Tiefe Prämien, tiefe Steuern – und viele Heuchler
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (42).
Von Andrea Arezina und Urs Bruderer, 31.01.2019
Die Delegiertenversammlung der SVP hatte es in sich: Ein welscher SVPler sagte in der Diskussion um das neue Parteiprogramm, wenn die Partei nicht für die Gleichstellung von Hetero- und Homoehen sei, habe er hier nichts mehr verloren. Auch der Zürcher Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt sprach sich für die Homoehe aus, weil es den Staat nichts angehe, wer mit wem zusammenleben wolle.
Vergebens. Die Delegierten sprachen sich gegen die Homoehe aus, wenn auch erstaunlich knapp (mit 166 gegen 126 Stimmen). Und so heisst es nun im neuen Parteiprogramm, dass man «keine absolute Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit der Ehe» wolle.
Das SVP-Parteiprogramm bleibt damit eindeutig zweideutig. Es spricht sich gegen die Homoehe aus und fordert wenige Zeilen später «möglichst viel Freiheit und möglichst wenig staatliche Bevormundung».
Der welsche SVP-Delegierte liess seinen Worten übrigens Taten folgen, er verliess nach der Abstimmung den Saal. Jener Bündner Delegierte, der meinte, er sei einfach gestrickt und für ihn sei die Ehe ein Ding zwischen Frau und Mann, darf sich dem wohligen Gefühl hingeben, in seiner Partei noch in der Mehrheit zu sein. Aber immerhin: Die Konfliktlinie um die Rechte von Schwulen und Lesben verläuft heute mitten durch die SVP.
Und damit zum weniger einfach gestrickten Briefing aus Bern.
Missglückte Sparaktion in Luzern
Worum es geht: Der Kanton Luzern muss Verbilligungen der Krankenkassenprämien nachzahlen. Nicht nur Wenigverdiener, sondern auch Personen mit einem mittleren Einkommen haben ein Anrecht auf eine finanzielle Entlastung bei den Krankenkassenprämien: Zu diesem Schluss kam das Bundesgericht. Für Luzern heisst das konkret, dass auch Familien mit einem Einkommen über 54’000 Franken im Jahr wieder Verbilligungen bekommen müssen.
Was Sie wissen müssen: In der Schweiz erhalten Personen mit tiefen und mittleren Einkommen eine individuelle Prämienverbilligung. Jede vierte Person profitiert davon. Massgebend ist eine Einkommensgrenze, die von Kanton zu Kanton variiert. Weil er sparen musste, hat der Kanton Luzern diese Einkommensgrenze schrittweise von 100’000 Franken auf 54’000 Franken gesenkt. Und zwar so, dass einige tausend Personen ihre provisorisch ausbezahlte Prämienverbilligung zurückzahlen mussten. Dagegen klagten drei Privatpersonen mit Unterstützung der SP. Das Kantonsgericht wies ihre Klage ab, das Bundesgericht aber hiess sie gut: Die Prämienverbilligung müsse auch Personen mit mittlerem Einkommen erreichen, so sehe es das Krankenversicherungsgesetz vor, und in Luzern sei das nicht mehr der Fall.
Wie es weitergeht: Luzern muss 7870 Familien die zurückgeforderten Prämienverbilligungen erneut ausbezahlen. Das wird den Kanton einige Millionen Franken kosten. Doch das Urteil hat Auswirkungen auf die ganze Schweiz. Die SP fordert sieben weitere Kantone (Bern, Wallis, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Aargau und Neuenburg) auf, ihre widerrechtlich tiefen Einkommensgrenzen für Prämienverbilligungen anzupassen. Falls die Kantone bis in einem Monat nichts unternehmen, droht die Partei mit weiteren Klagen.
Merkwürdige Steuerpraktiken des Ex-Gucci-CEO
Worum es geht: Das Tessin soll dem Ex-CEO des Modekonzerns Gucci fragwürdige Steuerreduktionen gewährt haben. Das zeigen vertrauliche Dokumente, die dem «Tages-Anzeiger» vorliegen.
