Klimaschutz, Heimatschutz, Rahmenabkommen – und der Kandidat der Woche
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (41).
Von Andrea Arezina, Urs Bruderer und Dennis Bühler, 24.01.2019
Es ist die alte Versuchung: das Fieber loswerden wollen, indem man das Thermometer wegwirft.
Die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin möchte die Arbeitszeitkontrollen auf der Intensivstation streichen. Das geht aus ihrer Rückmeldung zur geplanten Änderung des Arbeitsgesetzes hervor. Sie erhofft sich damit unter anderem Kosteneinsparungen.
Die Kontrollen sind das Thermometer. Das Fieber sind die Überstunden: Eine Umfrage des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) kommt zum Schluss, dass bereits heute viele Assistenzärzte über 50 Stunden die Woche arbeiten und länger als die gesetzlich maximal zugelassenen sieben Tage am Stück. Das Spitalpersonal berichtet von Situationen, in denen übermüdete Ärzte Patienten gefährden.
Also weg mit den Kontrollen. Als ob es etwas, was man nicht misst, nicht mehr gäbe. Und damit zum Briefing der Woche.
Wann kommt der nächste Klimastreik?
Was bisher geschah: Am vergangenen Freitag gingen über 20’000 Jugendliche schweizweit in verschiedenen Städten auf die Strasse, um für wirksamen Klimaschutz zu demonstrieren.
Was Sie wissen müssen: Experten sprechen von der ersten grösseren Jugendbewegung der Generation der digital natives. Ausgelöst wurde diese durch die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg. Sie ging während des vergangenen Hitzesommers nicht mehr zur Schule, um so auf den fehlenden Klimaschutz aufmerksam zu machen. Mittlerweile schwänzt sie nur noch am Freitag die Schule und streikt dann mit anderen Jugendlichen für mehr Klimaschutz. Nachdem Thunberg am Klimagipfel in Katowice vergangenen Dezember eine berührende Rede hielt, verbreitete sich ihre Botschaft rasant und führte dazu, dass bereits im Dezember Jugendliche in der Schweiz erste Klimastreiks organisierten.
Wie es weitergeht: Greta Thunberg nimmt diese Woche am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Weil sie nicht fliegen will, kommt sie mit dem Zug und nimmt dafür eine Fahrtdauer von etwa 60 Stunden für Hin- und Rückfahrt in Kauf. Auch wenn Thunberg bald wieder weg ist, wird der Protest in der Schweiz nicht so schnell abflauen. Am 2. Februar sind hierzulande weitere Klimademos geplant, dieses Mal an einem Samstag, und eingeladen sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Und am 15. März ist ein weltweiter Klimastreik geplant. Nicht nur das Klima, auch das Thema Klimawandel wird heisser.
Wird der Heimatschutz gelockert?
Was bisher geschah: Das Heimatschutzgesetz soll gelockert werden. Der Vorschlag kommt vom Zürcher SVP-Nationalrat Gregor Rutz, einem Mann jener Partei also, die sich die Verteidigung der Heimat auf die Fahne geschrieben hat. Die Umweltkommission des Nationalrates folgte dem Vorschlag von Rutz mit knapper Mehrheit. Grund: Verdichtetes Bauen soll erleichtert werden.
Was Sie wissen müssen: Historisch wertvolle Weiler, Siedlungen und Altstädte sind via Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder (Isos) geschützt. 1274 Objekte sind es an der Zahl. Dazu gehören beispielsweise das Kloster Fischingen oder das Städtchen Willisau mit seiner Altstadt und den Vorstadtquartieren aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Zwischen der Erhaltung historischer Bauten und dem Wunsch nach Verdichtung besteht ein Interessenkonflikt. SVP-Nationalrat Rutz möchte das verdichtete Bauen erleichtern und fordert darum eine Lockerung der Auflagen bei schützenswerten Ortsbildern. Nur noch aussergewöhnliche und einzigartige historische Bauten sollen geschützt werden, so sein Vorschlag. Der Heimatschutz ist auch für Verdichtung, warnt aber vor Schnellschüssen.
