Binswanger

Die Zombies von der Bahnhofstrasse

Die UBS ist in Paris zu einer Rekord­busse verurteilt worden, bleibt aber von ihrer völligen Unschuld überzeugt.

Von Daniel Binswanger, 23.02.2019

Man muss an die Klassiker des Horrorfilms denken, zum Beispiel «Die Nacht der lebenden Toten» von George Romero. Der Plot in diesen Werken ist immer gleich: Die Zombies wollen die Lebenden fressen, vermehren sich epidemisch und sind – weil untot – einfach nicht umzubringen. Wenn die Zombies erst mal los sind – dann gute Nacht.

Genau einem solchen Drehbuch scheint jetzt auch die UBS, also die wichtigste Schweizer Grossbank, mit ihrer juristischen Strategie zu folgen: Vor zehn Jahren läutete die amerikanische Justiz mit ihrem brutalen Vorgehen gegen das Schwarzgeld­geschäft des weltgrössten Vermögens­verwalters das Ende des Schweizer Bank­geheimnisses ein. Es war ein Horror­szenario, ein Ende mit Schrecken. Doch nun stellt sich heraus: Die UBS setzt auf den Schrecken ohne Ende.

Eine geschlagene Dekade nach dem faktischen Ableben des Bank­geheimnisses wird die UBS von der französischen Justiz zur grössten Busse der Schweizer Wirtschafts­geschichte verurteilt (insgesamt über 5 Milliarden Franken), zieht den Entscheid weiter – und wird also noch lange, lange Jahre unter der Drohung untoter Altlasten leben müssen.

Eine eher ungewöhnliche Klage

Dass es überhaupt zu diesem Prozess gekommen ist, liegt daran, dass die UBS sich auf einen Vergleich bis heute nicht hat einlassen wollen. Dass der Prozess, der Tatbestände aus den Jahren 2004 bis 2012 verhandelte, erst jetzt stattfinden konnte, ist unter anderem auch der Tatsache geschuldet, dass die UBS am Europäischen Gerichtshof für Menschen­rechte in Strassburg eine, sagen wir mal, eher ungewöhnliche Klage einreichte, weil sie von der französischen Justiz gezwungen wurde, eine Kaution von 1,1 Milliarden Euro zu hinterlegen.

Falls Sie sich wundern, dass ausgerechnet die UBS in einem Verfahren, das ihre Schwarzgeld­geschäfte juristisch bereinigen soll, als erstes Finanz­institut überhaupt in der Geschichte des Europäischen Gerichtshofs ihre «Menschen­rechte» gegen den französischen Staat einklagen wollte – wir wundern uns auch. Falls Sie sich nicht darüber wundern, dass der Gerichtshof für Menschenrechte unter Verweis auf die «wachsende und legitime Sorge über Finanzdelikte» und auf die «finanziellen Ressourcen der Antrag­stellerin» die UBS-Klage einstimmig abschmetterte – wir wundern uns auch nicht.

Bei der UBS jedoch sieht man alles ein bisschen anders: Sie betrachtet sich als unschuldig, ohne Fehl und Tadel, im Recht. Sie weist jedes Schuld­eingeständnis weit von sich und betrachtet sich als Opfer eines politisch motivierten Justiz­skandals. Sie will sich durch alle Instanzen klagen und wird diese Strategie nicht nur mit dem Preis der endlosen Verschleppung, sondern, so wie es heute aussieht, wahrscheinlich auch mit einer extrem kostspieligen Niederlage bezahlen.

Das Schwarzgeld­geschäft ist gestorben – offiziell zumindest –, aber die Überzeugung, mit der Beihilfe zur Steuer­hinterziehung nicht im Allergeringsten ein Delikt zu begehen, will offensichtlich das Zeitliche nicht segnen. Die Untoten sind los an der Bahnhof­strasse und sehen sich heute wie gestern in ihrem guten, unantastbaren Recht.

Wie die Jungfrau zum Kind

Zugegeben: Irgendetwas werden sich UBS-CEO Sergio Ermotti, Chefjurist Markus Diethelm und das zweifellos wohlbestallte legal team vermutlich gedacht haben. Sie scheinen der Überzeugung zu sein, mit dem Argument durchzukommen, es könne ihnen die Mittäterschaft bei Steuer­hinter­ziehung nicht nachgewiesen werden. Sie müssen von der eigenen juristischen Virtuosität eine hohe Meinung haben. Denn nur schon ein summarischer Blick auf die Grundzüge des Falls lässt die Sachlage – jedenfalls für den unbedarften Laien – als verzweifelt eindeutig erscheinen.

Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass die französischen Staats­anwälte aufgrund von Daten, die ihnen von den deutschen Behörden zur Verfügung gestellt wurden, die französischen Schwarz­gelder, die bei der UBS gebunkert wurden, auf über 10 Milliarden Euro beziffern können. Nur schon im Rahmen des Selbstanzeige-Programms, das im Januar 2014 von Frankreich lanciert wurde, sind 3,7 Milliarden Euro Schwarzgeld von 4000 reuigen UBS-Kunden aus der Schweiz nach Frankreich repatriiert worden. Diese gewaltigen Summen sind nicht strittig. Die UBS argumentiert vielmehr, dass sie zu den illegalen Einlagen gekommen sei wie die Jungfrau zum Kind: ohne Wissen, ohne Absicht, völlig unschuldig. Nur schon die Höhe der Summen, um die es geht, lässt dieses Verteidigungs­konstrukt als, sagen wir mal, gewagt erscheinen.