Was Sie wissen müssen: Der ehemalige Gucci-Manager Patrizio di Marco kommt im Tessin in den Genuss einer Pauschalbesteuerung. Pauschal besteuerte Personen werden nicht nach ihrem tatsächlichen Einkommen und Vermögen besteuert, sondern nach dem geschätzten effektiven Lebensaufwand. Der Kanton Tessin bezifferte diesen bei di Marco auf die minimal möglichen 400’000 Franken. Dass ein Mann, der während Jahren Millionen verdiente und einen Privatjet besitzt, nicht mehr ausgibt, scheint unwahrscheinlich. Kommt hinzu: Pauschal besteuerte Personen dürfen in der Schweiz nicht arbeiten. Di Marco aber soll zu der Zeit, als er bereits pauschal besteuert wurde, als Verwaltungsratspräsident einer Firma in der Schweiz tätig gewesen sein. Und schliesslich: Pauschal besteuerte Ausländerinnen und Ausländer müssen während mindestens 90 Tagen am Stück an ihrer Schweizer Adresse wohnen. Di Marco hat eine Villa in Rom und eine bescheidene Wohnung im Tessin. Wie oft er in dieser Wohnung war, ist unklar. Sie liegt in einem eher düsteren Vorort Luganos namens Paradiso. Steuerparadiso wäre womöglich treffender.
Wie es weitergeht: Der Kanton Tessin dient französischen und italienischen Modeunternehmen als Steueroase. Die Branche ist zum wichtigsten Steuerzahler des Kantons geworden. Zugleich entgehen anderen Staaten wegen Steuertricks wohl Millionen. Das französische Luxusmodeunternehmen Kering ist das Mutterhaus von Gucci. Kering soll einem anderen, in Italien tätigen Gucci-Manager den Millionenlohn grösstenteils über eine Luxemburger Firma ausbezahlt haben. Da auch dieser Manager im Tessin pauschal besteuert war, wurden seine im Ausland verdienten Millionen womöglich nirgendwo versteuert. Reiche Ausländer können sich in allen Kantonen der Schweiz pauschal besteuern lassen ausser in Zürich, den beiden Basel, Schaffhausen und Appenzell Ausserrhoden. Die Enthüllungen um die Gucci-Manager werfen ein schlechtes Licht auf die Steueroase Schweiz und führen wohl einmal mehr zu internationalem Druck.
Blinder Fleck der Bundesanwaltschaft
Was bisher geschah: Das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) kam an die Panama Papers heran, wertete sie aus und stiess dabei auf Hinweise auf Wirtschaftsverbrechen, die andere Länder betreffen. Das BKA wollte darum 17 Ländern eine CD mit den für sie interessanten Daten aus den Panama Papers übergeben. Eines der Länder war die Schweiz. 16 Länder nahmen die Dokumente an. Die Schweiz nicht.
Was Sie wissen müssen: Kein Jahr ist es her, da berichteten Medien weltweit über rechtswidrige Steuerpraktiken, aufgedeckt durch die sogenannten Panama Papers. Ein Drogenboss wurde gefasst, der pakistanische Präsident musste zurücktreten, und ein Ex-Präsident aus El Salvador wurde verklagt. Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt derzeit in Fällen, zu denen es in den Panama Papers Informationen geben könnte. Dennoch durfte der Experte des Bundesamtes für Polizei (Fedpol) die CD der deutschen Kollegen nicht annehmen. Die Schweiz sei an «gesetzliche Grundlagen betreffend Beweiserhebung und Beweisverwertbarkeit gebunden», heisst es vonseiten der Bundesanwaltschaft.
Wie es weitergeht: Die Bundesanwaltschaft behauptet, sie stehe weiterhin in Kontakt mit den deutschen Behörden. Doch deutsche Ermittler sagen offenbar, sie hätten von der Schweiz nichts mehr gehört. Gut möglich, dass die CD mit Informationen zu Schweizer Wirtschaftsverbrechern von den Schweizer Behörden nie abgeholt wird.
Heuchlerin der Woche: Die Schweizer Bevölkerung
«Haben Sie im Erwachsenenalter schon einmal etwas gestohlen?», wollte das Internetportal «Moneyland» in einer repräsentativen Onlineumfrage von 1500 Schweizerinnen und Schweizern wissen. Über die Hälfte sagte: Nein. Die logische nächste Frage wäre gewesen: «Haben Sie in einer Onlineumfrage schon einmal gelogen?» Zumal mit Diebstahl nicht nur Entreiss- oder Taschendiebstähle gemeint waren, sondern auch Delikte, die weniger Geschick und Entschlossenheit erfordern, wie im Restaurant nicht alles zu bezahlen, am Arbeitsplatz etwas mitgehen zu lassen, an der Selbstbedienungskasse etwas nicht zu scannen oder schwarzzufahren. Überraschend auch die regionalen Unterschiede. In der Romandie wird deutlich weniger gestohlen als in der Deutschschweiz. Oder einfach noch mehr gelogen?
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