Die Methode Ganser
Der Schweizer Historiker Daniele Ganser ist die Lichtgestalt einer Community, in der die Verschwörungstheorien blühen. Sie trägt und stützt ihn – während er sich selber vornehm zurückhält.
Von Michael Butter, 13.04.2019
Im vergangenen Frühjahr fluteten Hassmails meinen Posteingang. In grosser Zahl trafen wütende Proteste ein, ich würde Herrn Dr. Daniele Ganser verleumden. Und als ich mich noch fragte, wie es kam, dass all diese Mails am selben Tag eintrafen, wies mich ein Bekannter auf einen Eintrag hin, den besagter Daniele Ganser auf seiner Facebook-Seite gepostet hatte: «Professor Michael Butter von der Universität Tübingen diffamiert mich immer wieder als ‹Verschwörungstheoretiker›, weil ich kritische Fragen zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und dort vor allem zum Einsturz von WTC7 stelle. Dazu ein Beitrag von Conrad Knittel aus dem Magazin Rubikon.»
Der Eintrag und der verlinkte Artikel reagierten auf mein kurz zuvor veröffentlichtes Buch über Verschwörungstheorien. Darin beschreibe ich Daniele Ganser als Prototyp desjenigen Verschwörungstheoretikers, der vorgibt, nur Fragen zu stellen, implizit aber eine Verschwörungstheorie entwirft. Anhand eines Vortrags, den Ganser im Herbst 2014 gehalten hat – ironischerweise in einem Tübinger Hörsaal, in dem auch ich regelmässig unterrichte –, zeige ich, wie Ganser Verschwörungstheorien zu den Anschlägen des 11. September 2001 verbreitet. Er selbst bestreitet das und besteht darauf, dass er nur auf Ungereimtheiten in der offiziellen Version hinweise und eine neue Untersuchung fordere.
Tatsächlich aber stellt Ganser Suggestivfragen, reisst Zitate und Bildquellen aus dem Zusammenhang und verschweigt alles, was nicht in sein Argument passt. Seine Ausführungen lassen nur den Schluss zu, dass die US-Regierung oder ein Teil von ihr hinter den Anschlägen steckt.
Zwei Beispiele: Ganser weist immer wieder darauf hin, dass an 9/11 zwei Flugzeuge in Gebäude in New York flogen, aber drei Gebäude zusammenstürzten. Beim dritten Gebäude handelte es sich um WTC 7, ein kleineres Nebengebäude der Zwillingstürme des World Trade Center, das der offiziellen Untersuchung zufolge einstürzte, weil das Feuer der Twin Towers übergegriffen hatte. Ganser zeigt in seinen Vorträgen gerne ein kurzes Video des Einsturzes und zitiert dann einen Baustatiker, der erklärt, Symmetrie und Geschwindigkeit des Einsturzes würden darauf hindeuten, dass das Gebäude gesprengt worden sei. Ganser zeigt seinem Publikum aber nicht die vollständige Version des Videos, in der klar zu erkennen ist, dass das Gebäude keineswegs symmetrisch und auch nicht im freien Fall einstürzt. Und er zeigt auch nicht eines der Videos, welche den Einsturz von der anderen Seite des Gebäudes zeigen und auf denen man erkennt, wie schwer WTC 7 bereits beschädigt war.
Was war mit dem Pass von Satam al-Suqami?
Ebenso häufig zeigt Ganser eine Collage. Darauf sieht man im Hintergrund das völlig verwüstete World-Trade-Center-Areal aus der Vogelperspektive – und im Vordergrund ein Foto des Passes von Satam al-Suqami, einem der Attentäter. Der Pass, so erklärt Ganser dann, sei noch am 11. September auf dem Bürgersteig vor dem World Trade Center gefunden worden, was im Publikum meist ungläubiges Lachen hervorruft. Schliesslich erscheint es als unmöglich, dass in der Trümmerwüste, die man auf der Collage sieht, irgendetwas gefunden werden konnte.
