Wo der Raum eng wird
Die Zersiedelungsinitiative verlangt einen Einzonungsstopp. Wir zeigen, in welchen Gemeinden es bei einer Annahme der Initiative bald kein freies Bauland mehr geben könnte.
Von Simon Schmid, 28.01.2019
Am 10. Februar stimmt die Schweiz über die Zersiedelungsinitiative ab. Das Begehren will die Gesamtfläche, die überbaut werden kann, begrenzen: Neue Bauzonen dürften nur ausgeschieden werden, wenn gleichzeitig eine gleich grosse Landfläche rückgezont und damit wieder der Natur zugeführt würde.
Wie die Initiative genau umgesetzt würde, ist unklar – es müsste wohl ein Handelsplatz für Bauflächen geschaffen werden, über den Gemeinden, die Land einzonen wollten, die Rechte dafür von anderen Gemeinden erwerben könnten, die dafür Land auszonen würden. Ein solcher Handel würde ermöglichen, dass sich Siedlungen bedarfsorientiert entwickeln könnten.
Wie ein solcher Bauflächenhandel funktionieren würde, ist allerdings nicht klar. Niemand weiss, über welche Mechanismen und nach welchen Regeln Gemeinden untereinander Land abtauschen könnten.
So dreht sich dieser Beitrag vorerst um das statische Umsetzungsszenario: Wie stünde es um die Baulandreserven in den Gemeinden, gegeben der Fall, dass sie am Tag nach einem allfälligen Abstimmungs-Ja eingefroren würden?
Siedlungsdruck in Zentrumsnähe
Das Immobiliendienstleistungsbüro IAZI hat dazu einen Datensatz erstellt. Und hat anhand der Daten berechnet, wie viele Jahre es in jeder Gemeinde dauern würde, bis das Bauland – beim aktuell gegebenen Überbauungsstand, Bevölkerungswachstum und Flächenverbrauch pro Person – in dieser Gemeinde vollständig überbaut wäre.
Zu den Stärken und Schwächen dieser Methode kommen wir gleich. Hier erst mal die Top-10-Liste der Gemeinden mit über 10’000 Einwohnern, in denen die Baulandreserven bei einer Fortschreibung der aktuellen Trends und einer Einfrierung der Bauzonen am schnellsten aufgebraucht wären.
Platzmangel in der Agglomeration
Zehn Gemeinden, in denen Land bei einem Einzonungsstopp knapp wird
Gemeinde | zugebaut im Jahr |
---|---|
Wallisellen (ZH) | 2020 |
Opfikon (ZH) | 2021 |
Zürich (ZH) | 2021 |
Lenzburg (AG) | 2022 |
Arth (SZ) | 2023 |
Zollikon (ZH) | 2023 |
Belp (BE) | 2023 |
Bülach (ZH) | 2023 |
Ostermundigen (BE) | 2023 |
Baden (AG) | 2023 |
Quelle: IAZI. Angegeben ist das Jahr, in dem bei gleichbleibendem Bevölkerungswachstum und Platzbedarf pro Person kein eingezontes Bauland mehr vorhanden ist. |
Zuoberst auf der Liste stehen drei Zürcher Gemeinden: Wallisellen, Opfikon und die Stadt Zürich. Hier ist der Platz bereits jetzt knapp: Nur noch rund 6 bis 15 Prozent des eingezonten Baulands sind noch nicht überbaut.
Überdies ist der Siedlungsdruck gross: Das jährliche Bevölkerungswachstum in den drei Gemeinden liegt zwischen 1,6 und 2,6 Prozent. Verhältnismässig viele Menschen wollen also nach Wallisellen, Opfikon oder Zürich ziehen.
Geht man davon aus, dass die Bevölkerung in den kommenden Jahren im selben Mass weiterwächst – und dass die zusätzlichen Leute entsprechend der bisherigen Flächennutzungsziffer von 110 bis 150 Quadratmetern pro Person auf das vorhandene Restland verteilt werden –, so lässt sich der Zeitpunkt berechnen, bei dem in den drei Gemeinden sämtliches Bauland aufgebraucht ist. Dies wäre 2020 in Wallisellen und 2021 in Opfikon und Zürich der Fall.
