Vier junge Männer, ein Ziel: diensttauglich. Medizinische Untersuchung während der Aushebung (6. April 1988 in Utzenstorf BE). Karl Heinz Hug/Keystone

Sturm aufs letzte Reduit des Mannes

Der Zivildienst ist zu attraktiv, finden seine Gegner. Vielleicht ist aber auch die Armee verstaubt, meint unsere Autorin. Ein Plädoyer für eine zeitgemässe Dienstpflicht – und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern.

Von Seraina Kobler, 02.04.2019

An einem heissen Tag im Juli, irgendwo im Luftraum zwischen der Brugger Altstadt und dem türkisgrün leuchtenden Neuenburgersee. Wir schwebten über dem Boden, gerade hoch genug, um uns nicht in den Wipfeln der Bäume und Strommasten zu verheddern, aber doch so tief, dass wir in die winzigen Häuser unter uns schauen konnten. In die Gärten, wo die Wäsche an der Leine trocknete, wo die Leute gerade das Mittagessen auf die Glut legten. Manchmal winkten sie uns zu, besonders die Kinder. Ja, die Kinder freuten sich. Angezogen vom aerodynamischen Lärm der Rotorblätter, dank denen sich der dunkelgrüne Transporthelikopter TH06 senkrecht in die Luft erheben kann.

Super Puma wird er auch gerufen. Das geht leicht über die Lippen. Man denkt an eine geschmeidige Wildkatze, an Turnschuhe und davor als eine Art überragendes Präfix: Super.

Der richtige Name für die Allzweckwaffe der Schweizer Armee. Er transportiert Mensch und Material nach Naturkatastrophen. Er verschiebt Truppen im Inland und manchmal auch im Ausland. Er findet Vermisste und löscht Waldbrände. Und in diesem Sommer des Jahres 2013 sollte er einen persönlichen Wunsch des damaligen Verteidigungsministers Ueli Maurer erfüllen. Er sollte dabei helfen, die Frauen im Land zu erreichen. Denn diese waren von ihm als wichtige Dialoggruppe bestimmt worden.

Grund für die Einladung zum Rundflug war die Abstimmung zur Aufhebung der Wehrpflicht, zwei Monate später. Die Initiative der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) wollte die obligatorische Dienstpflicht in eine Freiwilligenmiliz überführen. Und weil sich jeder zweite Stimmzettel in weiblicher Hand befindet, startete die Armee eine charmante Offensive auf die Presse.

Weil viele Journalisten, so wurde befürchtet, entweder weiblich seien oder aber männlich und nie eine Rekrutenschule besucht haben, könne nicht ausgewogen berichtet werden. Ein zweitägiges Bootcamp sollte die wichtigsten Inhalte vermitteln.

Armeeschokolade als Mitbringsel

Diese bestanden im Wesentlichen aus regelmässigen Verschiebungen, in gepanzerten Mannschaftsfahrzeugen, im klimatisierten Reisecar, im Duro oder eben in der VIP-Variante des Super Pumas, die sonst der Bundesrat benutzt. Wir übernachteten in einem Hotel, besuchten Truppen, schossen mit der Panzerfaust und wurden wie von einer grossen fürsorglichen Mutter verpflegt, eigentlich fast immer. Es gab unzählige «Zwipf», Würstchen spätabends, eisgekühlte Limonade im Helikopter, ein Reisgericht mitten auf dem Feld und fast unbegrenzt haltbare Armeeschokolade, als Mitbringsel für die Familie daheim. Und wenn eine der geladenen Redaktorinnen auf die Toilette musste, dann wachte ein Soldat vor der Türe, denn Damentoiletten gab es in den Kasernen nicht.

Später zeigte sich, dass die Sorge um die allgemeine Wehrpflicht unbegründet war. 73 Prozent der Stimmbürger lehnten die Initiative ab. Die Abstimmungskarte, die am Abend im Fernsehen eingeblendet wurde, zeigte ein seltenes Bild: eine komplett rot überzogene Schweiz. Eine schallende Ohrfeige. Kein einziger Kanton hatte sich für die Initiative ausgesprochen. Erleichterung machte sich breit. Was man damals noch nicht wissen konnte, war, dass die Gefahr für den Weiterbestand der Armee nicht von den Frauen ausgehen sollte.

Sondern von den Männern selbst.

«Es besteht keine freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst!» Bundesrat Guy Parmelin lässt derzeit seine Muskeln spielen. Zusammen mit der rechtsbürgerlichen Mehrheit will der Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung den ihm unterstellten Zivildienst in seiner heutigen Form schwächen.

