Der Winter kommt
Weltweit mehren sich die Signale einer markanten Abkühlung der Konjunktur. Woran man das erkennt? Wir zeigen die wichtigsten Indikatoren – und erklären, was sie bedeuten.
Von Mark Dittli, 21.01.2019
Und plötzlich geht die Luft aus: Rund um den Globus häufen sich dieser Tage die Signale einer deutlichen Konjunkturabkühlung.
In diversen Ländern Europas, auch in Deutschland, ist die Industrieproduktion Ende 2018 überraschend kräftig eingebrochen.
Handelsdaten aus Asien sandten vor wenigen Tagen einen kurzen Schock durch die Finanzmärkte, als bekannt wurde, dass die Exporte und Importe von und nach China im Dezember viel stärker als erwartet geschrumpft sind.
Was ist los mit der Weltwirtschaft? Zumal noch vor wenigen Monaten die Konjunktur zu brummen schien und in Deutschland sogar ein Rekord in der Beschäftigungsstatistik vermeldet werden konnte?
Ein Grund für die Abkühlung ist der Handelskonflikt zwischen den USA und China und die damit verbundene Unsicherheit.
Ein anderer – weit wichtigerer – Faktor ist die bereits seit längerer Zeit evidente Abschwächung der Binnenwirtschaft in China. Diese wiederum zieht andere Volkswirtschaften wie Korea und Taiwan, deren Exporte direkt oder indirekt stark an China hängen, mit nach unten.
In diesem Text wollen wir allerdings nicht der Frage nachgehen, warum der weltwirtschaftliche Motor ins Stottern geraten ist. Unzählige weitere Faktoren sind hier im Spiel, beispielsweise die Drosselung der Geldpolitik in den USA. Sie korrekt zu gewichten, wäre extrem schwierig.
Was wir auch nicht tun werden: eine Prognose abgeben, wie sich die Konjunktur in den kommenden Quartalen entwickelt. Das massen wir uns nicht an; die Weltwirtschaft ist ein unfassbar komplexes System, und alle Prognosen sind stets mit sehr viel Vorsicht zu geniessen.
Stattdessen wollen wir auf bestimmte Typen von Indikatoren eingehen, die in der Konjunkturanalyse eine wichtige Rolle spielen – weil sie sich mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf zur allgemeinen Konjunktur bewegen und somit als Signale dafür gewertet werden können, wie sich die Wirtschaft in der nahen Zukunft entwickeln wird.
Die Einkaufsmanager werden vorsichtig
Zunächst etwas Theorie. Der am weitesten verbreitete dieser Vorlaufindikatoren ist der Einkaufsmanagerindex, im Jargon meist unter seiner englischen Abkürzung PMI (Purchasing Managers’ Index) bekannt.
Seine Konstruktion ist vergleichsweise simpel: Jeden Monat werden systematisch Einkaufsmanager von Unternehmen über ihren Geschäftsgang und ihr Bestellverhalten befragt. Die Befragten haben dabei immer drei Antworten zur Auswahl: besser, gleich oder schlechter als im Vormonat.
Die Antworten werden dann in einem sogenannten Diffusionsindex gebündelt.
Ein Indexstand von 50 bedeutet «unverändert», das heisst, die Antworten der Befragten sind in der Summe neutral.
Liegt der Index über 50, verzeichnet die Mehrheit der Befragten im Vergleich zum Vormonat einen besseren Geschäftsgang.
Liegt er unter 50, deutet der Index dagegen auf eine Abkühlung hin.
Der Einkaufsmanagerindex gilt als Vorlaufindikator, weil die Bestellungen der Unternehmen vereinfacht gesagt die Produktion von morgen auslösen und diese Produktion dann übermorgen in den Wirtschaftsstatistiken zum Bruttoinlandprodukt (BIP) auftaucht. In der Praxis zeigt der Einkaufsmanagerindex einen Vorlauf von rund sechs Monaten zur BIP-Entwicklung.
Einkaufsmanagerindizes werden in der Regel für die Industrie sowie für den Dienstleistungssektor getrennt erhoben. Zudem existieren je nach Land und Indexanbieter diverse Unterindizes. In diesem Beitrag werden wir uns auf die Industrie-PMI beschränken.
Kommen wir zu den effektiven Daten. Zunächst in Europa: Die folgende Grafik zeigt den Verlauf der Einkaufsmanagerindizes in den wichtigsten Volkswirtschaften Europas sowie in der Schweiz über die letzten knapp zehn Jahre.
Wichtig ist die waagrechte Linie zur Punktezahl 50, da sie die Grenze zwischen Expansion (über 50) und Kontraktion (unter 50) darstellt. Gegenwärtig liegen Frankreich (49,7) und Italien (49,2) bereits leicht unter dieser Schwelle, Deutschland noch leicht darüber. Die Schweiz hält sich mit 57,8 noch vergleichsweise gut.
Relevant ist aber nicht bloss die aktuelle Position des Indexstandes, sondern seine Bewegung im Zeitverlauf. Und hier zeigt die Grafik eindrücklich, wie der Einkaufsmanagerindex in allen beobachteten Staaten im Verlauf des vergangenen Jahres einen Rückgang der wirtschaftlichen Dynamik signalisierte.
Ähnlich heftig war der Absturz bloss 2010 und 2011, als die Einkaufsmanagerindizes in ganz Europa von teils über 60 auf deutlich unter 50 stürzten: ein Vorbote der Eurokrise, die dann vor allem 2011 bis 2013 wütete.
