dem Kochlöffel wird eifrig in der Suppe gerührt. Am Schluss ist sie allerdings ungeniessbar. Denn jede und jeder von denen, die mithalfen, hat nachgesalzen. Es ist wie im Sprichwort – zu viele Köchinnen und Köche verderben den Brei. Die Moral von der Geschichte: Gemeinsamkeit will gelernt sein, guter Wille allein reicht nicht ganz.
Meine Schwierigkeiten, über das Malaika zu schreiben, beschränken sich nicht aufs umständliche Gendering. Sondern: Peinlicherweise kann ich gar nicht genau unterscheiden, woher diese Menschen kommen. Vierzig Personen aus über zehn Ländern, von Ostasien bis Lateinamerika. Mein Sitznachbar gehört dazu, er ist aus Afghanistan, aber im Iran geboren, seit sieben Jahren in der Schweiz und momentan arbeitslos.
Er erklärt mir, dass die zwei Frauen, die sich vorne gerade lebhaft in ihrer Muttersprache unterhalten, aus Äthiopien stammen und der Mann, der sie ärgerlich unterbricht, weil er nichts versteht, syrischer Kurde ist. «Mein Herz schwer sind», sagt der Mann mit Emphase, er sei einsam, und: «Ich brauche eine Frau!» Er solle doch an die Langstrasse gehen, raten ihm die beiden lachend. (Dabei denken sie kaum an die Redaktion der Republik, wo wir den Gast wenigstens bewirten könnten.)
Die Sorgen und Nöte der Geflüchteten, wie sie im Szenenreigen «Die Küche ist voll!» immer wieder aufpoppen, wären eigentlich ein tieftrauriges Thema. Doch wenn danach alle, Mitspielende samt Publikum, im «Malaika-Stübli» nebenan auf Kissen und Teppichen sitzen, staune ich über die Stimmung.
Während die Speki-Beizen an diesem grau-nassen Vorabend leer bleiben, wird es hier richtig gemütlich. In einer Ecke spielt man Karten, am Töggelikasten herrscht Hochbetrieb. Das Malaika-Baby, knapp einjährig, schaut auf dem Arm seines stolzen Papas zu (er stammt aus Kenia, die Mama ist Schweizerin und führt beim Malaika Regie). Wir warten auf den Kaffee – die grünen Bohnen, lasse ich mir erklären, müssen nach äthiopischem Rezept erst geröstet werden – und knabbern frisches Popcorn.
Es klingt banal, aber: Wie einfach wäre es, in unserer kleinen Stadt die grosse, weite Welt kennenzulernen! Es klingt kitschig, aber: Mir geht das Herz auf. Unterdessen versucht mich ein junger Mann zu überzeugen, Arabisch sei ganz leicht, ich müsse «nur reden». Er jedenfalls beherrscht es perfekt, nebst Persisch: Als Iraker lebte er im Iran, bevor er in die Schweiz kam. Jetzt wohnt er in Leimbach.
In die Heimat kann er nicht zurück. Auf dem Smartphone, das uns auch als Übersetzungshilfe dient, zeigt er mir Fotos der «schönsten» iranischen Stadt: Yazd (oder Jesd) ist ein lehmfarbenes Wunder mit türkisfarbenen Majolika-Kuppeln und Doppelminaretten. Ehe ich anfange, Vergleiche mit Leimbach anzustellen, unterbricht uns ein Face-Time-Anruf. Der kleine Sohn meines Gesprächspartners, hier geboren, winkt vom Bildschirm ins «Stübli».
Man darf die Strapazen des migrantischen Daseins keinesfalls unterschätzen, doch Glück gibt es selbst im Exil. Auch dank Initiativen wie dem Malaika.
Flüchtlingstheater Malaika: «Die Küche ist voll!» Alle Details finden Sie hier.
Im «Zentral oben», dem neuen Veranstaltungsraum im ersten Stock des «Zentral», erwartet Sie das «Malaika-Stübli» noch bis und mit nächsten Samstag zum geselligen Beisammensein.
Impressionen und Rezensionen von der Landiwiese
Kulturredaktorin Barbara Villiger Heilig schreibt vom 16. bis zum 30. August über das Zürcher Theater Spektakel. Ihre Kolumne erscheint an jedem Wochentag. Hier gehts zur Sammlung der bisher erschienenen Beiträge – aus diesem Jahr und von 2018.