Das «Problem»: Der Zivildienst ist einfach zu beliebt.

Seit Militärdienstpflichtige mit einem Gewissenskonflikt jederzeit ein Gesuch stellen können, ist ihre Anzahl gestiegen. Von 4670 Zulassungen im Jahr 2011 stieg die Anzahl im Jahr 2017 auf 6785 Zulassungen. Darum hat der Bundesrat eine Botschaft zur Revision des Zivildienstes mit acht Massnahmen verabschiedet. Die Strategie dahinter: gesetzliche Regulierungen statt einer Verbesserung des bestehenden Angebotes.

Der Mann und das soziale Engagement

Oder anders gesagt: Peitsche statt Zuckerbrot. Und so knallt es einmal mehr im gleichstellungspolitischen Schwellenland Schweiz, in dem der Gesetzgeber Bestrebungen niederschmettert, die das soziale Engagement von Männern fördern könnten.

Nicht nur beim Zivildienst, sondern auch in anderen Bereichen wie etwa dem Familienrecht, das – trotz Revision von Sorge- und Unterhaltsrecht – noch immer stark mutterzentriert ist. Die in Artikel 298 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches festgeschriebene Möglichkeit der alternierenden Obhut, bei der sich Mutter und Vater die Betreuung des Kindes teilen, ist selten mehr als eine hohle Phrase, die in der Praxis kaum von einem Gericht je ernsthaft geprüft wird. Zudem fehlen den meisten Betroffenen die finanziellen Mittel, um sich durch die Instanzen zu klagen. Dafür wird mittlerweile seit Jahren eher mutlos und lau darüber diskutiert, ob es nun wirklich einen Vaterschaftsurlaub brauche – oder doch lieber nicht. Denn Familie, das sei ja schliesslich eine private Angelegenheit.

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass der Anteil von Teilzeit arbeitenden Männern in den letzten Jahren gestiegen ist, ebenso wie ihr Anteil an der Arbeit im Haushalt und bei der Betreuung der Kinder. Doch die Statistik zeigt auch, dass die Entwicklung langsam vorangeht, was auch an den erschwerten Arbeitsbedingungen für Frauen liegt, insbesondere wenn sie Kinder haben.

Und so bleibt es bei der alten Rolle: der Mann, der Ernährer. Der Mann, der Versorger.

Wäre da nicht der Zivildienst, der bislang eher unter dem gleichstellungspolitischen Radar flog. Er zeigt deutlich, dass viele Männer in einem sozialen Einsatz mehr Sinn sehen als im Militärdienst. Der Graben zwischen ihnen und der alten, streng hierarchisch organisierten Garde scheint immer tiefer zu werden. Diese befindet sich im dreigeteilten Schweizer Dienstpflichtsystem auf dem Feld Sicherheit. Daneben gibt es noch die Bereiche Schutz und Soziales.

In einer Grafik des Bundes zur besseren Verständlichkeit werden stilisierte Männchen, wie die Zutaten für einen Geburtstagskuchen, in einen grossen Trichter eingefüllt. Wenn sie unten wieder rauspurzeln, dann sind sie entweder militärdiensttauglich, zivilschutztauglich oder untauglich. Letztere müssen eine Wehrpflicht­ersatzabgabe zahlen. Und nur wer sich in einem Gewissenskonflikt befindet, darf in den Zivildienst wechseln, der anderthalbmal so lange dauert wie der Armeeeinsatz.

Dennoch mag sich das Feld Sicherheit nicht mehr so recht füllen. Und manche, die dort landen, haben schon in der Rekrutenschule Mühe, mit einer Gruppe im selben Zimmer zu übernachten. Andere gehen zwar regelmässig ins Fitnessstudio oder zum Fussball, verfügen aber dennoch nicht über die notwendige Grundkondition und Ausdauer, die der Militärdienst erfordert.

So wird die Waffe gehalten! In der Rekrutenschule (31. Oktober 2016 in Thun). Peter Klaunzer/Keystone

Die Unterschiede zwischen dem militärischen Dienstbetrieb und dem zivilen Leben werden grösser. Was dazu führt, dass diensttaugliche Männer scharenweise in den Zivildienst abwandern.

