Briefing aus Bern

Austritt aus der SVP, neue Ausschaffungen – und letzte Dinge regeln

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (54).

Von Andrea Arezina und Dennis Bühler, 25.04.2019

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Denken Sie oft an den Tod?

Auch wenn Sie sich hoffentlich bester Gesundheit erfreuen: Das sollten Sie tun.

Denn verpassen Sie es, frühzeitig an Ihren Tod zu denken, werden unter Umständen Ihre Angehörigen unter grossem Zeitdruck einen kapitalen Entscheid treffen müssen: dann nämlich, wenn Ihr Hirntod vor Ihrem Herztod eintritt, weshalb Ihre Organe über Ihr Ableben hinaus mit Blut und Sauerstoff versorgt sind – womit Sie als Organ­spender infrage kommen.

Bisher gilt in der Schweiz die sogenannte «erweiterte Zustimmungs­lösung»: Ihre Organe werden nur entnommen, wenn Sie zu Lebzeiten schriftlich zugestimmt haben (und, da es meist schnell gehen muss, einen Spender­ausweis auf sich tragen) oder wenn Ihre Angehörigen in Ihrem Sinne so entscheiden.

Allerdings: Dem nächsten Umfeld ist die Haltung der Verstorbenen zur Organ­spende in mehr als der Hälfte der Fälle nicht bekannt. Entsprechend scheuen sich Angehörige gemäss der Stiftung Swiss­transplant oft davor, die Organe ihrer leblosen Verwandten freizugeben. In mehr als 60 Prozent der Fälle lehnen sie ab.

Eine diese Woche zustande gekommene Volks­initiative will nun das System ändern: Die «Organspende-Initiative» sieht eine Verfassungs­änderung vor, die auf dem Grundsatz der «vermuteten Zustimmung» beruht, wie er schon in Österreich, Italien, Spanien und den skandinavischen Ländern gilt. Heisst konkret: Alle Menschen, die zu Lebzeiten nicht explizit widersprochen haben, würden zu potenziellen Organspendern.

Bis die Volks­initiative zur Abstimmung kommt, dürfte es mindestens 2021 werden. Auch wenn wir es nicht hoffen: Vielleicht sind Sie dann schon tot.

Darum treffen Sie doch schon heute einen Entscheid, der über Ihr Lebens­ende hinausreicht (und das Leben Ihrer Angehörigen im Falle Ihres Todes erleichtert). Bestellen Sie eine Spendekarte. Und kreuzen Sie mit einem Ja oder einem Nein an, ob Sie der Entnahme von Organen, Geweben und Zellen zustimmen. Oder eben nicht.

Und damit vom Regeln der letzten Dinge zum Wichtigsten der letzten Woche, zum Briefing aus Bern.

SVP verliert Regierungsrätin

Was bisher geschah: Die Aargauer SVP-Regierungs­rätin Franziska Roth trat aus der SVP aus. Und ihre Partei machte etwas ziemlich Aussergewöhnliches: In einer Medien­mitteilung entschuldigte sich die SVP bei den Aargauerinnen und Aargauern dafür, dass sie Roth vor zweieinhalb Jahren als Regierungs­kandidatin nominiert hatte.

Was Sie wissen müssen: Roth ist eine Quer­einsteigerin. Bevor sie Regierungs­rätin wurde, war die 54-Jährige Präsidentin am Bezirks­gericht Brugg. Roth wurde gewählt, und schon bald ertönten kritische Stimmen. Bemängelt wurde ihre Amts­führung im Gesundheits- und Sozial­departement von verschiedenen Seiten. Der Regierungs­rat nahm ihr ein zentrales Dossier weg und gab eine externe Analyse ihres Departements in Auftrag. Die Fraktionen von FDP, CVP und Grünen äusserten ihren Unmut in Form einer Fraktions­erklärung. Doch die schärfste Kritik schlug Roth aus den eigenen Reihen entgegen. Vor einem Monat folgte eine Aussprache zwischen Roth und ihren Partei­kollegen, an der auch der Präsident der SVP Schweiz, Albert Rösti, teilnahm. Weiter veranstaltete die Partei eine Medien­konferenz, an der Roth nicht teilnahm. Daraufhin setzte die SVP ihrer eigenen Regierungs­rätin ein Ultimatum: Komme es nicht zu einer positiven Entwicklung in ihrem Departement, werde die Partei sie «zu Konsequenzen auffordern», sprich: ihren Rücktritt verlangen. Diese Woche schlug Roth zurück und trat aus der SVP aus. Sie wollte einen Wieder­eintritt zwar nicht ausschliessen, doch die Partei besiegelte den Bruch, indem sie sich für die Kandidatin Roth entschuldigte.

