Keine Bühne mehr für Klimaleugner
Liebe Medien, die Debatte ist beendet: Warum es Zeit ist, wissenschaftsfreien Unsinn konsequent zu verbannen.
Von Elia Blülle, 25.04.2019
«Wenn die Ameisen im Frühling die Augen verdrehen, dann gibt es einen nassen Sommer.»
Das sagt Martin Horat, Muotathaler Wetterschmöcker und Internet-Kultfigur. In einem Instagram-Video der neuen «20 Minuten»-Plattform «Venty» witzelt Horat über Meteorologen, die entgegen seiner Prognose einen erneuten Hitzesommer voraussagen.
Sowieso sei der Klimawandel ein natürlicher Vorgang.
Im Mittelalter sei es wärmer gewesen als heute, und da habe es noch keine Flugzeuge und Autos gegeben. Die Ameisen, die Horat beobachtet, um auf das Wetter zu schliessen, würden nichts vom Klimawandel anzeigen. Der Mensch könne dem Klima nichts antun; der Regen wasche alle Abgase wieder raus. Den Klimawandel habe es schon immer gegeben.
Martin Horat ist ein Hobbymeteorologe mit Charme und Schalk.
Seine Auftritte in den «Schweiz Tourismus»-Werbekampagnen sind legendär. Alle haben ihn besucht. Das Schweizer Fernsehen, die «Schweizer Illustrierte», der «Blick». Aber Horat ist eben auch ein Klimaleugner – und das ist ein Problem.
Warum?
Wissenschaftlich ist die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung unbestritten. Gradmesser dafür ist der neuste Bericht des Weltklimarats, für den über 800 Forscher Zehntausende Studien ausgewertet und beurteilt haben. Daraus leiten sich auch das Pariser Klimaabkommen und die Forderung ab, die CO2-Emissionen bis im Jahr 2050 auf netto null zu senken.
Trotz einem breiten wissenschaftlichen Konsens und signifikanter Evidenz zweifelt auch in der Schweiz immer noch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung an der Ursache für die Klimaerwärmung. Gemäss der «European Social Survey» glauben nur 44 Prozent der befragten Schweizer, dass hauptsächlich der Mensch für die Erwärmung verantwortlich ist.
Schuld an diesen Zweifeln sind auch die Medien.
Obwohl 97 Prozent aller Klimaforscherinnen die globale Klimaerwärmung als bewiesen erachten, haben Klimaskeptiker über Jahrzehnte hinweg die mediale Bühne bespielt, als wäre sie eine open stage. Sie konnten ihre Zweifel ungehindert streuen und etablierten sich neben der wissenschaftlichen Forschung als kleine postfaktische Minderheitenposition, die politische Prozesse gebremst und beeinflusst hat.
In einer Recherche hat die «NZZ am Sonntag» vor kurzem aufgezeigt, wie ein Netz von Klimaskeptikern wissenschaftliche Erkenntnisse untergräbt und im Internet Unwahrheiten verbreitet. Die NZZ-Journalisten bezeichnen in diesem Zusammenhang die «Weltwoche» und die «Basler Zeitung» als hiesige «mediale Sturmfront gegen den wissenschaftlichen Klimakonsens».
Die Einschätzung der Autoren Boas Ruh und Carole Koch ist gut begründet, denn die beiden Zeitungen haben Klimaskeptiker unter dem Label der Ausgewogenheit immer wieder zu Wort kommen lassen. Obwohl die BaZ mittlerweile dem Tamedia-Verlag angehört, beschäftigt sie weiterhin prominente Klimaskeptiker wie Markus Häring oder Wissenschaftsjournalist Alex Reichmuth, der sich 2017 in der ARD-Talkshow «Maischberger» selbst als «Klimaleugner» vorgestellt hat.
Der neue BaZ-Chefredaktor Marcel Rohr sagt auf Nachfrage: «Ich stelle fest, dass bei den meisten Journalisten ein Denkprozess eingesetzt hat, der sich in den letzten Monaten akzentuiert hat.»
Am Telefon bezieht Rohr eine klare Position. Doch als es darum geht, seine Zitate zum redaktionellen Umgang mit Klimaskeptikern zu autorisieren, zieht er seine Aussagen wieder zurück.
Die Frage, ob Markus Häring, der jüngst die Klimastreiks der Jugendlichen mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus verglich, auch in Zukunft für die «Basler Zeitung» schreiben wird, will der BaZ-Chefredaktor plötzlich nicht mehr kommentieren.
Klar ist: Bei der BBC wäre ein Auftritt von Klimaskeptiker Häring nicht mehr möglich. Die britische Rundfunkanstalt hat sich gefragt, wie man mit Klimaleugnern umgehen soll – und eine so simple wie klare Antwort gefunden.
Das weltweit wichtigste öffentlich-rechtliche Medium hat im vergangenen Jahr redaktionelle Richtlinien für seine Klimaberichterstattung erlassen, die sich grob auf zwei Punkte reduzieren lassen:
Die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung existiert. Die BBC akzeptiert, dass der Bericht des Weltklimarats eine fundierte wissenschaftliche Evidenz für die Klimaerwärmung liefert. Und wenn die Wissenschaft die Klimaerwärmung beweist, sollten die BBC-Journalisten auch darüber berichten.
