Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Verschwörungstheorien
Wie entstehen sie? Wie verbreiten sich Verschwörungstheorien? Und was für eine Rolle spielen Medien? Hintergründe zum Phänomen von Expertinnen der Universität Zürich.
Von Mark Eisenegger und Lisa Schwaiger, 13.04.2019
Verschwörungstheorien gab es zwar schon immer, dennoch wird die Verbreitung durch den digitalen Medienwandel stark vereinfacht. Social-Media-Plattformen machen es möglich, dass Beiträge – ohne Prüfung auf deren Wahrheitsgehalt – von jedermann geteilt werden können. Zudem befeuern die Logiken von Social Media (wie zum Beispiel Algorithmen) die Verbreitung von polarisierenden, überraschenden und irritierenden Inhalten, wie es auch bei Verschwörungstheorien der Fall ist.
Verschwörungstheorien erklären Ereignisse, die eigentlich komplex und unabhängig voneinander passieren, als miteinander verknüpft und von mächtigen Personen oder Personengruppen/Organisationen (in der Regel Eliten) im Geheimen gesteuert (Bale, 2007; Clarke, 2002; Douglas & Sutton, 2011; alle detaillierten Literaturangaben am Ende des Textes). So zum Beispiel die Theorie, dass der Bund der Freimaurer im Gespann mit Mächtigen der Welt an einer neuen Weltordnung arbeiten würde. Die Theorien stehen häufig in Opposition zu wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Fakten, können sich ausnahmsweise aber auch bewahrheiten, wie beispielsweise die Watergate-Affäre rund um US-Präsident Nixon (Anton et al., 2014).
Falsch wäre es, an dieser Stelle Angst zu schüren und die Problematik rund um Verschwörungstheorien grösser zu machen, als sie – zumindest in der Schweiz – ist. Genauso falsch wäre es zu sagen, dass keine potenziellen Gefahren von der Verbreitung von Verschwörungstheorien ausgehen.
Vor allem in Zeiten gesellschaftlicher Krisen und Unsicherheit suchen Menschen nach Antworten und werden möglicherweise misstrauisch gegenüber (politischen) Eliten. Ein gesellschaftliches Problem entsteht dann, wenn Verschwörungstheorien und bewusste Desinformation instrumentalisiert und strategisch von Personen des öffentlichen Lebens eingesetzt werden, um Ängste in der Bevölkerung zu schüren und Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. Versuche, Unwahrheiten aufzuklären, können das Verschwörungsdenken dann sogar noch bestärken. Vorsicht ist ausserdem geboten, wenn Begriffe wie «Verschwörungstheoretiker» als Kampfbegriff verwendet werden.
1. Warum verfangen Verschwörungstheorien?
Verschwörungstheorien versehen schicksalhafte Ereignisse mit Sinn, wenn der Rückgriff auf göttliche Fügung in der säkularisierten Gesellschaft für viele Menschen nicht mehr plausibel erscheint (Robertson, 2016). In diesem Sinn können Verschwörungstheorien auch als eine Art Ersatzreligion verstanden werden. Historisch haben sie im Prozess der Modernisierung und Säkularisierung deshalb nochmals an Bedeutung gewonnen.
Gerade in Krisenzeiten blühen Verschwörungstheorien. Wenn sich in der Gesellschaft Unsicherheit breitmacht oder sich ganze Bevölkerungsschichten auf dem ökonomischen Abstieg wähnen, sind Verschwörungstheorien ein Mittel, neue Orientierung zu schaffen. Sie liefern einfache Erklärungen und orientierungsstiftende Feindbilder in Zeiten des Umbruchs (Anton et al., 2014).
2. Sind «Fake News» und Verschwörungstheorien identisch?
Nein, dabei handelt es sich um Phänomene, die trennscharf gesehen werden müssen. Unter «Fake News» versteht man bewusste Desinformation, also aktuelle, falsche Nachrichten, die mit Täuschungsabsicht verbreitet werden (Zimmermann & Kohring, 2018). Teilweise gibt es Überschneidungen zwischen dieser Art von Desinformation und Verschwörungstheorien, zumal einzelne (Falsch-)Nachrichten Bestandteile umfassenderer Verschwörungstheorien darstellen können. So beispielsweise die vermeintliche Aufdeckung von Falschnachrichten in «Mainstreammedien», die von bestimmten Gruppierungen als Teil einer bewussten Verschwörung politischer und medialer Eliten gedeutet werden.
3. Kann man Verschwörungstheorien überhaupt argumentativ entkräften?
Dazu gibt es widersprüchliche Forschungsergebnisse. Einerseits werden die Effekte solcher Versuche kontraproduktiv bewertet, weil sie als weitere Bestätigung für die Verschwörung gedeutet werden können (Castanho Silva et al., 2017; Kovic et al., 2019). Andererseits belegen Studien, dass sogenanntes debunking, also das Aufdecken und Aufklären von Falschinformationen und Verschwörungstheorien, die Wirkung desinformativer Inhalte bei den Nutzerinnen und Nutzern abschwächt (Bode & Vraga, 2018; Warner & Neville-Shepard, 2014).
