Ökonomie des Nonsens
Die Wirtschaftswissenschaften beschreiben die Wirklichkeit nicht nur, sondern prägen sie auch: ein Grafikexkurs zu einem sonderbaren BIP-Konstrukt – in der Schweiz und in Italien.
Von Simon Schmid, 08.07.2019
Was ist Ihr wahres Potenzial? Und wie können Sie es ausschöpfen?
Mit diesen Fragen tingeln nicht nur Psychologinnen und Esoteriker durch die Gegend, sondern auch Ökonominnen. Ihr Interesse gilt der Volkswirtschaft.
Was ist deren wahres Potenzial? Wie kann man es ausschöpfen?
In diesem Beitrag zeigen wir, wie schwierig es ist, schlüssige Antworten auf diese Fragen zu finden. Und schlimmer noch: welches Unheil man anrichten kann, wenn man als Ökonom die falschen Antworten auf diese Fragen gibt.
Die Schweiz, simpel analysiert
Im Fokus steht: das Bruttoinlandprodukt (BIP). Also eine der wichtigsten Richtgrössen für den Wohlstand, aber auch für die Wirtschaftspolitik.
In der Volkswirtschaftslehre nimmt man üblicherweise an, dass das BIP von Jahr zu Jahr um ein bestimmtes Mass wachsen kann – entsprechend seinem Potenzial. Und man konstatiert darüber hinaus, dass das BIP von Jahr zu Jahr jeweils von diesem Potenzial abweicht – wegen Konjunkturschwankungen.
Potenzialwachstum und Schwankungen: Der Mix dieser zwei Komponenten bestimmt, so die Idee, die Entwicklung der Wirtschaftsleistung über die Zeit.
Für die Schweiz stellt man fest: Die Zahlen passen ziemlich gut zu dieser Idee. 1995 betrug das BIP gut 450 Milliarden Franken – 2019 dürfte es nach jüngsten Prognosen bei etwas über 700 Milliarden Franken liegen. Die Entwicklung verlief in dieser Zeit ziemlich geradlinig, nur zwischendurch gab es einige Holperer, deshalb verläuft die Linie teils etwas im Zickzack.
Um das zu illustrieren und uns ein noch besseres Bild über die Konjunktur in bestimmten Jahren zu machen, können wir eine zusätzliche Trendlinie in die Grafik einzeichnen. Hier wäre eine solche Linie – geeicht anhand der Jahre 1995 bis 2011 (durchgezogen) und extrapoliert bis 2019 (gestrichelt):
Nun können wir uns ein besseres Urteil bilden: Wann war die Wirtschaft ausgelastet, wann nicht? In welchen Jahren lag das BIP über, in welchen Jahren lag es unter seinem Potenzial? Wir können dies veranschaulichen, indem wir die prozentuale Differenz zwischen den beiden Linien ausrechnen.
Das sieht dann in einer Grafik folgendermassen aus:
Was die Grafik zeigt, wird im Fachjargon Produktionslücke genannt. In Zeiten, in denen die Wirtschaft ihr Potenzial nicht erreicht, sagt man: Die Produktionslücke ist negativ (unter null). In Zeiten, in denen das BIP über dem Potenzial liegt, sagt man: Die Produktionslücke ist positiv (über null).
Fazit für die Schweiz: Über weite Strecken war die Konjunktur ausgeglichen. Nur Anfang der Nullerjahre war die Produktionslücke negativ: Sie lief rund 2 Prozent unterhalb des Potenzials. Dafür war die Konjunktur Ende der Nullerjahre sehr gut – die Produktionslücke war gut 2 Prozent über null.
So weit, so gut.
Doch Volkswirte operieren kaum je mit simplen, linearen Trends – sondern schätzen das Potenzial mit komplizierteren Trendkonstrukten. Dies, weil die Entwicklung der Wirtschaft fundamentalen Unsicherheiten unterliegt: Wir wissen als Beobachterinnen nicht, ob das natürliche Trendwachstum eine Naturkonstante ist – oder eine Variable, die sich mit der Zeit verändert.
