Die braune Gesinnung bleibt
Der – ehemalige? – Sänger der Rechtsrockband Amok ist zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er hatte im Sommer 2015 in Zürich einen jüdischen Mann attackiert. Der bekennende Rechtsextreme bestreitet die Tat bis heute.
Von Brigitte Hürlimann, 27.02.2019
Ort: Obergericht des Kantons Zürich
Zeit: 26. Februar 2019, 8 Uhr
Fall-Nr.: SB180224
Thema: Rassendiskriminierung
Die Anspannung ist ihm anzusehen, doch vor der Urteilseröffnung bekommt er Support. Die Freundin ist zu ihm gestossen, gemeinsam wartet das Paar vor dem Gerichtssaal, flankiert von Kumpels, und auch die sieben Monate alte gemeinsame Tochter ist mit von der Partie. Die Kleine zaubert ihrem Papa ein Lächeln auf die Lippen, er wiegt sie in seinen Armen, wirkt schon deutlich entspannter – bis sich die Tür zum Gerichtssaal wieder öffnet.
Es ist eine rührende Szene. Man darf einfach nicht daran denken, was der frischgebackene Vater von sich gibt, wenn er als Amok-Sänger auf der Bühne steht. Oder auf der Bühne stand, wie er sagt, will er doch angeblich kein Musiker mehr sein: «Die Band wurde aufgelöst, aus verschiedenen Gründen», beteuert er vor dem Obergericht. Letzten März, am erstinstanzlichen Prozess vor dem Bezirksgericht Zürich, war davon noch nicht die Rede. Und auf die Gründe der Bandauflösung geht der 31-Jährige nicht näher ein, das ist auch nicht Thema der neusten Vorkommnisse.
Wegen gewisser Amok-Texte ist der bekennende Rechtsextreme 2010 in Luzern verurteilt worden. So singt (oder sang) er beispielsweise den Tod eines ihm unliebsamen Journalisten herbei; von einem Messer in den Rücken ist unter anderem die Rede. In einem weiteren Lied wird der Holocaust geleugnet, in einem dritten Text einem «Nigger» mit dem Galgen gedroht. Und so weiter und so fort.
Bleibt zu hoffen, dass er diese Abscheulichkeiten wenigstens nicht seiner kleinen Tochter ins Ohr trällert.
Doch wie gesagt: Um die Amok-Texte und die Auftritte im In- und Ausland geht es vor dem Zürcher Obergericht nur am Rande, nämlich dann, wenn von den einschlägigen Vorstrafen die Rede ist. Das dreiköpfige Gerichtsgremium unter dem Vorsitz von Marco Ruggli hat einen Vorfall zu beurteilen, der im Juli 2015 im Zürcher Quartier Wiedikon geschah; einem Quartier notabene, in dem viele jüdisch-orthodoxe Familien leben. Der Metzger aus dem Zürcher Oberland war damals für einen Polterabend in die Stadt gefahren. In den frühen Abendstunden kam es auf der Strasse zur Begegnung zwischen dem braunen, betrunkenen Mob und einem älteren jüdischen Mann – was der Beschuldigte nicht bestreitet.
Der bullige, bis zu den Ohren hinauf tätowierte Neonazi will einfach nicht jener gewesen sein, der den älteren Mann anpöbelte und anspuckte; auf offener Strasse, am helllichten Tag, im Beisein weiterer Passanten. Es fielen Sprüche wie: «Scheissjude.» «Wir werden euch alle vergasen.» «Wir schicken euch nach Auschwitz.» Dazu rief der Täter «Heil Hitler» und streckte den Arm zum Hitlergruss aus. Der jüdisch-orthodoxe Mann lief weg und rief um Hilfe. Sein Widersacher folgte ihm und erhob die Faust. Eine junge Frau beobachtete die Szene und stellte sich schützend vor den Bedrohten. Für ihre Zivilcourage wurde sie im November letzten Jahres mit dem Fischhof-Preis der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Eine verdiente Ehre.
Der Metzger und Rechtsrocksänger verleugnet die schlimmen Vorfälle nicht, auch nicht seine Teilnahme am Polterabend mit den braun gesinnten Gästen. Doch er sagt, er sei es nicht gewesen. Er sei weder der Spucker, noch habe er den Mann beschimpft oder bedroht. Es liege eine Verwechslung vor. Er sei freizusprechen. Beim Schlusswort spricht er von seinen beruflichen Perspektiven und seinen neuen Verpflichtungen als Familienvater. Er beklagt sich über die Medien, von denen er «zerfetzt» und zum Monster abgestempelt worden sei; zweimal habe er wegen der Medienberichte umziehen müssen.
