Das grosse Plündern
Die Stiftungsaufsicht rügt die NZZ-Mediengruppe. Sie hat Gelder aus einem Fonds für aktive und pensionierte Mitarbeiter zweckentfremdet. Das zähe Ringen zwischen NZZ-Juristen und NZZ-Rentnern endet mit einer Blamage für das Traditionshaus.
Von Christof Moser, 16.07.2019
Je schneller die journalistischen Geschäftsmodelle der Schweizer Verlage zusammenbrechen, desto unverfrorener werden letzte Reserven geplündert. Das Ausweiden der Nachrichtenagentur SDA ist ein Beispiel dafür: Nach der Fusion mit der Bildagentur Keystone liessen sich die Verleger 12 Millionen Franken aus den Reserven der finanziell angeschlagenen und klein gesparten SDA auszahlen – und dann nochmals 1,4 Millionen Franken Dividenden. Und dies trotz 2 Millionen Franken staatlicher Fördergelder.
Dass freie und junge Journalisten immer schlechter bezahlt, die Publikation von Texten und Bildern in mehreren der zusammengelegten Kopfblätter nur einmal vergütet, die Urheberrechte in Knebelverträgen abgerungen und die Online-Rechte überhaupt nicht honoriert werden: geschenkt – die Branche liegt im Sterben und ist ohne Gesamtarbeitsvertrag.
Von neuer Qualität ist allerdings, dass ein Medienverlag unrechtmässig nach Geldern greift, die für die Wohlfahrt der Mitarbeiter bestimmt sind. Und von den Behörden zurückgepfiffen werden muss. So geschehen bei – der NZZ.
Der Rechtsfall, der daraus entstanden ist, geht auf zwei NZZ-Rentner zurück. Der eine, Jean-Philippe Rickenbach, war bis zu seinem Rücktritt im Jahr 2005 Finanzchef – und hat die Holdingstrukturen der NZZ-Mediengruppe aufgebaut. Der andere, Oswald Iten, Kürzel O.I., wurde 2012 nach 40 Jahren als freier Mitarbeiter und Auslandredaktor pensioniert. Zusammen haben sie der NZZ-Gruppe eine Niederlage verpasst, die tief blicken lässt.
Goldene Zeiten
Angefangen hat alles im November 2015 mit einem Informationsschreiben.
Die NZZ teilt darin Jean-Philippe Rickenbach, Oswald Iten und allen anderen Rentnern mit, dass sie «wegen schlechter Renditen und Negativteuerung» künftig keine Auszahlungen aus dem Spezialfonds mehr erhalten werden.
Der Spezialfonds, oder «Spezfonds», wie er intern genannt wird, ist eine NZZ-Fürsorgeeinrichtung aus den goldenen Zeiten des Journalismus. Oder wie Oswald Iten der Republik sagt: «Aus der Zeit, als die Patrons noch wollten, dass es ihren Mitarbeitern gut geht.» 1972 von der «AG für die Neue Zürcher Zeitung» eingerichtet und über die Jahre geäufnet, diente der Fonds dem finanziellen Wohl des NZZ-Personals. In den guten Zeiten wurden daraus Aufbesserungen von Renten und Vorsorgebeiträge für aktive Mitarbeiter und Pensionierte sowie Darlehen für Hypotheken gewährt. Mit Beginn der schlechteren Zeiten finanzierte der Fonds generöse Frühpensionierungen und Sozialpläne. Und NZZ-Rentnerinnen und -Rentner erhielten jährlich eine 13. Rentenauszahlung, die sogenannte «Weihnachtszulage».
So auch Rickenbach und Iten – bis zu jenem Schreiben im November 2015.
Zweckentfremdete Gelder
Erstaunt über die Streichung ihres Weihnachtsgeldes (oder wie es die NZZ-Juristen im bald folgenden Rechtshändel etwas nüchterner nennen werden: «Novembergratifikation»), erstritten sich die beiden Rentenbezüger einen vertieften Einblick in die Bilanz des Spezialfonds. Und stellten fest, dass das Vermögen des Fonds von zuletzt 120 Millionen Franken innert weniger Jahre um mehr als die Hälfte gesunken war – auf gerade mal noch 48 Millionen. Ausserdem wurde das frei verfügbare Stiftungskapital in halsbrecherischer Buchhaltungsakrobatik auf null gesetzt.
Am 18. April 2016 reichten Rickenbach und Iten deshalb eine Aufsichtsbeschwerde bei der Vorsorge- und Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich (BVS) ein – unterstützt von Rechtsanwalt René Schuhmacher.