Noch fragiler ist es jedoch aufgrund der Tatsache, dass mehrere Ex-UBS-Mitarbeiter gegen die Bank ausgesagt und ein ausgeklügeltes System beschrieben haben, mit dem die Tochter­gesellschaft UBS France den Vermögens­verwaltern der Schweizer UBS Kunden und Schwarz­geld­kapital zugeschoben haben soll. Nicht nur organisierte die französische Bank einen endlosen Reigen von Veranstaltungen – Kulturevents, Golfturniere, VIP-Logen in Roland Garros –, um finanzkräftige Kundschaft anzugehen. An all diesen Anlässen waren auch immer Kunden­beraterinnen aus der Schweiz in grosser Zahl vertreten, vermutlich nicht zur kulturellen Fortbildung.

Das System «Milchbüchlein»

Zudem führte die UBS France ein sogenanntes «Milch­büchlein» (es hiess wirklich so), das heisst ein besonderes Abrechnungs­system zur Kalkulation der Boni. Darin wurde aufgelistet, wie viel Kapital die französischen Kundenberater in die Schweiz umlenken konnten. Hätten die französischen UBS-Mitarbeiterinnen für die Beihilfe zur Schwarzgeld­akquise keinen Anreiz gehabt, wäre das Offshore-Geschäft mit undeklariertem französischem Kapital wohl niemals ein so durchschlagender Erfolg gewesen.

Nicht ganz überraschend bestand der zweite Pfeiler der UBS-Verteidigungs­strategie darin, die Glaubwürdigkeit der Belastungs­zeugen in Zweifel zu ziehen. Auch in diesem Kontext kann man sich über das Schweizer legal team nur wundern: Erstens wurden in älteren Verfahren diese überein­stimmenden, von verschiedenen Ex-Mitarbeitern gemachten Aussagen als glaubwürdig eingestuft. Weshalb die französische Justiz plötzlich zu einer diametral entgegengesetzten Auffassung kommen soll, scheint nicht ganz einsichtig. Zweitens ist es mitnichten so, dass die Anklage nur auf Zeugen­aussagen beruht. Es gibt eine umfangreiche Dokumentation von Mails, SMS, paraphierten Gesprächs­protokollen, die zu Teilen in der französischen Presse publiziert wurden und das System des «Milch­büchleins» klar belegen.

Die Urteilsbegründung lässt denn auch wenig Zweifel an der richterlichen Einschätzung des Sachverhalts. Sie spricht von einer «vertikal strukturierten, systematischen, althergebrachten Organisation» des Steuer­betrugs. Dass die Bank, die über lange Jahre 10 Milliarden Euro französisches Schwarzgeld in ihren Tresoren bunkerte, diese Beurteilung noch wird drehen können, erscheint, sagen wir mal, unwahrscheinlich.

Stattdessen nimmt die UBS nun Zuflucht zu massiven Vorwürfen gegen die französische Justiz. Flächendeckend wird die Rekord­busse in den Schweizer Medien als politisches Urteil, ja als Reaktion auf die Gelbwesten dargestellt. Allerdings fand der UBS-Prozess in Paris vom 8. Oktober bis zum 16. November statt. Zur ersten Pariser Demonstration der Gelbwesten kam es am 17. November. Das Urteil in dem Fall ist zwar erst diese Woche verkündet worden. Aber die These, dass im Anschluss an eine sechswöchige Verhandlung das Gericht quasi über Nacht dazu übergegangen sei, sich von der Tages­aktualität seine Recht­sprechung diktieren zu lassen, ist eher abenteuerlich.

Die Verteidigungs­strategie der UBS scheint weitgehend darin zu bestehen, Frankreich als Bananen­republik hinzustellen, die zu sauberen rechts­staatlichen Verfahren nicht imstande ist. Als aus der Not geborenes Wording für die öffentliche Kommunikation mag das durchgehen. Das französische Appellations­gericht dürfte jedoch unbeeindruckt bleiben.

Es bleibt spannend, wie die Sache enden wird. Wenn die UBS den Rechtsfall definitiv verlieren sollte, könnte dies für den ganzen helvetischen Finanz­platz eine Ketten­reaktion auslösen. Es stellt sich erstens die Frage, ob der französische Staat gegen andere Banken vorgehen wird, und es droht zweitens das Szenario, dass auch andere europäische Staaten – insbesondere Italien und Spanien – Straf­untersuchungen gegen Schweizer Finanz­institute einleiten und ihrerseits anfangen, gigantische Bussen auszusprechen.

Es wäre auch anders gegangen. Es hätte die Option gegeben, einen Vergleich auszuhandeln, ein Schuld­eingeständnis zu machen, mit der Vergangenheit abzuschliessen. Aber das Unschulds­bewusstsein unserer Private Banker ist nun einmal nicht totzukriegen. Und wenn die Zombies erst mal los sind – dann gute Nacht.

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