Was Ganser verschweigt, ist, dass der Pass gefunden wurde, bevor die Türme einstürzten, als am Boden also noch praktisch keine Verwüstung herrschte. Ganser verschweigt auch, dass neben dem Pass des Attentäters weitere Pässe von Passagieren sowie andere Gegenstände gefunden wurden, die im Museum der 9/11-Gedenkstätte ausgestellt sind. Wie Ganser die Geschichte präsentiert, erscheint sie als vollkommen absurd, als dreiste Lüge, die – so die Suggestion – fabriziert wurde, um den Verdacht auf al-Suqami und von den wahren Tätern abzulenken. Anders als er vorgibt, ist Gansers Argumentation also weder wissenschaftlich noch offen, sondern hochgradig manipulativ. Es geht nicht um offene Fragen, sondern um eine Verschwörungstheorie. Wie er dabei im Detail verfährt, wird anschaulich hier und hier aufgezeigt. Obgleich anonym veröffentlicht, unterzieht diese Serie von Videos fast sämtliche Argumente Gansers einer ebenso systematischen wie überzeugenden Kritik.
Dieses Vorgehen hat Ganser, der in Geschichte promoviert wurde und auf eine Universitätskarriere hinarbeitete, in der Wissenschaft und weiten Teilen der Öffentlichkeit unmöglich gemacht. Finanziell geschadet hat es ihm nicht. 2011 gründete Ganser das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER), das, anders als der Name suggeriert, kein Ort der Forschung ist, sondern nur dazu dient, seine Vorträge und Bücher zu vermarkten. Da Ganser nicht immer nur über 9/11 reden kann, bediente er in den letzten Jahren zunehmend weitere Verschwörungstheorien. Er behauptet, der Anschlag auf das Satiremagazin «Charlie Hebdo» könnte eine false-flag-Operation westlicher Geheimdienste gewesen sein; er beschuldigt die USA, hinter dem Putsch in der Ukraine zu stecken; und er hat angedeutet, auch der versuchte Putsch in der Türkei könnte von der CIA initiiert worden sein.
Bei seinem Publikum kommen diese Thesen gut an. Gansers zahlreiche Vorträge, die meist um die 30 Euro Eintritt kosten, finden in grossen Hallen statt und sind fast immer ausverkauft. Sein letztes Buch hat sich nach seinen eigenen Angaben über 70’000-mal verkauft – eine Zahl, die sich mit den Informationen des führenden Buchbranchendienstes deckt. Ganser ist ein Star der verschwörungstheoretisch-populistischen Gegenöffentlichkeit, die in den letzten Jahren entstanden ist. Diese organisiert sich vor allem online, weshalb natürlich auch Ganser in den sozialen Netzwerken präsent ist.
Dass ich darauf in meinem Buch nicht eingegangen bin, war ein Fehler. Denn wer Gansers Erfolg verstehen will, muss sich mit seinem Facebook-Auftritt auseinandersetzen. Da lernt man viel über das Verhältnis zwischen ihm und seinem Publikum, über Parallelöffentlichkeiten und ihre Mediensysteme. Die Erkenntnisse sind manchmal amüsant, manchmal erschreckend, aber durchweg faszinierend.
Was ist das Konzept der «Menschheitsfamilie»?
Anfang März 2019 hatten mehr als 100’000 Menschen seine Seite abonniert, so viele wollen also seine Beiträge bewusst in ihrem Nachrichtenfeed angezeigt bekommen. Seine Posts fallen in der Regel in vier Kategorien:
Vortragsankündigungen, versehen mit dem Hinweis, wo es Tickets gibt;
Dank an diejenigen, die eine bestimmte Veranstaltung besucht haben;
Versatzstücke von Argumenten aus seinen Vorträgen und Büchern und
Links zu Artikeln und Videos, die seine Positionen stützen.
Sein Ton ist dabei immer unaufgeregt und sachlich. Wenn er emotional wird, dann im positiven Sinne. Er präsentiert sich wie in seinen Vorträgen als jemand, an dem alle Angriffe abprallen; als jemand, der Milde walten lässt, da ja auch seine Kritiker zur «Menschheitsfamilie» – eines seiner Lieblingskonzepte – gehören.
