Am Gericht

Brandgefährlicher Akku

Ein junger Mann steckt sein batterie­angetriebenes Hoverboard an die Steckdose – dann brennt die ganze Wohnung ab. Muss er die Verantwortung dafür übernehmen?

Von Sina Bühler, 07.08.2019

Ort: Kreisgericht Wil
Zeit: 16. Juli 2019, 10 Uhr
Fall-Nr.: ST.2018.43867
Thema: Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst

Sie überholen uns in der Stadt, von links und rechts, sie surren an uns vorbei, manchmal zu schnell, ab und zu wacklig, und ihr Näherkommen ist fast nicht hörbar: E-Bikes auf allen Velowegen, E-Roller und Elektroautos auf den Strassen, E-Trottinetts an jeder Ecke und vor jeder Haustür. Und natürlich Segways – die am liebsten im Rudel ausgeführt werden.

Batteriebetriebene Mobilität boomt. Eher zu den Spielzeugen gehören wohl die Hoverboards. Mit dem fliegenden Skateboard, das 1989 im Film «Zurück in die Zukunft II» auftaucht, haben die heutigen E-Rollbretter kaum etwas gemeinsam. Sie werden auch Balanceboards genannt, und genau so sehen die Dinger aus: zwei Plattförmchen für die Füsse mit je einem dicken Rad und als Verbindungs­stück eine schmale Achse. Das Hoverboard wird von einem Akku angetrieben und durch Gewichtsverlagerung über die Füsse gesteuert.

Ein 20-jähriger Detailhandels­lehrling wird stolzer Besitzer eines solchen Spielzeugs. Er benutzt es häufig und gerne – und muss den Akku regelmässig aufladen. So zum Beispiel am 6. Dezember 2018. Es ist Donnerstag, Samichlaustag, kurz nach dem Mittag. Der Lehrling wohnt bei seinen Eltern. Er steckt das Ladegerät in seinem Zimmer an die Steckdose und geht ins Fitnesscenter. Gegen 14 Uhr riechen die Nachbarn Rauch. Es brennt, Hab und Gut der Familie wird vernichtet, die Wohnung unbewohnbar. Tagelang leiden die Hausbewohner unter dem Gestank.

Was klar ist: Der Brand brach im Zimmer des Lehrlings aus, bei der besagten Steckdose. Zwei Monate nach dem Unglück flattert ein Strafbefehl ins Haus. Die Staats­anwaltschaft gibt dem Akku und dem ihrer Meinung nach fahrlässig handelnden Hoverboard-Besitzer die Schuld. Sie verhängt eine bedingte Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 30 Franken plus eine Busse von 400 Franken. Dazu kommen 650 Franken an Gebühren und Auslagen hinzu, die dem Lehrling ebenfalls aufgebürdet werden.

Und das ist noch nicht alles. Auch die Gebäude­versicherung meldet sich und stellt Geld­forderungen: 34’000 Franken für den Schaden am Haus.

Rechtsanwalt Ruedi Sutter hört über drei Ecken von dieser Geschichte und schaut sich den Strafbefehl genauer an: «Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst» lautet der Vorwurf. Stutzig macht Sutter jedoch die Brandursache. Die Spezialisten der Kantons­polizei nennen zwei Möglichkeiten: Entweder gab es einen Kurzschluss im Hoverboard-Akku oder einen schlechten Kontakt im Mehrfach­stecker. Der Anwalt ist der Meinung, dass der direkte Zusammen­hang zwischen einer fahrlässigen Handlung des jungen Mannes und dem Brand nicht erwiesen sei. Und dass der Hoverboard-Fahrer unmöglich für eine Handlung bestraft werden könne, die jedermann tagtäglich mehrfach begeht. Akkus laden nämlich – vom Handy, Computer, Tablet, Rasier­apparat oder was auch immer.

Es ist nicht der erste derartige Fall vor einem Gericht.

2015 brannte im thurgauischen Steckborn die halbe Altstadt. Ein Modellauto, das über Nacht aufgeladen wurde, fing Feuer: 12 Millionen Franken Schaden. 2016 entzündeten sich im aargauischen Lupfig drei kleine Modellflieger-Akkus, 100’000 Franken Sachschaden. 2017 brannte in Regensdorf (ZH) ein iPhone: neun Personen im Spital, eine Katze tot. In Deutschland und Österreich explodierten mehrere E-Bikes. Das Überwachungsvideo eines explodierenden Tesla in Shanghai ging um die Welt.