4. Womit hängt der Glaube an Verschwörungstheorien zusammen?
Generell wird der Glaube an Verschwörungstheorien neben psychologischen Ursachen durch gefühlte Unsicherheit, Machtlosigkeit und Misstrauen hinsichtlich der Politik und der Regierung beeinflusst (Anthony & Moulding, 2018; Bode & Vraga, 2018; Kim & Cao, 2016). Die Forschung liefert Belege dafür, dass der Glaube an Verschwörungen mit dem Glauben an «Fake News» (Anthony & Moulding, 2018) und populistischen Einstellungen (Castanho Silva et al., 2017) zusammenhängt. Rechtskonservativ eingestellte Menschen konsumieren solche Inhalte mehr und teilen sie in Social Media auch häufiger (Guess et al., 2018). Dies dürfte allerdings auch ein Zeitgeistphänomen sein, hat die Kritik am gesellschaftlichen Establishment von rechtskonservativer Seite seit Ausbruch der Finanzkrise doch stark zugenommen. Von der politischen Einstellung hängt auch ab, welche Verschwörungstheorien «bevorzugt» werden (Hollander, 2018; Nefes, 2015; Wood & Gray, 2019). So glauben bestimmte politische Milieus eher Verschwörungstheorien, die gegen das gegnerische Lager gerichtet sind (Hollander, 2018). Das Verbreiten von Verschwörungstheorien (und desinformativen Nachrichten) wird deshalb auch als politisches Machtmittel genutzt, mit dem Ziel, die Bürgerinnen und Bürger gegen «die anderen» zu richten, wie es zum Beispiel bei dem russischen Nachrichtenmedium «Russia Today» der Fall ist (Yablokov, 2015).
5. Gibt es Belege, die zeigen, dass die Verbreitung von Verschwörungstheorien konkrete Auswirkungen hat?
Es gibt experimentelle Studien, die zeigen, dass der Konsum von Videos mit verschwörungstheoretischen Inhalten soziale Konsequenzen nach sich ziehen kann. So senken zum Beispiel Verschwörungstheorien mit Bezug zu Regierungen bei den Nutzergruppen die Bereitschaft, sich für Politik zu engagieren. Verschwörungstheorien zum Klimawandel wiederum reduzieren die Bereitschaft, auf den eigenen ökologischen Fussabdruck zu achten (Jolley & Douglas, 2014) oder sich in Form von Spenden oder Petitionen für den Klimaschutz zu engagieren (van der Linden, 2015).
6. Eignen sich die sogenannten Social Media speziell für die Verbreitung von Verschwörungstheorien?
Social Media ermöglichen es jedermann, Inhalte aufzubereiten und ungeprüft zu verbreiten. Und sie sind von ihrer Funktionslogik her betrachtet Emotionsmedien. Ihre Algorithmen werden darauf hin optimiert, impulsive, niederschwellige Reaktionen ihrer Nutzer zu provozieren. Genau dies unterstützen Verschwörungstheorien: Sie sind stark emotionalisierend, polarisierend und häufig irritierend und besitzen entsprechend hohen Nachrichtenwert (Konkes & Lester, 2015). Dies korreliert mit vielen Nutzerreaktionen (Sunstein & Vermeule, 2009; Zollo et al., 2015). Durch die Logik der Plattformen können einzelne Beiträge in Social Media breit zirkulieren, insbesondere dann, wenn sie von populären Akteuren verbreitet werden. Auch wenn das Phänomen der «Echokammern» in der Forschung mittlerweile etwas relativiert wird, so erleichtert das digitale Netz doch die soziale Homophilie, das heisst die Möglichkeit, dass Gleichgesinnte unter sich bleiben. In solch abgeschotteten Communitys stossen Verschwörungstheorien auf einen besonders günstigen Nährboden (Warner & Neville-Shepard, 2014).
7. Wie weit sind konspirative Onlinemedien in der Schweiz verbreitet?
Während sich die aktuelle Forschung vor allem auf das US-amerikanische Umfeld bezieht, besteht hierzu noch Forschungsbedarf. Dabei gibt es durchaus einschlägige Onlinemedien. Sogenannte «alternative Medien» werden häufig (aber nicht nur) von Laien ohne journalistische Ausbildung betrieben und positionieren sich als Alternative oder auch Opposition zu etablierten Leitmedien und generell zum Establishment. Unter den Sammelbegriff «alternative Medien» fallen auch Newssites, die vermeintliche Verschwörungstheorien verbreiten. Insgesamt kann die Bedeutung verschwörungstheoretischer News-Websites in der Schweiz derzeit als noch relativ gering eingestuft werden (fög, 2017). Schweizer Nachrichtenseiten, die verschwörungstheoretische Inhalte verbreiten, lassen sich an einer Hand abzählen, wenn auch die Verbreitung einzelner Beiträge über Social-Media-Plattformen nicht zu unterschätzen ist.