Prekär wird die Situation, wenn man sich die Alterspyramide der Schweizer Bevölkerung anschaut. Es gab eine Zeit, da konnte die Armee auf reiche Bestände zugreifen, zumindest demografisch gesehen. Denn in den 1970er-Jahren glich die Alterspyramide in ihrer Form einer Zwiebel. Oben, am schmalen Ende, waren die Alten, unten die Jungen. In der Mitte wölbte sich eine potente Kugel von Leuten zwischen zwanzig und fünfzig Jahren. Ein grosses Auswahlbecken für die Rekrutierung. Schaut man das gleiche Bild heute an, zeigt sich dort keine Zwiebel mehr, sondern ein Pilz, der sich immer weiter nach oben schiebt. Sein breiter Hut fasst die längst ausgemusterten geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer.

Unten bleibt ein magerer Stängel.

Aus ihm sollen die frischen Soldaten rekrutiert werden. Das Bundesamt für Statistik geht davon aus, dass die Todesfälle zwischen 2020 und 2035 rasch ansteigen, während die Geburten stabil bleiben. Irgendwann in dieser Zeitspanne wird der Hut langsam verschwinden.

Nicht vorhersehbar ist bei diesem Szenario, wie sich die Zuwanderung entwickelt. Weil sie kurzfristiger auf internationale und nationale, politische und wirtschaftliche Entwicklungen reagiert. So oder so wird deutlich, dass die Armee – bei schwindenden Beständen – auf zwei relevante und oft gut ausgebildete Bevölkerungsgruppen nicht zugreifen kann: Frauen und Ausländer. Bereits heute verfügen mehr 25- bis 34-jährige Frauen über einen Hochschulabschluss als Männer desselben Alters.

Vor drei Jahren wurde dazu ein 180 Seiten starker Bericht einer Studiengruppe zum Dienstpflichtsystem veröffentlicht. Diese sprach sich für die beiden Modelle «allgemeine Dienstpflicht» und das «norwegische Modell» aus, die das skandinavische Land vor vier Jahren eingeführt hat. Die Grundidee dahinter: Es geht nicht mehr darum, dass möglichst viele Dienst leisten, sondern die Dienstpflicht stellt die Basis für eine Auslese dar.

Die mütterliche Aufzucht­gesellschaft

Brisant daran ist, dass auch Frauen in den Pool miteinbezogen werden sollen. Doch zum Ende des Berichtes wird die gleichstellungspolitische Vision gleich wieder relativiert. Dort heisst es, «dass die Studiengruppe die Dienstpflicht für Frauen gegenwärtig nicht für geboten hält».

Warum nicht?

Die weibliche Lebenswelt hat sich doch im Zuge der Emanzipation der männlichen angenähert. Jedes aufgeklärte feministisch schlagende Herz sollte doch eigentlich laut «Ja, ich will» rufen. Stattdessen ist da ein diffuser Widerwille. Vielleicht handelt es sich dabei um den klassischen Fall einer kognitiven Dissonanz. Auf der einen Seite steht der Wunsch nach einer Gesellschaft, in die sich alle unabhängig von ihrem Geschlecht gleichermassen einbringen können. Auf der anderen Seite die eklatante Abneigung gegen ein militärisches System, das auf Herrschaft und Unterwerfung aufbaut.

Ja, vielleicht ist das der springende Punkt.

Der Philosoph Gerhard Schwarz schreibt in seinem Buch «Die ‹Heilige Ordnung› der Männer», dass die Hierarchie eine Art Gegenwelt zur mütterlichen Aufzuchtgesellschaft darstellt. Die Arbeitswelt oder eben die Armee gleiche einer Männergang. Sie bilde einen Raum, wo Männer unter sich ein gemeinsames Ziel verfolgen. Es gibt einen Auftrag, klare Abläufe, Regeln und Zuständigkeiten. Konkurrenzen werden über Leistungsfähigkeit ausgetragen, der Fähigste ist der Anführer.

Frauen hingegen können und wollen diese männlichen Strukturen nicht übernehmen. Denn sie bevorzugen Netzwerke statt Hierarchien.

Das Beispiel des populären Zivildienstes zeigt nun aber, dass sich mit den veränderten Rollenbildern auch Männer in diese Richtung entwickeln. Das scheint dem Bundesrat eine albtraumhafte Vorstellung zu sein. Statt die Armee damit zu beauftragen, ihre Ausrichtung zu überarbeiten und innovative Modelle für die Zukunft zu entwickeln, setzt er auf dumpfen paternalistischen Zwang. Dieser kommt paradoxerweise aus denselben politischen Kreisen, die in anderen Fragen den Bürgern die grösstmögliche Freiheit gewähren wollen.