Wie es weitergeht: Von den bürgerlichen Fraktionen kann sich Roth keine Unterstützung erhoffen. Roth kämpft als Parteilose weiter und klammert sich vorerst wohl an ihren Sitz, bis im Sommer die externe Analyse zu ihrer Amts­führung kommt. Und die SVP Aargau wirkt ein halbes Jahr vor den nationalen Wahlen völlig zerstritten. Nicht nur wegen Roth. Auch Nationalrat Maximilian Reimann hat sich mit der Partei verkracht, weil er im Herbst – nach 32 Jahren im Parlament – nochmals kandidieren wird: auf einer eigenen Seniorenliste.

Auch in Kriegsländer wird ausgeschafft

Worum es geht: Die Schweiz schafft abgewiesene Asyl­suchende nach Afghanistan aus. Das zeigt ein internes Papier aus dem Staatssekretariat für Migration (SEM), das der «Sonntags­Blick» publik machte.

Was Sie wissen müssen: Afghanistan befindet sich im Krieg mit den Taliban und der Terror­organisation Islamischer Staat (IS). Das Aussen­departement rät von Reisen in das Land ab. Trotzdem schafft die Schweiz – nach fast zweijährigem Unterbruch – abgewiesene Asyl­suchende wieder dorthin aus. Die neue Justizministerin Karin Keller-Sutter lobt die strenge Ausschaffungs­praxis der Schweiz. Und das SEM hält stolz fest, dass die Schweiz 56 Prozent der abgewiesenen Asylbewerber wieder in ihr Herkunfts­land zurückschaffe, während der Schnitt in der EU gerade mal bei 36 Prozent liege. Möglich sind die vielen Rückschaffungen, weil die Schweiz mit 64 Staaten die dafür nötigen Abkommen geschlossen hat. Laut SEM ist das ein Welt­rekord: Kein Land habe mehr solche Abkommen. Die Folge: Es sind noch 4000 abgewiesene Asylbewerber in der Schweiz, die sich weigern auszureisen oder deren Herkunfts­land sich weigert, sie aufzunehmen. Vor sechs Jahren waren es doppelt so viele.

Wie es weitergeht: Die Flüchtlings­hilfe hält Rückschaffungen in Länder mit prekärer Sicherheits­lage für unzulässig. Sie wirft dem Justiz­departement vor, wegen des innen­politischen Drucks eine unmenschliche Abschreckungs­politik zu betreiben. Das SEM hingegen sagt, dass nur Menschen in Kriegs­länder zurückgeschafft würden, die persönlich nicht verfolgt würden.

Casting für «DBADWSDIJ» beginnt

Worum es geht: Die «beste Armee der Welt» (so der frühere Verteidigungs­minister Ueli Maurer) sucht den idealen Jet – abgekürzt: «DBADWSDIJ». Voraussichtlich wird der Bundesrat dereinst unter fünf Anbietern wählen können. Airbus (Deutschland) möchte der Schweizer Armee seine Euro­fighter verkaufen, Boeing (USA) seine F/A-18 E/F Super Hornet, Dassault (Frankreich) seine Rafale-Jets, Lockheed-Martin (USA) seine F-35A und Saab (Schweden) seine Gripen-Flugzeuge.

Was Sie wissen müssen: Für welchen Jet sich der Bundes­rat entscheidet, wird womöglich nicht nur von naheliegenden Merkmalen wie der Qualität oder dem Kaufpreis abhängen. Sondern auch von sogenannten Kompensationsgeschäften (Offsets). Heisst: Der Bundesrat will, dass das Geld in die Schweizer Industrie zurückfliesst. Zum einen sollen sich hiesige Rüstungs­firmen an den beiden Beschaffungs­projekten beteiligen (direkte Offsets), zum anderen sollen die ausländischen Hersteller und ihre Partner Aufträge an Schweizer Firmen in diversen Branchen vergeben (indirekte Offsets), womit nicht nur Metall- und Maschinen­unternehmen, sondern etwa auch die Uhren­industrie gemeint ist.

Wie es weitergeht: Verteidigungs­ministerin Viola Amherd scheint die gängige Praxis nun aber infrage zu stellen. Wie die NZZ berichtete, hat sie einen Zusatzbericht in Auftrag gegeben, der die Kosten solcher Offset-Geschäfte und ihren Nutzen aus sicherheits- und wirtschafts­politischer Sicht analysieren soll. Mit Kurt Grüter, dem ehemaligen Direktor der Eidgenössischen Finanz­kontrolle (EFK), betraute sie einen langjährigen Offset-Kritiker mit der Untersuchung. Er hielt solche Kompensations­geschäfte schon vor zwölf Jahren für eine «wenig zukunftsorientierte Option». Seinen Bericht wird er Amherd noch diesen Monat übergeben. Voraussichtlich im Herbst 2020 stimmt dann das Volk über die Kampfjet-Beschaffung ab, bevor der Bundesrat einige Monate später über die Typen­wahl entscheiden wird.