Wir sprachen über neue Bücher – in der Zürcher Rothaus-Bar
In der sechsten Runde des Republik-Buchclubs stellten wir Ihnen zwei aktuelle Frühjahrstitel vor. Sehen Sie die Diskussion im Video.
Von Barbara Villiger Heilig, 08.05.2019, Update 29.05.2019
Wieder lädt das Republik-Feuilleton zum Buchclub ein. Unser Gast ist diesmal Sylvia Sasse, Professorin für slavistische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. Mit ihr diskutieren Daniel Binswanger, Barbara Villiger Heilig und Daniel Graf heute Mittwoch, 29. Mai, ab 19 Uhr in der Rothaus-Bar in Zürich über ein aufsehenerregendes Schweizer Debüt und eine der meistgelobten Neuerscheinungen dieser Saison. Nämlich:
Niko Stoifberg: «Dort». Verlag Nagel & Kimche, 328 Seiten, ca. 34 Franken
Saša Stanišić: «Herkunft». Verlag Luchterhand, 354 Seiten, ca. 31 Franken
Worum geht es in den Büchern?
Gemeinsam ist beiden Romanen, dass sie von männlichen Autoren knapp über vierzig stammen, die beide auf Deutsch schreiben. Das wäre aber auch schon alles.
«Dort» heisst der Romanerstling des Schweizers Niko Stoifberg. Ein regelrechter Psychothriller: Der Ich-Erzähler, ein junger Gartenarchitekt am Anfang einer vielversprechenden Karriere, verliebt sich auf den ersten Blick in eine junge Frau. Die Anziehung ist gegenseitig, nur: Damit eine Begegnung überhaupt stattfindet, muss ein Kind sterben. Kann diese Liebe gedeihen?
Stoifberg führt seinen Protagonisten gleichzeitig in die Tiefen der Seele und auf landschaftliche Höhen empor zu einem abgelegenen Hotel. Bergkulissen, Steilwände, unten der See: Es herrscht Absturzgefahr für alle Beteiligten. In atemlosem Duktus jagt uns «Dort», Satz für Satz, von dunklen Vermutungen über ungeahnte Verstrickungen bis zur schauerlichen Auflösung. Alles ist Fiktion. Doch die Gefühle, denen die Figuren ausgesetzt sind – Begehren, Schuld –, kennt in abgewandelter Form jedermann.
«Herkunft» hingegen spielt vor dem Hintergrund realer Schrecken und ist trotzdem von staunenswerter Heiterkeit durchzogen. Saša Stanišić erzählt in seinem vierten Buch aus dem eigenen Leben: von Bosnien, wo er aufwuchs, bis er als 14-Jähriger mit seinen Eltern vor dem Krieg fliehen musste, und von Deutschland, wo er seither lebt. Zwischen Višegrad, Heidelberg und Hamburg springen seine Gedanken assoziativ hin und her, die Vergangenheit in der Gegenwart spiegelnd und umgekehrt.
Stanišić stellt uns das Trüppchen seiner jugendlichen Freunde vor, dank denen er Schule und Freizeit schwungvoll bestreitet. Wie viel schwerer es den Eltern fällt, im Exil soziale Bande zu knüpfen, verschweigt er nicht. Und wenn er von der Grossmutter berichtet, die mit umwölktem Gedächtnis zu einer Bewahrerin dessen wird, was früher war, scheint ganz dezent auch seine eigene Zerrissenheit auf – bevor er uns den nächsten Witz serviert.