Wie es weitergeht: Als Nächstes befasst sich die Umweltkommission des Ständerates mit dem Vorschlag. Aus Bern heisst es: Rutz habe ein echtes Problem erkannt, aber die Lösung überzeuge nicht alle.
Rahmenabkommen: Diffuse Bedenken der Kantone
Was bisher geschah: Der St. Galler Finanzdirektor Benedikt Würth (CVP) zeigte sich im Gespräch mit Radio SRF besorgt. Das Rahmenabkommen mit der EU könnte die Beihilfen der Kantone für Unternehmen einschränken. Würth ist auch Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen. Es hat Gewicht, wenn er sagt, die Kantone wollten «keine neuen Interventionen der EU im Steuerbereich».
Was Sie wissen müssen: Schweizer Kantone ködern Unternehmen mit Steuergeschenken und anderen Zückerchen. Auch in der EU sind solche Beihilfen in strukturschwachen Gebieten gang und gäbe. Man darf die Sorgen der Kantone darum relativieren. Kommt hinzu: Noch sind sie reine Spekulation. Denn die Beihilfen sind im Rahmenabkommen ein Randthema, und bis die EU das Ende mancher Kantonsbeihilfen fordern könnte, wäre der Weg noch lang: erstens erfolgreiches Rahmenabkommen, zweitens Aufnahme von Verhandlungen über das Freihandelsabkommen von 1972, drittens erfolgreiche Erweiterung dieses Abkommens. Erst nach Abschluss dieser drei höchst umstrittenen und darum schwierigen Etappen müssten die Kantone vielleicht manche Formen der Beihilfe aufgeben.
Wie es weitergeht: Der Bundesrat sucht in den nächsten Wochen das Gespräch mit allen Interessierten und Betroffenen, auch mit den Kantonen. Die haben ihre Beurteilung des Rahmenabkommens auf Ende März angekündigt. Die Bedenken der Kantone mögen diffus sein. Dass diese sie dennoch schon jetzt öffentlich äussern, senkt die ohnehin tiefen Überlebenschancen des Rahmenabkommens weiter.
Kandidat der Woche: Yvan Perrin, SVP Neuenburg
Der Kanton Neuenburg ist mit vier Sitzen im Nationalrat vertreten. In aller Regel stellen die Parteien bei Wahlen jeweils so viele Kandidaten und Kandidatinnen, wie Sitze zu vergeben sind. Doch bei der SVP Neuenburg bekunden nur drei Personen Interesse an einer Kandidatur im Herbst dieses Jahres. Dies hat die Kantonalpartei am Montag bekannt gegeben. Einer der drei Willigen ist Yvan Perrin – und damit ausgerechnet jener Mann, der eng mit der Krise der Neuenburger SVP verbunden ist.
Es hatte gut begonnen: Anfang des Jahrtausends baute der hemdsärmlige Polizist die Kantonalpartei auf, ab 2003 war er ihr erster Vertreter im Nationalrat, danach war er als Vizepräsident der SVP Schweiz für den Aufstieg der Partei in der gesamten Romandie verantwortlich. Dann aber kamen die Probleme: Zwar schaffte Perrin 2013 noch die Wahl in den Regierungsrat, doch musste er wegen Erschöpfung, Angstzuständen und Alkoholproblemen nach nur einem Jahr seinen Rücktritt erklären. Wegen seiner Person zerstritt sich die Neuenburger SVP heillos. Trotzdem wählte ihn eine Mehrheit der Partei erneut zu ihrem Präsidenten; er blieb bis unmittelbar nach den Kantonsratswahlen im April 2017, bei denen die Partei 11 ihrer 20 Sitze verlor.
Nun will Perrin zurück ins Rampenlicht – und riskiert damit eine neuerliche interne Zerreissprobe. Die Parteileitung hofft immer noch, ihre Liste füllen zu können, und hat die Meldefrist für Kandidaturen verlängert.
Wo sollen wir nachhaken? Wie beurteilen Sie unsere Arbeit? Hier geht es zur Debatte.