Was auffällt: Er distanziert sich nicht von der rechtsextremen Szene. Er bedauert den Vorfall in Zürich-Wiedikon nicht. Er äussert kein Wort des Mitleids oder der Entschuldigung gegenüber dem jüdischen Mann, sondern nur das vage Eingeständnis, er habe es früher «eindeutig auf die Spitze getrieben». Und heute?
Sein Verteidiger Jürg Krumm weist zu Recht darauf hin, dass es im Strafrecht nicht darum geht, eine wie auch immer geartete Gesinnung zu bestrafen. Krumm nennt es gar «weltfremd», zu denken, dass sich sein Klient von der rechten Gesinnung verabschiedet habe, doch dieser mache nicht mehr im harten Kern der Rechtsextremen mit. Die Familie stehe heute im Vordergrund, was nicht heisse, dass es keine Freunde im «ziemlich rechten Kreis» mehr gebe, doch das sei nicht strafbar.
Der Verteidiger appelliert «an die Vernunft des Gerichts» und beteuert, es lägen keine rechtsgenügenden Beweise für die Täterschaft seines Klienten vor: «Er darf nicht zum Sündenbock gemacht werden.» Eine Verwechslung sei nicht auszuschliessen, die Beweislage «lasch», und dieser Farce müsse ein Ende gesetzt werden. Auch Krumm beklagt die Berichte in den Medien, überhaupt das grosse öffentliche Interesse am Fall, und er befürchtet, die Richterinnen und Richter könnten sich alleine deswegen zu einem Schuldspruch hinreissen lassen. Das gehe nicht an, so Krumm, die Untersuchung sei gescheitert, der Sachverhalt könne nicht bestätigt werden.
Die Oberrichterin und die zwei Oberrichter eröffnen um 11 Uhr ihr Urteil, der 31-jährige Mann nimmt das Verdikt stehend entgegen. Er wird auch von der Berufungsinstanz wegen Rassendiskriminierung schuldig gesprochen – allerdings in einem geringeren Umfang, als es noch das Bezirksgericht Zürich tat.
Das Obergericht verzichtet darauf, ihn zusätzlich zur Rassendiskriminierung auch noch wegen Tätlichkeit zu verurteilen (wegen des Anspuckens), weil die Tätlichkeit explizit in Artikel 261bis Absatz 4 des Strafgesetzbuches erwähnt wird. Ausserdem werden der Hitlergruss und die «Heil Hitler»-Rufe nicht bestraft. Beim Vorfall in Wiedikon sei es nämlich nicht darum gegangen, für eine Ideologie Werbung zu machen.
Damit stützt sich das Obergericht auf einen jüngeren Entscheid des Bundesgerichts, das in BGE 140 IV 102 eine Veranstaltung von Rechtsextremen auf der Rütliwiese zu beurteilen hatte. Damals erhoben rund 150 Männer und Frauen den Arm zum Hitlergruss, was von unbeteiligten Wanderern beobachtet werden konnte. Das Bundesgericht fand dennoch, die Aktion könne nicht als Verbreitung, Werbung oder Propaganda für eine Ideologie qualifiziert werden, wie es im einschlägigen Tatbestand verlangt wird.
Abgesehen davon zweifelt das Obergericht jedoch nicht an der Täterschaft des 31-Jährigen. Sein Opfer hatte ihn noch an Ort und Stelle gegenüber der Polizei identifiziert. Bei einer späteren Wahlkonfrontation konnte der ältere Mann seinen Übeltäter zwar nicht mehr bezeichnen, doch das Gericht stellt auf die erste, unmittelbare Aussage ab, die von Zeugen bestätigt wird.
Der Metzger aus dem Zürcher Oberland kommt in der zweiten Prozessrunde deutlich besser weg als noch vor dem Bezirksgericht. Er kassiert zwar eine unbedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, die wird er aber vermutlich in Halbgefangenschaft vollziehen können. Auf den Widerruf zweier bedingt ausgefällter Vorstrafen verzichtet das Obergericht, es verlängert nur die jeweiligen Probezeiten.
Damit, so der Gerichtsvorsitzende Marco Ruggli, werde dem Mann eine letzte Chance gewährt. Beim Strafmass hat das Gericht die Vorverurteilung durch die Medien und die lange Verfahrensdauer mitberücksichtigt. Auch diese Hinweise dürfte der Neonazi gerne gehört haben.
In den Zuschauerreihen hinter ihm sitzt übrigens unter anderem jener Luzerner Journalist, dem er in einem Amok-Lied den Tod gewünscht hat. Aber eben: Fortan wird der Familienvater seine braune Gesinnung ja gesittet ausleben. Hat er auf jeden Fall vor Gericht einmal mehr versprochen.
Illustration: Friederike Hantel