Bei vielen seiner Anhänger auf Facebook ist das anders. Ein kurzer Eintrag oder ein Link genügt, und in meist mehr als hundert Kommentaren verteidigen sie Ganser vehement, bestärken ihn in seinen Überzeugungen, versichern ihn ihrer Loyalität und gehen seine Kritiker hart an. Offensichtlich ist die Identifikation mit Ganser und dessen Positionen bei ihnen so gross, dass jede Kritik an ihm als persönlicher Angriff empfunden wird.
Ganser kann auf diesen Mechanismus bauen. Da seine Facebook-Freunde die Attacken für ihn übernehmen, ist es für ihn leicht, sich selbst zurückzuhalten. Er reagiert prinzipiell auf keinen Kommentar. Weder bedankt er sich für die Unterstützung, noch schreitet er ein, wenn die Beleidigungen überhandnehmen und die Verschwörungsszenarien immer absurder werden.
Dass Betreiber von Fanpages die Kommentare nicht moderieren, ist per se nicht aussergewöhnlich. Auch grosse Nachrichtenangebote stehen immer wieder für mangelhaftes Communitymanagement in der Kritik. Aber diese Zurückhaltung spielt Ganser – ob bewusst oder nicht – in die Hände.
Geht es wirklich nur um Fragen?
Gansers typische Kommunikation mit seinen Anhängern ist also eine Mischung aus Nähe und Distanz. Er postet mehrmals die Woche und spricht die Community mitunter direkt an, aber er tritt in keinen wirklichen Dialog ein. Er gibt die Richtung vor, diskutiert aber nicht.
«Sie haben den Guru angegriffen», sagte mir einmal ein Religionswissenschaftler, als ich ihm von den wütenden Mails der Ganser-Anhänger erzählte, «da müssen Sie sich nicht wundern, dass die Mitglieder zurückschlagen.»
Wie bei einem Guru und seinen Jüngern beruht die Beziehung zwischen Ganser und dem harten Kern seiner Fans auf dem Versprechen von Erleuchtung und Exklusivität. Sie glauben, durch die Bindung an Ganser zu Erleuchteten geworden zu sein, die sich nicht länger blenden lassen von der Propaganda der «Mainstreammedien» – oder «Nato-Medien», wie Ganser sie gerne nennt. Hier besteht allerdings ein Unterschied zwischen Gansers Community und Sekten. Denn während der Guru einer Sekte in der Regel explizit vorgibt, was Sache ist, betonen Ganser und seine Anhänger immer wieder, dass er das eben gerade nicht tue, sondern nur Fragen stelle und ihnen so helfe, sich selbst ein Urteil zu bilden. Dass dieses Urteil nicht frei ist, leugnet er – und sie können oder wollen es nicht sehen.
Denn trotz einer gewissen Bandbreite von Überzeugungen, die in den Kommentaren artikuliert wird, gibt es einen gemeinsamen Nenner, der von Ganser in praktisch jedem Post bedient wird: Misstrauen gegenüber den USA und den etablierten Medien und die Überzeugung, Teil einer wachsenden Friedensbewegung zu sein. Ganser, der sich selbst mittlerweile vor allem als «Friedensforscher» bezeichnet, obwohl er in dem entsprechenden akademischen Feld nie etwas publiziert hat und keine Kontakte zu den einschlägigen Instituten pflegt, gibt seinen Anhängern das Gefühl, sich aktiv für den Frieden einzusetzen, indem sie seine Vorträge besuchen oder seine Bücher kaufen.
Exemplarisch hierfür ist der Post vom 16. November: «Gerne habe ich nach dem Vortrag in St. Gallen am 12. November 2018 Bücher signiert. Es freut mich, dass immer mehr Menschen hinter die Kulissen der Machtpolitik schauen. Ich bin fest davon überzeugt, dass dadurch die Friedensbewegung gestärkt werden kann.» Er schafft damit bei seinem Publikum ein Gefühl von Offenheit, Toleranz, Überlegenheit – obwohl er genau das praktiziert, was er «den anderen» vorwirft: die simple Aufteilung der Welt in Gut und Böse.
Das konnte man in den letzten Wochen an seinen Posts zu Venezuela beobachten, die völlig einseitig die USA für die Krise verantwortlich machten. Dass das Land auch hausgemachte Probleme hat, wurde dabei ebenso unterschlagen wie die Tatsache, dass Russland und China dort ebenfalls Interessen verfolgen und sich im Konflikt entsprechend positionieren.