Handelten all diese Besitzer, die die Geräte an den Strom angeschlossen hatten, fahrlässig? Im vermutlich spektakulärsten Fall, dem Altstadtbrand in Steckborn, meinte das Bezirksgericht Frauenfeld vor einem Jahr: Nein.

Die St. Galler Staatsanwältin Regula Stöckli wollte den Hoverboard-Fahrer von Bronschhofen dennoch bestrafen. Er habe keine Vorkehrungen für eine allfällige Erhitzung und einen Brand des Akkus getroffen. Dabei sei allgemein bekannt, dass derartige Akkus – im konkreten Fall ein Lithiumionen-Akku – sehr heiss werden könnten. Der junge Mann hätte ihn in einem sicheren Behälter aufladen und in der Nähe bleiben müssen. Dann hätte er den Brand noch rechtzeitig entdecken können. So steht es im Strafbefehl. Vor Gericht vertritt die Staatsanwältin ihre Anklage nicht, sie hat sich dispensieren lassen.

Als der Lehrling das Hoverboard geschenkt bekam, habe die Gebrauchs­anleitung gefehlt, gibt er an. Ob die Verpackung dabei war, weiss er nicht mehr so genau: In der Untersuchung macht er dazu widersprüchliche Aussagen. Jedenfalls habe er gegoogelt, erzählt er vor Gericht, wie man das Ding richtig lade. Und habe herausgefunden, dass die Akkuleistung bei zu langem Laden abnehme. Das sei alles – auf dem Brett seien jedenfalls keine Warnhinweise gestanden.

Der Mann hat wenige Wochen vor dem Prozess seine Detailhandels­lehre bei einem Juwelier abgeschlossen. Er verdiente bisher 1400 Franken im Monat, was laut seinem Anwalt auf einen weiteren Fehler im Strafbefehl hinweise. Die Staatsanwältin rechnete mit einem Tagessatz von 30 Franken – dreimal zu viel, meint Ruedi Sutter.

Vor dem Einzelrichter, Dominik Weiss, gibt sich der Hoverboard-Fahrer höflich und reuig, erwähnt aber auch, seine Familie sei durch den Brand schon genug bestraft worden. Das artige Auftreten hat er während der Untersuchung vermutlich nicht konsequent eingehalten. Der Richter gibt ihm den Tipp mit auf den Weg, in derartigen Situation künftig weniger arrogant aufzutreten. Der Brand habe allen Haus­bewohnerinnen Sorgen beschert. Das hätte er anerkennen müssen.

Doch es kommt zum Freispruch.

Einerseits, so Dominik Weiss, weil der direkte Zusammen­hang zwischen dem Handeln des Lehrlings und dem Brand nicht nachzuweisen sei; die Brandursache könne auch im defekten Multistecker liegen. Anderseits, weil es heute unmöglich sei, alle Ladegeräte und Akkus ständig zu überwachen. Der Einzelrichter sagt’s und weist sogleich daraufhin, dass zurzeit sein eigenes Handy von ihm unbeaufsichtigt im Büro am Ladegerät hänge.

Wenn er länger in die Ferien gehe, schalte er zwar den Fernseher aus, in dem ebenfalls ein Akku stecke; aber eben nur, wenn er verreise. Der Richter ist übrigens im doppelten Sinne vom Fach: Er war bis kurz nach dem Akku­brand in der Feuerwehr Wil tätig, als Feuerwehr­mann und als Einsatz­leiter. Seine Kollegen waren es gewesen, die beim Brand in Bronsch­hofen ausgerückt sind. Er selber hat ihn nur am Rande mitbekommen.

Und was geschieht nun mit der Forderung der Gebäude­versicherung? Sie wird sich ans Zivil­gericht wenden müssen, um das Geld herauszuklagen. Gut möglich, dass sie nach diesem Freispruch darauf verzichten wird.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version schrieben wir von der freiwilligen Feuerwehr Wil. Das war nicht korrekt, es handelt sich um eine Milizorganisation.