Moskau einfach!
Mit Salvini verfängt sich ein weiterer rechtspopulistischer Parteiführer in den Netzen des Kreml. Reicht Putins langer Arm auch in die Schweiz?
Von Daniel Binswanger, 20.07.2019
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Russland seit Jahren mit gross angelegten Destabilisierungskampagnen versucht, die westlichen Demokratien zu spalten und zu schwächen. Verblüffend ist, als wie systematisch und breit gestreut sich diese Anstrengungen in den letzten Monaten erwiesen haben. Es scheint keine wichtigen demokratischen Referenden oder Wahlen in Europa oder den USA mehr zu geben, bei denen die russischen Dienste nicht mit allen Mitteln versuchen, massiven Schaden anzurichten. Noch verblüffender ist, dass Russland in allen westlichen Ländern auf willige Verbündete zählen kann – in der Regel sind es Parteien vom äussersten rechten Rand des politischen Spektrums –, um seinen Kreuzzug gegen die Demokratie und den Rechtsstaat durchzuziehen.
Die Redaktionsleitung der «Financial Times», des Weltblattes für freie Marktwirtschaft, schrieb diese Woche in einem dramatischen, kollektiven Editorial: «Die Achse des Illiberalismus, die Russland, die europäischen Rechtsaussen-Parteien, Präsident Trump und die amerikanische Alt-Right verbindet, stellt eine bösartige Bedrohung der politischen Ordnung in Europa und der Wohlfahrt der europäischen Gesellschaften dar.» Es gibt nicht nur eine ideologische Konvergenz zwischen dem EU-feindlichen Rechtspopulismus und den russischen Verächtern des «entarteten Europas». Es kommt auch ständig wieder zu geheimdienstlichen Desinformationskampagnen, zu Versuchen der Beeinflussung des politischen Spitzenpersonals und vor allem zu Geldflüssen an die politischen Parteien, die sich einspannen lassen für die Sache Moskaus. Diese politischen Kräfte gibt es mittlerweile überall in Europa – und nicht zuletzt in der Schweiz.
Im April wurde eine edierte Version des Mueller-Reports publik gemacht. Der US-Sonderermittler kommt zwar zum Schluss, dass es keine hinreichenden Beweise für eine geheime Absprache zwischen den russischen Diensten und dem Trump-Wahlkampfteam gibt, und er überantwortet dem Kongress die Entscheidung über ein Impeachment gegen den Präsidenten wegen Behinderung der Justiz. In einem Punkt aber legt der Mueller-Report ein definitives Ergebnis vor: «Die russische Regierung beeinflusste die Präsidentschaftswahlen von 2016 in flächendeckender und systematischer Weise.»
Immer noch nicht abgeschlossen – und so verzögert, dass drei britische Parlamentarier vor einem Monat Klage gegen die Strafbehörden eingereicht haben wegen «Verschleppung aufgrund politischer Rücksichtnahme» – sind die Untersuchungen gegen Arron Banks, den mysteriösen Farage-Sponsor, der beste Beziehungen zur russischen Diplomatie pflegt und die Kampagne für den Brexit mit 8 Millionen Pfund unterstützt hat. Die britische Wahlkommission liess in einem offiziellen Statement verlauten, es gebe gute Gründe anzunehmen, dass Banks selber nicht die «wahre Quelle» dieser Finanzmittel sei.
Marine Le Pen hat bereits 2014 bei russischen Banken zwei Darlehen über 2 beziehungsweise 9,4 Millionen Euro eingeholt. Belegt ist auch, dass Le Pens Partei für die Präsidentschaftswahlen 2017 noch einmal 3 Millionen in Russland besorgen wollte, doch die Bank, mit der verhandelt wurde, musste Konkurs anmelden. Gewiss ist jedenfalls, dass Le Pen während ihres Präsidentschaftswahlkampfes von Putin in Moskau empfangen wurde und dass sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit Lobgesänge auf die «grosse Demokratie» in Russland anstimmt.
Wie stark kontrolliert Moskau die AfD?
Im April hat «Der Spiegel» aufgedeckt, wie eng die AfD und insbesondere der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier mit kremlnahen Kreisen und dem russischen Geheimdienst verbandelt sind. Frohnmaier ist regelmässiger Teilnehmer am Wirtschaftsforum Jalta, das vom russischen Staat als Propagandaaktion zur Legitimierung der Krim-Annexion eingesetzt wird. In einem Strategiepapier aus der Moskauer Präsidialadministration, das der BBC zugespielt wurde, heisst es über Frohnmaier: «unter absoluter Kontrolle stehender Abgeordneter im Bundestag».
Als eine Fussnote zur rechtspopulistischen Putin-Gefolgschaft kann man den gestürzten österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache betrachten, der auf Ibiza einer vermeintlichen russischen Oligarchentochter die staatliche Infrastruktur seines Landes verscherbeln wollte, sofern sie nur willens sei, die FPÖ verdeckt zu finanzieren. Bei Ibizagate hatten wohl kaum die russischen Dienste ihre Finger im Spiel. Bemerkenswert ist jedoch, dass Strache so selbstverständlich und vertrauensselig davon ausgegangen ist, in Russland sei problemlos illegale Finanzierung zu holen. Die gesamte FPÖ gilt als so kremlnah, dass seit ihrer Regierungsbeteiligung der österreichische Geheimdienst von anderen westlichen Diensten als Sicherheitsrisiko eingestuft wird und der Informationsaustausch reduziert worden ist.
