Was diese Woche wichtig war

Terror in Nordirland, Proteste in Venezuela, Symbolpolitik in Hongkong

Woche 4/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli, 25.01.2019

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Bombenanschlag im nordirischen Londonderry

Darum geht es: In der zweitgrössten Stadt Nordirlands explodierte vergangenes Wochenende eine Autobombe. Bei dem Anschlag wurde niemand verletzt, die Angst vor einer erneuten Eskalation im Nordirland­konflikt nimmt jedoch wieder zu.

Nach dem Anschlag: Ein forensischer Ermittler untersucht am vergangenen Sonntag in Londonderry den Ort, an dem eine Autobombe explodiert ist. Niall Carson/Press Association/Keystone

Warum das wichtig ist: 15 Minuten vor der Explosion war eine Warnung an die Polizei eingegangen – die Gebäude im Zentrum Londonderrys wurden daraufhin evakuiert. Verdächtigt wird die Gruppierung Neue IRA, die den Gewalt­verzicht des Karfreitags­abkommens von 1998 ignoriert. Die Polizei verhaftete fünf Verdächtige, von denen sie vier kurz darauf wieder entliess. Am Montag sprengten Sicherheitskräfte vorsorglich einen sicher­gestellten, zuvor entwendeten Transporter. Die lokale Polizei und die Regierung betonten, der Anschlag habe nichts mit dem Brexit zu tun. Dennoch wirft der Terror die Frage auf, ob die Gewalt­bereitschaft bei einem harten Brexit mit einer EU-Aussen­grenze zwischen Irland und Nordirland wieder zunehmen würde. Grossbritanniens Premier­ministerin Theresa May macht derweil bei ihrer Brexit-Umsetzung kaum Fortschritte. Ihr im Parlament vorgestellter Plan B ist fast identisch mit ihrem gescheiterten Deal. Streitpunkt ist unter anderem der sogenannte backstop, der Grenz­kontrollen im irisch-nordirischen Hinter­land ermöglicht und einigen Abgeordneten ein Dorn im Auge ist.

Was als Nächstes geschieht: Der britische Geheimdienst stuft die Terror­gefahr in Nordirland seit Jahren als erheblich ein. Kurz bevor das britische Unterhaus die Weichen stellt bezüglich der inner­irischen Grenze, könnte der Anschlag einige Abgeordnete hinsichtlich der Brexit-Verhandlungs­punkte beeinflussen.


Deutschland und Frankreich bekräftigen Freundschaft

Darum geht es: Die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident haben im sogenannten Aachener Vertrag ihren Freundschaftspakt erneuert. Während EU-Kommissions­präsident Jean-Claude Juncker die Bestärkung des Friedens zwischen den Nationen lobte, kritisierten andere, der Vertrag klammere viele aktuelle Fragen aus.

Warum das wichtig ist: Auf den Tag genau 56 Jahre nachdem sich Charles de Gaulle und Konrad Adenauer an einen Tisch gesetzt und den Élysée-Vertrag unterschrieben hatten, bekräftigten Emmanuel Macron und Angela Merkel die deutsch-französische Freundschaft. Der Aachener Vertrag soll als Ergänzung zu seinem Vorläufer die Zusammen­arbeit in der Aussen-, der Sicherheits- und der Wirtschafts­politik vertiefen. Er sieht beispielsweise für die Grenz­regionen sogenannte Euro­distrikte vor, in denen eine unbürokratische und zweisprachige Kooperation der regionalen Behörden aufgebaut werden soll. Im Vertrag drückt Frankreich zudem seine Unterstützung für den Wunsch Deutschlands nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat aus. In Macrons Augen setzen die Regierungen mit dem Vertrag auch ein Zeichen gegen den Nationalismus. Die deutschen Grünen kritisierten hingegen, der Vertrag klammere wichtige Fragen aus, etwa beim Klimaschutz oder bei Sozial­standards. Der ehemalige Präsident der Tschechischen Republik, Václav Klaus, nannte das Abkommen gar einen Geheimvertrag, der zum Ziel habe, Frankreich und Deutschland zusammen­zuschliessen und Europa zu beherrschen.