Als Nächstes das Bild in Asien:
Die Ausschläge in Asien sind etwas weniger gross als in Europa, doch das Bild ist ähnlich: In China, Südkorea und Taiwan liegt der Einkaufsmanagerindex unter 50 und signalisiert eine Abkühlung der Wirtschaft. Besonders Taiwan (braune Kurve), dessen Wirtschaft stark am Export von Technologiegütern hängt, zeigt klare Schwächesignale.
Als Nächstes die USA und der Index für die gesamte Welt:
Der Welt-PMI (dunkelgrün) ist im Verlauf der vergangenen zwölf Monate stetig gesunken. Er steht zwar immer noch über 50 und zeigt eine expandierende Wirtschaft an. Aber auch hier ist deutlich: Die Dynamik lässt nach.
In den USA hielt sich die Konjunktur – unter anderem dank der Senkung der Unternehmenssteuern, die Präsident Trump Anfang 2018 durchgesetzt hat – lange Zeit sehr gut. Doch auch in Amerika zeigen sich nun Signale einer Abkühlung. Die Effekte der Steuerreform laufen aus.
Der zweite Indikator, den wir besprechen, stammt von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Er bestätigt den Eindruck einer allgemeinen, globalen Abkühlung.
Das Gesamtbild mahnt zur Vorsicht
Es handelt sich um den OECD Composite Leading Indicator (CLI). Die Wirtschaftsorganisation der Industrieländer mit Sitz in Paris erhebt diesen Index monatlich aus verschiedenen konjunkturellen Vorlaufindikatoren.
Dazu zählen beispielsweise Veränderungen von Lagerbeständen und Bestellungseingängen bei Unternehmen, Stimmungsumfragen unter Managern oder Finanzmarktsignale. Diese Daten werden im CLI gebündelt, der um einen Stand von 100 fluktuiert.
Steigt der CLI über 100, so stehen die weltwirtschaftlichen Zeichen auf Expansion. Sinkt er und fällt er unter 100, signalisiert das mit einem Vorlauf von sechs bis neun Monaten eine Abschwächung der Wirtschaftsleistung.
Die folgende Grafik zeigt den CLI für die wichtigsten Wirtschaftsräume der Welt:
Eindrücklich zu sehen ist: Der Abschwung verläuft synchron – von den USA (grün) über Deutschland (hellblau) und die gesamte Eurozone (dunkelblau) bis zum Total der 34 OECD-Staaten (grau), zu denen auch die Schweiz gehört.
Besonders augenfällig ist das Muster in China (rosa): Während Jahren war China ein Stabilitätsanker für die Weltwirtschaft. Als die anderen Staaten durch eine Schwächephase gingen, zeigte China meist eine höhere Wachstumsdynamik (etwa in der Zeit von 2012 bis 2014 oder 2016 und 2017).
Aktuell ist es jedoch der Einbruch in China, der im Vergleich mit den anderen Staaten am heftigsten ausfällt. Er ereignete sich im zeitlichen Ablauf auch früher. Das ist ein weiteres Signal dafür, dass gegenwärtig die wohl grösste Gefahr für die Weltwirtschaft von China ausgeht.
Heisst das nun, der Weltwirtschaft droht eine Rezession?
Keine Trendwende in Sicht
Nein, nicht zwingend. In den aktuellen Konjunkturdaten sowie in der gegenwärtig wahrgenommenen Unsicherheit spielen auch Einzelfaktoren eine Rolle, etwa der angesprochene Handelskonflikt zwischen den USA und China, die Ungewissheiten rund um den shutdown in den USA sowie eine zum Teil politisch bedingte Schwäche in der für die deutsche Volkswirtschaft enorm wichtigen Automobilindustrie.
Doch die in diesem Beitrag dargestellten Indikatoren zeigen zweierlei.
Die gegenwärtige Konjunkturschwäche kommt nicht überraschend. Die Frühindikatoren haben bereits im Verlauf des Jahres 2018 eine Abschwächung signalisiert.
Es ist nirgends eine Trendwende zu sehen, die Signale zeigen weiterhin abwärts. Der Winter kommt.
Einkaufsmanagerindizes werden je nach Land von verschiedenen Forschungsinstituten erhoben und sind zum Teil kostenpflichtig. In den USA wird der wichtigste Index vom Institute for Supply Management erhoben. Für rund 30 Staaten publiziert der in London ansässige, private Datenanbieter IHS Markit einen monatlichen PMI. In der Schweiz erhebt Procure, der Fachverband für Einkauf und Supply Management, zusammen mit Credit Suisse seit 1995 mehrere Einkaufsmanagerindizes. Der Ökonom Domagoj Arapovic erstellt für die Raiffeisen-Bank seit einem knappen Jahr zudem einen PMI spezifisch für den Sektor der kleinen und mittelgrossen Unternehmen in der Schweiz. Die amerikanische Grossbank J.P. Morgan aggregiert zusammen mit Markit einen globalen PMI, während in China jeweils ein offizieller Index sowie ein vom Wirtschaftsmagazin «Caixin» erhobener PMI publiziert werden. Die Wirtschaftszeitung «Finanz und Wirtschaft» publiziert jeden Monat eine Übersicht über die globale PMI-Landschaft. Kollege Peter Rohner von der FuW hat uns seine Daten für diesen Beitrag freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Die Daten für den OECD Composite Leading Indicator stammen von der Datenbank der OECD.
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