Die Schweiz, komplex analysiert
Statt einer einfachen Trendlinie zeichnen wir deshalb als Nächstes eine mit komplexen Methoden erarbeitete Schätzung des Potenzial-BIPs in die Grafik ein. Eine Schätzung, die von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) berechnet wurde, gemäss den modernsten Regeln der Volkswirtschaftskunst.
Der Unterschied zum vorherigen Bild ist minimal – doch bei genauem Hinsehen erkennt man, dass die Potenzial-BIP-Schätzung der KOF keine exakte Gerade wie weiter oben ist, sondern einer leichten Wellenbewegung folgt. Entsprechend fällt hier auch das Konjunkturfazit leicht anders aus.
Wie, das zeigt die folgende Grafik. Sie enthält zwei Linien: die bereits oben gezeigte, mittels simplem Trend berechnete Produktionslücke (hellrot) und dazu eine weitere, anhand des KOF-Potenzials berechnete Lücke (dunkelrot).
Man sieht: Die beiden Kurven sind ähnlich, aber nicht identisch. Gemäss der linearen Trendberechnung ist die Wirtschaft aktuell gut ausgelastet, die Produktionslücke ist positiv. Gemäss KOF ist die Lücke 2019 geschlossen.
Wie gesagt: Die Schweiz ist über die vergangenen 25 Jahre hinweg ziemlich stetig vorangekommen, es gab keine allzu grossen Schwankungen. Entsprechend subtil fallen auch die Unterschiede bei der Konjunkturanalyse aus. Egal welche Methode wir als Wirtschaftsministerinnen anwenden würden, kämen wir zu ähnlichen Schlüssen: Zurzeit besteht kein Interventionsbedarf.
Anders präsentiert sich die Sache in einem Nachbarland: in Italien.
Italien, einfach analysiert
Hier verlief die Konjunktur in den vergangenen Jahren alles andere als stetig. Die Finanz- und später die Eurokrise haben die italienische Wirtschaft arg aus der Bahn geworfen. Das BIP ging deutlich zurück und reicht heute trotz einer zeitweiligen Erholung noch immer nicht über das Niveau von 2011 hinaus.
Wie soll man als Konjunkturforscher mit dieser Situation umgehen? Eine Möglichkeit ist, dieselbe Methode wie oben anzuwenden: eine simple Trendlinie einzuzeichnen, die anhand einer bestimmten Zeitperiode geeicht wurde – etwa von 1995 bis 2011, also bis kurz vor Ausbruch der Eurokrise.
Geht man so vor, ergeben sich zwei divergierende Linien. Das Potenzial-BIP (hellgrau) wächst immer weiter – das tatsächliche BIP (blau) stagniert.
Für einen italienischen Wirtschaftsminister ist diese Grafik alarmierend. Sie besagt, dass Italien 1,8 Billionen Euro im Jahr erwirtschaften könnte – wenn das Potenzial denn ausgeschöpft würde. Das ist deutlich mehr als die rund 1,6 Billionen Euro, die laut Prognosen 2019 tatsächlich erwirtschaftet werden.
Doch wie realistisch ist diese Grafik? Ist Italiens Potenzial wirklich so hoch?
Italien, komplex analysiert
Die Volkswirte der Europäischen Kommission kommen diesbezüglich zu einem ganz anderen Schluss. Gemäss ihren Berechnungen, die auf derselben Methodik wie jene der KOF beruhen, liegt das aktuelle Potenzial-BIP in Italien nicht bei 1,8 Billionen, sondern nur bei gut 1,6 Billionen Euro. Und damit praktisch auf demselben Niveau wie das tatsächliche, aktuelle BIP.
Die Finanz- und Eurokrise hat nach Ansicht der Europäischen Kommission also viel tiefere und dauerhafte Einschnitte in der Fähigkeit der italienischen Wirtschaft nach sich gezogen, Güter und Dienstleistungen zu produzieren.
Damit haben wir für Italien zwei potenzielle BIP-Verläufe, die sich diametral widersprechen und zur Wirtschaftsauslastung komplett unterschiedliche Aussagen machen. Die EU-Kommissions-Kurve besagt: Alles in Ordnung, die Produktionslücke ist geschlossen. Doch die lineare Trendkurve besagt: Die Produktionslücke ist riesig – Italien wirtschaftet weit unter dem Potenzial!
