Was diese Woche wichtig war

Grossbritannien zaudert, Algerien protestiert – und die Narrenfreiheit der AKK

Woche 11/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli und Isabelle Schwab, 15.03.2019

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Brexit soll verschoben werden – keine Lösung in Sicht

Darum geht es: Am Dienstag erteilte das britische Unterhaus Premier­ministerin Theresa Mays Brexit-Deal eine zweite Abfuhr. Am Mittwoch entschied sich das Parlament gegen einen sogenannten No-Deal-Brexit. Am Donnerstag schliesslich votierte es für eine Verschiebung des Austritts­datums in zwei Wochen. Dafür ist aber nun die Zustimmung der EU nötig.

Warum das wichtig ist: Grossbritannien kommt zwei Wochen vor dem offiziellen Brexit-Termin kaum vom Fleck. Nach der niederschmetternden Ablehnung ihres Deals im Januar hatte Theresa May erneute Verhandlungen mit der EU versprochen. Doch bis kurz vor der neuerlichen Abstimmung im britischen Unterhaus konnte sie nur marginale Änderungen am backstop, der kritischen Regelung der irisch-nordirischen Grenze, ergänzen – und damit das Parlament nicht überzeugen. Tags darauf war sich das Parlament jedoch einig: Ohne Deal will es nicht aus der EU ausscheiden. Genau das droht aber am 29. März. Selbst wenn das Parlament bei einem dritten Anlauf den von May ausgehandelten Deal doch noch durchwinken würde, liesse sich dieser nicht mehr termingerecht implementieren. Eine Frist­verlängerung ist nun zwingend. Den Auftrag, eine solche mit der EU auszuhandeln, erteilte das Parlament der Premier­ministerin May gestern Donnerstag.

Was als Nächstes geschieht: Theresa May hat diese Woche auf ganzer Linie verloren. Ihre Macht ist – wenn auch nicht formal – gebrochen. In den nächsten Wochen gilt es zu entscheiden, wie das zerstrittene Parlament aus dem Schlamassel herausfinden will. Mit der Aufschiebung des Austritts sind ein zweites Referendum oder gar Neuwahlen wieder auf dem Tisch. Doch es ergeben sich auch neue Komplikationen, wie etwa die Europawahl, die im Mai stattfindet. Die EU wird Gross­britannien eine Verlängerung der Austritts­verhandlungen über den Frühling hinaus kaum gewähren.


Algerien: Winkelzüge des Bouteflika-Regimes

Darum geht es: Hunderttausende Menschen protestierten in den letzten Wochen in Algerien gegen eine angekündigte fünfte Kandidatur des Langzeit­präsidenten Abdelaziz Bouteflika. Am Montag kündigte der Präsident an, auf eine weitere Kandidatur zu verzichten, und verschob den Wahltermin. Zufrieden sind damit trotzdem die wenigsten.

Die Proteste gehen nach Bouteflikas halbem Rücktritt weiter: Demonstrierende algerische Lehrerinnen am 13. März in Algier. Mohamed Messara/EPA/Keystone

Warum das wichtig ist: Für die Demonstrierenden in Algier war es ein überraschender Schritt der Führungs­elite des Landes. Premier­minister Ahmed Ouyahia trat zurück, und die Regierung kündigte eine Verfassungs­reform an, über welche die Bevölkerung Anfang 2020 abstimmen solle. Das klingt nach einem Erfolg der andauernden Proteste. Doch die vielversprechende Ankündigung mag die Unzufriedenen kaum besänftigen. Bouteflika soll bis zur Abstimmung über die Reform und damit ein Jahr über die reguläre Amtszeit hinaus Präsident bleiben. Eine «nationale Konferenz» aus allen gesellschaftlichen Gruppen und Parteien soll an der neuen Verfassung arbeiten. Viele Menschen befürchten, dass die Machtelite, bestehend aus Politikern, Generälen und Oligarchen, im Prozess der Reform ihre Macht nicht einfach so abgeben wird. Das Fazit einer Protestierenden in Algier: «Wir wollten eine Wahl ohne Bouteflika, jetzt haben wir Bouteflika ohne eine Wahl.» Algeriens Präsident ist seit bald zwanzig Jahren im Amt. Seine jeweilige Wiederwahl errang er mit fragwürdigen Methoden. Bouteflika ist gesundheitlich angeschlagen und war vor seiner Rückkehr nach Algerien vergangene Woche für zwei Wochen zur Behandlung in Genf. Das Land litt vor seinem Amts­antritt während fast eines Jahrzehnts unter einem Bürger­krieg mit 200’000 Opfern.

Was als Nächstes geschieht: Die Proteste gingen auch nach der Ankündigung vom Montag weiter. Den Algerierinnen genügt der halbe Rücktritt Bouteflikas nicht. Ob sich die Bewegung gegen die mächtige Elite im Land behaupten kann, wird sich mit der Mobilisierung der nächsten Zeit zeigen.


Boeing 737 nach Unfall fast weltweit am Boden

Darum geht es: Nach dem Absturz kurz nach dem Start eines Boeing-Flugzeugs in Äthiopien verhängen alle grossen Aviatik­nationen einen temporären Flugstopp für diesen Flugzeug­typ. Sie forcierten dieses Grounding des Modells 737 Max 8, bis weitere Abklärungen zur Unfall­ursache stattfinden.

