Bullshit, Fake und Thunberg – eine kleine Argumentationshilfe
Fünf gängige Kritikpunkte zur Klimajugend – und wieso sie ins Leere laufen.
Von Elia Blülle, 19.08.2019
Skepsis schützt vor Fanatismus. Das gilt auch für die Klimajugend: Kritik ist wichtig. Doch leider übersteigt sie die intellektuelle Tiefe einer Stammtischrunde nur selten. Wir haben die fünf meistgenannten Argumente gesammelt – und erklären, wieso sie der Bullshit-Kontrolle nicht standhalten.
1. Die Moralin-Keule
Werden Menschen aufgrund ihres Lebensstils oder Einkommens in moralische Kategorien wie Gut und Böse eingeteilt, ist Skepsis angebracht. Sie schützt vor Reinheitsfanatikern, die einer offenen Gesellschaft mit moralinsauren Normen drohen. Doch in der Debatte um die Klimajugend verkommt die Moralkritik immer öfter zu einer platten Keule.
So wird der Klimajugend von Politikern und Journalistinnen mit Vorliebe vorgeworfen, sie wolle neue Moralvorstellungen etablieren, die unsere Gesellschaft entlang ökologischer Bruchlinien spalten könnten. Karin Janker, Kolumnistin der «Süddeutschen Zeitung», schreibt, dass die Überheblichkeit der Jugend heute darin bestehe, den Eltern zu sagen: «Ihr habt falsch gelebt, auf unsere Kosten. Wir sagen euch jetzt, wie man besser lebt.»
Bei der NZZ spricht man davon, dass der Klimastreik «eine moralische Falle» sei. Während Andreas Kunz, Leiter der «SonntagsZeitung», schreibt, die Kinder auf der Strasse müssten die Klimadebatte endlich abrüsten. Denn wer ständig moralisiere, handle verantwortungslos. Die Rettung der Welt sei schliesslich keine Frage des Gewissens, sondern der Machbarkeit: «Was es dazu braucht, sind Technologie, Fortschritt und Entwicklung – und nicht zuletzt: einen klaren Kopf.»
Nur: Fordert die Klimajugend nicht genau das?
2. Der Trash-Konter
Aufgebrachte Männer wollen eine Ehebrecherin steinigen. Jesus kommt und sagt, dass den ersten Stein werfen solle, wer ohne Sünde sei. Man schämt sich, zieht von dannen, und die Frau überlebt. Sie kennen die Geschichte.
Der Trash-Konter funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die bekannte Szene aus dem Johannesevangelium: Der Klimajugend wird zwar attestiert, dass ihr Anliegen berechtigt sei. Als Absender von Klimaschutzforderungen fehlten ihr aber die Glaubwürdigkeit und die Berechtigung.
Der implizierte Aufruf: Schweigt, ihr Heuchler!
Dies, weil die jungen Menschen ebenso mitschuldig am Desaster seien wie die alten, weil sie mit Easyjet durch Europa jetten, Kaffee aus Einwegbechern trinken und mit ihrem Internetkonsum haufenweise Energie verbrauchen. Der «Kreativchef» einer Zürcher Kommunikationsagentur nannte die Klimajugend vor kurzem «verdammte Drecksjugend», weil sie angeblich an Open Airs grüne Wiesen verwüsten.
Eine andere Kommentatorin behauptet, die Protestierenden würden ihre eigene Schuldigkeit verdrängen. Und als Greta Thunberg auf Twitter ein Foto von ihrem Frühstück publizierte, auf dem eine Plastikverpackung zu sehen war, brach ein Shitstorm aus.
Plastik! Wie kann sie nur?
Abgesehen davon, dass es überhaupt keinen Sinn ergibt, in einer politischen Debatte Generationen gegeneinander auszuspielen, ist die reine Weste des Absenders für den Wahrheitsgehalt einer Aussage unerheblich. Ob Greta Thunberg nun zum Frühstück ein Rib Eye Steak am Auspuff eines SUV röstet oder nicht: Solange sie vor den Konsequenzen der Klimaerwärmung warnt und Lösungen fordert, wird sie recht behalten.
Daran ändert auch der – übrigens sehr moralisierende – Trash-Konter nichts.
3. Der Verschwörungs-Vorwurf
Haben Sie in letzter Zeit auf irgendeiner Website gelesen, Greta Thunberg sei ein Produkt einer PR-Kampagne, werde von unbekannten Mächten gesteuert oder ihr Grossvater habe die Klimaerwärmung erfunden?
Was auch immer Sie gelesen haben: Die Behauptungen sind mit grosser Wahrscheinlichkeit falsch oder unbelegt. Den Vorwurf, dass Klimaschützer die Jugendlichen aktiv «manipulieren», streuen AfD-Politiker und Konsorten im Netz, seit Thunberg das erste Mal öffentlich aufgetreten ist.
