Binswanger

Der Hybris-Index

UBS und CS haben ihre Geschäftsberichte vorgelegt. Konjunktur herrscht vornehmlich bei den Boni. Das verheisst nichts Gutes.

Von Daniel Binswanger, 23.03.2019

Die UBS legte letzte Woche ihren Geschäftsbericht 2018 vor, und wie jedes Jahr hat das Salär von Sergio Ermotti – über 14 Millionen Franken – zu reden gegeben. Die Gesamt­vergütung der 13-köpfigen UBS-Geschäfts­leitung hat wieder die stolze 100-Millionen-Marke geknackt, zum ersten Mal seit der Finanz­krise. Gestern war die CS mit ihrem Jahresbericht an der Reihe und beweist erneut, wie hart sie ihrer grossen Schwester auf den Fersen ist: CS-CEO Tidjane Thiam kommt auf insgesamt 12,65 Millionen Jahres­salär, die ganze Geschäfts­leitung auf fast 94 Millionen Franken.

Weitere Kennzahlen der beiden Schweizer Gross­banken sind vergleichbar, auch wenn hier die Entwicklung leider in die entgegengesetzte Richtung läuft: Die Aktien­kurse von UBS und CS fielen im Lauf des Jahres 2018 beide um über 30 Prozent. Ebenfalls nach unten bewegen sich im Fall der UBS die bereits vor ein paar Wochen kommunizierten Gewinn­zahlen. Aufgrund der Verurteilung zu einer 4,5-Milliarden-Euro-Busse in Paris mussten die Rück­stellungen der Bank erhöht werden. Sie beschränken sich zwar immer noch auf bescheidene 516 Millionen Franken – einen Bruchteil des Gesamt­betrags der Straf­zahlung, gegen welche die UBS in Berufung gegangen ist –, tragen aber auch so zu einer spürbaren Schmälerung der Gewinne bei. Vorderhand scheint bei den Schweizer Gross­banken weiterhin das meiste nach unten zu gehen – ausser eben die Vergütungen der Chefetage.

Man kann diese bizarre Anomalie in zweierlei Hinsicht zu relativieren versuchen. Erstens: Es war auch schon viel grotesker. Ex-UBS-Chef Marcel Ospel verdiente auf dem Höhe­punkt des Rendite­rausches der Nuller­jahre 24 Millionen pro Jahr. Allerdings geschah dies damals vor dem Hinter­grund nach oben schiessender Aktien­kurse. Wenn man Ermottis oder Thiams und Ospels Vergütungen in ein Verhältnis zu den zu ihren Zeiten erwirtschafteten Aktien­kursen setzt, erscheint Ospels Bezahlung vergleichsweise bescheiden. Zweitens lässt sich der Einwand machen, dass die ganze Diskussion um Topsaläre zwar ethisch nicht unwichtig, wirtschaftlich aber von sehr geringer Relevanz ist: 100 Millionen Franken Geschäftsleitungs­vergütung ändern wenig am Gesamt­ergebnis. Auch dieses Argument ist absolut betrachtet richtig, vernachlässigt aber den entscheidenden Zusammenhang: Topsaläre sagen sehr viel aus über Selbstverständnis, Betriebs­kultur und Macht­anspruch der Finanz­institute. Sie sind gewissermassen der branchenweite Hybris-Index. Dass dieser nun wieder durch die Decke geht, verheisst nichts Gutes – für uns alle nicht.

Letztes Jahr veröffentlichte der IWF ein faszinierendes Working Paper über «die politische Ökonomie von Finanz­krisen». Es zeigt anhand historischer Rekonstruktionen, dass Banken- und Spekulations­krisen sehr stark von der Entwicklung der Regulierung beeinflusst werden – und dass diese Entwicklung immer zyklisch verläuft. Wenn das Finanz­system in eine bedrohliche Schieflage gerät und mit staatlicher Hilfe gerettet werden muss, fühlt sich die Politik ermächtigt, mit harten Massnahmen durchzugreifen, die fehlbaren Institutionen an die Kandare zu nehmen und alles zu unternehmen, damit eine solche Krise sich nie mehr wiederholen möge. Sie erhält dabei Sukkurs von der breiten Bevölkerung, die unter den Folgen der ökonomischen Notlage leidet und ihren heiligen Zorn gegen die Abzocker richtet.

