Fake News im Osten – welche Fake News?
Von Michael Rüegg, 20.05.2019
Ein Georgier, ein Russe, ein Aserbaidschaner, ein Ukrainer und ein Kasache diskutieren über Fake News.
Was klingt wie der Beginn eines Witzes, ist die Aufstellung eines Podiums. Stattgefunden an einem Zeitungskongress vor ein paar Tagen in Wien. Vier Journalisten, ein Thema: Fake News im Osten – wie soll man damit umgehen?
Die Aufstellung hatte es in sich. Zu Beginn entschuldigte sich der georgische Moderator dafür, dass man auf der Bühne Russisch spreche, obwohl Russland bekanntermassen illegal 20 Prozent des georgischen Staatsgebiets okkupiere. Gegen diese Aussage protestierte umgehend der aus Kasachstan angereiste Blogger, der ganz offensichtlich russischer Herkunft war.
In der Folge waren sich der Russe und der Ukrainer nicht ganz einig, welches Land denn nun mehr Fake News über das andere in Umlauf bringe. Aus Sicht des Ukrainers führt Russland im Osten des Landes einen illegalen Krieg, doch der Russe wollte davon nichts wissen. Der Aserbaidschaner beklagte sich darüber, dass Armenien zur Zeit des Konflikts zwischen beiden Ländern durch seine Propaganda viel Leid verursacht habe. Doch Armenien konnte nicht widersprechen, weil nicht anwesend.
Interessanterweise blieb die Diskussionstemperatur kühl bis gelangweilt, keiner der bewaffneten Konflikte brach auf der Bühne aus. An einem Punkt war sich die Runde sogar fast einig: dass es Medienerziehung brauche. Dass die Bevölkerung im Umgang mit sozialen Netzwerken geschult werden müsse. Um zu erkennen, wann eine Quelle seriös sei und wann sie fieser Propaganda auf den Leim kriecht.
Nur der Kasache sah die Sache anders. Er, der schon die Existenz von Fake News bestritten hatte. Weil eben einer Nachricht egal sei, ob sie wahr ist oder nicht. Über Fake News würden nur diejenigen jammern, die zu wenig Klickzahlen auf ihren Websites hätten. Und überhaupt gebe es Unwahrheiten schon seit langem. Schliesslich habe die französische Königin Marie-Antoinette auch nicht gesagt, die Leute sollten Kuchen statt Brot essen – wie ihr fälschlicherweise gern zugeschrieben wird. Die mangelnde Stringenz seiner Argumentation machte er durch eine pointierte Schnoddrigkeit im Tonfall wett. Selbst die Dolmetscherin in ihrer Kabine wurde leicht fahrig im Ton, wenn sie des Kasachen Aussagen übersetzte.
Aber was sagte er denn nun zum Thema Bildung, der Kasache?
Nichts weiter, als dass die meisten Menschen einfach zu blöd seien für Bildung. Selbst wenn man ihnen ein Harvard-Studium schenkte, würden sie ablehnen. Sie blieben halt lieber Bauern und beschäftigten sich mit niederen Dingen. Die wichtigen Sachen könne man getrost der Elite überlassen. So ungefähr kam das hinüber, was nicht lost in translation war.
Nach diesem Schlusswort dankte der Moderator für die interessanten Ausführungen. Erst gab es Applaus, dann Sekt.
Wir zahlreichen deutschsprachigen Medienleute im Publikum mussten einander allerdings erst gegenseitig dabei helfen, unsere Kiefer wieder hochzuschieben.