Briefing aus Bern

Historischer Entscheid, Linksrutsch im Tessin, Rücktritte bei der Armee – und ewig leuchtende Parteien

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (52).

Von Andrea Arezina, Elia Blülle und Urs Bruderer, 11.04.2019

Es gibt simple Wahrheiten, die nur schwer auszuhalten sind. Etwa die, dass für uns Menschen das Sterberisiko mit zunehmendem Alter steigt. Wären politische Parteien wie wir, gingen die Lichter zuerst bei der FDP, der SP und der CVP aus, den ältesten Parteien des Landes. Und die grösste Lebens­erwartung hätte die 2008 gegründete BDP.

Doch die Politik schleudert den banalen biologischen Tatsachen ein erfreulich deutliches Nein entgegen. Nicht Jugendlichkeit garantiert ein langes Leben, sondern Alter und Einfluss. Und die jüngste Partei der Schweiz verliert gerade beides. Ein ganz kurzer Rückblick.

Der BDP wurde der Einfluss in die Wiege gelegt. Sie hatte von Beginn an eine eigene Bundesrätin: Eveline Widmer-Schlumpf, die von der SVP verstossen wurde, nachdem das Parlament SVP-Übervater Christoph Blocher abgewählt und mit ihr ersetzt hatte. Grosse Teile der kantonalen SVP-Sektionen in Bern, Graubünden und Glarus zeigten sich mit Widmer-Schlumpf solidarisch und gründeten darauf die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP).

Bei den ersten nationalen Wahlen 2011 kam die Partei auf 5,4 Prozent. Vier Jahre später waren es nur noch 4,1 Prozent. Sie verlor zwei Sitze, und vor allem eine Bundesrätin. Denn kurz nach den Wahlen gab Widmer-Schlumpf ihren Rücktritt bekannt.

Die Macht wurde der jungen Partei also in die Wiege gelegt – und sieben Jahre später wieder weggenommen. Seither kämpft sie ums Überleben. Zuletzt bei den kantonalen Wahlen in Zürich und Baselland ohne Erfolg: Sie flog aus beiden Parlamenten. In Solothurn liefen die BDP-Parlaments­mitglieder zur FDP über. Und in Luzern erzielte die Partei noch 0,3 Prozent der Stimmen.

Der «Tages-Anzeiger» fragte kürzlich: Wie stirbt eigentlich eine Partei? Im Einzelfall sei manchmal schwer zu sagen, ob sie noch lebe oder schon tot sei, antwortete der Politologe Andreas Ladner: «Es ist wie mit den Sternen, manche sind längst erloschen, aber wir sehen ihr Licht immer noch.»

Dass die BDP nur noch Blendwerk sei, sagte Ladner nicht. Und damit zum Briefing aus Bern.

Abstimmung über Heiratsstrafe ist ungültig

Worum es geht: Ein historischer Entscheid fiel gestern am Bundesgericht. Zum ersten Mal erklärte es eine Volksabstimmung für ungültig.

Was Sie wissen müssen: Die Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» kam von der CVP. Sie störte sich daran, dass Ehepaare gemeinsam besteuert werden und darum in einigen Fällen mehr Steuern bezahlen müssen als Paare, die im Konkubinat leben und einzeln besteuert werden. Der Grund: Weil bei Ehepaaren das Einkommen von Frau und Mann zusammen­gezählt wird, fallen sie in eine höhere Progression. Der Bundesrat spielte das Problem vor der Abstimmung herunter. Im Abstimmungs­büchlein schrieb er, es seien nur etwa 80’000 Ehepaare betroffen. Die Initiative scheiterte knapp. Dumm nur, dass der Bundesrat die Zahl der Betroffenen zwei Jahre später auf 454’000 Paare korrigieren musste. Das stiess der CVP sauer auf. Sie reichte Beschwerde ein und brachte die Sache ans Bundesgericht. Und die obersten Schweizer Richterinnen und Richter machten etwas, das sie bisher nur bei kantonalen Abstimmungen taten – sie erklärten eine nationale Volks­abstimmung für ungültig.

Was als Nächstes passiert: Der Gerichtsentscheid hat eine völlig neue Situation geschaffen. Was der Bundesrat jetzt macht, ist offen. Zwei Wege bieten sich an: Er kann direkt eine neue Abstimmung ansetzen. Oder er schickt die Vorlage nochmals ins Parlament. Letzteres, verbunden mit dem positiven medialen Echo für seine Partei, wünscht sich CVP-Präsident Gerhard Pfister. Offen ist auch, ob die Abstimmung angesichts der korrigierten Zahl anders ausgehen wird. Denn viele Leute teilten zwar das Grund­anliegen der Initiative, störten sich aber daran, dass mit ihr die Ehe in der Verfassung streng konservativ als «eine Lebens­gemeinschaft von Mann und Frau» definiert worden wäre.

Linksrutsch im Tessin

Was bisher geschah: Die Tessinerinnen und Tessiner haben am Wochenende die Kantons­regierung und das 90-köpfige Kantons­parlament gewählt.