Genau so war es im Nachgang zur Krise von 2008: Es wurden einschneidende Regulierungen beschlossen, das Bank­geheimnis für Offshore-Kapital wurde abgeschafft und die obligatorische Kapitalisierung der Banken stark erhöht.

Die Geschichte der Finanz­markt­regulierung zeigt allerdings noch ein Zweites: Es gilt das eherne Gesetz, dass der Impetus der Finanz­markt­regulierung nach einer gewissen Zeit wieder erlahmt. Wenn sich die Situation entspannt hat, die Banken einigermassen stabilisiert sind und sich das öffentliche Interesse wieder anderen Dingen zuwendet, verschiebt sich die Macht­balance zwischen Finanz­industrie und Politik empfindlich. Der aufsichtsrechtliche Aktivismus der Post-Krisen-Periode schlägt um in eine Phase erneuter Deregulierung. Die Markt­akteure profitieren von der wiedergefundenen Freiheit und erleben einen Boom – bis nach einer gewissen Zeit die Risiken von Neuem unkontrollierbar werden, die Dinge aus dem Ruder laufen, die nächste Krise kommt und der Zyklus wieder von vorn beginnen kann. Das ist der Grund, weshalb der Hybris-Index der CEO-Vergütungen durchaus relevant ist. Unsere Banken sind zwar weit davon entfernt, wieder auf gesichertem Erfolgs­kurs zu sein, aber sie legen schon seit geraumer Zeit wieder ein verblüffendes Selbst­bewusstsein an den Tag.

Das zeigt sich in aller Deutlichkeit am politischen Lobbying: Die Bankier­vereinigung befindet sich schon länger im Modus der Dauer­mobilisierung gegen den sogenannten «Swiss Finish» der Banken­regulierung und wird wohl nicht ruhen, bevor sie die letzte Schweizer Sonder­massnahme, die über den internationalen Standard hinausgeht, wieder geschleift hat. Unmittelbar nach der Finanz­krise herrschte parteien­übergreifender Konsens, dass ein «Swiss Finish» für den extrem exponierten Schweizer Finanz­platz absolut unverzichtbar sei. Mittlerweile agieren SVP und FDP wieder weitgehend so, als wäre ihr Mandat die simple Interessen­vertretung der Bahnhofstrasse.

Besonders flagrant zeigte sich das jüngst, als die rechten Parteien im Ständerat eine «Lex UBS» durchbringen wollten, die es der Grossbank ermöglichen würde, ihre in Paris zu zahlende Mega-Busse zum grösseren Teil von den Steuern abziehen zu können. Komplexfreier kann wirtschaftliches Lobbying die Politik eigentlich kaum vor den eigenen Karren spannen. Aber so wie die Macht­verhältnisse offenbar wieder liegen, braucht die UBS auch keine Komplexe zu haben.

Das ist besonders unerfreulich im Hinblick auf die nächsten Regulierungs­abbau­runden, die so sicher kommen werden wie das Amen in der Kirche. Donald Trump hat schon vor knapp einem Jahr die amerikanischen Finanz­markt­regulierungen massiv zurückgefahren – unter grossem Applaus der europäischen und schweizerischen Banken­vertreter, die seither nicht müde werden zu betonen, dass man diesseits des Atlantiks unbedingt nachziehen müsse. Vor zwei Wochen hat das Fed nun weitere Lockerungen angekündigt. Die Dynamik der Deregulierung wird immer getrieben von Standort­konkurrenz und Innovation. So war es vor der letzten Finanz­krise – so wird es auch vor der nächsten wieder sein. Es würde sehr wundern, wenn die obligatorische Kapitalisierung der Finanz­institute in Zukunft nicht wieder sinken würde. Schliesslich müssen die Schweizer Banken wettbewerbsfähig bleiben. Und irgendetwas muss geschehen – so wird man es den Behörden mit dem geforderten Nachdruck zu verstehen geben –, damit die Talfahrt der Aktien­kurse der beiden Schweizer Gross­banken endlich an ein Ende kommt.

Wer aus den Fehlern der Vergangenheit nicht lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Wer alles lernt, alles korrigiert – und dann alles wieder vergisst, ist dazu verdammt, nur kurzzeitig besser zu fahren.

Illustration: Alex Solman

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