Es ist aber nicht nur erhellend, wie Ganser manche Sachverhalte darstellt, sondern auch, welche er ignoriert. So erwähnt Ganser zum Beispiel den Klimawandel nie in seinen Posts, obwohl es in seinen Vorträgen und Büchern ständig um Erdöl geht und er selber ein Elektroauto fährt. Viele seiner Anhänger halten – das zeigen Kommentare auf seiner Facebook-Präsenz – den Klimawandel für eine Erfindung. Ganser mag also in seinen Beiträgen die Richtung der Diskussion vorgeben; an manchen Überzeugungen seiner Anhänger rüttelt er nicht.
Darf Ganser nicht kritisiert werden?
Nun sind Social Media nur eine der Säulen, auf denen das Mediensystem von Verschwörungstheoretikern fusst. Die andere sind Websites wie das eingangs erwähnte Onlinemagazin «Rubikon». Die Seite ist Teil des alternativen Mediensystems, das sich in den letzten Jahren herausgebildet hat. In dieser Gegenöffentlichkeit haben Verschwörungstheorien jedes Stigma verloren, und Ganser ist ein Star, weil sein ruhiges Auftreten und sein akademischer Titel die dort vertretenen Positionen in gewisser Hinsicht nobilitieren. Zwischen den Hauptfiguren dieser Alternativmedien mag es Meinungsverschiedenheiten geben; nach aussen hin jedoch treten sie geeint auf und eilen sich gegenseitig zu Hilfe, wenn einer oder mehrere von ihnen von den «Mainstreammedien» attackiert werden.
Das konnte man wunderbar beobachten, als in einer Sendung des Schweizer Fernsehens im Februar 2017 Gansers konspirationistisches Geraune einmal nicht unwidersprochen blieb. Er wurde vom Moderator und den anderen Gästen heftig kritisiert. Die Reaktion der Gegenöffentlichkeit liess nicht lange auf sich warten. Die Schweizer Nachrichtenseite «Infosperber» griff Gansers Kritiker in einer Reihe von Artikeln an. KenFM, einer der wichtigsten Knotenpunkte der Alternativmedien in Deutschland, gab Ganser in einem langen Interview die Möglichkeit, seine Sicht darzulegen. Der Mainzer Verschwörungstheoretiker Bodo Schickentanz veröffentlichte auf seinem Youtube-Kanal das dreieinhalbstündige Video «Ich breche eine Lanze für Daniele Ganser». Und eben «Rubikon»: Das Magazin sprang Ganser ebenso zur Seite wie ein Jahr später nach der Veröffentlichung meines Buchs.
Ganser sitzt übrigens im Beirat von «Rubikon». Und auch sonst sind Ganser, KenFM und Rubikon eng miteinander verbandelt. Es gibt viele weitere Seiten und Sender, zu denen ähnliche Verbindungen bestehen: Nuoviso oder Propagandasender wie Russia Today Germany und Sputnik.tv, die «Experten» wie Ganser gerne ein Forum bieten. Hinzu kommen zahlreiche kleine Youtube-Kanäle, Blogs und Facebook-Seiten, auf denen die Beiträge der Stars dieser Gegenöffentlichkeit kommentiert, geteilt und promotet werden. So ist ein veritables Zitierkartell entstanden, in dem sich die Beteiligten beständig gegenseitig in ihren Überzeugungen bestärken und gegen Attacken von aussen verteidigen.
Es ist schwer zu sagen, wie gross dieses Netzwerk und wie gross darin der harte Kern der Ganser-Fans ist; wie viele Menschen sich de facto aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und in die Gegenöffentlichkeit verabschiedet haben. Fest steht jedoch, dass diese Gruppe in den letzten Jahren stark gewachsen ist. Es gibt in dieser Sphäre durchaus auch unterschiedliche Ansichten. Nur werden sie überlagert von Konspirationismus, Antiamerikanismus (bei gleichzeitiger Glorifizierung Russlands) und Misstrauen gegenüber den etablierten Medien. Man kann hier durchaus von einer Querfront sprechen, die Linke wie Rechte in der Kritik an vermeintlichen Eliten und dem sogenannten Mainstream vereint.