Wenn man die Klimaerwärmung als wissenschaftlich bewiesen erachtet, braucht es keine Skeptiker, um die Debatte auszubalancieren. Man lasse auch niemanden zu Wort kommen, der behauptet, dass Manchester United letzten Samstag 2:0 gewonnen habe, obwohl die Mannschaft das Spiel verloren hat.
Bei der BBC gilt: Der Schiedsrichter hat entschieden. Und der Schiedsrichter ist in diesem Fall die Wissenschaft.
Deine Meinungen? Deine Fakten!
In der Schweiz kennt das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen keine vergleichbaren Regeln. Der SRF-Pressedienst teilt auf Anfrage mit, dass für die gesamte Berichterstattung die «Publizistischen Leitlinien» gelten.
Diese setzten die «Sachgerechtigkeit der Berichterstattung» voraus.
Das heisst, es dürfen nur Inhalte publiziert werden, wenn sie alle verfügbaren Fakten in Betracht ziehen und darstellen, was nach bestem Wissen und Gewissen für wahr gehalten werden kann.
Was bedeutet das in der Praxis?
In einer Beschwerde hat Klimaaktivist Dominic Hofstetter bei der Ombudsstelle einen «SRF online»-Beitrag beanstandet, der Anfang Februar veröffentlicht wurde. Hofstetter bemängelt in seiner Klage die damals gesetzte Überschrift und eine Interviewfrage, die zur Diskussion stellte, ob die Klimaerwärmung «menschengemacht» sei.
Er schreibt, dass der inzwischen geänderte Titel «Klimaerwärmung oder Hysterie?» suggeriere, dass sowohl die Existenz des Klimawandels als physikalisches Phänomen wie auch der Mensch als dessen Hauptverursacher noch immer zur Debatte stünden.
Der stellvertretende SRF-Chefredaktor Michael Bolliger kommt in seiner noch unveröffentlichten Antwort auf die Beschwerde zum selben Schluss: Der Artikel habe das «Sachgerechtigkeitsgebot» nicht oder nicht vollständig erfüllt.
Darum hat die Redaktion die beanstandeten Punkte geändert. Der Titel wurde angepasst und die Antwort auf die Frage, ob der Klimawandel menschengemacht sei, mit dem Zusatz ergänzt, dass die Klimaerwärmung unter Wissenschaftern etwa so unumstritten sei wie dass die Erde eine Kugel ist.
Trotzdem: Mitte März konnte SVP-Nationalrat Claudio Zanetti in der SRF-«Arena» ungehindert behaupten, dass die Klimaerwärmung eine Art Religion sei. Später legte er das nachweislich falsche Argument nach, dass es schon im Mittelalter globale Temperaturschwankungen gegeben habe.
Bolliger schreibt in seiner Antwort auf die Beschwerde, dass falsche Ausgewogenheit bei SRF keinen Platz habe. Aber Sachgerechtigkeit werde auch nicht erreicht, indem man gewisse Meinungen ausschliesse.
Entscheidend sei, dass man Fakten und Meinungen klar auseinanderhalte.
Diese Haltung vertritt auch Christian Dorer, Chefredaktor der «Blick»-Gruppe. In der auflagenstärksten Schweizer Tageszeitung schimpfte jüngst Schriftsteller Giuseppe Gracia über eine angebliche «grüne Apokalypse» und schrieb in seiner Kolumne, dass die Ursachen des Klimawandels wissenschaftlich längst nicht so klar seien, wie man gerne suggeriere.
Als Beweis für seine Behauptung verweist Gracia auf ein Video des Heartland Institute. Keine seriöse Quelle. Die amerikanische Denkfabrik vereint die globale Skeptikerelite, berät Klimaleugner Donald Trump, wird von der Erdölindustrie finanziert und hat noch in den 1990ern mit Geldern der Tabaklobby den Zusammenhang zwischen Passivrauchen und Lungenkrebs bestritten.
Übrigens: Gracia ist auch Mediensprecher von Vitus Huonder und vertritt damit einen Bischof, der praktizierte Homosexualität als ein todeswürdiges Vergehen erachtet und Verhütung zur «Kultur des Todes» zählt.
«Blick»-Chefredaktor Dorer findet, man müsse auch Autoren wie Gracia zulassen, solange man ihre Aussagen eindeutig als Meinung deklariere.
«Unsere Position ist klar: Die Klimaerwärmung ist die momentan grösste Herausforderung für die Menschheit. In der Auseinandersetzung mit dem Thema sollten aber alle zu Wort kommen. Auch diejenigen, die den Klimawandel bestreiten. Ich fände es kontraproduktiv, wenn man sie totschweigt.»
Bei der «Neuen Zürcher Zeitung» heisst es auf Nachfrage, man biete auf den Meinungsseiten grundsätzlich eine Plattform für offene Debatten zu gesellschaftlich und politisch relevanten Themen.