Es ist eine Strategie, mit der sie eine ernsthafte Debatte zur Klimaerwärmung, zu ihren Folgen und möglichen Lösungen umschiffen.
Mit dem Verschwörungsvorwurf spricht man der Klimajugend ihre Eigenständigkeit und Glaubwürdigkeit ab. Wie es zuvor schon beim Weltklimarat geschehen ist, der seit Jahren vor der Klimaerwärmung warnt. Seine Berichte wurden immer wieder ohne stichhaltige Beweise als unwissenschaftlich diskreditiert. Zum Beispiel von Donald Trump.
Aber auch Journalisten greifen zum Verschwörungsvorwurf. Peter Rothenbühler, langjähriger Kolumnist bei der «Schweizer Illustrierten», schreibt in einem offenen Brief an Greta Thunberg, viele würden bezweifeln, dass sie ihre Reden selbst schreibe. Und fordert von der jungen Schwedin: «Warum nicht zugeben, dass Sie von PR-Profis wie Ingmar Rentzhog gecoacht werden, dem Präsidenten eines Thinktanks mit direktem Draht zum Davoser WEF?»
Dass seine Unterstellungen auf widerlegten Falschmeldungen basieren, schreibt Rothenbühler nicht.
4. Der Kommunismus-Aufschrei
Hört man dieser Tage gewissen Politikern und politischen Kommentatorinnen zu, findet man sich zuweilen im Kalten Krieg wieder.
Nur verkörpert diesmal nicht der Sowjet die rote Gefahr, sondern ein paar tausend Kinder. So schreibt eine NZZ-Kommentatorin, die Klimajugend gebe sich cool, pflege aber den Sozialismus. Ein Basler Medium spricht von der «hässlichen Fratze» der Bewegung. Verschiedene Politikerinnen warnen die Jugendlichen vor einer linksextremen Unterwanderung. Und jüngst behauptete die Junge SVP, hinter den Protesten stehe ein sozialistisches Netzwerk.
Ja, es stimmt: Sollte die Schweiz per 2030 ihre Emissionen nicht auf null runterfahren, fordert die Klimajugend einen Systemwandel.
Und ja: An den Protestaktionen haben sich randalierende Linksextreme unter die Demonstranten gemischt.
Und ja: Einige der Demonstranten trugen antikapitalistische Transparente durch die Strassen.
Doch reicht das in der Summe für den sozialistischen Umsturz?
Die Klimabewegung ist breit aufgestellt. An ihren Events nehmen auch bürgerliche HSG-Studenten teil, die Petra Gössi einiges näher stehen als dem kommunistischen Manifest. Zudem: Die Klimajugend ist sich bei der Frage, wie ein möglicher Systemwandel auszusehen hat, etwa so einig wie bei der Frage, ob nun Katzen oder Hunde die besseren Tiere sind.
Auf Kapitalismuskritik folgt noch keine Oktoberrevolution.
5. Die Halt-die-Klappe-Attacke
Eine Stimmberechtigte darf in der Schweiz auch dann abstimmen, wenn sie keine Ahnung vom Thema hat. Dass in einer Demokratie jede Meinung zählt, schützt vor Marginalisierung und garantiert Repräsentation. Deshalb braucht man auch keinen Expertenstatus und keinen Universitätsabschluss, um sich am demokratischen Diskurs zu beteiligen.
Nur: In der Klimadebatte scheint dieses Prinzip plötzlich nicht mehr zu gelten.
Christian Lindner, FDP-Präsident in Deutschland, sprach der Klimajugend in einem Interview mit «Bild am Sonntag» die Berechtigung ab, an der Debatte teilzunehmen. «Von Kindern und Jugendlichen kann man aber nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen», meinte er. «Das ist eine Sache für Profis.»
In der «New York Times» wiederum schrieb ein Journalist, Greta Thunberg sei unter normalen Umständen unqualifiziert, um in einem demokratischen Forum zu debattieren. Als 16-Jährige sei sie rechtlich noch keine erwachsene Person und trage deshalb noch keine Selbstverantwortung.
Sein Fazit: «Kinder in diesem Alter haben noch nicht viel vom Leben gesehen, ihre Weltanschauungen sind unrealistisch und die Prioritäten nicht ausbalanciert.»
Die Halt-die-Klappe-Attacke – und alle zuvor genannten Kritikpunkte – versucht, ein berechtigtes Anliegen mit Bullshit-Argumenten zu untergraben. Dass man der jungen Generation nicht zugesteht, sich an einer Debatte zu beteiligen, die sie für den Rest ihres Lebens begleiten wird, ist undemokratisch und läuft einem urliberalen Prinzip zuwider: Alle sollen Zugang zum freien Meinungsmarkt erhalten, damit die beste Lösung und das wichtigste Anliegen gewinnt – auch dann, wenn es von einem Kind kommt.