Die Rechnung ist vergleichsweise simpel – sie berücksichtigt zum Beispiel nicht, dass künftig auch verdichtet gebaut und gewohnt werden kann, dass also der Flächenbedarf pro Person sinken könnte. Gerade deshalb zeigt sie aber gut auf, wo dieser Verdichtungsdruck künftig am grössten sein wird – mit der Zersiedelungsinitiative und zu einem gewissen Grad auch ohne sie.
Wo es Bauland im Überfluss gibt
Die Aufstellung spiegelt, was wir aus der Alltagserfahrung wissen: dass der Wohnraum vor allem in Zentren und suburbanen Gemeinden knapp ist. Anders sieht es am unteren Ende der Liste aus – bei den zehn Gemeinden mit über 10’000 Einwohnern, in denen der Siedlungsdruck am geringsten ist.
Hier finden sich Orte wie Crans-Montana, Aesch und Worb, die vom Amt für Raumentwicklung als touristische oder als einkommensstarke Gemeinden eingestuft werden und in den Kantonen Wallis, Baselland und Bern liegen.
Typisch für diese Gemeinden ist, dass im eingezonten Bauland entweder noch grössere Freiräume bestehen – der unüberbaute Anteil liegt zwischen 10 und 37 Prozent – oder dass die Bevölkerung dort nur langsam wächst. In Crans-Montana, Aesch oder Worb stagnieren die Einwohnerzahlen.
So kommt es, dass die Baulandreserven in diesen Gemeinden trotz grösserem Flächenverbrauch – 164 bis 351 Quadratmeter pro Person – noch länger ausreichen dürften: bei den gegebenen Trends bis in die Jahre 2280, 2511 und 3083.
Grosszügig eingezont
Zehn Gemeinden, in denen es grosse Landreserven gibt
Gemeinde | zugebaut im Jahr |
---|---|
Crans-Montana (VS) | 3083 |
Aesch (BL) | 2511 |
Worb (BE) | 2280 |
Birsfelden (BL) | 2126 |
Thônex (GE) | 2112 |
Versoix (GE) | 2111 |
Uzwil (SG) | 2101 |
Spiez (BE) | 2092 |
Gossau (SG) | 2074 |
Brig-Glis (VS) | 2071 |
Quelle: IAZI. Angegeben ist das Jahr, in dem bei gleichbleibendem Bevölkerungswachstum und Platzbedarf pro Person kein eingezontes Bauland mehr vorhanden ist. |
Natürlich sind diese Jahreszahlen nicht als Prognosen zu verstehen. Sondern als Indikatoren: für den Siedlungsdruck, der in den zuletzt aufgelisteten Ortschaften viel niedriger ist als in den erstgenannten Gemeinden. Dort wird das Land bei den gegebenen Siedlungstrends viel rascher knapp.
Wie heterogen der Siedlungsdruck ist, wird deutlich, wenn man nicht nur die ersten und die letzten zehn, sondern alle grösseren Gemeinden betrachtet.
Die grosse Gemeindematrix
Diese 155 Gemeinden mit einer Einwohnerzahl über 10’000 haben wir in einer Punktegrafik dargestellt. Sie zeigt erstens, wie viele Restjahre je nach Ortschaft bis zur vollständigen Überbauung verbleiben, und erklärt zudem, wie diese Zahl jeweils zustande kommt.
Jede Gemeinde ist darauf mit einem Punkt eingezeichnet. Einwohnerstarke Orte sind grösser, Ortschaften mit wenigen Einwohnern kleiner dargestellt.
Die Position auf der horizontalen Achse entspricht den Restjahren bis zur vollständigen Überbauung, berechnet ab dem Jahr 2017. Wenn also die Gemeinde Neuhausen am Rheinfall (ganz oben in der Mitte) bei einer Restzeit von 10,7 Jahren eingezeichnet ist, bedeutet dies, dass das dortige Bauland voraussichtlich im Jahr 2027 aufgebraucht sein wird.
Die Position auf der vertikalen Achse entspricht dem Anteil des eingezonten Baulands, das bereits überbaut wurde. In den meisten Gemeinden liegt dieser Anteil zwischen 80 und 90 Prozent.
Die Farbe der Punkte ist durch das Bevölkerungswachstum gegeben. Blau bedeutet: Hier liegt das Wachstum im Bereich von 0 bis etwa 1 Prozent. Rot bedeutet, hier liegt das Wachstum bei 2 Prozent und mehr. Gräulich bedeutet: Es liegt irgendwo dazwischen.