Dabei gibt es gute Gründe für ziviles Engagement.

Entgegen dem allgemeinen Trend zur Individualisierung können Einzelne damit einen Beitrag zur Wohlfahrt in der Gesellschaft leisten. Wer einen Dienst leistet, egal ob zivil oder militärisch, arbeitet zusammen mit Menschen, die verschiedene soziale und wirtschaftliche Hintergründe haben und aus anderen Sprachregionen kommen.

Alles starke Argumente, um die heutige Wehrpflicht in eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen umzuwandeln. Eine, bei der diese frei wählen sollen, ob sie Militärdienst oder Zivildienst oder Sozialdienst leisten wollen. Eigentlich. Wären da nicht noch immer die Unterschiede bei den Löhnen oder die unbezahlte Care-Arbeit. Frauen übernehmen den grösseren Teil der Aufgaben in der Familie, sei es bei der Betreuung der Kinder oder der Pflege der Eltern.

Im Jahr 2016 wurde, wie Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen, mehr unbezahlte Arbeit als bezahlte verrichtet. Diese wurde mit einen Geldwert von 408 Milliarden Franken pro Jahr beziffert. Solange die Gleichstellung dort noch nicht vollzogen ist, lassen sich für eine allgemeine Dienstpflicht keine Mehrheiten gewinnen. Weder in der Politik noch in der Bevölkerung.

Doch könnte diese nicht auch eine Chance sein? Eine Chance, um diesen Dingen einen Wert zu geben. Der Pflege der betagten Tante, der Erziehung von Kindern, der Hilfe in der Nachbarschaft oder in Vereinen, in der Milizpolitik.

Dafür müssten in einem ersten Schritt die entsprechenden Führungsgremien von Armee und Zivildienst komplett neu zusammengesetzt werden. Selbstverständlich ausgewogen nach Geschlechtern. Dann müssten sie sich einer echten Debatte stellen. Etwa darüber, vor welchen Bedrohungen die Bevölkerung in Zukunft beschützt werden muss. Vielleicht, ja sogar ziemlich sicher, würde dabei herauskommen, dass die Überalterung oder der Klimawandel im Alltag der allermeisten sehr viel prägender sind als eine hypothetische Invasion von fremden Mächten. Schon heute spürt die Schweiz die direkten Folgen des Klimawandels. In der Forschung ist man sich einig: Die Extreme werden zunehmen. Hitzewellen, Trockenperioden oder Starkniederschläge und die damit im Zusammenhang stehenden Naturgefahren. Weiter könnten Organisationen wie die Spitex bei der Pflege entlastet werden und Alters- und Pflegeheime mit zusätzlichen Ferienbetten.

Es führt kein Weg daran vorbei, die Dienstpflicht den sich stellenden Realitäten anzupassen.

Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden wir in Zukunft Super Pumas brauchen, die bei Dürre Wasser aus den Seen auf die Felder transportieren und Waldbrände bekämpfen. Eine solche Armee, die auf Super Pumas statt auf Kampfjets setzt, die soziales Engagement anerkennt und sich für die Erhaltung lebensnotwendiger Ressourcen einsetzt, so eine Armee könnte auch die Frauen für sich gewinnen.

Ja, und wenn es dann noch kostenlose Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder gäbe, bezahlte Auszeiten für berufstätige Väter von schulpflichtigen Kindern, wenn die Mütter im Dienst sind, eine faire Entlohnung der im zivilen Leben verrichteten unbezahlten Arbeit, die Anrechnung von Credit-Points im Studium oder bei anerkannten Weiterbildungen – ich glaube, dann könnte sich diese neue Armee vor Bewerberinnen nicht mehr retten.

Debatte: Dienstpflicht auch für Frauen?

Was halten Sie von Seraina Koblers Ansätzen für eine zeitgemässe Dienstpflicht? Oder soll das Militär die Regel, der Zivildienst die Ausnahme bleiben? Was ist mit der Dienstpflicht für Frauen? Oder gar die Dienstpflicht ganz abschaffen? Hier gehts zur Debatte.

Zur Autorin

Seraina Kobler ist Journalistin und Autorin. Sie arbeitete bei verschiedenen Zeitungen, zuletzt im Inland bei der «Neuen Zürcher Zeitung», davor beim «Tages-Anzeiger» und der «SonntagsZeitung». 2017 gründete sie mit «Fedara» eine eigene Firma für Beratungsleistungen.