Pop macht Feminismus einfach. Aber Feminismus ist nicht einfach

Dass sich der Kampf für die Gleich­stellung der Geschlechter heute auch auf Instagram gut macht, ist zwar nett. Aber wenn wir unsere Dehnungs­streifen akzeptiert haben, geht die Arbeit erst richtig los. Ein Essay zum Frauenstreiktag.

Von Fatima Moumouni, 14.06.2019

Vorgelesen von Fatima Moumouni
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Bäh, Wohlfühlfeminismus.

«Feminismus hört nicht auf, sobald man sich selbst wohlfühlt»: Fatima Moumouni. Yves Bachmann

Nicht, dass man mich jetzt falsch versteht: Ich finde es wichtig, dass Feminismus dazu führt, dass Menschen sich wohlfühlen. Ich will, dass Frauen* in den Spiegel schauen und schön finden können, was sie sehen. Dass sie selbst­bewusst sein können und dafür nicht zuerst Jahre von internalisiertem Selbsthass überwinden müssen. Dass sie wie 16-jährige junge Männer im Tram Klimm­züge an den Halte­stangen machen und selbst­verständlich ihren Bizeps abfeiern können. Dass die Entscheidung, welche Haare sie sich zupfen oder nicht zupfen, rasieren oder wachsen lassen, allein ihren Vorstellungen entsprechen darf – und im Übrigen auch ihrer Bereitschaft, Zeit dafür aufzuwenden. Dass sich Frauen* nicht für ihren Körper entschuldigen müssen. Dass sie vergessen können, dass sie eine Frau* sind, wenn sie einen Raum betreten. Dass sie Zugang zu den Räumen haben, in denen Entscheidungen getroffen werden und in denen Cash gemacht wird.

Ich will, dass diese Welt bequemer wird für Menschen, die sich als Frauen identifizieren.

Aber Feminismus selbst, der Kampf für die Gleich­berechtigung der Geschlechter, ist per Definition nicht bequem. Er fühlt sich nicht wohlig an. Dazu gibt es noch viel zu viel zu tun. Denn wer A sagt, muss auch B sagen. Wer A sagt, muss auch -rschloch sagen. Wer «Ah» sagt, «ich bin übrigens Hobby­feministin», muss auch prekärere Probleme als die Nippel­zensur auf Instagram anprangern.

Alles andere ist kein Feminismus, kein Kampf für Gleich­berechtigung der Geschlechter, sondern im besten Fall Selbst­optimierung und ein tolles Instagram-Profil, im schlechtesten Fall die Beihilfe zur Unter­drückung anderer Frauen*.

Klingt das anstrengend? Das ist es.

Klar, es ist schön, dass Feminismus in der Popkultur angekommen ist: Feminismus hat heute einen Sound­track. So muss man sich beispiels­weise nicht mehr zu misogynen Liedern für den Ausgang parat machen. Zwar wird man im Ausgang immer noch angestarrt und begrapscht, aber dafür hat man inzwischen eine Auswahl an feministischen Song­texten. Feminismus hat eigene Beauty­produkte und Brands, frau kann ihren Komplexen mit einem frechen, empowernden Werbe­slogan im Kopf frönen. Feminismus hat T-Shirt-Aufschriften und eine Menge Hashtags. Feminismus ist eine Welle geworden, die alles überschwemmt, sodass man auch am hinter­letzten Stammtisch irgend­etwas davon mitbekommt.

Das ist positiv, bis zu dem Punkt, an dem die Welle den Aggregat­zustand wechselt – und substanzlos wird.

Es ist auch der Punkt, an dem ich anfange, mich über den Pop-Feminismus zu ärgern. Denn es gibt ein Problem, wenn nur der Pop – oder nennen wir ihn unverblümt: der Kapitalismus – weiter vordringt. Wenn nur der Pop Leute informiert und bestärkt und sie die komplizierten Argumente über unsere Sozialisierung nicht mehr hören wollen. Denn letztlich macht Pop Feminismus einfach. Aber Feminismus ist nicht einfach.

Ich schreibe das als schwarze Frau. Die, wenn sie sich in einen Raum mit anderen selbst bezeichneten Feministinnen* begibt, unter Umständen Kompromisse machen muss: das ständige In-die-Haare-Greifen, das Exotisieren, die unangenehmen Gespräche über Afrika … Muss ich die vielen kleinen Übergriffe übersehen, damit ich mich in Frauen­gruppen darüber freuen kann, eine Vagina zu haben, und um mir anhören zu können, wie toll und wichtig es ist, zu masturbieren?

