Briefing aus Bern

Zwei Säulen im Umbau, grosse Geschenke – und Bersets Boys Club legt zu

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (64).

Von Andrea Arezina und Urs Bruderer, 04.07.2019

Teilen8 Beiträge8

Wenn kleine Geschenke die Freundschaft erhalten, was tun dann erst grosse?

Die Jagd sei ihm eigentlich zuwider, und er habe auch nicht gewusst, dass nicht wie üblich auf Schweine geschossen werde, sagte Viktor K. vor Gericht. Aber schwierig war die Bärenjagd für ihn nicht: Mit Helikoptern und Gelände­wagen wurden die Tiere vor die Flinten der Jäger getrieben.

Zur Anklage gegen K. kam es, weil er sich als Bundes­polizist von russischen Kollegen einladen liess zur Bären­jagd, zu einem einwöchigen Trip auf der Insel Kamtschatka, dem östlichsten Zipfel des riesigen Russlands. Vorteils­nahme, entschied der Richter, und verurteilte Viktor K. zu einer bedingten Geldstrafe von 9000 Franken.

K. fiel vor Gericht durch redselige Überheblichkeit auf. Die Frage, warum er keine Akten­notizen erstellt habe, beantwortete er mit einer Anekdote über einen ehemaligen Vorgesetzten, einen Staats­anwalt. Der habe von sich behauptet, an Lese­schwäche zu leiden. Als er, K., für diesen Vorgesetzten einmal einen Bericht geschrieben hatte, habe er ihm eine Schachtel Pralinen versprochen, falls er ihn lese. Er habe ihn zwar nicht gelesen, habe ihm der Vorgesetzte später gesagt, aber Lust auf Schokolade habe er jetzt schon.

Dass er die Einladung nach Kamtschatka angenommen habe, erklärte K. so: Er habe auf dem Ausflug Material gegen einen Bericht des ehemaligen Schweizer SP-Nationalrats Andreas Gross sammeln wollen, den er für völlig falsch hält. Wegen dieser Verteidigung wird der Jäger wider Willen jetzt zum Gejagten der Politik. Die Geschäfts­prüfungs­kommission des Nationalrats will diese und andere Einladungen überprüfen.

Den erwähnten Bericht hat Gross als Europa­rats­mitglied geschrieben. Es geht darin um den Fall des russischen Anwalts Sergei Magnitski, der in einem russischen Gefängnis ums Leben kam. Für Andreas Gross war Magnitski einer, der «einem Unrecht auf die Spur kam und deshalb selber Opfer eines Unrechts wurde», für Russland war er ein Krimineller.

K. scheint in diesem heiklen Fall eher zur russischen Version zu neigen. SVP-Nationalrat Alfred Heer, auch er Mitglied des Europa­rats, schreibt, es sei sogar denkbar, dass Viktor K. Informationen aus einer Befragung von Gross an Russland weiter­gegeben habe. In diesem Fall wäre K. für eine fremde Macht tätig gewesen.

Russische Geschenke bekam übrigens auch schon Bundes­anwalt Michael Lauber. Einmal war es so viel Wodka, Kaviar und Porzellan, dass die Gaben im Linienflug keinen Platz hatten und in der Schweizer Botschaft in Moskau zwischen­gelagert werden mussten.

Viktor K. beschrieb Lauber vor Gericht als guten Kumpel. Als Einziger habe er, K., unangemeldet beim Bundes­anwalt vorbei­schauen können. Er sei einfach vor dessen Büro aufgetaucht mit den Worten «Ciao, ist der Mike da?» Ob er ihm jeweils etwas mitgebracht hat, ist nicht bekannt.

Und damit von den grossen Geschenken zu den Renten, die zu gross oder zu klein sind, je nachdem, wem man glaubt – zum Briefing aus Bern.

Erste Säule: Der nächste Anlauf zu einer AHV-Reform

Worum es geht: Der Bundesrat hat sich auf die Eckwerte der nächsten AHV-Reform geeinigt. Hier sind sie:

  • Das Rentenalter soll flexibler werden.

  • Man soll schon mit 62 Jahren Rente beziehen oder auch bis 70 arbeiten können. Ersteres kostet, Letzteres wird finanziell belohnt.

  • Das AHV-Alter für Frauen soll auf 65 Jahre steigen. (Eine Erhöhung des Rentenalters für Männer oder Männer und Frauen auf 66 schlägt der Bundesrat nicht vor.)

  • Aber allmählich und mit einer sozialen Abfederung: Während neun Jahren sollen sich Frauen mit kleineren oder gar ohne Einbussen frühpensionieren lassen können.

  • Die AHV erhält mehr Geld, und zwar aus der Mehrwert­steuer, die um maximal 0,7 Prozent­punkte angehoben wird. Also von derzeit 7,7 auf 8,4 Prozent.