Und jetzt Matteo Salvini. Die neue Führerfigur des europäischen Rechtspopulismus pflegt schon seit langem intensivste Beziehungen zum Kreml – und hat immer hoch und heilig geschworen, seine ideologische Nähe zu Putin könne zwar grösser gar nicht sein, aber nie sei auch nur eine Kopeke von Moskau an die Lega geflossen. Jetzt ist bekannt geworden, dass die Lega sehr wohl versucht hat, mit russischen Intermediären manipulierte Öldeals auf die Beine zu stellen und über Kick-backs an verdeckte Millionen aus Russland zu kommen. Es sieht ganz so aus, als hätte Salvini über Jahre systematisch gelogen.
Diese Liste liesse sich weiterführen. Beunruhigend ist die Bereitschaft der Rechtspopulisten, sich dem Kreml-Herrn anzudienen, aus zahlreichen Gründen. Erstens zögern die vermeintlichen Erznationalisten und EU-Gegner keine Sekunde, sich in den Dienst fremder Herren zu stellen – solange es nur ihren eigenen Machtinteressen dient. Die supranationale Kooperation soll des Teufels sein, aber der Ausverkauf der Heimat ist kein Problem. Zweitens können Putin-Günstlinge nur schwer als lupenreine Demokraten durchgehen. Die Populisten führen Demokratie zwar permanent im Munde, gemeint ist aber der Autoritarismus. Putin ist kein Demokrat, sondern ein strongman. Wer sich zu seiner Marionette macht, glaubt an die Tugenden der autoritären Herrschaft und nicht an die Demokratie.
Das erstaunliche Engagement von Roger Köppel
Und in der Schweiz? Kämpfte bei Ausbruch des Ukraine-Krieges SVP-Bundesrat Ueli Maurer wie ein Löwe gegen das Ansinnen, die EU-Sanktionen zu übernehmen, und selbst dagegen, dass die Schweiz im Rahmen der OECD zwischen den Kriegsparteien eine Vermittlungsfunktion wahrnimmt. Allerdings wurde das Nichtergreifen von Sanktionen von verschiedensten politischen Kräften mitgetragen, und im Zentrum der Debatte stand immer die Frage der Schweizer Neutralität. Eine politische Figur in der Schweiz zeichnet sich jedoch durch besonders intensives Russland-Lobbying aus: Roger Köppel.
In der «Weltwoche» sind im Krisenjahr 2014 über 40 Artikel zu den Sanktionen gegen die Ukraine erschienen, ein selbst für «Weltwoche»-Verhältnisse beachtliches Mass der monothematischen Fixierung. Die Titel? «Das falsche Russland-Bild des Westens», «Russland wird immer als das Böse dargestellt», «Putin ist kein Imperialist». Und natürlich: «Feigling Didier Burkhalter».
Noch viel erstaunlicher ist das Engagement des Politikers Köppel für die russischen Gesinnungsgenossen. Als er im Februar 2015 mit grossem Pomp seine Kandidatur für den Nationalrat ankündigte, weil es Pflicht sei, der «verheerenden und alarmierenden Politik der linken Mehrheit im Bundesrat» entgegenzutreten, machte Köppel in einer kurzen Programmrede vier Politikfelder geltend, in denen alles schieflaufe: Europa, Volksrechte, Föderalismus, Neutralität. Das war kaum überraschend. Eher unerwartet waren einzig die Ausführungen zur verfehlten Neutralitätspolitik: «Im Ukraine-Konflikt fährt die Schweiz viel zu sehr im Fahrwasser der Europäischen Union. Wir tragen die Sanktionen mit, wir machen Einreisesperren für Russen, anstatt dass wir ganz neutral Distanz halten zu allen Seiten.» Der später mit dem besten Resultat gewählte Schweizer Nationalrat hat es zustande gebracht, seine erste und wichtigste politische Grundsatzerklärung zu einem Akt der russischen Interessenvertretung zu machen.
Es mögen geopolitische Rechtfertigungen oder die profunden ideologischen Sympathien sein, die dieses Verhalten erklären. Aber natürlich steht auch im Fall von Köppel – nach Strache, nach Salvini, nach Le Pen, nach Farage – die Frage im Raum, ob es zu Geldflüssen gekommen ist. Sehr dafür sprechen würde die Tatsache, dass die Schweiz das einzige OSZE-Land ist, das keinerlei gesetzliche Schutzmechanismen gegen ausländische Politikfinanzierung kennt. Hätten russische Emissäre auf der «Weltwoche»-Redaktion ab und an mal ein Geldköfferchen abgegeben, wäre das vollkommen legal. Unsere sogenannten Nationalisten wollen es so.
Allerdings gibt es zu dieser These auch gewichtige Gegengründe. Geldköfferchen – wie die Republik kürzlich in einer Recherche dargelegt hat – gibt es in der Schweizer Politik ohnehin schon genug. Köppel pflegt so intime Beziehungen zu derart potenten politischen Financiers, dass es überraschen würde, wenn er ausländische Unterstützer bräuchte.
Doch geben wir noch einmal der «Financial Times» das Wort: «Der Schutz unserer Freiheit, unseres Wohlstands und unseres Lebensstils in Europa erfordert eine kompromisslose Abwehr sowohl gegen Rechtsaussen-Parteien als auch gegen russische Einmischung.»
Illustration: Alex Solman