Der Hitzesommer wählt mit
Im Moment versuchen die Bürgerinnen, sich abzukühlen, im Herbst werden sie wählen. Was viel miteinander zu tun hat.
Von Daniel Binswanger, 29.06.2019
Die einzige politische Frage, auf die man sich bei dieser Affenhitze noch konzentrieren mag, lautet folgendermassen: Wie viele Wochen müssen wir diesen Sommer Temperaturen über 35 Grad ertragen, damit die SVP im Herbst bei den Parlamentswahlen unter 25 Prozent fällt? Der Zusammenhang von Temperatur- und Wählerkurve ist kein Hitzedelirium, sondern eine realistische Hypothese. Auch mit kühlem Kopf betrachtet, wird er einen der entscheidendsten Einflussfaktoren darstellen bei den kommenden Wahlen.
Fast scheint es heute, als hätte die Natur selber einen beträchtlichen Stimmrechtsanteil bekommen: Von ihrem «Votum» hängt enorm viel ab. Das wird die Art, wie Politik gemacht wird in unserem Land, zutiefst beeinflussen. Zunächst einmal ganz konkret im nächsten Herbst, aber auch in längerfristiger Perspektive.
Wie sich die Dinge konkret entwickeln werden – ob zugunsten oder zuungunsten der grünen Parteien –, ist vorderhand noch völlig offen. Die schlechte Nachricht: Damit die Temperaturen einen politischen Impact haben werden, muss es wohl noch recht lange sehr heiss bleiben. Doch wir hatten nun bereits einen Juni mit Temperaturrekorden, und angesichts der Tatsache, dass sich in den vergangenen Jahren die Hitzesommer sehr stark zu häufen begannen, darf man «zuversichtlich» sein, dass sich die Hundstage noch bis in den September erstrecken werden.
Es gibt jedoch noch einen anderen entscheidenden Faktor: das Wasser. Der vergangene Sommer war vor allem deshalb ein Erweckungserlebnis für viele bisher nicht besonders ökologiebewusste Bürger, weil die zeitweilige Versteppung des Schweizer Mittellandes – die braunen Wiesen, die man sonst nur aus südlichen Ländern kennt, der Notstand der Bauern, die kein Futter mehr hatten für ihr Vieh – auch dem ländlichen und konservativen Publikum brutal vor Augen führte, was mit dem Klimawandel auf uns zukommt. Es mag ein wenig paradox erscheinen: Je angebräunter die Schweiz, desto schlechter für die SVP.
Die Wassersituation ist dieses Jahr jedoch viel besser als 2018 – weil es viel geregnet hat, weil die Schneeschmelze noch nicht abgeschlossen ist, weil die Trockenheit relativ spät einsetzt. Es wäre also denkbar, dass der Sommer zwar sehr heiss, aber einiges weniger dürr wird als im vergangenen Jahr. Das könnte auch seine politische Wirkung relativieren.
Nachdem Petra Gössi erfolgreich eine grüne Wende der FDP eingeleitet hat, entflammt jetzt auch wieder die seltsame Bullshit-Diskussion darüber, inwiefern eine starke umweltpolitische Agenda einen Verrat am liberalen Gedankengut darstelle. Nur zur Erinnerung: Auch der Liberalismus benutzt, ohne zu zögern, staatliche Zwangsmassnahmen, um freiheitliche Rahmenbedingungen durchzusetzen. Er garantiert zum Beispiel den Rechtsstaat, die Wirtschaftsfreiheit, die Eigentumsrechte. Warum die Verhinderung einer Klimakatastrophe, die dem Planeten, der Menschheit und den Schweizer Bürgern potenziell massivsten Schaden zufügt, aus liberaler Sicht keine legitime Staatsaufgabe sein soll, ist vollkommen schleierhaft. Auch eingefleischte Liberale setzen in zahllosen Bereichen nicht auf Freiwilligkeit, sondern auf Zwangsmassnahmen. Zur Verhinderung von Vandalismus setzt man nicht auf Eigenverantwortung. Man schickt die Polizei.
Befremdlich ist auch, dass in der Schweiz die bürgerlichen Traditionsparteien so unendlich lange gebraucht haben, um das politische Potenzial der Ökologie voll zu erkennen. Die deutsche CDU, die nach Fukushima eine einschneidende Repositionierung vollzogen hat, wird man hier nicht anführen dürfen. Die Partei von Angela Merkel gilt vielen Schweizer Rechtsbürgerlichen ja als so etwas wie eine etatistisch-sozialistische Kampftruppe. Aber blicken wir nach Grossbritannien: Die Positionierung als Ökopartei war ein absolutes Kernelement der Rückeroberung der Macht durch die britischen Tories unter David Cameron. Mehr als alles andere war es die Ökologie, welche es der sehr konservativen britischen Rechtspartei erlaubte, 2010 die Labour-Regierung abzulösen, die sich dreizehn Jahre gehalten hatte. In einer historisch gewordenen Rede verkündete damals der frisch gewählte Premierminister Cameron: «Und ich sage das mit ganzem Herzen: Es bietet sich uns eine riesige Gelegenheit. Ich will, dass wir die grünste Regierung aller Zeiten werden.»
Hinter welchen sieben Monden leben wir eigentlich, dass knapp zehn Jahre später, unter den stark verschärften Bedingungen der fortschreitenden Klimakrise, die ökologische Wende der bürgerlichen Traditionspartei so sagenhaft umkämpft ist? Petra Gössi sollte sich ein Vorbild nehmen an der elektoralen Strategie, die David Cameron schon in den Nullerjahren erfolgreich verfolgte. Sie sollte seinen Fall aber auch deshalb studieren, weil der Fall Cameron leider auch als beispielhaft gelten kann für die Fallstricke bürgerlicher Klimapolitik. Von den ganzen schönen Programmen und Versprechungen wurden nur sehr wenige umgesetzt, zahllose Massnahmen wurden schnellstens wieder aufgeweicht. Die Öl-Lobby und die Partei-Rechte hatten das letzte Wort. Der Fall des Freisinns wird interessant bleiben.