Warum das wichtig ist: Die AHV gerät in finanzielle Schieflage. Zwar hat die Schweizer Bevölkerung mit dem Ja zum Staf-Päckli am 19. Mai der AHV 2 Milliarden Franken jährlich zugeschanzt. Aber auch so gerät sie ab 2023 wieder ins Minus. In den vergangenen Jahren wurde oft versucht, die AHV zu reformieren. Nie gelang es, weil sie stark umverteilend wirkt: Die politische Rechte begriff darum jeden Reform­anlauf als Gelegenheit, die AHV zu schwächen; die Linke versuchte umgekehrt, sie zu stärken. Der scharf geführte Streit führte dazu, dass Kompromisse in der Bevölkerung keine Mehrheit fanden.

Wie es weitergeht: Das Departement von Sozial­vorsteher Berset muss schon im August eine Botschaft entlang dieser Eckwerte vorlegen. Die geht dann ins Parlament. Die Gewerkschaften bezeichnen die vorgeschlagene Erhöhung des Renten­alters für Frauen bereits als inakzeptabel, die Arbeitgeber die Mehrwert­steuer­erhöhung für zu hoch und die soziale Abfederung für übertrieben – das übliche Vorgeplänkel zu den Verhandlungen im Parlament. Unbeirrt sprach Bundesrat Alain Berset vor den Medien von einer positiven Dynamik. Zum Beweis verwies er auch auf einen bemerkenswerten Durchbruch in der Reform der zweiten Säule:

Zweite Säule: Auch hier ein neuer Reformanlauf

Worum es geht: Die Sozialpartner haben eine überraschend radikale Reform der Pensions­kassen vorgeschlagen. Der renten­bestimmende Umwandlungs­satz soll von 6,8 auf 6 Prozent sinken. Das heisst: Pro 10’000 Franken Alters­guthaben soll man nur noch 600 Franken Rente erhalten und nicht mehr 680 Franken. Dafür werden ein paar Abzüge und Gutschriften angepasst. Und vor allem wird ein neuer Beitrag eingeführt, der wie eine Kopf­steuer funktioniert, nur umgekehrt. Alle erhalten dieselbe Summe, finanziert wird der Kopfbeitrag aber mit Lohn­prozenten. Das heisst: Vielverdiener bezahlen viel, Wenig­verdiener wenig. Unter dem Strich soll das Renten­niveau so erhalten bleiben, Frauen, Kleinverdiener und Teilzeit­angestellte aber etwas besser dastehen.

Warum das wichtig ist: Auch für die zweite Säule sind schon zwei Reform­vorlagen in Abstimmungen gescheitert. Auch hier herrscht finanzielle Schieflage. Denn theoretisch spart in der zweiten Säule jeder für sich selber. Faktisch aber müssen die Pensions­kassen derzeit Renten auszahlen, die sich mit den vorliegenden Guthaben nicht finanzieren lassen. Und das heisst: Es findet eine Umverteilung statt von denen, die Pensions­kassen­beiträge bezahlen, zu denen, die Rente beziehen. Etwa 7 Milliarden werden derzeit jährlich von Jung zu Alt verschoben, «ein Skandal», sagte Berset dazu. Den Kompromiss­vorschlag von Arbeit­gebern und Gewerkschaften bezeichnete der Bundesrat als ausgewogen.

Wie es weitergeht: Bersets Leute müssen aus dem Vorschlag eine Vorlage zimmern. Die muss durch die Vernehmlassung und ins Parlament. Berset hofft, dass dies bis in einem Jahr möglich ist und dass die Reform der ersten und die Reform der zweiten Säule parallel behandelt werden können. Auch die Reform der zweiten Säule bleibt eine Knacknuss. Der Gewerbeverband lehnt den Kompromiss ab, ebenso die NZZ. Beiden sind solidarische Elemente in der zweiten Säule ein Graus. Auch hier wird wohl noch intensiv gefeilscht um die wichtigen technischen Details.

Ruag trickste Bund aus

Worum es geht: Für den Unterhalt der Schweizer Luftwaffe ist die Ruag zuständig und geniesst dabei eine Monopol­stellung. Ihre Arbeit darf sie pauschal abrechnen, im Gegenzug erlaubt ihr der Bund eine Gewinn­marge von nicht mehr als 8 Prozent. Nun jedoch zeigt ein Bericht der Eidgenössischen Finanz­kontrolle (EFK), dass die Ruag den vereinbarten Maximalwert deutlich überschritten hatte.