Angesichts dieser Unterschiede erstaunt nicht, dass zurzeit intensiv über die Wirtschaftspolitik in Italien gestritten wird. Die EU-Kommission wollte der italienischen Regierung bis letzte Woche ein Defizitverfahren anhängen.
Zur Begründung wurde unter anderem die Potenzialschätzung hinzugezogen: Italiens Wirtschaft sei ja bereits ausgelastet – da brauche es keine neuen weiteren Impulse in Form von höheren Staatsausgaben und -defiziten. Italien dagegen stellt sich auf den Standpunkt: Nichts da – die Wirtschaft ist nach wie vor in der Krise, die Konjunktur muss kräftig unterstützt werden!
Italien, unterschiedlich betrachtet
Streitereien dieser Art sind an sich nichts Abnormales, unterschiedliche Ansichten zur Konjunktur gab es schon immer. Bemerkenswert ist jedoch, dass selbst grosse, internationale Organisationen zu teils stark abweichenden Ergebnissen kommen, was die Grundlagen dieser Streitereien anbelangt.
Zum Beispiel schätzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Produktionslücke in Italien fürs laufende Jahr auf –1,8 Prozent. Der Internationale Währungsfonds (IWF) beziffert diese Lücke auf –1,0 Prozent, die Europäische Kommission kommt sogar nur auf –0,3 Prozent. Pictet, eine Schweizer Bank, schätzt die Lücke auf –0,2 Prozent.
Diese Zahlen liegen zwar näher beieinander als jene –10,0 Prozent, auf die man bei der Lücke zum linearen Trend kommt. Trotzdem ist die Spannweite grösser, als es die politische Bedeutung dieser Zahlen eigentlich erlaubt.
Denn: Die Zahlen haben konkrete Folgen. Und zwar wegen der Budgetregeln der Europäischen Union. Diese Regeln besagen, dass ein Land wie Italien ein strukturelles Defizit von maximal 0,5 Prozent budgetieren darf, wobei «strukturell» hier bedeutet: um die Konjunktur bereinigt. Unbereinigt hatte Italien gemäss den Frühjahrszahlen aber ein Budgetdefizit von 2,5 Prozent.
Die Krux liegt nun bei der Bereinigung. Je negativer die Produktionslücke in Italien geschätzt wird, desto stärker kann Italien sein Defizit rechnerisch bereinigen – von 2,5 Prozent in Richtung von 0,5 Prozent. Rechnet man mit den Schätzungen der Europäischen Kommission, hat Italien also fast keine Bereinigung zugute. Rechnet man dagegen mit den Zahlen der OECD oder sogar mit dem Lineartrend, hätte Italien eine massive Bereinigung zugute. Das Land müsste deutlich weniger harte Sparmassnahmen beschliessen.
Der Streit wurde schliesslich beendet, weil das unbereinigte Defizit für 2019 nun doch nur bei 2 Prozent liegen soll, was die Kommission zufriedenstellt.
Die Macht der Ökonomie
Das Beispiel von Italien zeigt, welchen politischen Einfluss die Ökonomie entfalten kann, je nachdem, welcher Rechenmethoden sie sich bedient.
Die einschneidende Wirkung entfaltet sich dabei erst im Laufe der Zeit. Und zwar dann, wenn wiederholte Unterschätzungen des Potenzials ein Land zu wiederholten Sparmassnahmen zwingen, was wiederum die Wirtschaft bremst und in der Folge auch die weiteren Potenzialschätzungen nach unten treibt – was dann wiederum weitere Sparmassnahmen nach sich zieht.
Falsche Potenzialschätzungen können also einen regelrechten Teufelskreis nach sich ziehen (oder umgekehrt auch ein Überschiessen provozieren).
Die Vermutung liegt nahe, dass sich Italien über die vergangenen Jahre in einen solchen Teufelskreis hineinmanövriert hat. Dazu beigetragen haben die innere Wachstumsschwäche der eigenen Wirtschaft – die Banken sind marode, die Firmen wenig innovativ, die Verwaltung ist ineffizient –, aber auch das Korsett, in dem sich Italien als EU- und Euro-Mitgliedsland befindet.