Ich schreibe als muslimische Frau, die deswegen häufig auf dem Prüfstand steht. Geprüft von Leuten, die glauben, es müsse doch unemanzipierte Tendenzen in mir geben, die dem Islam zuzuschreiben seien. Von Leuten, die sich über mich stellen oder über das, was ich für sie repräsentiere. Und das alles, ohne zum Beispiel zu hinter­fragen, welche Bedeutung und Auswirkung es hat, dass das Stimm­recht für Frauen in der Schweiz erst so spät eingeführt wurde.

Ich schreibe als Frau, die ein gewisses Misstrauen gegenüber hetero­normativen Vorstellungen von Gender, Beziehungen und Sexualität hat und genau weiss, in welchen Räumen man das nicht kundtun darf.

Ich schreibe als Frau, die sich überlegt, ob sie Lust hat auf den Frauenstreik.

Ganz persönlich. Und das nicht etwa, weil ich nicht dahinter­stehe. Nicht, weil ich spalten möchte. Eher, weil ich Angst vor der Euphorie des Etappen­siegs habe. Und weil ich nicht weiss, ob es einen Etappen­sieg gibt, wenn ich von zig Menschen in meinem Umfeld weiss, die nicht von Anfang an im Frauen­streik mitgedacht wurden.

Die nicht als wichtige Stimme mitgedacht wurden, wo doch Feminismus Stimmen verleihen soll. Nicht mitgedacht von Menschen, die glauben, es mache keinen Unterschied, wer auf der Bühne des Streiks Raum bekommt.

Doch es macht einen Unterschied.

Denn die einen kämpfen gegen den gender pay gap und die anderen ums pure Überleben. Beide Realitäten existieren in der Schweiz, das zeigen genug Statistiken. Und beide sind nicht frei ohne die Freiheit der jeweils anderen.

Das sage übrigens nicht ich, sondern die schwarze, lesbische US-amerikanische Feministin und Schrift­stellerin Audre Lorde, die mit ihren Texten wahrscheinlich viele Leben gerettet hat:

«I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own.»

«Ich bin nicht frei, während irgendeine andere Frau unfrei ist, auch wenn ihre Fesseln ganz anders sind als meine.»

Ich schreibe als Frau, die aufgrund ihrer Biografie immer gezwungen war, Feminismus grösser zu denken als den Kampf für die Akzeptanz ihrer Dehnungsstreifen.

Ich schreibe das aber auch als Frau, die in weissen, bürgerlichen Cis-hetero-Räumen funktioniert und überlebt. Und die sogar gelegentlich, wie mit diesem Text hier, die Möglichkeit bekommt, zu meckern. Und die auch im Rahmen des Frauen­streiks Gelegen­heit bekommt, sich einzubringen. Aber anderen Frauen bleibt das verwehrt.

Was ich damit sagen möchte: Wir sind längst nicht dort angekommen, wo wir sein sollten. Was kommt nach der Euphorie der Privilegierten unter den Unprivilegierten?

Feminismus ist Arbeit. Und die hört nicht auf, sobald Leute im eigenen Umfeld Achsel­haare und unrasierte Beine akzeptieren. Sprich: Feminismus hört nicht auf, sobald man sich selbst wohlfühlt.

Feminismus ist nicht homophob, transfeindlich oder rassistisch.

Feminismus ist nicht klassistisch und beutet keine anderen Frauen* aus.

Feminismus ist barrierefrei.

Feminismus ist inter­sektional, kümmert sich also um eine Vielfalt an Frauen*. Und ist damit verdammt anstrengend. Deshalb werde ich mich am Frauenstreik­tag wohl ausruhen und weiter vorbereiten und mich dabei freuen, dass so viele Frauen* mobilisiert werden konnten, auf die Strasse zu gehen. Mein Respekt an alle, die dazu beigetragen haben.

Deshalb sage ich: Happy Frauenstreik!

Feiert heute! Aber fragt euch, wer nicht mitfeiern kann und warum. Und seht zu, dass ihr morgen fit seid: wenn es wieder darum geht, sich zu informieren, zu diskutieren, zu kämpfen und einen Alltag zu gestalten, der Platz macht für alle. Denn die Revolution ist kein einmaliges Ereignis, wie Audre Lorde schon wusste: «The revolution is not a one-time event.»

Zur Autorin

Fatima Moumouni, Jahrgang 1992, ist Spoken-Word-Poetin und hat seit 2011 schon mehrere Poetry-Slam-Wett­bewerbe gewonnen. Daneben studiert sie Sozial­anthropologie an der Universität Bern. Zusammen mit ihrem Slam-Partner Laurin Buser tourt sie derzeit mit dem Abend­programm «Gold». Moumouni gibt Anti-Rassismus-Work­shops an Schulen zu Sprach­betrachtung und Diskurssensibilisierung.