Was Sie wissen müssen: Bereits vor Jahren versuchten Parlament und EFK, die Ruag zur Herausgabe von mehr Informationen zu bewegen. Die Ruag blockte stets. Als vergangenen Dezember die CH-Media-Gruppe schrieb, die Ruag könnte dem Bund bis zu 400 Millionen Franken zu viel verrechnet haben, wählte die Ruag eine Vorwärts­strategie und gab selber bei der EFK einen Bericht in Auftrag. Darauf drehte die EFK jede Rechnung aus den Jahren 2013 bis 2017 um und kam zu folgendem Schluss: Die Ruag hat zwar keine Rechnungen manipuliert, aber sie hat dem Bund 70 Millionen zu viel in Rechnung gestellt. Die Ruag weist das weit von sich. Doch der Bericht zeigt, wie die Ruag getrickst hatte. Auf Ersatzteile aus dem Ausland sei die Gewinn­marge zweimal erhoben worden. Ebenfalls seien Werbe­kosten an Flug­aufführungen verrechnet worden. Dass der Bund trotzdem kein Geld von der Ruag zurück­bekommt, erklärt EFK-Direktor Michel Huissoud so: «Die Kosten wurden pauschal abgezogen, die Ruag hat also nichts explizit Verbotenes gemacht.»

Wie es weitergeht: Ab 2020 wacht eine externe Revisions­stelle über die Ruag. Und wenn 2021 die Mehrjahresverträge zwischen Bund und Ruag neu ausgehandelt werden, sollen die Ergebnisse aus dem EFK-Bericht in allen Köpfen wieder aufleuchten.

Zugausfälle und Verspätungen sollen entschädigt werden

Worum es geht: Zugfahrerinnen sollen in Zukunft für Ausfälle und Verspätungen im Schienen­verkehr entschädigt werden, das verlangt eine neue Verordnung des Departements Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek).

Was Sie wissen müssen: Hat der Zug heute Verspätung, bekommt man vielleicht einen «Sorry-Bonus». Aber die Geste ist freiwillig und erfolgt nicht in jedem Fall. Jetzt möchte das Uvek die Rechte der Passagiere bei Zugausfällen und grossen Verspätungen stärken. Ist schon vor der Reise klar, dass sich ein Zug verspätet oder ausfällt, kann die Zugfahrerin auf die Reise verzichten und bekommt den vollen Fahrpreis zurück­erstattet. Bei Verspätungen von über einer Stunde können mindestens 25 Prozent des bezahlten Fahr­preises zurück­verlangt werden. Bei Verspätungen von über zwei Stunden sind es mindestens 50 Prozent. Die Entschädigung kann in Form eines Reise­gutscheins ausbezahlt werden. Der Anspruch auf Entschädigung besteht auch dann, wenn eine Verspätung durch höhere Gewalt verursacht wurde, Hitze beispielsweise. Und wer in einem Zug sitzt, der sich mindestens 60 Minuten verspätet, soll sich über ein Getränk und eine Mahlzeit freuen, falls diese im Zug oder im Bahnhof verfügbar sind. Das Uvek schlägt in der neuen Verordnung auch vor, dass es Pflicht der Transport­unternehmen ist, die Passagierinnen auf diese Rechte hinzuweisen.

Wie es weitergeht: Bis zum 24. Oktober sind die neuen Bestimmungen in der Vernehmlassung. Voraussichtlich Mitte 2020 sollen sie in Kraft treten.

Bersets Boys Club wächst

Er soll die AHV sanieren, die Pensions­kassen ins Lot bringen und dafür sorgen, dass ein Vater nach einer Geburt länger frei bekommt als nach einem Todesfall, nämlich nur einen Tag. Für all das braucht SP-Bundesrat Berset einen Profi. Den hat er gefunden. Er heisst Stéphane Rossini und ist zufällig auch ein alter Bekannter Bersets. Rossini wird im Dezember Direktor des Bundes­amtes für Sozial­versicherungen. Er sass 16 Jahre für die SP im Nationalrat. Derzeit präsidiert er die Eidgenössische Kommission für die Alters-, Hinterlassenen- und Invaliden­versicherung. Er ist Präsident des Heilmittel­instituts Swissmedic. Er unterrichtet an den Unis Lausanne, Genf und Neuenburg Sozial­politik und Politik­wissenschaft. So weit, so gut. Doch mit dem Neuzugang erweitert Bundesrat Berset auch seinen Boys Club. Von acht Direktions­stellen konnte er bis jetzt fünf neu besetzen. Eine vergab er an eine Frau. Die Kultur. Aber immerhin hole er die in Kaderpositionen untervertretenen Romands in die Verwaltung, heisst es unter SPlern, wenn man sie auf Bersets Boys Club anspricht. Wenn man jeweils die SPler auf ungleiche Geschlechter­verteilungen hinweist, greifen sie gerne über den Röstigraben und führen das Argument ins Feld, es sei aber ein Romand. Merke: Den Männern gehört die Hälfte der Plätze. Die andere Hälfte haben sich die Frauen mit den Romands zu teilen.