Die Schweiz ist in dieser Hinsicht autonomer. Ökonomische Konzepte wie die Produktionslücke spielen zwar auch hierzulande eine Rolle – etwa in den Rechenmodellen der Nationalbank oder bei der Schuldenbremse auf Ebene des Bundes. Doch die hiesige Geld- und Finanzpolitik kann letztlich selbst entscheiden, welchen Stellenwert sie diesen Konzepten beimessen will: ob sie die Schätzungen ernst nehmen oder sie aussen vor lassen mag.
Diese Autonomie ist durchaus relevant – zumal es auch für die Schweiz eine gewisse Bandbreite gibt. So ging etwa die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) 2018 davon aus, dass die Wirtschaft bereits leicht über ihrem Potenzial produzierte (+0,5 Prozent) und darum keine Schulden aufnehmen sollte. Demgegenüber bezifferte die KOF die Produktionslücke vergangenes Jahr auf –0,2 Prozent, was einer leichten Unterauslastung der Wirtschaft gleichkommt und eine anders nuancierte Budgetdiskussion nach sich zieht.
In Italien ist die Lage gravierender. Die Bandbreite der Schätzungen ist dort so gross – und deren Richtigkeit so fraglich –, dass eine Reihe von Ökonomen aus den Reihen des Institute of International Finance, einer Bankenlobby, in den letzten Monaten eine Blogging-Kampagne losgetreten haben: gegen «unsinnige Produktionslücken» (Campaign against Nonsense Output Gaps).
Sie fordern Institutionen wie die Europäische Kommission dazu auf, ihre Methoden grundsätzlich zu überdenken. Dies, weil sie in Fällen wie Italien schlichtweg komplett an der Realität vorbeizielen würden: Es könne nicht sein, dass eine Wirtschaft mit einer Arbeitslosenrate von fast 11 Prozent bereits am Rande ihrer Kapazität angelangt sei und keine weiteren Stimuli mehr verkraften könne, ohne dass dadurch Inflationsdruck entstünde.
Die Argumente haben einiges für sich. Die Teuerung ist in Italien derzeit unter Kontrolle. Gut möglich, dass die dortige Wirtschaft mit dem richtigen Mix aus Massnahmen – dazu gehören Staatsausgaben ebenso wie strukturelle Reformen – wieder auf einen steileren Wachstumspfad geführt werden kann.
Ob die jetzige Populistenregierung zu diesen Reformen auch in der Lage ist, ist eine andere Frage, die man wohl eher verneinen muss. Doch egal wie fähig oder fahrlässig Matteo Salvini und Luigi Di Maio sind und welche Politik man sich von ihrer Regierung als Volkswirt wünschen würde: ihnen den nötigen Finanzspielraum aufgrund von ökonomischen Methoden zu verwehren, die offensichtlichen Nonsens produzieren, ist nicht richtig.
Welches Potenzial steckt in einer Wirtschaft? Wie schöpft man es aus?
Mit diesem Beitrag wollen wir zeigen, wie gross unsere Wissenslücken in diesen Fragen sind. Zurückhaltung ist angebracht – sonst wird die Ökonomie am Ende zur Esoterik und von den Leuten auch dementsprechend behandelt.
Zu den Daten – und den Unsicherheiten
Die potenzielle Wirtschaftsleistung eines Landes wird üblicherweise als jene Wirtschaftsleistung definiert, bei der die Produktionskapazitäten (Arbeit, Kapital, Technologie) eines Landes ausgelastet sind, ohne dass dabei Inflationsdruck entsteht. Damit verbunden ist die Idee, dass es eine bestimmte Arbeitslosenquote gibt, bei der die Teuerung konstant ist. Fällt die Quote unter diesen Wert, so steigen die Löhne und die Preise, ohne dass die Wirtschaft weiter an Substanz zulegt.