Unter Freunden: Der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel haben am Dienstag den Aachener Vertrag unterzeichnet, der die Zusammenarbeit der beiden Länder vertiefen will. Florian Gaertner/Photothek/Getty Images

Was als Nächstes geschieht: Die Regierungen werden den Vertrag nachträglich mit einer konkreten Liste von Projekten ergänzen, die sie umsetzen wollen.


170 Menschen ertrinken im Mittelmeer

Darum geht es: Bei zwei Unglücken von Schlepper­booten in den vergangenen Wochen sind bis zu 170 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Die Zahl der Ertrunkenen steigt damit auf über 200 seit Anfang Jahr. Deutschland gab derweil bekannt, sich nicht weiter an der Sicherungs­mission Sophia vor der libyschen Küste zu beteiligen.

Warum das wichtig ist: Nur 3 Menschen überlebten die Überfahrt von Libyen in einem Schlauch­boot mit 120 Menschen, das nach über zehn Stunden Fahrt Luft verlor und sank. Bei einem zweiten Unglück zwischen Marokko und Spanien überlebte nur ein einziger Mann. Er trieb 24 Stunden im Meer, bis er von einem Fischer­boot gefunden wurde. Der Gerettete gab an, dass sich auf dem Boot 54 Menschen befunden hätten. Dies berichten die Internationale Organisation für Migration und das UN-Flüchtlingswerk. Seit die meisten europäischen Häfen keine Rettungs­schiffe mehr einlaufen lassen, hat sich auch die Präsenz von Hilfs­organisationen im Mittelmeer reduziert. Am Dienstag erklärte zudem Deutschland, sich künftig nicht mehr mit einem Schiff an der EU-Hilfsmission Sophia zu beteiligen. Die Militär­operation, die noch bis März 2019 läuft, geht gegen Schlepper­banden vor und bildet die libysche Küsten­wache aus. Die Opposition im Bundestag nannte den Rückzug ein «Armuts­zeugnis für Europa».

Was als Nächstes geschieht: Libyen ist für die EU kein sicherer Partner bei der Bekämpfung von Schleppern. Zudem finden Schlepper auch trotz des massiven Einsatzes der Marine, die versucht, sie an der Überfahrt zu hindern, Wege übers Mittelmeer. Dort werden viele von ihnen unter diesen Bedingungen weiterhin den Tod finden.


Opposition in Venezuela ruft sich zur Regierung aus

Darum geht es: Der Präsident des venezolanischen Parlaments, Juan Guaidó, rief sich an einer Strassen­kundgebung in Caracas am Mittwoch selbst zum neuen Staatschef aus. Dabei hielt er nicht etwa die Verfassung in der Hand, sondern ein Foto des venezolanischen Freiheits­kämpfers Simón Bolívar – ein symbolträchtiges Bild, steht es doch für die Befreiung Südamerikas von der Herrschaft der Spanier.

Machtkampf: Der 35-jährige Parlamentspräsident Juan Guaidó ernennt sich selbst während einer Kundgebung zum Interimspräsidenten Venezuelas. Marcelo Perez Del Carpio/Anadolu Agency/Getty Images

Warum das wichtig ist: Es ist das neuste Kapitel im Kräfte­messen zwischen der sozialistischen Regierung von Nicolás Maduro und der Opposition. Maduro holte sich mit mutmasslich manipulierten Wahlen im vergangenen Jahr eine weitere Amtszeit. Unlängst sprach das Parlament dem Präsidenten die Legitimation ab, dieser hatte die Volks­vertreter aber schon zuvor entmachtet. Weil zahlreiche Regierungen amerikanischer Länder sich weigern, Maduro weiterhin als Präsident anzuerkennen, sieht Parlaments­präsident Guaidó sich nun im Vorteil. Wenn einer der beiden sich durchgesetzt hat, wird das auch geopolitische Konsequenzen haben. Venezuela ist ein ölreiches Land und eine Regional­macht. Während des Kalten Krieges pflegte Venezuela gute Beziehungen zu den USA. Das änderte sich unter der sozialistischen Regierung von Hugo Chávez. Donald Trump sah das Land unter Maduro auf einer Stufe mit Nordkorea, Kuba und dem Iran. Die USA und südamerikanische Nachbar­länder anerkannten den selbst proklamierten Interims­präsidenten Guaidó denn auch umgehend als Regierungschef. Russland und China stützen hingegen die Maduro-Regierung.