Und auch «20 Minuten»-Chefredaktor Marco Boselli stimmt in diesen Kanon ein. Auf das Wetterschmöcker-Video von «Venty» angesprochen, schreibt er, dass im Rahmen ihrer Berichterstattung, die mehrheitlich die gravierenden Folgen des Klimawandels beinhalte, auch ein solcher Beitrag Platz habe.
«Das Video zeigt, dass es trotz wissenschaftlicher Evidenz nicht ganz einfach ist, alle von dieser zu überzeugen.»
Falsche Ausgewogenheit schadet dem Klima
Der drollige Wetterschmöcker Martin Horat mag zwar im Vergleich zu Klimaleugnern wie Gracia oder kruden Verschwörungstheoretikern harmlos erscheinen. Doch falsche Ausgewogenheit in der Klimaberichterstattung wirkt verheerend.
Eine Studie, die im renommierten Magazin «Nature» publiziert wurde, kam zum Schluss, dass die Gesellschaft bei Klimafragen in zwei Konfliktgruppen eingeteilt werden kann: in Personen, deren Ansichten sich mit wissenschaftlichen Fakten decken, und in Personen, die den wissenschaftlichen Konsens leugnen. Typischerweise bewegen sich Letztere in geschlossenen Meinungsblasen und sozialen Netzwerken.
Gesellschaftliche Leitmedien sind grundsätzlich in der Lage, in solche Blasen einzudringen und festgefahrene Meinungen zu durchbrechen. Das zeigen Untersuchungen. Dies, indem sie deren Mitglieder mit wahrheitsgetreuen Inhalten konfrontieren und so einen Sinneswandel herbeiführen. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Berichterstattung über das betreffende Thema – den Klimawandel – kohärent und eindeutig ist.
Auf der anderen Seite legitimieren Medien, welche die widerstandslose Verbreitung von wissenschaftsfernem Unsinn zulassen, die Position von Klimaskeptikern als vermeintlich ernst zu nehmender Minderheit. Und untergraben so die wissenschaftlichen Grundlagen des politischen Handelns.
Das heisst nicht, dass keine offene Diskussion geführt werden soll.
Qualifizierte Zweifler mit wissenschaftlicher Autorität, die Klimamodelle und Wissenschaftsmethoden kritisieren, sollen jederzeit das Mikrofon erhalten. Nicht aber irgendwelche Outsider, die den überwältigenden wissenschaftlichen Grundkonsens en bloc negieren.
Welche absurden Blüten eine falsche mediale Ausgewogenheit treiben kann, hat sich letzten Januar exemplarisch gezeigt. Die Weltgesundheitsorganisation erklärte Impfgegner zur globalen Bedrohung, nachdem sie einen erheblichen Anstieg der Masernerkrankungen hatte feststellen müssen.
Jahrelang kamen pseudowissenschaftliche Impfkritiker in den Medien ungefiltert zu Wort und haben trotz erdrückender Beweise behauptet, dass Impfstoffe Autismus fördern würden, und so eine Skepsis gesät, die Wissenschafterinnen nun unter grossen Anstrengungen bekämpfen müssen. Ähnlich, wie das auch beim Klima der Fall ist.
Vor ein paar Jahren hat sich das globale Netzwerk Climate Feedback formiert, das fehlerhafte Klimaberichterstattung korrigiert. Beteiligt sind auch namhafte ETH-Professoren. Die Gruppe von Forschern identifiziert falsche oder irreführende Berichterstattung, informiert die betroffenen Journalisten und stellt entsprechende Fakten richtig. Das ist eine patente, aber auch sehr aufwendige Strategie, um Fehler im redaktionellen Handwerk auszubügeln.
Doch gegen die ungefilterten, faktenfreien Meinungen von Klimaleugnern hilft auch der wissenschaftliche Faktencheck nichts. Den Irrglauben, dass die Klimaerwärmung immer noch eine Frage von Pro und Kontra sei, beseitigen sie damit nicht.
Falsche Ausgewogenheit können letztlich nur die Journalistinnen selber beheben – und zwar, indem sie klimaskeptische Pamphlete aus ihren Publikationen, Fernsehsendungen und Gesprächsrunden verbannen.
Was den Wetterschmöcker Martin Horat betrifft: Im Zeitalter von Verschwörungstheorien und alternativen Fakten sollten sich Journalisten sowieso überlegen, ob sie weiterhin zweimal jährlich über die Ameisen-Wetterprognosen eines Hobbymeteorologen berichten wollen.
Damit liegt er sowieso meistens falsch. Noch im Frühling 2018 hat er für den Sommer «viel Regen» prophezeit. Es wurde ein Rekordhitzesommer.
Klimaerwärmung: Fakten und Experten
In den Klimawissenschaften liefern die Forschungsergebnisse des Berichts des Weltklimarats die aktuell besten Beweise für die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung. Eine gute, faktengetreue Übersicht liefert die NZZ.
Im Internet gibt es viele selbst ernannte Klimaexperten, die falsche Informationen und Verschwörungstheorien verbreiten. Stefan Rahmstorf, Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, erklärt, wie man einen richtigen Experten von einem falschen unterscheiden kann.