Was Sie wissen müssen: Im Tessin gibt es eine Tradition: Die Stimmen für die Regierung werden am Sonntag ausgezählt, jene für das Parlament erst am Montag. Dieses Mal kam es an beiden Tagen zu Überraschungen. In der Regierung bleibt zwar das Kräfte­verhältnis gleich, aber innerhalb der CVP kommt es zu einer Rochade. Das Parlament rückt nach links, und die Frauen machen 8 Sitze vorwärts. Auch, weil die neue Frauenliste «Più donne» auf Anhieb 2 Sitze gewinnt. Und der Linksrutsch ist in Zahlen zwar nicht gross, aber wie fast alles im Tessin extrem. Die Kommunisten (+1) und die Bewegung für den Sozialismus (+2) politisieren weiter links von der SP und den Grünen, die ihre Sitze halten. Grösste Verliererin ist die Rechtsaussen­partei Lega (–4). Stärkste Kraft im Parlament bleibt die FDP. Sie verliert aber wie die CVP einen Sitz. Als einzige bürgerliche Partei legt die SVP (+2) zu.

Wie es weitergeht: Am 2. Mai tagt das Parlament das erste Mal in der neuen Zusammen­setzung. Man darf gespannt sein, wie die neuen Frauen und der Linksrutsch den Politbetrieb verändern.

Doppelrücktritt an der Armeespitze

Was bisher geschah: Militärchef Philippe Rebord hat letzte Woche seinen Rücktritt bei Bundesrätin Viola Amherd eingereicht. Aus gesundheitlichen Gründen gibt er sein Amt auf Ende Jahr ab.

Was Sie wissen müssen: Die Armeespitze besteht aus drei Korps­kommandanten: dem Ausbildungschef, dem Armeechef und dem Operationschef. Letzterer bleibt nun als Einziger übrig, denn auch Daniel Baumgartner gibt sein Amt ab. Der Doppel­rücktritt trifft die Armee in einer schwierigen Phase, weil mit der Total­erneuerung der Luftwaffe und einer breit angelegten Streitkräfte­reform zwei Grossprojekte erst gerade ins Rollen kommen. Die Situation wird zusätzlich erschwert durch die Tatsache, dass VBS-Chefin Viola Amherd ihr Amt als Verteidigungs­ministerin erst gerade angetreten hat. In der Armee­führung fehlt es an Kontinuität, die für eine erfolgreiche Erneuerung der Streitkräfte wichtig wäre.

Wie es weitergeht: Das Verteidigungs­departement setzt eine Findungs­kommission ein, die dem Bundesrat mögliche Kandidaten vorschlagen wird. Dieser wird dann den neuen Armeechef ernennen.

Rassismus in der Schweiz

Was bisher geschah: Schwarze, Musliminnen und Menschen aus dem arabischen Raum bekommen Rassismus am häufigsten zu spüren. Zu diesem Schluss kommen der neue Bericht der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und Humanrights.ch.

Was Sie wissen müssen: Dem Bericht liegen 278 Rassismus­vorfälle zugrunde, die den zuständigen Beratungs­stellen gemeldet wurden. Etwa jener des schwarzen Brasilianers, der für ein Reinigungs­unternehmen in einem Unternehmen putzte. Dessen Direktorin erklärte, dass sie keine schwarzen Menschen in ihrem Unternehmen wolle. Daraufhin verlor der Brasilianer seine Stelle, weil das Unternehmen der rassistischen Direktorin der wichtigste Kunde des Reinigungs­unternehmens ist. 278 Fälle mögen nicht nach viel aussehen, und dass es 23 Fälle weniger sind als letztes Jahr, lässt die Zahl noch blasser aussehen. Doch die Zahl der nicht bekannt gewordenen Fälle liegt wohl deutlich höher. Dafür gibt es zahlreiche Gründe: fehlende Kenntnis über das Beratungs­angebot, zu wenig Vertrauen, Angst. Zu rassistischen Übergriffen kommt es im öffentlichen Raum, öfter aber in der Schule und am häufigsten am Arbeits­platz. Da, wo die Opfer sich am seltensten wehren, weil sie Angst haben, die Stelle zu verlieren. Zu diesem Schluss kommt nebst dem aktuellen Bericht auch der Bund im Monitoring-Report «Rassistische Diskriminierung in der Schweiz».

Wie es weitergeht: Die erfassten Daten und der Bericht dienen der Politik in der Bekämpfung von Rassismus. Sie fliessen in den Bericht «Rassistische Diskriminierung in der Schweiz» des Bundes ein, der alle zwei Jahre erscheint. Er wirkt sich auch auf die Berichte aus, die die Schweiz zuhanden der Antirassismus-Organisationen der Uno und des Europarats erstellt.

Debatte zum Briefing aus Bern

Wo sollen wir nachhaken? Wie beurteilen Sie unsere Arbeit? Hier geht es zur Debatte.