Das Leben spielt

Wie das Löwendenkmal zum Goldesel wurde

Von Jana Avanzini, 07.02.2019

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Tourismus bringt Geld, das weiss man in Luzern. Massen­tourismus bringt massenhaft Geld, das weiss man am Grendel. Und Touristen­gruppen funktionieren ähnlich wie Schafherden, das weiss man einfach so. Beginnen nun ein paar wenige Schafe damit, zum Löwen hin zu trotten, um ihn zu bestaunen, dauert es nicht lange, bis es ihnen ganz viele weitere Schafe gleichtun. Beginnen ein paar wenige Touristen damit, dem Weiher vor dem steinernen Löwen Münzen zu opfern, dauert es nicht lange, bis es ihnen ganz viele weitere Touristen gleichtun. So landen täglich Hunderte Münzen im Weiher vor dem Löwen in Luzern.

Geld, geopfert für Glück in der Liebe, Erfolg mit der Karriere oder dem Gruppendruck.

Eines Abends sassen drei junge Frauen vor diesem Weiher. Sie wollten sich Zigaretten kaufen, aber sie hatten kein Geld.

Der Entscheid ist gefallen, pragmatisch, ohne Drama oder Mutprobe. Schon sind sie drin. Ihre Füsse berühren den Teppich aus Geld. Tief ist das Wasser nicht. Mit den Händen schaufeln sie die Münzen zu Haufen zusammen, schieben sie Richtung Beckenrand und heben sie auf den gepflasterten Platz.

Es sind 400 Franken, die sie in der ersten Nacht nach Hause tragen. Beim zweiten Mal sind es 600. Dazu ein Haufen fremdländischer Währungen. Dieses Mal sind sie mit Taucherbrille und einem Interdiscount-Plastiksack ausgerüstet. Ein Freund steht Schmiere hinter der Mauer.

Beim nächsten Ausflug wieder 400. Tagsüber wird ausgezählt und recherchiert, wann der künstlich angelegte Weiher gereinigt wird.

Zu Hause türmen sich die algenbewachsenen Münzen. Mit Seife, mit Bürste und Muskelkraft ist nichts zu machen. Das Grün geht nicht ab. Sie beginnen, einzelne dieser befleckten Münzen unter ihr Kleingeld zu mischen. Unauffällig bleiben lautet die Devise, mit über tausend Franken Beute.

Der Selecta-Automat vor dem nahen Einkaufs­zentrum wird zum Komplizen. Hier «waschen» sie ihr Geld. Bis zu 20 Franken schmieriger Münzen landen im Schlitz, angewählt wird ein möglichst günstiges Produkt, und heraus kommt der Rest in sauberen Münzen.

Das gewaschene Geld bleibt unter dem Bett. Wer Zigaretten braucht oder wem das Taschengeld ausgeht, der kommt und bedient sich. Es reicht für Monate.

Mittlerweile haben die drei ihre nächtlichen Tauchgänge eingestellt. Sie verdienen ihr Geld nun weniger abenteuerlich. Sie sind nun Lehrerinnen. Der Schuh­karton mit den ausländischen Münzen landete beim letzten Umzug im Müll. Doch das schlechte Gewissen blieb. Bestimmt hätte der Gletscher­garten mit dem Geld seine musealen Artefakte restauriert, glaubten sie. Und ist es nicht verboten?

Nein, strafbar gemacht haben sie sich nicht. Wer Geld in einen Brunnen oder Weiher wirft, gibt seinen «Besitzanspruch» daran auf. Und amtlich verboten ist das Tauchen vor dem Löwen­denkmal auch nicht.

Trotzdem, stolz sind sie bis heute nicht auf ihr Abenteuer. Inzwischen wissen sie: Nicht einem Museum kommt das Geld zugute, das städtische Angestellte regelmässig aus dem Brunnen fischen, sondern Menschen mit geistiger Behinderung. Nein, sie würden es nicht wieder tun, in den Brunnen steigen. Selbst wenn sie noch so dringend rauchen wollten.