Kundenfang am rechten Rand
Die ehrwürdige NZZ rollt Steve Bannon den roten Teppich aus. Nur aus kommerziellen Gründen?
Von Daniel Binswanger, 18.05.2019
Es war kein epochaler, aber ein beelendender Tiefpunkt in der politischen Geschichte der Eidgenossenschaft: der Tag im März vor einem Jahr, an dem Steve Bannon am Nachmittag im Zürcher «Park Hyatt» dem amerikanischen Magazin «Spectator» erklärte, er sei «fasziniert von Mussolini». Später stieg Bannon mit dem von ihm faszinierten Roger Köppel auf die Bühne, um einer voll besetzten Messehalle in Oerlikon zu eröffnen, die populist revolution habe eigentlich in der Schweiz begonnen.
Diese Geschichte ist erzählt, und alle Protagonisten waren in ihrer Rolle: Köppel als Profilneurotiker mit Amokpotenzial und Bannon als der Fackelträger eines «populistischen Aufstandes» in der Nachfolge Mussolinis.
Seither ist Steve Bannon über den europäischen Kontinent gegeistert, hat mit den Spitzen des Rassemblement National, der Lega und der AfD konferiert und gründete mit einem reaktionären klerikalen Netzwerk eine Kaderakademie für die europäische Alt-Right in der Rom-nahen Kartause von Trisulti. Nachdem er unausgesetzt für den Europawahlkampf auf Achse gewesen ist, um eine grosse Fraktion der Anti-Europäer im europäischen Parlament herbeizuführen, soll heute Samstag nun die Gipfelkonferenz des Rechtspopulismus in Mailand stattfinden. Dann will sich Bannon in den Landtagswahlkampf in Sachsen einmischen.
Wie sagte er doch 2014 anlässlich einer Konferenz des rechtskonservativen Instituts Dignitatis Humanae: «Wir sind in der Anfangsphase eines sehr brutalen und blutigen Konfliktes. Ich spüre, dass es zur wehrhaften Kirche gehört, nicht nur zu unserem Glauben zu stehen, sondern für unseren Glauben zu kämpfen gegen die Barbarei, die ausgebrochen ist und die alles restlos ausrotten wird, das uns über die letzten 2000 oder 2500 Jahre überliefert worden ist.»
Wie ein Hardcore-Remake von «Da Vinci Code»
Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, Bannon wolle sein persönliches Hardcore-Remake von «Da Vinci Code» inszenieren, ein modernes Mantel-und-Degen-Epos voller Geheimbünde und vatikanischer Verschwörungen, in dem er wechselweise in der Rolle des geheimnisvollen Mördermönchs oder des abgeklärten Erlösers auftreten kann. Auch der Newswert dieser bizarren Mission zur Rettung beziehungsweise Zerstörung der Europäischen Union – das soll neuerdings ja irgendwie dasselbe sein – ist mittlerweile überschaubar.
Aber wir müssen doch noch einmal auf Steve Bannon zurückkommen, und zwar in medienpolitischer Hinsicht. Denn am Donnerstag hat die «Neue Zürcher Zeitung» ein grosses Interview mit dem ehemaligen Trump-Berater publiziert, das es fertiggebracht hat, uns wieder einmal echt zu verblüffen. Die ehrwürdige NZZ ist definitiv auf dem Weg, zum Westfernsehen der AfD zu mutieren, dem vermeintlich letzten Informationsorgan ohne Migrationspropaganda und staatliche Zensur. Dem Verbündeten von Professor Meuthen, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, wird auf allerdevoteste Weise der rote Teppich ausgerollt. Wo die «Weltwoche» den Weg weist, will die Falkenstrasse offensichtlich nicht länger zurückstehen.
So erklärt uns denn Herr Bannon schon auf der Titelseite der NZZ, dass «nach der Wahl jeder Tag in Brüssel Stalingrad» sein werde. Was das Alt-Right-Orakel damit gemeint haben mag? Dass die deutschen Parlamentarier jämmerlich zu Tode kommen werden? Dass die rechtsradikale Fraktion die EU-Institutionen mit dem Opfermut der Sowjetarmee belagern wird? Dass man politische Fragen generell mit möglichst apokalyptischem Pathos beantworten sollte, jedenfalls wenn man Fox-News-Konsumenten oder offenbar auch NZZ-Leser erreichen will?
Es wäre schön gewesen, wenn NZZ-Redaktor Marc Felix Serrao auch nur einmal kritisch nachgefragt hätte. Oder sich wenigstens höflich erkundigt hätte, wie solche Aussagen zu verstehen seien. Aber das ist nicht die Aufgabe von Westfernsehen. Westfernsehen setzt Stalingrad in die Titelzeile. Und den Erlöser aufs Cover.
Buhlen um die Gunst der AfD-Leser
Vielleicht gründet das unwiderstehliche Bedürfnis, Dinge zu tun, die sich weder die FAZ noch die «Welt» leisten könnten, ja einfach in der neuen Monopolsituation der NZZ. Schon vor über einem Jahr hat das Zürcher Forschungsinstitut für Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) in einer empirischen Studie nachgewiesen, dass die AfD-nahen, rechten Twitter-Communities die Artikel zweier Zeitungen mit besonderem Eifer verlinken und retweeten: die Beiträge der «Basler Zeitung» und der NZZ. Das fög kommt zum Schluss, dass die beiden Titel ganz offensichtlich um die Gunst der deutschen Bürger buhlen, die so weit rechts sind, dass sie von der FAZ oder der «Welt» nicht mehr erreicht werden. Mit dem Verkauf der «Basler Zeitung» und der Absetzung von Markus Somm ist der NZZ der einzige Konkurrent auf dem grossen Markt der AfD-Wähler allerdings inzwischen weggebrochen. Es mag ein Grund dafür sein, weshalb beschlossen wurde, das AfD-Leser-Segment mit noch aggressiveren Mitteln zu binden. Da kommt Steve Bannon gerade recht.
Nach wie vor besteht zwar erheblicher Zweifel, ob die NZZ mit dieser Deutschland-Strategie überhaupt die geringsten Aussichten auf kommerziellen Erfolg hat. Aber wir wollen nicht ungerecht sein: Mittlerweile würde ich nicht mehr ausschliessen, dass sie Bannon aus ehrlicher Überzeugung die Bühne bereitet.
Illustration: Alex Solman