Was als Nächstes geschieht: Maduro und seine Getreuen stellen die Ereignisse als einen von den USA inszenierten Coup dar. Sie verlangen die Ausreise der US-Diplomaten aus Venezuela. Washington beharrt hingegen auf dem Verbleib seines Personals vor Ort. Ob die Situation eskaliert, hängt nun zu einem grossen Teil vom Verhalten der Armee ab.


Zum Schluss: China befiehlt mehr Patriotismus

Viel zu sagen hatte die Bevölkerung Hongkongs unter der britischen Besatzung nicht. Doch unter der chinesischen Herrschaft schweigen zu müssen, stört offenbar fundamentaler. So ist es als Protest populär, während Fussball­matchs die chinesische Hymne auszubuhen. Das lässt sich das Mutterland nicht gefallen. Der prochinesische Legislativ­rat Hongkongs schlägt nun ein Gesetz vor, das die Beleidigung der chinesischen National­hymne unter Strafe stellt. Nachdem Festland­china bereits 2017 ein ähnliches Gesetz verabschiedet hat, soll nun auch in der ehemaligen Kolonie Patriotismus von oben erzwungen werden. Das Gesetz verlangt auch, dass Hongkonger Schulkinder die Hymne lernen müssen. Ob sie sie an Fussball­matchs in Zukunft auch freiwillig singen werden?

Top-Storys: Lesen Sie fremd, kommen Sie wieder

Das destruktivste Virus: 2012 zerstörte eine Cyber­attacke fast jeden einzelnen Computer der profitabelsten Firma der Welt – Saudi Aramco. Der Podcast von «Darknet Diaries» zeigt nicht nur, wie viel die staatliche saudische Ölfirma in den Wieder­aufbau investieren musste, sondern auch, dass wir noch keinen Begriff für digitale Kriege haben.

Die diskrete Inkompetenz der Bourgeoisie: Man spürt die Wut, die im indischen Autor Pankaj Mishra steckt, wenn er die britische Elite der absoluten und tödlichen Unfähigkeit in Sachen Grenz­ziehungen bezichtigt. In der «New York Times» schreibt er, was den Brexit mit der indischen und der irischen Unabhängigkeit verbindet.

Was rechtes Denken ausmacht: Armin Nassehi veröffentlichte einen Briefwechsel mit dem rechten Vordenker Götz Kubitschek und wurde von links dafür kritisiert. «Empörung ist eine intellektuelle Ersatz­handlung», sagt der Soziologe dazu im «Spiegel»-Interview (Abo).

300 Jahre Liechtenstein: Es ist gar nicht so leicht, elegant auf unbequeme Fragen zum Demokratie­defizit seines Landes zu antworten. Erbprinz Alois schafft es im Gespräch mit SRF genauso glatt, wie sich das Land durch die letzten drei Jahr­hunderte schlängelte.

Konservative Richter: Es ist ungewiss, wie lange Ruth Bader Ginsburg noch am Supreme Court der USA wirken wird. Die 85-jährige Richterin ist an Krebs erkrankt. Die Suche nach einem Nachfolger ist bereits im Gang. Präsident Trump wird ihn wohl unter den Mitgliedern der konservativen Juristen­vereinigung Federalist Society auswählen. «Politico» erklärt, warum es kein liberales Pendant zur mächtigen Organisation gibt.

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