8. Woran liegt dieser vergleichsweise geringe Einfluss?
Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Erstens verfügt die Schweiz trotz Ressourcenabbau im Journalismus immer noch über ein vergleichsweise intaktes System professioneller journalistischer Informationsmedien. Die Chance ist deshalb gross, dass desinformative Inhalte durch Leitmedien mit einer kritischen Berichterstattung sanktioniert werden. Zweitens scheint die Kleinräumigkeit der föderalistischen Schweiz die Verbreitung desinformativer Inhalte einzudämmen. Die soziale Kontrolle ist offenbar so gross, dass zweifelhafte Inhalte nicht einfach ungestraft verbreitet werden können. Und drittens sorgt die vergleichsweise geringe politische Polarisierung dafür, dass in der Schweiz weniger abgeschottete «Echokammern» bestehen, in denen sich Verschwörungstheorien ungehindert hochschaukeln können.
9. Alles halb so wild also hierzulande?
Bagatellisieren darf man das Phänomen keinesfalls. Die Reichweiten einzelner «Alternativmedien» in der Schweiz sind durchaus substanziell. Knapp 368’000 monatliche Zugriffe (Quelle: SimilarWeb) zählt beispielsweise die Schweizer Website Legitim.ch, sie erreicht Leserinnen und Leser aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. «Uncut-News» schafft es auf etwa 650’000 Visits pro Monat und übertrifft damit das journalistische Onlineangebot der «Südostschweiz» mit 550’000 monatlichen Zugriffen. «Alles-schallundrauch.blogspot.com» wird im Schnitt sogar über eine Million Mal im Monat aufgerufen und setzt zudem auf die Verbreitung von Beiträgen über Plattformen wie Facebook, Twitter und Youtube.
10. Wie hängen Aufrufe der Websites und die Weitergabe per Social Media zusammen?
Internationale Studien zeigen, dass desinformative Nachrichtenseiten zwar nur selten sehr hohe Zugriffsraten erzielen. Aber genau dank der Unterstützung durch die sozialen Plattformen wie Facebook, Twitter oder Youtube können einzelne Beiträge stark viral gehen und erhebliche gesellschaftliche Resonanz finden (Fletcher et al., 2018). So zum Beispiel ein Video über «Chemtrails» (von Flugzeugen verstreute Giftwolken) aus dem Jahr 2017 auf der Facebook-Seite von Legitim.ch, das etwa 4000-mal geteilt und 146’000-mal aufgerufen wurde. Zum Vergleich: Unter den geteilten Facebook-Beiträgen klassischer Schweizer Informationsmedien liegt der Durchschnitt bei etwa 30 Shares. Share-Counts im vierstelligen Bereich sind eine grosse Seltenheit.
11. Wie gut sind Alternativmedien mit verschwörungstheoretischem Charakter untereinander vernetzt?
Sehr gut. Sie «spielen einander die Bälle zu» und steigern dadurch ihre Reichweiten. Auch übernehmen hiesige Alternativmedien die Funktion als Rezeptoren für internationale Anbieter entsprechender Inhalte. «Alles Schall und Rauch» verlinkt beispielsweise auf ein Video von «RT (Russia Today) Deutsch», «Uncut-News» auf Youtube-Videos der Plattform «KenFM» oder Kanäle wie «Der fehlende Part». Algorithmen auf Youtube schlagen gleichzeitig weitere Videos vor, die ähnliche und weitere potenzielle Verschwörungen behandeln und so dem Zuseher die Verbindung unterschiedlicher Ereignisse noch plausibler erscheinen lassen. Die nächste Verschwörungstheorie ist nur einen Klick entfernt. So wird Neugier geweckt, was zu einer direkten «Sogwirkung» des Konsums von Verschwörungsvideos führt.
12. Welche Rolle spielen ausländische Alternativmedien hierzulande?
Sie erreichen substanzielle Reichweiten. Die Website «KenFM» wird beispielsweise ca. 55’000-mal im Monat aus der Schweiz aufgerufen. Die von Ken Jebsen betriebene Seite vermittelt, vor allem in Form von Videos, Themen aus Politik (zum Beispiel Machtmissbrauch der Eliten), Wirtschaft (zum Beispiel die in privaten Händen liegenden und gesteuerten Zentralbanken) und Wissenschaft (zum Beispiel die vermeintliche «Klimawandel-Lüge»). Einzelne Beiträge erzielen eine erstaunliche Resonanz: so etwa ein einstündiges Video zum politischen System in Deutschland («Ein System kollabiert») mit rund 288’000 Aufrufen, wonach politische Eliten das Mediensystem steuern und einen «bösen» Plan verfolgen.
Ihre Meinung zu diesem Schwerpunkt interessiert uns sehr
Wo widersprechen Sie? Fehlt ein zentraler Aspekt? Wir freuen uns auf Ihre Perspektive.
Mark Eisenegger (@Mark_Eisenegger) ist Professor, Lisa Schwaiger (@SchwaigerLisa) Assistentin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) der Universität Zürich (@uzh_ikmz). Beide sind zudem am fög tätig – dem Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (@foegUZH).
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