Höchstrichterlicher Support für Opfer von Menschenhandel
Von Brigitte Hürlimann, 14.02.2019
Es ist zwar nur ein kleiner, aber doch kein unwesentlicher Schritt – und er ist nach langem Ringen und «nur» im Mehrheitsentscheid zustande gekommen: mit drei gegen zwei Stimmen. Das Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in Lausanne stellt eine Chance mehr dar, dass künftig auch in der Schweiz Menschenhandel effizienter und energischer bekämpft wird. Dass die Täter gefasst und bestraft, die Opfer geschützt werden. Das eine hängt eng mit dem anderen zusammen: Kooperieren mutmassliche Opfer nicht mit den Strafverfolgungsbehörden, gelingt es kaum, den Menschenhändlern das Handwerk zu legen. Und solche Kooperationen sind nur möglich, wenn die Opfer einigermassen stabil sind, den Behörden vertrauen, für Einvernahmen zur Verfügung stehen und bereit sind, erhebliche Risiken für sich und ihre Familien einzugehen. Menschenhändler sind eine skrupellose Bande.
Das an sich schon komplizierte Prozedere wird nochmals deutlich erschwert, wenn es sich beim mutmasslichen Opfer um eine Asylbewerberin handelt. Dann tendieren die Behörden dazu, dem Asylverfahren den Vorrang zu geben und vor allem in Dublin-Fällen die Betroffenen sehr rasch und sehr konsequent auszuweisen – unabhängig von den Bedürfnissen der Strafverfolger.
Um genau so einen Fall drehte sich die öffentliche Urteilsberatung vor Bundesgericht. Eine Kenianerin war über Italien in die Schweiz eingereist, weshalb das Staatssekretariat für Migration gestützt auf das Dublin-Abkommen nicht auf ihr Asylgesuch eintrat und die Ausweisung nach Italien verfügte. Monate später machte die Frau geltend, in der Schweiz Opfer von Menschenhandel geworden zu sein. Das ist übrigens keine ungewöhnliche Ausgangslage: Wer mit einem gefährdeten Aufenthaltsrecht in einem Land lebt, gerät leicht in die Hände krimineller Ausbeuter.
Die Kenianerin ersuchte um eine Kurzaufenthaltsbewilligung für die Dauer des Strafverfahrens. Diese wurde ihr im Kanton Zürich nicht erteilt: wegen der Ausschliesslichkeit des Asylverfahrens, die verhindere, dass eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung erteilt werden könne. Und weil es auch im Rahmen des behördlichen Ermessens nicht nötig sei, wegen der Menschenhandelsvorwürfe eine Ausnahme zu machen. Die Frau müsse ja nur zurück nach Italien reisen und sei von dort aus für die hiesigen Strafverfolger verfügbar.
Dieser Auffassung folgt das Bundesgericht nicht. Es betont die Interessen der Strafverfolger an einer effizienten Untersuchung – und bejaht den Anspruch der Frau auf eine Kurzaufenthaltsbewilligung. Das höchste Gericht analysiert die einschlägigen Normen der Asyl- und Ausländergesetzgebung und legt diese im Lichte der völkerrechtlichen Verträge aus, die für die Schweiz bindend sind. Das sind in erster Linie die Europäische Menschenrechtskonvention und das Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels.
Dieser Blickwinkel und die Intention, die eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen ernst zu nehmen, führen zur Stärkung der Opfer: allerdings in einem begrenzten Umfang. Kooperieren sie nicht mit den Strafverfolgungsbehörden, haben sie als Asylsuchende oder als Ausländerinnen ohne Aufenthaltsrecht immer noch schlechte Chancen, in der Schweiz bleiben zu dürfen. Daran ändert auch der jüngste Bundesgerichtsentscheid nichts.
Urteil des Bundesgerichts 2C_373/2017 vom 14. Februar 2019.