Daniele Ganser selbst – das muss klar gesagt werden – ist nie durch rassistische oder antisemitische Äusserungen aufgefallen. Er hat allerdings auch kein Problem damit, vor entsprechendem Publikum zu sprechen oder bei Veranstaltungen gemeinsam mit Rednern aufzutreten, die durch solche Positionen aufgefallen sind. 2014 veröffentlichte «Compact», eines der wichtigsten Organe der Neuen Rechten, einen Dialog zwischen Ganser und Karl-Heinz Hoffmann, dem Gründer einer neonazistischen Wehrsportgruppe, die bereits 1980 verboten wurde.
Im selben Jahr redete Ganser auf dem «Anti-Zensur-Kongress» des Schweizer Sektenführers Ivo Sasek. Anfang 2018 nahm er an einer Veranstaltung in Basel teil, auf der neben ihm auch Ken Jebsen und Elias Davidsson sprachen. Jebsen wird immer wieder gut begründet Antisemitismus vorgeworfen; Davidsson, von Beruf Komponist, behauptet nicht nur, dass 9/11 von der US-Regierung orchestriert wurde, sondern auch, dass westliche Geheimdienste in Wahrheit hinter praktisch allen islamistischen Anschlägen in den letzten Jahren in Europa stecken würden, unter anderem hinter dem am Berliner Breitscheidplatz.
Ganser ficht dies nicht an. Am 1. Juli 2018 verlinkte er auf Facebook Davidssons Interview mit Sputnik.tv, in dem dieser seine Überzeugungen zu den Anschlägen verbreitete.
Lässt sich der Kreislauf aufhalten?
Diese neue mediale Situation ist der entscheidende Unterschied gegenüber früheren Verschwörungstheoretikern. Diese haben seit den 1960er-Jahren ihre Überzeugungen immer in Opposition zu einer offiziellen Version entwickelt. Entsprechend haben sie, selbst als sie noch in kaum sichtbaren Subkulturen existierten, den Mainstream beobachtet, während dieser sie ignorierte. Mit dem Aufkommen des Internets haben Verschwörungstheorien und ihre Anhänger aber nicht nur zugenommen, sie sind vor allem sichtbarer geworden. Aus Subkulturen sind Gegenöffentlichkeiten mit eigenen Medien geworden. Das hat dazu geführt, dass nun auch der Mainstream die Verschwörungstheoretiker beobachtet – was wiederum die Verschwörungstheoretiker in ihrer Sicht bestärkt, dass man sie ins Visier nimmt, weil sie der Wahrheit auf der Spur sind.
Mit einem Wort: Die Abgrenzung zum Mainstream ist nun noch wichtiger – und leichter. Aber dies nimmt den Verschwörungstheoretikern auch die Möglichkeit, an den Mainstream anzudocken, wie es Ganser bis vor kurzem noch einigermassen gelang, weil er ja vorgab, nur Fragen zu stellen.
Das Ergebnis dieser gegenseitigen misstrauischen Beobachtung: Die Gräben zwischen der öffentlichen Sphäre und der Gegenöffentlichkeit werden immer grösser. Für Ganser bedeutet dies, dass seine Gelegenheiten, an etablierten Institutionen vorzutragen, immer weniger geworden sind. Die logische Konsequenz aus dieser Entwicklung ist, dass Ganser sich noch enger an Figuren wie Jebsen oder Davidsson bindet. Und jeder Beitrag, egal, aus welcher der beiden Öffentlichkeiten er kommt, wird die Auseinandersetzung weiter anheizen. Dieser hier vermutlich auch. Der Kreislauf lässt sich nicht aufhalten.
Ihre Meinung zu diesem Schwerpunkt interessiert uns sehr
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Michael Butter ist seit 2014 Professor für Amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Verschwörungstheorien in Geschichte und Gegenwart. Sein Buch «‹Nichts ist, wie es scheint›. Über Verschwörungstheorien» erschien 2018 bei Suhrkamp. Gemeinsam mit Peter Knight von der University of Manchester leitet er das europaweite Forschungsprojekt «Comparative Analysis of Conspiracy Theories in Europe».