Die Kritik an der praktischen Verwendbarkeit dieses Konzepts setzt an drei Punkten an. Erstens ist unklar, ob das Konzept an sich überhaupt stimmig ist (Modell-Unsicherheit). So ist die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren in vielen Ländern gefallen, teils unter längerfristige Werte, ohne gleichzeitige Teuerung. Zweitens ist unklar, anhand welcher Grössen man das Potenzial-BIP genau messen soll (Parameter-Unsicherheit): welche Arbeitslosenzahlen man zum Beispiel für die Schätzung verwenden soll und wie diese Schätzung vorzunehmen ist. Drittens ist unklar, zu welchem Zeitpunkt man eine korrekte Angabe der Produktionslücke machen kann (Daten-Unsicherheit): Oft werden BIP-Schätzungen im Verlauf von Quartalen und sogar Jahren mehrmals revidiert, bisherige Zahlen werden aufgrund neuer Daten nach oben oder unten korrigiert.
Verschiedene Organisationen publizieren Schätzungen zum Potenzial-BIP und zur Produktionslücke. Relevant in der EU sind jene der Europäischen Kommission. Sie sind über die Ameco-Datenbank verfügbar. Die Kommission verwendet dabei einen Bottom-up-Ansatz: Das Produktionspotenzial wird in drei Komponenten zerlegt (Arbeit, Kapital, Technologie) und anhand der Entwicklung dieser drei Komponenten mittels einer sogenannten Produktionsfunktion berechnet. In der Schweiz verwendet die KOF mehrere Ansätze, der hier gezeigte orientiert sich an der Methode der Europäischen Kommission. Einen Beschrieb hat die Europäische Kommission publiziert, nachlesen lässt sich die Methode auch in einem Papier der Johannes Kepler Universität in Linz.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die OECD. Auch sie publiziert Schätzungen zur Produktionslücke, die online verfügbar sind. Die OECD kalibriert gewisse Parameter allerdings etwas anders als die Europäische Kommission. Das hat zur Folge, dass die OECD-Zahlen weniger sensitiv auf die Konjunktur reagieren und über die Zeit auch weniger stark revidiert werden müssen. Bildlich gesprochen gleicht das Potenzial-BIP bei ihr stärker einer geraden Linie als einer Kurve.
Daten zur Produktionslücke stellt darüber hinaus auch der IWF zur Verfügung.
In der Schweiz nimmt nebst der KOF die Eidgenössische Finanzverwaltung eine Schätzung vor. Die EFV spricht dabei allerdings nicht von der Produktionslücke, sondern vom sogenannten Konjunkturfaktor. Dieser dient im Kontext der Schuldenbremse dazu, den konjunkturbereinigten, fiskalischen Spielraum zu berechnen, den der Bund bei seinem Budget hat. Die EFV-Methode funktioniert nicht bottom-up, sondern gewissermassen top-down: Dabei wird ein mathematischer «Filter» über die BIP-Werte der vergangenen Jahre gelegt, um daraus jeweils eine Trendkomponente und eine jährliche Abweichungskomponente zu gewinnen.
Ähnlich funktioniert eine Methode, die Ökonomen bei der Bank Pictet verwenden, um die Produktionslücke für ein bestimmtes Land in einem bestimmten Jahr zu berechnen. Solche Berechnungen dienen der Finanzwirtschaft dazu, die mögliche Geld- und Finanzpolitik in einem Land abzuschätzen und basierend darauf die Perspektiven zur weiteren Entwicklung der Finanzmärkte zu eruieren.
Gemeinsam ist allen Methoden, dass sie komplexe mathematische Algorithmen anwenden. Die Kalibrierung dieser Algorithmen ist keine exakte Wissenschaft, sondern abhängig vom Urteil und von der Einschätzung der Anwender.
Zentralbanken wie die SNB oder die EZB sind sich deshalb bewusst, dass sie ihre Politik auf diverse Methoden und Modelle abstützen müssen. In der Theorie spielen Produktionslücken zwar eine sehr wichtige Rolle: Sind sie negativ, ist Expansion angezeigt, sind sie positiv, muss gestrafft werden. Doch in der Praxis sind zu viele Unsicherheiten rund um die Messung und Schätzung verbunden, als dass sich die Geldpolitik bloss auf dieses eine Konzept verlassen könnte. Das Beispiel von Italien zeigt jedoch, dass Produktionslücken in einem anderen Kontext mit deutlich weniger Ermessungsspielraum behandelt werden können.
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