Ihr Vorwurf: Gelder aus dem Fonds seien zugunsten der Pensionskasse der NZZ-Mediengruppe zweckentfremdet und an «unberechtigte Empfänger» ausbezahlt worden. Ausserdem sei der Stiftungsrat, der die Zahlung des Weihnachtsgeldes ausgesetzt habe, nicht rechtsgültig zusammengesetzt. Entgegen den Statuten sässen darin einzig Mitglieder des Verwaltungsrats der AG für die NZZ, also der Holding der Mediengruppe, und keine Vertreter der Geschäftsleitung der NZZ AG, der Herausgeberin der Zeitung.
«AG für die NZZ» und «NZZ AG»
Der Unterschied zwischen der AG für die NZZ und der NZZ AG spielt in dieser Geschichte eine entscheidende Rolle. Daran lässt sich auch ablesen, wie die «Neue Zürcher Zeitung» in den vergangenen 20 Jahren zum Medienkonzern umgebaut worden ist.
Kurze Rückblende: 1883 wurde die AG für die Neue Zürcher Zeitung ins Zürcher Handelsregister eingetragen. 1972 richtete diese AG für die NZZ den Spezialfonds ein. Nach verschiedenen Übernahmen wurde 1998 aus der AG für die NZZ eine Holdinggesellschaft – und die altehrwürdige Zeitung wurde in eine neu gegründete Tochterfirma überführt: die NZZ AG. Um den Spezialfonds eindeutig im Bereich der Zeitung zu behalten, wurde die Stiftungsurkunde neu formuliert, als Stifterfirma neu die NZZ AG genannt – und die Statuten mit folgendem Passus versehen:
«An die Stiftung (…) kann auch das Personal von mit der Firma (…) eng verbundenen Unternehmen angeschlossen werden, sofern der Stiftung dazu die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt und die Anwartschaften der bisherigen Destinäre nicht geschmälert werden.»
Wer sich in die Akten der Aufsichtsbeschwerde in Sachen NZZ-Spezialfonds vertieft, begibt sich auf einen wilden Ritt durch die jüngere Mediengeschichte der Schweiz und die Umstrukturierungen im Hause NZZ. Für die Leistungen aus dem Fonds an die Rentner hatten die Umbauten lange keine Konsequenzen – bis zum entscheidenden Kulturwandel, als die Medienmanager die Patrons ablösten. Zu verlockend schienen die schlummernden Millionen, um nicht darauf zugreifen zu wollen. Dabei überspannten sie den Ermessensspielraum einer patronalen Wohlfahrtsstiftung deutlich.
Aber der Reihe nach.
Millionen für die Pensionskasse
Im Zeitraum von 2005 bis 2015 kam es im NZZ-Konzern zu diversen Übernahmen, Umschichtungen und Auslagerungen.
Als nach dem Kauf der St. Galler Medien und der Luzerner LZ Holding durch die NZZ-Mediengruppe die Versicherten dieser beiden Verlage per 1. Januar 2012 in die Pensionskasse der NZZ aufgenommen wurden, blieben diese von den Wohltaten des Spezialfonds ausgeschlossen. Was der Stiftungsurkunde entsprach: Die NZZ-Mediengruppe hätte die neuen Mitarbeiterinnen in den Spezialfonds einkaufen müssen – was sie nicht tat.
Doch dann griff der Medienkonzern 2015 plötzlich doch in die Schatulle und übertrug 27’492’501 Franken aus dem Spezialfonds in die Pensionskasse der NZZ-Mediengruppe. Mit dieser Transferzahlung wurden Leistungen der Pensionskasse zugunsten aller Versicherten ausfinanziert, womit auch fast 500 Angestellte von den zugekauften Firmen profitierten, die nicht zu den Begünstigten des Spezialfonds gehören durften.
Beschwerde teils gutgeheissen
Seit dem 26. November 2018 ist es amtlich: Die NZZ-Mediengruppe hat sich aus dem Spezialfonds ihrer Mitarbeiter und Rentner unrechtmässig bedient. An diesem Datum erging der Entscheid der Zürcher Stiftungsaufsicht. Anfang Juni hat die NZZ-Gruppe ihre Beschwerde gegen den Entscheid am Bundesverwaltungsgericht zurückgezogen. Damit ist er jetzt auch rechtskräftig.