Fahren Sie über die einzelnen Punkte, um die Namen und die exakten Werte der Gemeinden anzuzeigen.
In der Raumplanung besteht der Grundsatz, dass die Bauzonen den Bedarf der nächsten 15 Jahre abdecken sollen. Dieser Grundsatz scheint erfüllt: Aus der Grafik geht hervor, dass die meisten Gemeinden tatsächlich in einem Zeitraum von rund 10 bis 20 Jahren überbaut sein würden, falls es beim Bevölkerungswachstum und bei der Verdichtung keine Veränderungen gibt.
Die Gründe dafür können unterschiedlich sein:
In manchen der Gemeinden mit einer Restzeit von 10 bis 20 Jahren ist bereits ein Grossteil der Fläche überbaut – doch die Bevölkerung wächst relativ langsam. Dies ist etwa in Reinach (BL) der Fall.
Andere Gemeinden verfügen über mehr unbebautes Land, wachsen dafür aber umso schneller. Bulle (FR) ist ein solches Beispiel.
Die typische Schweizer Gemeinde mit mindestens 10’000 Einwohnern weist einen Überbauungsanteil von 86 Prozent, ein Bevölkerungswachstum von 1,1 Prozent und eine Restzeit von 16 Jahren bis zur kompletten Überbauung auf.
Kleinere Dörfer, längere Restdauer
Fasst man den Fokus noch weiter und nimmt man alle 2209 Schweizer Gemeinden, für die Daten vorhanden sind, unter die Lupe, so verändert sich das Gesamtbild nur minimal.
Dies, obwohl insgesamt 363 Gemeinden gemäss aktuellen Siedlungstrends überhaupt nie vollständig überbaut werden – weil nämlich die Bevölkerung in diesen Gemeinden schrumpft. So etwa in Tujetsch (GR): Hier nahm die Population im Schnitt der letzten sieben Jahre um über 5 Prozent ab.
Auf der anderen Seite gibt es aber Gemeinden wie Weiach (ZH), die mit Raten von über 10 Prozent pro Jahr wachsen. Schreibt man diesen Trend fort, so wird das Dorf bereits im Jahr 2020 über keine freien Flächen mehr verfügen. Und dies, obwohl im Jahr 2017 noch 23 Prozent der Flächen unbebaut waren.
Der Siedlungsdruck ist also sehr ungleichmässig über die Schweizer Gemeinden verteilt. In Städten mit über 100’000 Einwohnern ist er tendenziell hoch – der typische Medianwert liegt hier bei einer Restbauzeit von nur gerade 8 Jahren. Am geringsten ist der Siedlungsdruck in den Kleinstgemeinden mit weniger als 500 Einwohnern – hier dauert es über 40 Jahre, bis alles Bauland weg ist.
Wie gesagt: Es handelt sich bei diesen Zahlen nicht um Prognosen, sondern um eine Möglichkeit, die gegenwärtigen Siedlungstrends darzustellen und auf einen Nenner zu bringen. Was die Auswertung ebenfalls nicht sein soll, ist ein Plädoyer für oder gegen die Zersiedelungsinitiative. Denn egal ob sie angenommen wird oder nicht: Eine Diskussion über Siedlungsentwicklung, über Flächenausweitung und Wohnungsverdichtung braucht es so oder so.
Gerade die grosse Spannweite der Zahlen – Wallisellen ist bereits in 3 Jahren verbaut, Birsfelden erst in 109 Jahren – zeigt, dass das Bauland in der Schweiz in den meisten Fällen nicht dort liegt, wo es tatsächlich gebraucht wird. Der Verdichtungsbedarf ist in den Städten bereits heute enorm, und er ist in vielen Dörfern schon heute gering.
Ob mit oder ohne Zersiedelungsinitiative, ob mit oder ohne eingefrorene Zonen, ob mit oder ohne Bauflächenhandel: Die Raumplanung in der Schweiz steht vor grossen Herausforderungen.
Sie wurden vom Immobiliendienstleistungsbüro IAZI in Zürich zusammengestellt. Hauptquelle ist die Bauzonenstatistik der Schweiz fürs Jahr 2017 des Bundesamts für Raumentwicklung. Sie enthält die Flächenangaben zu den überbauten und den unüberbauten Bauzonenflächen für alle Schweizer Gemeinden. Die Angaben daraus wurden ergänzt mit Daten zum Bevölkerungsstand in den Gemeinden.
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