Die Boeing 737 Max 8 der Ethiopian Airlines stürzte nur Minuten nach ihrem Start in Addis Abeba ab. Die äthiopischen Behörden haben nun die französische Flugaufsicht beauftragt, die Black Box auszuwerten. Jemal Countess/Getty Images

Warum das wichtig ist: 157 Menschen verloren beim Absturz der Maschine der Ethiopian Airlines ihr Leben. Nun trauen neben der EU, China, Indien und vielen anderen Ländern auch die USA und Kanada dem Bestseller des amerikanischen Flugzeug­herstellers nicht mehr. Die US-amerikanische Flugbehörde hatte sich erst nach langem Zögern für ein Grounding entschlossen, Vorreiter war China. Vergangenen Oktober stürzte bereits eine andere Boeing 737 Max 8 der indonesischen Lion Air mit 189 Passagieren kurz nach dem Start bei Java ins Meer. Bei diesem Flugzeugtyp handelt es sich nicht etwa um eine veraltete Maschine, sondern um ein neues Modell. Für den Absturz der Lion-Air-Maschine wird eine Software verantwortlich gemacht, die den Auftrieb des Flugzeuges regulieren sollte.

Was als Nächstes geschieht: Ob die beiden Crashs miteinander in Verbindung stehen, ist derzeit noch unklar. Die amerikanischen Behörden hatten darauf gedrängt, die Flugdaten der Black Box der Unfall­maschine auswerten zu dürfen. Die äthiopischen Behörden haben stattdessen die französische Flugaufsicht mit der Auswertung beauftragt. Bei der Auswertung steht auch die Zukunft des amerikanischen Flugzeugkonzerns auf dem Spiel.


Brexit-Star der Woche: Geoffrey Cox

Hat Geoffrey Cox mit einem einzigen Satz den Austritts­deal von Theresa May endgültig versenkt? Cox ist der General­staatsanwalt des Vereinigten Königreichs, und am Dienstag sagte er im britischen Unterhaus: «Das rechtliche Risiko bleibt unverändert.» Damit meinte Cox: Die EU möge noch so sehr beteuern, dass sie den umstrittenen irischen backstop gar nie anwenden wolle. Rechtlich gesehen seien diese Zusicherungen wertlos. Daraufhin kippte die Stimmung unter den konservativen Abgeordneten. Im Minuten­takt sprach sich einer nach dem anderen gegen Mays Deal aus. Ausgerechnet wegen Cox also, dessen Job es noch im Februar war, der EU das eine oder andere Zugeständnis abzuringen. In Brüssel waren sein energischer Ton und die teils redundanten Forderungen auf wenig Anklang gestossen: Seither nennen britische Parlamentarierinnen seine Errungenschaften in Brüssel spottend «Cox’s codpiece»: Cox’ Schamkapsel.


Zum Schluss: AKK – der verhängnisvollste Witz des Jahres?

Zur Fasnachts­zeit nehmen es manche mit der politischen Korrektheit etwas lockerer. Zu locker? Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer machte in Baden-Württemberg vor zwei Wochen einen Witz auf Kosten von Intersexuellen. So verstanden ihren Auftritt mit Basken­mütze zumindest ihre politischen Gegner, die sie dafür scharf kritisierten. AKK verteidigte sich später mit der Tradition des Karnevals, bei dem man «nicht alles auf die Goldwaage legen muss». Den lustigen Aussetzer der designierten Merkel-Nachfolgerin legt die Koalitions­partnerin SPD aber sehr wohl auf die Waage. Zusammen mit mehreren anderen Aussagen, mit denen AKK ihr konservatives Profil in den letzten Wochen schärfte. Im Verlauf dieser Woche wurde immer klarer, dass die Führungs­spitze der SPD offenbar nicht mitspielen will, sollte die CDU einen fliegenden Wechsel der Kanzlerinnen veranstalten wollen. Manches ist eben noch nicht mal zur Fasnacht lustig.


Top-Storys: Happy Birthday, World Wide Web!

Frauen an den Code: Als «Computer» für die meisten noch ein Fremdwort war, leisteten Programmiererinnen Pionier­arbeit. Das «New York Times Magazine» geht der Frage nach, weshalb sich der Beruf seither zur Männer­domäne entwickelt hat.

Die Geldwäscher von Zürich: Ein kleines, unscheinbares Lokal im Zürcher Kreis 4 war eine riesige Wasch­maschine für Drogengeld der ’Ndrangheta und südamerikanischer Kartelle. Florian Schoop und Fabian Baumgartner erzählen in der «NZZ» die Geschichte eines skrupellosen Ehepaars.

Like, like, like: Facebook hat ein Imageproblem. Aber nicht in der Luxus­industrie. Morin Oluwoles Job ist es, die Plattform für Louis Vuitton und andere attraktiv zu machen. Ihr Porträt in der «New York Times» besticht.

Verschwörungsplattform: Es ist einfach, sich während Stunden in den wildesten Theorien auf Youtube zu verlieren. Die Video­plattform ist als Schleuder von Verschwörungs­theorien bekannt. Neuerdings scheint sich Youtube aber selbst daran zu stören, wie die «Zeit» schreibt.

Die Geschichte des Dreckhäufchens: Historikerinnen haben so ihre liebe Mühe mit dem Internet, das nicht gerade für die Beständigkeit seiner Inhalte bekannt ist. Eines ist nun zumindest dank der «Emojipedia» klar: Das Dreck­häufchen 💩 ist älter, als man bislang meinte.

Desperate housewives: Wer hätte schon nicht gerne, dass seine Kinder die beste Ausbildung geniessen? Offenbar halfen in den USA diverse wohlhabende und prominente Eltern ihren Sprösslingen dabei aber auf unerlaubte Weise nach, wie «The Guardian» berichtet.

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