Man habe Rechtsmittel gegen den Entscheid der Stiftungsaufsicht ergriffen, «da aus unserer Sicht die fraglichen Einlagen zur Stabilisierung der NZZ-Pensionskasse rechtmässig erfolgten», heisst es von der NZZ-Medienstelle. «Gemeinsam mit den Pensionskassen-Experten sind wir dann aber im Rahmen einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung zum Schluss gekommen, das Verfahren nicht weiterzuführen.»
Die Stiftungsaufsicht verpflichtet den Spezialfonds, die 2015 getätigte Einlage von 27,4 Millionen Franken aus der Pensionskasse der NZZ-Mediengruppe zurückzufordern. Zumindest in jenem Umfang, wie davon Gelder denjenigen Versicherten zugeschlagen wurden, welche nicht ebenfalls Destinatäre des patronalen Wohlfahrtsfonds waren. Dieser Entscheid hat womöglich auch Auswirkungen auf die Teilliquidation der NZZ-Pensionskasse nach der Abspaltung der NZZ-Lokalmedien in ein Joint Venture mit der AZ-Gruppe: Bevor der Betrag nicht zurücküberwiesen ist oder die nötigen Rückstellungen vorgenommen werden, ist die Teilliquidation blockiert.
Hätten die aus den goldenen Zeiten der NZZ verwöhnten Empfänger der Wohlfahrtsleistungen solidarisch zugunsten der neuen Mitarbeiterinnen verzichten sollen? Vielleicht. Aber dann hätten sie gefragt werden müssen.
Abgelehnt hat die Aufsicht jenen Teil der Beschwerde, der sich um eine Überweisung von sieben Millionen Franken aus dem Spezialfonds an die NZZ-Pensionskasse im Jahr 2009 drehte – weil die Zahl der unrechtmässigen Bezüger als zu gering erachtet wird, als dass eine Rückforderung verhältnismässig sei. Gescheitert sind die beiden NZZ-Rentner Jean-Philippe Rickenbach und Oswald Iten auch mit ihrer Forderung, die vorenthaltenen Weihnachtsgelder seien rückwirkend an alle berechtigten Destinatäre auszuzahlen.
Die NZZ sieht die Beschwerde somit in «wesentlichen Punkten» abgelehnt.
Doch damit ist diese Geschichte noch nicht zu Ende.
Fragwürdige Immobiliendeals
Als der Stiftungsrat 2015 beschloss, aus dem Spezialfonds die Pensionskasse zu speisen und den NZZ-Pensionären das Weihnachtsgeld zu streichen, sassen im Gremium CEO Veit Dengler und Finanzchef Jörg Schnyder als Verwaltungsräte der Tochtergesellschaft NZZ AG und Geschäftsleitungsmitglieder der NZZ-Mediengruppe. Sowie Etienne Jornod und Carolina Müller-Möhl als Verwaltungsräte der Mediengruppe. Von den beiden statutarisch festgeschriebenen Mitgliedern der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft NZZ AG, der ursprünglichen Stifterin – keine Spur.
Auch dafür kassierte die NZZ-Mediengruppe eine Rüge der Stiftungsaufsicht.
In ihrem Beschwerdeentscheid wies sie den NZZ-Spezialfonds an, den Stiftungsrat umgehend neu und entsprechend den Statuten zu besetzen. Und nachträglich über alle gefällten Entscheide seit 2009 nochmals zu befinden.
Und das könnte durchaus delikat werden: Ungeklärt sind nämlich bis jetzt die Umstände, wie es dazu kam, dass Liegenschaften an bester Stadtlage aus dem Spezialfonds herausgelöst und an die NZZ AG verkauft wurden. Zum Beispiel entnahm die NZZ AG das Altstadthaus von NZZ-Gründer Salomon Gessner an der Münstergasse 9 in Zürich – von 2000 bis 2003 im Auftrag der Stiftung Spezialfonds der «Neuen Zürcher Zeitung» aufwendig renoviert – praktisch zu den Gestehungskosten von vor zwanzig Jahren aus dem Fonds. Bereits zuvor wurde ein Geschäftshaus an der Seehofstrasse dem Fonds entnommen und günstig an die NZZ AG veräussert. Ein noch weiter zurückliegendes Geschäft betrifft eine Immobilie an der Mühlebachstrasse, die zwecks Finanzierung der nun von der Aufsicht monierten Finanztransaktionen an Dritte verkauft worden war. Laut Jean-Philippe Rickenbach und Oswald Iten wurde dem NZZ-Spezialfonds damit systematisch Grundsubstanz entzogen.
Auf entsprechende Fragen der Republik ging die NZZ-Medienstelle nicht ein.