Der blinde Fleck im UBS-Bonussystem
Von Simon Schmid, 18.01.2019
Mit grosser Aufregung – und ein bisschen Häme – berichteten Finanzmedien diese Woche über seinen geplatzten Jobwechsel: Andrea Orcel, bis vor kurzem Chef der UBS-Investmentbank und gefeierter «Regenmacher» im Schweizer Finanzinstitut, wird nun doch nicht neuer Chef bei Santander.
Die spanische Grossbank wollte die Antrittsgage über 50 Millionen Franken nicht bezahlen, die Orcel verlangte – als Kompensation für aufgeschobene Boni von der UBS, die nach seiner freiwilligen Kündigung verfallen sind.
Die Sache ist bitter für Orcel, der nun mit abgesägten Hosen dasteht: ohne neuen Job, mit ramponiertem Ruf und obendrein ohne seine Millionenboni, die er verliert, falls er in der Finanzindustrie einen anderen Job annimmt.
Doch sie ist ein Glücksfall für die Öffentlichkeit. Der Fall Orcel führt vor Augen, wie komplex die Systeme sind, nach denen Topmanager in grossen Firmen heutzutage vergütet werden – und wie absurd diese Systeme sind, wenn sie durch einen simplen Jobwechsel aus den Angeln gehoben werden.
Die Kaderlöhne bei der UBS setzen sich aus drei Teilen zusammen:
aus einem Basissalär, das unverzüglich in bar ausbezahlt wird. Es macht in der UBS-Konzernleitung rund 26 Millionen Franken von total 100 Millionen Franken aus, welche die zwölf Mitglieder zuletzt erhielten;
aus einem Aktienpaket, das nach leistungsrelevanten Kriterien (Gewinn des Unternehmens, Eigenkapitalrendite, Kapitalquote und einige Soft-Faktoren) bemessen und gestaffelt nach drei, vier und fünf Jahren ausgehändigt wird. Auf Stufe der Konzernleitung machten diese Aktienpakete mit einem Gegenwert von 37 Millionen Franken zuletzt den grössten Anteil der Vergütung aus;
aus einem speziellen, ebenfalls auf fünf Jahre blockierten Finanzinstrument, das ähnlich wie eine Obligation funktioniert, jedoch seinen Wert verliert, wenn das Eigenkapital der Bank eine bestimmte Schwelle unterschreitet. 22 Millionen Franken wurden der UBS-Konzernleitung vor einem Jahr über dieses Bonus-Instrument zugeteilt.
(Zur Vollständigkeit: Die fehlende Differenz von gut 15 Millionen Franken zur totalen Summe von 100 Millionen Franken ergibt sich aus einem weiteren Bonustyp, der nur in Grossbritannien zur Anwendung kommt.)
Dieses ausgeklügelte System soll garantieren, dass die Anreize der Manager so weit wie möglich mit den Interessen der Kapitalgeber übereinstimmen. Es ist ein typisches System, wie es in vielen Firmen zur Anwendung kommt.
Fällt der Aktienkurs der UBS zum Beispiel in drei, vier oder fünf Jahren in den Keller, leiden darunter nicht nur Aktionäre – sondern auch die Manager, die die geschäftlichen Weichenstellungen vorgenommen haben. Fällt die Kapitalausstattung der Bank, so bluten die Manager ebenfalls, und sie verlieren einen Teil ihrer finanziellen Ansprüche. Die Idee hinter all diesen Mechanismen ist, Manager zum langfristigen Denken zu animieren – und sie davon abzuhalten, Risiken einzugehen, die sich nur kurzfristig auszahlen.
Was auf dem Papier einleuchtend klingt, verkommt in der Praxis jedoch zur Farce. Und zwar genau dann, wenn ein Topmanager die Firma wechselt.
Die gängige Erwartung ist in solchen Fällen, dass der neue Arbeitgeber den Manager aus seinen laufenden Vergütungsprogrammen auskauft – ihn also dafür entschädigt, dass er seine aufgeschobenen Boni beim alten Arbeitgeber nicht erhält (diese verfallen bei einem Wechsel zur Konkurrenz).
Diese Erwartung hatte auch Orcel: Santander sollte das Portemonnaie zücken und ihm rund 50 Millionen Franken überweisen – ähnlich wie es die UBS im Jahr 2012 getan hatte, als sie Orcel von der Investmentbank Merrill Lynch zu sich holte und ihm eine Antrittsgage von rund 25 Millionen entrichtete. Bis vor wenigen Tagen sah es denn auch so aus, als würde sich die spanische Bank auf das Spiel einlassen – und den üblichen Obolus an Orcel entrichten.
Das Problem an diesem Vorgehen ist jedoch, dass mit solchen Manager-Auskäufen auch die gesamte Logik des Vergütungssystems hinfällig wird.
Ob es der UBS in drei, vier oder fünf Jahren gut oder schlecht geht, hätte Orcel nach seinem Wechsel egal sein können – er wäre dann bereits über alle Berge gewesen, ausgestattet mit Bargeld oder mit Santander-Ersatzaktien, deren Wert rein gar nichts mit dem Geschäftsgang der UBS zu tun gehabt hätte. Von einem steigenden UBS-Aktienkurs hätte Orcel in diesem Fall ebenso wenig profitiert, wie er darunter gelitten hätte, wenn er die Bank mit einer risikoreichen Investmentstrategie an die Wand gefahren hätte. Und dies, obwohl das Vergütungssystem genau auf diesen Aspekt – also auf den Zusammenhang zwischen Leistung und Lohn – ausgerichtet ist.
Ein Manager kann also das ganze Leistungsbemessungs-Brimborium, die dreistufige Systematik und die langfristigen Verhaltensanreize, locker überlisten – indem er einfach den Hut nimmt und zur Konkurrenz wechselt.
Wie absurd diese Charakteristik gängiger Manager-Vergütungssysteme ist, war Andrea Orcel wohl kaum bewusst, als er letztes Jahr seinen Wechsel zu Santander einfädelte. Immerhin hat er den blinden Fleck jetzt wohl erkannt.